Ausgleichsleistung des ursprünglich beauftragten Flugunternehmens

AG Rüsselsheim: Ausgleichsleistung des ursprünglich beauftragten Flugunternehmens

Eine Flugreisende forderte eine Ausgleichszahlung wegen der über 30-stündigen Verspätung ihres Fluges. Die Fluggesellschaft stritt ab, passivlegitimiert zu sein, wurde jedoch verurteilt, da sie ursprünglich beabsichtigt hatte, den Flug durchzuführen.

AG Rüsselsheim 3 C 3406/12 (33) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 11.04.2013
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 11.04.2013, Az: 3 C 3406/12 (33)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1. Urteil vom 11. April 2013

Aktenzeichen 3 C 3406/12 (33)

Leitsatz:

2. Führt ein anderes Luftfahrtunternehmen als das ursprünglich gebuchte einen Flug durch, so liegt faktisch eine Annullierung vor, für das letzteres haften muss, da es aufgrund der Absicht, den Flug durchzuführen als ausführendes Luftfahrtunternehmen anzusehen ist.

Zusammenfassung:

3. Eine Flugreisende erreichte ihr Reiseziel mit einer Verspätung von über 30 Stunden. Sie forderte eine Ausgleichszahlung gemäß der europäischen Fluggastrechteverordnung. Die Fluggesellschaft verweigerte dies jedoch mit dem Bestreiten durch Nichtwissen einerseits über das Vorliegen einer bestätigten Buchung der Klägerin, andererseits mit dem Bestreiten der eigenen Passivlegitimation, da der Flug von einem anderen Luftfahrtunternehmen durchgeführt worden war.

Das Amtsgericht Rüsselsheim verurteilte die Beklagte zur Leistung der Ausgleichszahlung, da sie tatsächlich passivlegitimiert war, denn obgleich der Flug von einem anderen Unternehmen durchgeführt worden war, hatte die Beklagte die Durchführung beabsichtigt. In dem zum Buchungszeitpunkt nicht feststehenden Code-Sharing bestand eine Annullierung des ursprünglichen Fluges, für das sie haften musste. Das Bestreiten mit Nichtwissen, dass die Klägerin über eine bestätigte Buchung verfügte, genügte nicht, denn die Beklagte hatte Einsicht, wer mit ihren Flügen transportiert wurde und hätte den entsprechenden Nachweis erbringen müssen. Die vorgerichtliche Ausstellung eines Schecks durch die Beklagte war nicht auf den Ersatzanspruch anzurechnen, da er nicht eingelöst worden war. Angebliche Zahlungen durch den Reiseveranstalter waren gleichsam nicht zu berücksichtigen, da allein die Beklagte zahlungsschuldig war.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 1200,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.04.2012 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin EUR 89,55 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.05.2012 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits und der Nebenintervention hat die Beklagte zu tragen mit Ausnahme der Kosten, die durch die Anrufung des örtlich unzuständigen Gerichts entstanden sind; diese hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Klägerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um die Zahlung von Ausgleichsansprüchen nach der Verordnung (EG) 261/2004 (nachfolgend „VO“ genannt) sowie um den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

6. Die Klägerin buchte für sich und ihren Ehegatten eine Pauschalreise bei der Nebenintervenientin als Reiseveranstalter, in deren Rahmen die Beklagte am 11.02.2012 um 15:05 Uhr eine Flugbeförderung von Frankfurt am Main nach Varadero erbringen sollte (Flug …), ohne dass diesbezüglich ein Code- Share vorgesehen war. Der Flug traf am Zielflughafen tatsächlich erst mit einer Verspätung von über 30 h ein. Die Flugentfernung betrug 8039 km.

7. Die Beklagte bestätigte die Flugunregelmäßigkeit am 12.02.2012 schriftlich gegenüber der Klägerin.

8. Nachdem die Klägerin und ihr Ehegatte zunächst gegenüber der Nebenintervenientin Ansprüche geltend gemacht hatten, bot die Beklagte mit Schreiben vom 10.04.2012 eine Zahlung in Höhe von EUR 427,00 an und übersandte einen entsprechenden Verrechnungsscheck. Der Scheck wurde nicht eingelöst.

