Beschädigung eines Flugzeugs durch Fahrer eines Treppenfahrzeugs

AG Rüsselsheim: Beschädigung eines Flugzeugs durch Fahrer eines Treppenfahrzeugs

Ein Flugreisender forderte eine Ausgleichszahlung, weil er sein Reiseziel mit über 3-stündiger Verspätung erreichte. Die Klage wurde abgewiesen, weil die Ursache der Verspätung – die Beschädigung eines Flugzeuges durch ein Treppenfahrzeug auf dem Vorflug – einen außergewöhnlichen Umstand darstellte.

AG Rüsselsheim 3 C 661/12 (33) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 28.03.2013
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 28.03.2013, Az: 3 C 661/12 (33)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1. Urteil vom 28. März 2013

Aktenzeichen 3 C 661/12 (33)

Leitsatz:

2. Folgen des eigenverantortlichen Handelns eines Dritten als Teil der Flugvorbereitung können einen außergewöhnlichen Umstand bilden.

Zusammenfassung:

3. Ein Flugreisender forderte für die 3-stündige Verspätung seines Fluges eine Ausgleichszahlung gemäß der Fluggastrechteverordnung. Das Amtsgericht Rüsselsheim wies die Klage ab, da außergewöhnliche Umstände vorlagen.

Diese bestanden in der Beschädigung des für den Flug vorgesehenen Flugzeuges auf dem Vorflug. Diese war durch die Kollision mit einem Treppenfahrzeug erfolgt, was ein unbeherrschbares und aufgrund der Seltenheit im Flugbetrieb atypisches Ereignis darstellte. Auch wenn der Führer des Fahrzeugs an der Flugvorbereitung beteiligt war, blieb er ein eigenverantwortlich handelnder Dritter und kein Erfüllungsgehilfe der Beklagten, denn die Bereitstellung eines Treppenfahrzeuges ist – wie bspw. die Betankung der Maschine – keine Leistung, die das Flugunternehmen dem Fluggast schuldet. Zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung hätten der Beklagten nur hinsichtlich des Auftretens außergewöhnlicher Umstände, nicht aber der Verspätung oder Annullierung, die daraus folgt, oblegen, waren ihr vorliegend aber nicht möglich, sodass sie von der Ausgleichspflicht befreit war.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um die Zahlung von Ausgleichsansprüchen nach der Verordnung (EG) 261/2004 (nachfolgend „VO“ genannt) wegen Flugverspätung.

6. Der Kläger buchte eine Pauschalreise bei einem Reiseveranstalter, in deren Rahmen die Beklagte am 02.10.2011 eine Flugbeförderung von Antalya nach Frankfurt am Main erbringen sollte (Flug DE 7461). Der Flug traf am Zielflughafen tatsächlich erst mit einer Verspätung von über 3 h ein. Die Flugentfernung betrug über 1500 km.

7. Ursache der Verspätung war ein Unfall zwischen dem für den Flug vorgesehenen Fluggerätes D-​ABOI und einem Treppenfahrzeug in Stuttgart. Das Treppenfahrzeug, welches ein Mitarbeiter der … fuhr, kollidierte mit der Tragfläche des Flugzeugs, wodurch diese strukturell beschädigt wurde. Das Fluggerät war für die Route Düsseldorf-​Stuttgart-​Antalya-​Frankfurt vorgesehen. Infolge des Unfalls setzte die Beklagte für den Umlauf ein Ersatzflugzeug mit der Registrierung D-​ABUF ein.

8. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers machten dessen Ansprüche mit Schreiben vom 26.01.2012 außergerichtlich gegenüber der Beklagten geltend und forderten diese zur Zahlung des Ausgleichsbetrags bis zum 02.02.2012 auf. Die Beklagte leistete vorgerichtlich an den Kläger Zahlungen in Höhe von EUR 100,00 und EUR 33,00, wobei letztere auf vor Ort nicht erbrachte Betreuungsleistungen gezahlt wurden.

9. Der Kläger ist der Auffassung, dass das Verhalten des Personals zur Bedienung des Treppenfahrzeugs der Beklagten zuzurechnen sei. Auch sei die Zeitverzögerung unangemessen lang gewesen; die Beklagte habe nicht alle zumutbaren Maßnahmen ausgeschöpft.

