Verspätung wegen Flugzeugenteisung
LG Darmstadt: Verspätung wegen Flugzeugenteisung
Ein Reisender buchte bei einer Airline einen Linienflug. Wegen einer starken Vereisung der Maschine, konnte diese nicht wie geplant starten. Aufgrund der hieraus resultierenden 9-stündigen Flugverspätung, verlangt der Kläger nun eine Ausgleichszahlung.
Die Beklagte bestreitet den geltend gemachten Anspruch des Klägers. Sie sei schon deshalb nicht ersatzpflichtig, weil in der Vereisung ein haftungsbefreiender außergewöhnlicher Umstand zu sehen sei.
Das Landgericht Darmstadt hat der Beklagten Recht zugesprochen. Der plötzliche Wetterumbruch und die notwendigen Enteisungsmaßnahmen seien von der Airline nicht zu kontrollieren gewesen.
LG Darmstadt | 7 S 58/10 (Aktenzeichen) |
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LG Darmstadt: | LG Darmstadt, Urt. vom 03.11.2010 |
Rechtsweg: | LG Darmstadt, Urt. v. 03.11.2010, Az: 7 S 58/10 |
AG Rüsselsheim, Urt. v. 24.03.2010, Az: 3 C 1467/09 | |
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Leitsatz:
2. Notwendige Enteisungsmaßnahmen aufgrund von plötzlichem Wetterumschwung stellen außergewöhnlichen Umstand dar.
Zusammenfassung:
3. Ein Reisende buchte bei einer Fluggesellschaft einen Linienflug. Kurz vor Flugbeginn änderte sich des Wetter gravierend. In der Folge waren zeitintensive Enteisungsmaßnahmen nötig, um die Funktionsfähigkeit der Maschine zu gewährleisten. Die hieraus resultierende 9-stündige Flugverspätung verlangt der Kläger nun entschädigt zu bekommen.
Die Airline weigert sich der Zahlung. Der Wetterumschwung und die nötigen Enteisungsmaßnahmen seien für sie nicht voraussehbar gewesen. Auch hätte sie bei rechtzeitiger Kenntnisnahme keine Möglichkeit gehabt, die Verspätung abzuwenden. Zugunsten der Airline liege daher ein haftungsbefreiender außergewöhnlicher Umstand vor.
Das Landgericht Darmstadt hat der Beklagten Recht zugesprochen. Grundsätzlich seien Verzögerungen in der Luftbeförderung von mehr als 3 Stunden über Art. 7 der Verordnung 261/2004 zu entschädigen. Eine Ausnahme bilde ein außergewöhnlicher Umstand als Ursache für die Verspätung. Ein solcher sei immer dann gegeben, wenn Zustände oder Ereignisse, die für die Airline weder vorhersehbar, noch zu kontrollieren seien, den Abflug hinderten.
Der plötzliche Wetterumschwung und die hierdurch notwendiger Weise durch das Flughafenpersonal ausgeführten Enteisungsmaßnahmen seien von der Airline nicht zu kontrollieren gewesen. Auch unter größter Anstrengung sei es ihr nicht möglich gewesen, den Eintritt der Verspätung abzuwenden.
Vor diesem Hintergrund entfalle eine Verantwortlichkeit der Gesellschaft und in diesem Zusammenhang auch ein Anspruch des Klägers auf Ausgleichszahlung.
Tenor:
4. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des AGs Rüsselsheim vom 24.03.2010 (3 C 1467/09) wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 1.200,– Euro festgesetzt.
Entscheidungsgründe:
5. Die Klägerin verlangt mit der am 26.11.2009 zugestellten Klage von der beklagten Charterfluggesellschaft Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 b EG-Verordnung Nr. 261/2004 in Höhe von jeweils 600,– € für sich und aus abgetretenem Recht für ihren Ehemann nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten, weil der im Rahmen einer […] Pauschalreise für den 05.01.2009 um 09:25 Uhr gebuchte Flug […] von Frankfurt a.M. nach Havanna (Kuba) nicht wie vorgesehen startete, sondern wegen der zunächst auf Grund der winterlichen Witterungsverhältnisse erforderlichen Enteisung der Maschine und dann eines Austauschs der Crew erst mit einer Verspätung von mehr als 7 Stunden durchgeführt wurde.