9. Mit Schreiben vom 12.04.2012 machten die Klägerin und ihr Ehegatte bei der Beklagten Ausgleichsansprüche in Höhe von EUR 600,00 pro Person geltend und verlangten Zahlung bis zum 30.04.2012. Mit Schreiben vom 24.04.2012 lehnte die Beklagte gegenüber dem Ehegatten der Klägerin weitere Zahlungen ab.

10. Der Ehegatte der Klägerin trat daraufhin seine Ansprüche gegen die Beklagte am 07.05.2012 an die Klägerin ab, die dies annahm. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin machten sodann deren Ansprüche mit Schreiben vom 11.05.2012 außergerichtlich gegenüber der Beklagten geltend und forderten diese zur Zahlung des Ausgleichsbetrags sowie Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von EUR 155,30 bis zum 21.05.2012 auf.

11. Die Klägerin behauptet, im Besitz einer bestätigten Buchung gewesen zu sein. Die … Rechtsschutz-​Versicherung-​AG habe die vorgerichtlichen Kosten der Klägerin verauslagt und diese am 07.09.2012 ermächtigt, eine entsprechende Ersatzforderung in eigenem Namen gegen die Beklagte geltend zu machen.

12. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte als ausführendes Luftfahrtunternehmen zu betrachten sei, da alle Reiseunterlagen einschließlich der Bordkarten auf eine Marke und Flugnummer der Beklagten verwiesen.

13. Die Klägerin hat zunächst Klage erhoben beim Amtsgericht Frankfurt am Main. Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat sich mit Beschluss vom 07.11.2012 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das erkennende Gericht verwiesen.

14. Die Klägerin und die Nebenintervenientin beantragen,

die Beklagte zu verurteilen,

an die Klägerin EUR 1200,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.04.2012 zu zahlen.

an die Klägerin die außergerichtlichen und gemäß Vorbemerkung 3 Ziffer 4 zu Nr. 3100 VV-​RVG nicht anrechenbare Rechtsanwaltsvergütung als Verzugsschaden in Höhe von EUR 89,55 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.05.2012 zu zahlen.

15. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

16. Die Beklagte rügt, dass die Klägerseite weder eine bestätigte Buchung noch einen Flugschein vorgelegt habe. Sie sei zur zweifelsfreien Identifizierung der Klägerseite nicht in der Lage, da sie vom Reiseveranstalter nur Vor- und Nachname der Reisenden übermittelt bekomme. Die Beklagte erklärt die Anrechnung etwaiger, vom Reiseveranstalter gezahlter Minderungsbeträge sowie behaupteter Anwaltskosten und bereits gezahlter EUR 427,00 nach Art. 12 VO.

17. Die Beklagte behauptet, dass der Flug tatsächlich von einem Fluggerät mit der amtlichen Kennung … durchgeführt worden sei. Dieses werde betrieben unter dem Luftverkehrsbetreiberzeugnis der … UK Airlines. Das Fluggerät trage keinen Schriftzug der Beklagten auf der Außenhülle.

18. Die Beklagte ist der Auffassung, dass sie nicht ausführendes Luftfahrtunternehmen gewesen sei. Zudem sei klägerseits die Zinsforderung nicht hinreichend dargelegt. Die vorgerichtliche Beauftragung von Rechtsanwälten auf Klägerseite sei nicht erforderlich gewesen. Im Hinblick auf anstehende Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs sei die Aussetzung analog § 148 ZPO geboten.

19. Die Klägerin hat der Nebenintervenientin mit Schriftsatz vom 21.02.2013, der dieser nebst Unterlagen am 27.02.2013 zugestellt worden ist, den Streit verkündet. Die Nebenintervenientin ist dem Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 13.03.2013 auf Klägerseite beigetreten.