10. Der Kläger hat zunächst beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 300,00 nebst Zinsen zu zahlen. Nach Zustellung der Klage hat die Beklagte weitere EUR 100,00 an den Kläger gezahlt. Mit Schriftsatz vom 18.05.2012 hat der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache in Höhe von EUR 100,00 für teilweise erledigt erklärt.

11. Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 300,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich zum 18.05.2012 gezahlter EUR 100,00 zu zahlen.

12. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13. Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klageforderung bereits in Höhe von weiteren EUR 33,00 erfüllt sei. Aufgrund des unstreitigen Unfalls des für den Flug vorgesehenen Fluggerätes liege ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO vor.

14. Das Gericht hat auf Grundlage des Beweisbeschlusses vom 01.06.2012 durch schriftliche Vernehmung des Zeugen Ziel Beweis erhoben über die Behauptungen der Beklagten, dass für den Flug vorgesehene Fluggerät sei vor dem Abflug in Stuttgart von einem Treppenfahrzeug gerammt worden, wobei ein Flügel des Fluggerätes beschädigt worden sei. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Angaben des Zeugen vom 01.07.2012, Bl. 73 ff. d.A., verwiesen.

Entscheidungsgründe:

15. Die Klage ist unbegründet.

16. Die Klägerseite hat keinen Anspruch auf Leistung von Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b), Art. 6 Abs. 1 VO. Nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009, 23.10.2012 und 26.02.2013 (Aktenzeichen C-​402/07, C-​432/07, C-​581/10, C-​629/10 und C-​11/11) sowie des Bundesgerichtshofs vom 18.02.2010 (Aktenzeichen Xa ZR 95/06) sind die Art. 5, 6 und 7 VO dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichzustellen sind, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von 3 h oder mehr erleiden, ihr Ziel also nicht früher als 3 h nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.

17. Ein Ausgleichsanspruch ist jedoch entsprechend Art. 5 Abs. 3 VO ausgeschlossen, da die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände im Sinne dieser Vorschrift zurückgeht. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs soll ein Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung des Art. 5 Abs. 3 VO entfallen, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären; dies ist vorliegend der Fall.

18. Diesbezüglich kam es nicht auf die zunächst durchgeführte Beweisaufnahme an. Die aufgrund des vor Dezernatswechsel erlassenen Beweisbeschlusses vom 01.06.2012 durchgeführte Beweisaufnahme konnte dahinstehen, da das Beweisthema zwischen den Parteien unstreitig war.

19. Das für den Flug des Klägers vorgesehene Flugzeug konnte unstreitig nicht pünktlich abfliegen, weil die Maschine vor dem Start des Vorfluges von einem Treppenfahrzeug gerammt worden ist, wobei deren Tragfläche strukturell beschädigt wurde.

20. Das eigenverantwortliche Handeln eines Dritten – auch eines solchen, der an den Abflugvorbereitungen des Flugzeugs beteiligt ist, ohne Betriebsangehöriger der Beklagten zu sein – stellt einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO dar. In Erwägungsgrund 14 der VO wird erkennbar, dass der Verordnungsgeber bei den haftungsausschließenden außergewöhnlichen Umständen ersichtlich solche im Blick hatte, die außerhalb der Sphäre des Luftfahrtunternehmens liegen und sich dessen Beherrschung entziehen. In Anlehnung an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 22.12.2008 (Az. C-​549/07) kommt der Ausschluss des Ausgleichsanspruchs wegen eines außergewöhnlichen Umstands dann in Betracht, wenn dieser auf tatsächlich unbeherrschbare Vorkommnisse zurückzuführen sind, die nicht Teil der normalen Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens sind – wie beispielsweise versteckte Fabrikationsfehler, Sabotageakte oder terroristische Handlungen. Maßgeblich ist, ob das zu Grunde liegende Geschehen ein typisches und in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit vorkommendes Ereignis darstellt oder ob es der Beherrschbarkeit der Fluggesellschaft völlig entzogen ist (Landgericht Darmstadt, Urteil vom 20.07.2011, Az. 7 S 46/11 m.w.N.).

21. Die Beschädigung eines Fluggeräts durch den Fahrer eines Treppenfahrzeugs ist schon kein typisches in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens vorkommendes Ereignis. Dieses Geschehen stellt vielmehr eine höchst seltene Ausnahme dar.