6. Nachdem sich das zunächst angerufene AG Bad Homburg v.d.H. mit Beschluss vom 01.12.2009 für örtlich unzuständig erklärt hatte, hat das AG Rüsselsheim mit Urteil vom 24.03.2010 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, wegen nicht beeinflußbarer Wetterlage fehle es an jeglicher Verantwortlichkeit der Beklagten für die eingetretene Verspätung.
7. Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt mit dem Antrag, abändernd die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1200,– € nebst vorgerichtlichen Anwaltskosten und Zinsen zu zahlen. Zur Begründung wird unter Hinweis auf die wegen des erzwungenen Verbleibs der Passagiere im Flugzeug als unzumutbar empfundenen Bedingungen vorgetragen, wegen der Zeitdauer habe es sich nicht mehr um eine Verspätung, sondern um eine Annullierung gehandelt. Die Beklagte habe sich auf das Winterwetter einstellen müssen und habe die Verzögerung auch deshalb zu vertreten, weil sie ihren Sitz in der Nähe des Flughafens Frankfurt habe und eine Ersatzcrew sofort hätte zur Verfügung stehen müssen.
8. Die Beklagte verteidigt das AGliche Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
9. Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden, mithin zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil das AG die Klage zu Recht und auch mit zutreffender Begründung abgewiesen hat.
10. Vorab wird gemäß § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil des AGs Rüsselsheim verwiesen. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Ziff.1 ZPO) sind nicht ersichtlich.
11. Auf Grund dieser ordnungsgemäß erhobenen Feststellungen und auch des weiteren Vorbringens in der Rechtsmittelinstanz ist die Klage insgesamt nicht begründet. Hinsichtlich des allein streitgegenständlichen Ausgleichsanspruchs hat die Beklagte nachvollziehbare und von der Klägerin auch nicht bestrittene Tatsachen geschildert, wonach die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (Art. 5 Abs. 3 der EG-VO). Die Kammer verweist insoweit zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen vollinhaltlich auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 24.03.2010, denen uneingeschränkt beizutreten ist. Ergänzend wird Bezug genommen auf die ausführlichen Hinweise in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 08.09.2010. Auch wenn Anfang Januar grundsätzlich mit winterlichen Wetterverhältnissen gerechnet werden muß, traf die Beklagte hier keine gesteigerte Pflicht, gleichsam schon im vorhinein auf alle möglichen Behinderungen durch Kälte, Schnee und Eis vorbereitet zu sein. Es hängt immer von der ganz konkreten Witterung zum Zeitpunkt der Abfertigung bzw. des Abfluges ab, welche zusätzlichen Maßnahmen zu ergreifen sind. Wenn aus Sicherheitsgründen vor dem Start eine Enteisung der Maschine durchgeführt werden muß, die dann vom Flughafenbetreiber ohne Einfluß der Beklagten auf die Reihenfolge der dort behandelten Flugzeuge vorgenommen wird, ist dies allein den konkreten Witterungsbedingungen geschuldet und nicht wie etwa ein technischer Defekt am Fluggerät der betrieblichen Sphäre der Beklagten zuzurechnen.
12. Zwar fällt nach ständiger Rechtsprechung der erkennenden Kammer das Risiko, daß an dem Fluggerät selbst ein Defekt auftritt, grundsätzlich in die betriebliche Sphäre der Fluggesellschaft. Die Beklagte hat im vorliegenden Fall jedoch Gründe vorgetragen, die gerade kein technisches Problem am Flugzeug selbst betreffen, sondern witterungsbedingte Umstände, die von der Beklagten nicht beherrschbar waren, zumindest nicht ohne fremde Hilfe. Es ging daher hier um äußere Einflüsse im Sinne des Erwägungsgrundes Nr. 14 der EG-VO (“mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken“), die den Luftfrachtführer nach Art. 5 Abs. 3 der genannten EG-VO entlasten.