Entscheidungsgründe:

20. Die Klage ist zulässig und hinsichtlich Haupt- und Nebenforderungen weit überwiegend begründet.

21. Die Klägerseite hat einen Anspruch auf Leistung von Ausgleichszahlungen in der geltend gemachten Höhe aus eigenem und abgetretenem Recht gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. c), Art. 6 Abs. 1 VO, § 398 BGB.

22. Es bleibt unerheblich, dass die Beklagte mit Nichtwissen bestritten hat, dass die Klägerseite über eine bestätigte Buchung verfügt hat. Ein Bestreiten mit Nichtwissen ist unzulässig, da eine bestätigte Buchung durch die Beklagte Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung (bzw. ihrer Mitarbeiter) gewesen ist und die Beklagte hiervon Kenntnis haben muss (hierzu Zöller, ZPO, 28 Aufl., § 138, Rn. 14). Es hätte der Beklagten – insbesondere in Ansehung der im Verfahren vorgelegten Unterlagen – oblegen, qualifiziert zu bestreiten, dass die Klägerseite einen Flug bei der Beklagten gebucht hatte und sie deshalb nicht im Besitz einer bestätigten Buchung ist; dies ist jedoch nicht geschehen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte lediglich über den Vor- und Nachnamen der Klägerseite verfügte. Die Beklagte führt gerichtsbekannt bei jedem Check-​In eine Identitätsprüfung ihrer Fluggäste durch und muss daher wissen, wer mit ihrer Maschine geflogen ist bzw. eingecheckt hat und wer nicht.

23. Es kann auch dahinstehen, ob der Flug tatsächlich mit einem Flugzeug durchgeführt worden ist, welches nicht unter dem Luftverkehrsbetreiberzeugnis der Beklagten, sondern von einem anderen Luftfahrtunternehmen betrieben wurde, und es an einer entsprechenden Außenhautbemalung fehlte. Die Beklagte ist in jedem Fall als ausführendes Luftfahrtunternehmen im Sinne der Art. 5, 6 und 7 VO zu betrachten.

24. Die Definition eines „ausführenden Luftfahrtunternehmens“ folgt aus Art. 2 lit. b) VO. Diesbezüglich ist allerdings zu beachten, dass für die Fälle bloßer Flugverspätungen ersichtlich allein die erste Alternative („durchführt“) vorgesehen war und die zweite Alternative („durchzuführen beabsichtigt“) allein Fälle von Flugannullierungen umfassen sollte. Von einer Anwendbarkeit der zweiten Alternative („durchzuführen beabsichtigt“) auch auf Verspätungsfälle kann hiernach nicht ohne Weiteres ausgegangen werden, da anderenfalls die erste Alternative keinen Anwendungsbereich mehr hätte, sondern letztlich ausgehöhlt würde.

25. Auf diese Differenzierung kommt es vorliegend indes im Ergebnis nicht an, da die Beklagte letztlich sowohl nach dem klägerischen Vortrag als auch nach ihrem eigenen Vortrag zur Zahlung von Ausgleichleistungen verpflichtet wäre.

26. Wird die Richtigkeit des klägerischen Vorbringens unterstellt, nach dem die Beklagte den Flug tatsächlich selbst (und unter eigenem Luftverkehrsbetreiberzeugnis) durchgeführt hat, folgt hieraus eine Haftung der Beklagten analog Art. 7 Abs. 1 lit. c), Art. 6 Abs. 1 VO wegen Flugverspätung. Die Beklagte wäre hiernach ausführendes Luftfahrtunternehmen des betroffenen Fluges im Sinne des Art. 2 lit. b) VO gewesen. Nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009, 23.10.2012 und 26.02.2013 (Aktenzeichen C-​402/07, C-​432/07, C-​581/10, C-​629/10 und C-​11/11) sowie des Bundesgerichtshofs vom 18.02.2010 (Aktenzeichen Xa ZR 95/06) sind die Art. 5, 6 und 7 VO dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichzustellen sind, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von 3 h oder mehr erleiden, ihr Ziel also nicht früher als 3 h nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Die Klägerseite kann die Ausgleichszahlung beanspruchen, da sie ihr Ziel später als 3 h nach der geplanten Ankunftszeit erreicht hat.