22. Zudem ist die hier eingetretene Beschädigung ihres Fluggerätes für die Beklagte auch nicht beherrschbar, da das Treppenfahrzeug nicht durch eine Person gesteuert wurde, die in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten steht und daher von ihr oder ihren Mitarbeitern konkret angewiesen werden kann. Der Fahrer des Treppenfahrzeugs handelte vielmehr eigenverantwortlich.

23. Die Beklagte konnte die Beschädigung des Flugzeugs durch das Treppenfahrzeug hiernach auch nicht im Rahmen zumutbarer Maßnahmen verhindern. Das Fahrzeug unterlag allein der Bedienung des Mitarbeiters der … und war der faktischen Kontrolle der Beklagten entzogen. Sie konnte auch rechtlich keinen Einfluss auf die konkrete Bedienung des Fahrzeugs ausüben, da der Fahrzeugführer gegenüber der Beklagten und ihren Mitarbeitern, die unstreitig kein direktes Vertragsverhältnis zur … unterhielt, nicht weisungsgebunden ist.

24. Das Verhalten des Fahrers des Treppenfahrzeugs ließe sich höchstens der … nicht aber der Beklagten selbst – und zwar unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt – zurechnen.

25. Die VO selbst sieht keine Regelung zum Einstehenmüssen des Luftfahrtunternehmens für Dritte bzw. Zurechnungsvorschriften vor. Vielmehr knüpft die Entlastungsregel des Art. 5 Abs. 3 VO ausschließlich an das Vorliegen eines nicht vermeidbaren außergewöhnlichen Umstands – und nicht etwa an eine bürgerlichrechtliche Haftungszurechnung im Sinne des deutschen BGB – an.

26. Eine Zurechnung des Verhaltens des Fahrers des Treppenfahrzeugs als „Erfüllungsgehilfe“ der Beklagten zu deren Lasten gemäß § 278 BGB kommt nicht in Betracht (so auch Amtsgericht Rüsselsheim, Urteil vom 16.01.2013, Az. 3 C 1879/12 (36) für den hier betroffenen Flug; a.A. insb. Landgericht Darmstadt, Urteil vom 26.03.2010, Az. 7 S 201/09; Amtsgericht Frankfurt, Urteil vom 03.02.2010, Az. 29 C 2088/09; Amtsgericht Rüsselsheim, Urteil vom 27.07.2012, Az. 3 C 468/12 (37)).

27. So ist bereits der Anwendungsbereich dieser Vorschrift – Zurechnung fremden Verschuldens – nicht eröffnet, da die Verpflichtung zur Zahlung von Ausgleichsleistungen als pauschalierter Schadensersatzanspruch gerade nicht an ein Verschulden der auf Seiten des Luftfahrtunternehmens beteiligten Personen abstellt; vielmehr ist diese Pflicht – vom Verordnungsgeber ausdrücklich gewünscht – verschuldensunabhängig ausgestaltet.

28. Überdies sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 278 BGB nicht gegeben. Diese Vorschrift setzt ein Schuldverhältnis zwischen den Parteien voraus, welches vorliegend fehlt. Zwischen den Parteien besteht kein Vertrag. Ausweislich des als Anlage K1 vorgelegten Flugscheins hat der Kläger keine Direktbuchung bei der Beklagten vorgenommen, sondern bei einem Reiseveranstalter eine Pauschalreise gebucht.

29. Im Übrigen kann der Fahrer des Treppenfahrzeugs auch nicht als Erfüllungsgehilfe der Beklagten betrachtet werden. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Falles mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfspersonen tätig wird (Palandt, BGB, 72. Auflage, § 278, Rn. 7). Der Fahrer des Treppenfahrzeugs wird nicht im Pflichtenkreis der Beklagten als Luftfahrtunternehmen tätig. Die Beklagte schuldet den Transport des Reisenden von einem Flughafen zum anderen. Das fehlerfreie Bereitstellen einer Fluggasttreppe ist nicht Teil der originären Leistungspflicht der Beklagten. Vielmehr stellt das Bereitstellen einer Fluggasttreppe – ebenso wie etwa die Betankung oder Enteisung (hierzu i. E. wie hier Landgericht Darmstadt, Urteil vom 03.11.2010, Az. 7 S 58/10) des Flugzeugs und letztlich auch dessen Herstellung – eine Vorleistung dar, die zwar im Hinblick auf den Flug selbst erforderlich sein mag, aber gerade nicht gegenüber dem Fluggast geschuldet ist. Der Fahrer (und Betreiber) eines Treppenfahrzeugs steht im Hinblick auf den Luftfahrtbeförderungsvertrag (als Werkvertrag) demjenigen gleich, der als Zulieferer eines Werkunternehmers tätig wird – dieser wird allgemein nicht als Erfüllungsgehilfe angesehen.