13. Dabei bemißt sich das Kriterium der Beherrschbarkeit insbesondere danach, ob der betreffende Vorgang unmittelbar in den betrieblichen Ablauf der Fluggesellschaft fällt. An ihr fehlt es, wenn der Fehler oder das Problem aus einer völlig anderen und deshalb von dem Unternehmen selbst nicht beherrschbaren Sphäre stammt (EuGH-Urteil vom 22.12.2008, C-549/07, Tz. 26). Mithin ist die Beherrschbarkeit an die Verantwortung für den Vorgang zu knüpfen, weshalb es unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der fraglichen EG-VO maßgeblich darauf ankommt, in wessen Verantwortungsbereich dieser Vorgang fällt. Für das Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände“ ist danach – unabhängig von der Kategorisierung als „technischer Defekt“ oder „unerwarteter Sicherheitsmangel“ – entscheidend, ob das zugrundeliegende Geschehen ein typisches und in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit vorkommendes Ereignis darstellt oder ob es der Beherrschbarkeit der Fluggesellschaft völlig entzogen ist.
14. Die hier von der Beklagten geschilderte Erforderlichkeit der Enteisung durch die Fraport AG wegen der konkreten Wetterlage fiel ebenso wie die dann wegen der Vielzahl der zu enteisenden Flugzeuge entstandene Wartezeit eindeutig nicht in die betriebliche Sphäre der Beklagten und damit auch nicht in ihren Einfluß- und Verantwortungsbereich. Daß es wegen dieser witterungsbedingten Verzögerung dann infolge der Überschreitung der Dienstzeit der für den Flug eingeteilten Crew wegen der auch aus Gründen der Flugsicherheit für die Passagiere zwingenden arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften dann auch noch zu einem Personalwechsel kommen mußte, führte nicht gleichsam zu einem „Wiederaufleben“ der gemäß Art. 5 Abs. 3 der EG-VO bereits ausgeschlossenen Haftung der Beklagten.
15. Für die von der Klägerin geltend gemachten Ausgleichsansprüche nach Art. 7 der EG-Verordnung Nr. 261/2004 kommt es nach den insoweit maßgeblichen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 (C-402/07 und C-432/07) angesichts des Umfangs der eingetretenen Verzögerung nicht darauf an, ob es sich vorliegend sogar um eine Annullierung handelte (wobei diese Frage eindeutig zu verneinen ist). Bei allem Verständnis für die dadurch für die Passagiere eingetretenen Unannehmlichkeiten spielt auch die Tatsache des Verbleibens im Flugzeug bis zum stundenlang verspäteten Abflug hier keine entscheidungserhebliche Rolle, weil die Beklagte dieses Verfahrens nur als ausführender Luftfrachtführer, nicht aber etwa im Wege der Minderung als Pauschalreiseveranstalter in Anspruch genommen werden kann.
16. Nach alledem war die zulässige Berufung der Klägerin mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen, wobei die Kosten der Anrufung des unzuständigen AGs Bad Homburg nach § 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO selbst im Falle des Obsiegens der Klägerin aufzuerlegen gewesen wären. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Ziff. 10 ZPO, wobei eine Sicherheitsleistung nicht anzuordnen und wegen § 713 ZPO auch keine Abwendungsbefugnis einzuräumen war. Die Bemessung des Gegenstandswertes folgt dem Umfang der Anfechtung des AGlichen Urteils bzw. dem bezifferten Rechtsmittelantrag, wobei die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten als Nebenforderung außer Betracht zu bleiben hatten.
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