27. Unterstellt man indessen die Richtigkeit des Beklagtenvortrags, nach dem die Fluggäste mit einer Maschine der Thomas Cook UK Airlines transportiert worden seien, die keinen Schriftzug der Beklagten auf der Außenhülle getragen habe, so folgt hieraus im Ergebnis ebenfalls eine Haftung der Beklagten – dann allerdings gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. c), Art. 6 Abs. 1 VO in direkter Anwendung wegen Flugannullierung. Sollte nämlich tatsächlich nicht die Beklagte, sondern ein anderes Luftfahrtunternehmen die Fluggäste transportiert haben, so liegt faktisch eine Annullierung des geplanten Fluges im Sinne des Art. 5, Art. 2 lit. I) VO vor, da jedenfalls die Beklagte den Flug nicht wie geplant durchgeführt hat und eine Ersatzbeförderung nicht in den zeitlichen Grenzen des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) VO erfolgt ist.

28. Bezüglich des ursprünglich geplanten und dann faktisch annullierten Fluges ist die Beklagte vorliegend ausführendes Luftfahrtunternehmen gemäß Art. 2 lit. b) 2. Alternative VO, da sie unstreitig – und dies ergibt sich auch zwanglos aus den klägerseits vorgelegten Reiseunterlagen und der Verspätungsbestätigung, die stets auf die Beklagte und eine von dieser geführten „DE“- Flugnummer verweisen – jedenfalls beabsichtigt hatte, diesen Flug durchzuführen.

29. Die klägerischen Ansprüche sind auch nicht teilweise erfüllt. Die Beklagte hat der Klägerin einen Verrechnungsscheck übersandt, der jedoch unstreitig nicht eingelöst wurde. Eine Erfüllung bzw. die Erlangung eines anrechenbaren Vorteils tritt jedoch erst mit der Einlösung des Schecks – dieser ist eine Leistung erfüllungshalber – ein.

30. Auch eine Verurteilung Zug um Zug gegen Herausgabe des von der Beklagten übersandten Schecks ist nicht geboten. Die Klägerin kann den ihr überlassenen Scheck bereits seit geraumer Zeit nicht mehr einlösen, § 29 ScheckG.

31. Eine Anrechnung etwaiger Zahlungen eines Reiseveranstalters nach Art. 12 VO ist nicht durchzuführen. Der diesbezügliche Vortrag der Beklagten ist unsubstantiiert. Der Vortrag der Beklagten erfolgt ersichtlich ins Blaue hinein und ist nicht zu berücksichtigen, da überhaupt keine konkreten Anhaltspunkte für solche Zahlungen mitgeteilt werden.

32. Der Zinsanspruch ist begründet gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB ab dem 24.04.2012; zu diesem Zeitpunkt hat die Beklagte erstmals weitere Zahlungen ausdrücklich abgelehnt.

33. Die Klägerseite kann auch Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten in angemessener Höhe als Verzugsschaden verlangen, §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB. Bei Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerseite war die Beklagte mit der Leistung der Ausgleichszahlungen bereits im Verzug. Die Ausgleichszahlungen waren unmittelbar fällig; der Verzug ist mit spätestens mit der Ablehnung der Ansprüche durch die Beklagte am 24.04.2012 eingetreten. Ein Verschulden der Beklagten am Verzug wird vermutet, § 286 Abs. 4 BGB.