30. Die Regelung des § 278 BGB ist im Hinblick auf die VO auch nicht analog anwendbar, da es bereits an der hierfür erforderlichen planwidrigen Regelungslücke fehlt. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Verordnung ist davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber eine „Haftung“ für das Verhalten Dritter hinsichtlich des Ausgleichsanspruchs infolge von Annullierungen oder großen Verspätungen bewusst nicht vorgesehen hat.

31. Der Qualifikation des Geschehens in Stuttgart als außergewöhnlichen Umstand steht auch nicht entgegen, dass sich dieses nicht anlässlich des vom Kläger gebuchten Fluges, sondern im Rahmen des unmittelbaren Vorfluges ereignet hat. Der Verordnung selbst ist nicht zu entnehmen, dass der Eintritt außergewöhnlicher Umstände nur auf den unmittelbaren gebuchten Flug – und nicht auf Vorflüge – bezogen ist. Zwar hebt Erwägungsgrund 14 der VO auf die „Durchführung des betreffenden Fluges“ ab, beschränkt dies aber allein auf die dort genannten Wetterbedingungen und nicht auf die weiteren beispielhaft aufgeführten Umstände.

32. Erwägungsgrund 15 der VO macht indes deutlich, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements eine Verspätung oder Annullierung „bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs“ zur Folge hat. Vor diesem Hintergrund gilt, dass außergewöhnliche Umstände nicht nur für den Flug, anlässlich dessen sie eingetreten sind, sondern auch für dessen Folgeflüge berücksichtigungsfähig sind. Dies steht auch im Einklang mit der ratio und dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 VO. Dieser bezieht das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände grundsätzlich nur auf den Fall der Annullierung. Diese ist nach Art. 2 lit. l) VO definiert als die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges. Hieraus folgt, dass nach den vom Verordnungsgeber ursprünglich angestellten Erwägungen der Eintritt eines außergewöhnlichen Umstands dem Beginn des vom betroffenen Fluggast gebuchten Fluges zwingend zeitlich vorausgehen muss – also bei den Flugvorbereitungen oder den Vorflügen eingetreten sein muss – und es hiernach gerade nicht nur auf außergewöhnliche Umstände ankommen kann, die erst nach dem Beginn des Fluges eintreten.

33. Vorliegend ist vom außergewöhnlichen Umstand der unmittelbare Vorflug betroffen, der am selben Tag wie der vom Kläger gebuchte Flug stattfinden sollte.

34. Es kann ferner dahinstehen, ob die Beklagte in ausreichendem Umfang Maßnahmen ergriffen hat, um eine weitere Verspätung nach dem Eintritt des außergewöhnlichen Umstandes zu vermeiden. Das Gericht schließt sich insofern der im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 18.04.2012 geäußerten Rechtsauffassung des Landgerichts Darmstadt (Az. 7 S 247/11) an, nach der ein „Wiederaufleben“ der Haftung nach Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes nicht in Betracht kommt.

35. Nach dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 VO hat die Beklagte die ihr zumutbaren Maßnahmen allein im Hinblick auf die Vermeidung von außergewöhnlichen Umständen, nicht aber im Hinblick auf die Vermeidung einer Annullierung oder großen Verspätung zu ergreifen. Besonders deutlich wird dies in der englischen Fassung der VO, in der sich die zumutbaren Maßnahmen grammatikalisch unmissverständlich nur auf die außergewöhnlichen Umstände beziehen („the cancellation is caused by extraordinary circumstances which could not have been avoided even if all reasonable measures had been taken“). Gegenüber diesem eindeutigen Wortlaut des Verordnungstextes muss die missverständliche Formulierung des – ohnedies grundsätzlich nachrangigen – Erwägungsgrundes 15 a.E. zurückstehen.

36. Bei Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes kann es auf die nach dessen Eintritt getroffenen Maßnahmen des Luftfahrtunternehmens nicht ankommen, da dies anderenfalls zu einer Ungleichbehandlung einer Annullierung, für die allein der Verordnungsgeber Art. 5 VO ursprünglich vorgesehen hatte, und einer „großen Verspätung“ (von über 3 h) führen würde. Annulliert ein Luftfahrtunternehmen infolge des Vorliegens eines außergewöhnlichen Umstandes einen Flug, so entfällt die Haftung nach Art. 5 Abs. 3 VO. Sieht ein Luftfahrtunternehmen indes – nicht zuletzt auch im Interesse der Fluggäste – von einer Annullierung dieses Fluges ab und verspätet diesen lediglich, so darf es allein deshalb gegenüber einer Annullierung nicht in der Weise schlechter gestellt werden, als das Entfallen der Haftung nach Art. 5 Abs. 3 VO nun davon abhängt, ob das Luftfahrtunternehmen auch nach Vorliegen des außergewöhnlichen Umstandes alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat (so im Ergebnis auch Landgericht Darmstadt, a.a.O.).

37. Eine weitergehende Auslegung des Art. 5 Abs. 3 VO in dem Sinne, dass ein Luftfahrtunternehmen nach dem Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes alle zumutbaren Maßnahmen auch zur Vermeidung einer großen Verspätung zu ergreifen hat, überdehnt den Regelungsgehalt der Vorschrift und den vom Verordnungsgeber ins Auge gefassten Sinn und Zweck der Regelung, die bei Erlass der Verordnung nur für den Fall einer Annullierung gedacht gewesen ist. Eine Benachteiligung der Fluggäste ist auch ohne Sanktionierung einer sich vertiefenden Verspätung durch drohende Ausgleichsleistungen nicht zu besorgen, da das Luftfahrtunternehmen sowohl bereits aus Eigeninteresse als auch im Hinblick auf die zu erbringenden Betreuungsleistungen nach Art. 9 VO gehalten ist, einen verspäteten Flug möglichst zeitnah durchzuführen.

38. Da die Hauptforderung nicht besteht, ist die Klage auch hinsichtlich der Nebenforderungen unbegründet.

39. Die Kostentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1, 91 a Abs. 1 ZPO. Soweit der Kläger den Rechtsstreit unwidersprochen in der Hauptsache in Höhe von EUR 100,00 für teilweise erledigt erklärt hat, war über die auf diesen Teil der Klage entfallenden Kosten des Rechtsstreits gem. § 91 a Abs. 1 ZPO auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Hiernach hat der Kläger auch diesen Teil der Kosten zu tragen. Er wäre ohne die teilweise Erledigung in voller Höhe unterlegen, da ein Ausgleichsanspruch nicht besteht und die Klage von Beginn an unbegründet war.

40. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

41. Die Berufung war gemäß § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen, da der Kläger mit nicht mehr als EUR 600,00 beschwert ist, die Rechtssache aber insbesondere mit Blick auf divergierende Entscheidungen im Bezirk grundsätzliche Bedeutung hat (wie hier Amtsgericht Rüsselsheim, Urteil vom 16.01.2013, Az. 3 C 1879/12 (36), im Ergebnis auch Landgericht Darmstadt, Urteil vom 03.11.2010, Az. 7 S 58/10, für den Fall einer vom Flughafenbetreiber verspätet durchgeführten Enteisung, sowie Amtsgericht Rüsselsheim, Urteil vom 01.10.2012, Az. 3 C 2648/11 (35); a. A. Landgericht Darmstadt, Urteil vom 26.03.2010, Az. 7 S 201/09, für den Fall eines Treppenfahrzeugs; Amtsgericht Frankfurt, Urteil vom 03.02.2010, Az. 29 C 2088/09, Amtsgericht Rüsselsheim, Urteil vom 27.07.2012, Az. 3 C 468/12 (37), AG Rüsselsheim, Urteil vom 12.12.2012, Az. 3 C 581/12 (31)).

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