34. Die Klägerseite kann den Ersatzanspruch im Hinblick auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten jedenfalls im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft geltend machen. Inhaberin der Erstattungsansprüche ist nach § 86 VVG die Rechtschutzversicherung der Klägerseite. Diese und die Klägerseite haben jeweils ein schutzwürdiges rechtliches Interesse an der Prozessführung. Die Beklagte ist durch die Prozessführung im Rahmen gewillkürter Prozessstandschaft auch nicht unzumutbar in ihren schutzwürdigen Belangen beeinträchtigt. Die klägerische Rechtschutzversicherung hat die Klägerseite mit Schreiben vom 07.09.2012 ausdrücklich zur Prozessführung im eigenen Namen ermächtigt. Soweit die Beklagte bezüglich der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung pauschal einen „Schaden“ auf Klägerseite bestreitet, ist dieses Bestreiten angesichts des dezidierten Klägervortrags und des vorgelegten Schreibens der Rechtschutzversicherung jedenfalls unsubstantiiert.

35. Es kann dahinstehen, ob seitens des Prozessbevollmächtigten der Klägerseite eine ordnungsgemäße Rechnungsstellung erfolgt ist. Die Rechnungsstellung nach § 10 Abs. 1 RVG ist nur für die Einforderbarkeit der Vergütung im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten maßgeblich und ohne Bedeutung für die Fälligkeit des Anspruchs – insbesondere im Hinblick auf einen materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch (OLG München, Az. 10 U 2476/06, Beschluss vom 19.07.2006). Wie sich aus § 10 Abs. 3 RVG ergibt, steht eine fehlende Rechnungsstellung einem materiellrechtlichen Anspruch des Rechtsanwalts nicht entgegen; dieser entsteht bereits mit dem ersten Tätigwerden des Anwalts und wird gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 RVG mit der Erledigung des Auftrags oder der Beendigung der Angelegenheit – unabhängig von einer Rechnungsstellung – fällig.

36. Unerheblich ist schließlich auch, dass die Beklagte die Ansprüche der Klägerseite vorgerichtlich bereits abgelehnt hatte. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts war die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten durch die Klägerin aus ex-​ante-​Sicht zweckmäßig und nicht schlechterdings aussichtslos, da nach allgemeinen Erfahrungssätzen die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts auch dann erfolgversprechend ist, wenn die Gegenseite geltend gemachte Ansprüche bereits abgelehnt hatte.

37. Eine Anrechnung der Ausgleichsansprüche auf die Rechtsanwaltskosten findet nicht statt, da diese nur im Hinblick auf weitergehende Schadensersatzansprüche in Betracht kommt, die ihre Ursache ebenfalls in der Flugverspätung haben. Grundlage des Ersatzanspruchs im Hinblick auf die Rechtsverfolgungskosten ist allerdings der eingetretene Verzug der Beklagten und nicht die Flugverspätung selbst.

38. Die Zinsen bezüglich der Nebenforderung ergeben sich aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB.

39. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO ist nicht geboten. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO ist nur im Falle eines anderen anhängigen Rechtsstreits oder einer anstehenden Entscheidung einer Verwaltungsbehörde zulässig. Ein anderer Rechtsstreit, der für den vorliegenden vorgreiflich ist, liegt nicht vor. Der Umstand, dass eine reine Rechtsfrage in einem anderen Verfahren zu erörtern ist, reicht für eine Aussetzung nach § 148 ZPO nicht aus. Auch eine analoge Anwendung der Vorschrift ist nicht zulässig (so auch die Auffassung des Landgerichts Darmstadt, Beschluss vom 05.12.2011, Az. 5 T 597/11).

40. Soweit die Zinsforderung vom 10.04.2012 bis zum 23.04.2012 betroffen ist, ist die Klage unbegründet, da die Beklagte sich vor dem 24.04.2012, an dem sie die klägerischen Ansprüche erstmals ablehnte, nicht im Verzug befunden hat, Klägerseits wurde der Beklagten zuvor eine Zahlungsfrist bis zum 30.04.2012 gesetzt.

41. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 101 Abs. 1, 281 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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