Verspäteter Rückflug bei einer Pauschalreise

LG Darmstadt: Verspäteter Rückflug bei einer Pauschalreise

Ein Reisender forderte aufgrund der 14-stündigen Verspätung seines Heimfluges von Fuerteventura nach Frankfurt eine Ausgleichszahlung und die Minderung des Flugpreises. Auf seine Berufung gegen die erstinstanzliche Klageabweisung wurde nur der ersten Forderung stattgegeben, da Verspätung keinen Reisemangel darstellt.

LG Darmstadt 7 S 201/09 (Aktenzeichen)
LG Darmstadt: LG Darmstadt, Urt. vom 26.03.2010
Rechtsweg: LG Darmstadt, Urt. v. 26.03.2010, Az: 7 S 201/09
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Landgericht Darmstadt

1. Urteil vom 26. März 2010

Aktenzeichen 7 S 201/09

Leitsatz:

2. Fluggäste, die ihr Reiseziel nicht früher als 3 Stunden nach der geplanten Ankunftszeit erreichen, sind solchen gleichzusetzen, deren Flug annulliert wurde und entsprechend zu entschädigen.

Zusammenfassung:

3. Ein Flugreisender forderte von einem Flugunternehmen eine Ausgleichszahlung wegen der 14-stündigen Verspätung seines Heimfluges von Fuerteventura nach Frankfurt, sowie eine Minderung des Flugpreises, da der Flug Teil einer Pauschalreise war. In erster Instanz wurde die Klage abgewiesen, da das Amtsgericht entschied, dass trotz der großen Verspätung keine Annullierung oder Nichtbeförderung vorlag.

Der Kläger ging in Berufung. Hier versuchte sich die Beklagte mit außergewöhnlichen Umständen zu entschuldigen, die in einer Beschädigung des Flugzeuges durch ein Bodenfahrzeug bestanden hätten. Jedoch gab das Landgericht Darmstadt der Klage teilweise statt. Außergewöhnliche Umstände lagen nicht vor, da es sich um einen technischen Defekt als Folge des normalen Flugbetriebs handelte. Ferner verwies die Kammer auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesgerichtshofes, nach der Fluggäste, die ihr Reiseziel nicht früher als 3 Stunden nach der geplanten Ankunftszeit erreichen, solchen gleichzusetzen sind, deren Flug annulliert wurde und die entsprechend einen Ausgleichsanspruch haben.

Eine Minderung des Flugpreises konnte der Kläger indes nicht verlangen, da eine Verspätung keinen Reisemangel darstellt.

Tenor:

4. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 14.10.2009, Az: 3 C 653/09, teilweise abgeändert und insgesamt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 600,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.05.2009 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 83,54 ? nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.05.2009 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Rechtsstreits tragen der Kläger zu 13% und die Beklagte zu 87%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 690,00 € festgesetzt.

Gründe:

5. Der Kläger hat über den Reiseveranstalter … eine Pauschalreise nach Fuerteventura gebucht. Die Beklagte war das ausführende Luftfahrtunternehmen. Die Ankunft bei dem Rückflug von Fuerteventura nach Frankfurt am Main sollte am 26.04.2009 um 0.45 Uhr erfolgen, tatsächlich landete das Flugzeug in Frankfurt am Main am 26.04.2009 um 14.40 Uhr.

6. Mit seiner Klage begehrt der Kläger eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600,00 € nach der VO (EG) Nr. 261/2004 sowie Minderung des Flugpreises in Höhe von 90,00 €, insgesamt also 690,00 ? nebst Zinsen.

7. Ferner verlangt der Kläger Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 83,54 € nebst Zinsen.

8. Das Amtsgericht Rüsselsheim hat mit Urteil vom 14.10.2009 die Klage abgewiesen. Eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 der EG-VO 261/2004 vom 11.02.2007 würde dem Kläger nicht zustehen, da ein Fall der Annullierung oder Nichtbeförderung des Fluggastes trotz der langen Verspätung nicht vorgelegen habe.

9. Die Minderung scheitere an der fehlenden Passivlegitimation der Beklagten, da sie nicht Reiseveranstalter sei.

10. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und beantragt, unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 14.10.2009 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 690,00 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26.05.2009 zu zahlen und vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 83,54 € ebenfalls nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26.05.2009.

11. Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

12. In der Berufung behauptet die Beklagte, die Verspätung habe auf außergewöhnlichen Umständen beruht. Beim Rückwärtsrollen des Fluggerätes sei das vordere Fahrwerk von einem Bodenfahrzeug des Flughafens beschädigt worden, weshalb der Startvorgang habe abgebrochen werden müssen, weil der „Steering Actuator“ des Bugfahrwerkes beschädigt worden sei.

13. Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden, mithin zulässig. Sie hat in der Sache auch überwiegend Erfolg.

14. Vorab wird gemäß § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim verwiesen. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO) sind nicht ersichtlich.

15. Aufgrund dieser ordnungsgemäß erhobenen Feststellungen und auch des weiteren Vorbringens in der Berufungsinstanz ist die Klage überwiegend begründet.

1.

16. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ausgleichsleistung für den verspätet durchgeführten Rückflug von Fuerteventura nach Frankfurt am Main zu.

17. In seinem Urteil vom 19.11.2009 hat der Europäische Gerichtshof (Az: C-402/07 und C-432/07) entschieden:

18. „1. Art. 2 Buchst. I sowie die Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden kann, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.

19. 2. Die Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Eine solche Verspätung führt allerdings dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.

20. 3. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung oder Verspätung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind.“

21. Mit Urteil vom 18.02.2010 (Az: Xa ZR 95/06) hat der Bundesgerichtshof daraufhin in dem von ihm dem EuGH vorgelegten Verfahren entschieden, dass die dortigen Kläger Ausgleichsansprüche nach der EG-VO Nr. 261/2004 geltend machen können. Bei einer großen Verspätung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 FluggastrechteVO stehe dem Fluggast wie bei einer Annullierung des Flugs ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 zu, sofern er sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der geplanten Ankunftszeit erreiche und die große Verspätung nicht auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn von dem Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

22. Zwar habe eine Annullierung des Flugs im Sinne von Art. 5 der Verordnung nicht stattgefunden. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs könne ein verspäteter Flug unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt werde.

23. Wegen des wesentlich verspäteten Abflugs sei gleichwohl ein Anspruch auf die in Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung gegeben.

24. Wenn die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 der Verordnung für die Annahme einer von der Verordnung erfassten (großen) Verspätung vorliegen würden, stehe dem Fluggast, sofern auch die weiteren Voraussetzungen für eine Ausgleichsleistung erfüllt seien, der in Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichsanspruch zu, wenn er wegen des verspäteten Fluges sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreiche. Dann würden die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Anforderungen für einen Ausgleichsanspruch wegen einer wie eine Annullierung zu behandelnden großen Verspätung vorliegen.

25. Der Bundesgerichtshof hat weiter ausgeführt, dass Zweifel an der Gültigkeit der Fluggastrechteverordnung nicht bestehen, nachdem der EuGH die Gültigkeit bei einer am Grundsatz der Gleichbehandlung (Vergleich der Situation von Fluggästen verspäteter Flüge mit der von Fluggästen annullierter Flüge) orientierten Auslegung ausdrücklich bejaht habe und auch von der Vereinbarkeit seiner Auslegung mit dem Montrealer Übereinkommen ausgegangen sei.

26. Da die Beklagte in dem vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall keine außergewöhnlichen Umstände vorgetragen hatte, die sie von der Verpflichtung zur Ausgleichszahlung hätte befreien können, konnte der Bundesgerichtshof abschließend zugunsten der Kläger entscheiden.

27. Ausgehend von diesen Grundsätzen schuldet die Beklagte dem Kläger eine Ausgleichszahlung von 600,00 Euro.

28. Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, wonach die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (Art. 5 Abs. 3 EG-VO).

29. Technische Probleme, die zu einer Verspätung führen, stellen aber keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der EG-VO dar, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind (vgl. dazu EuGH, a. a. O., Tz. 72; EuGH, Urteil vom 22.12.2008, Az: C-549/07, Tz. 34; BGH, a. a. O., Tz. 15).

30. Der Kläger hat den Vortrag der Beklagten zu der angeblichen Ursache für die Abflugverspätung mit Nichtwissen bestritten. Dieses Bestreiten war zulässig, weil es sich bei den von der Beklagten behaupteten Umständen ausschließlich um solche handelt, die allein in ihrem Wahrnehmungskreis vorgelegen haben sollen.

31. Die Beklagte hat weder vorgetragen, welcher Defekt denn nun konkret vorlag noch wie dieser behoben wurde und warum es 14 Stunden gedauert hat, bis er behoben war.

32. Um welches Fahrzeug es sich gehandelt hat, das den Schaden angeblich verursacht hat, wird auch nicht dargestellt. Wenn es sich um ein Fahrzeug gehandelt haben sollte, das bei der Abfertigung des Flugzeugs eingesetzt wurde, muss sich die Beklagte dieses Verhalten eines Erfüllungsgehilfen als eigenes Verschulden zurechnen lassen.

33. Dies geht zulasten der Beklagten, die substanziiert die Umstände vortragen und gegebenenfalls beweisen muss, warum ein technisches Problem ausnahmsweise einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 EG-VO Nr. 261/2004 darstellen soll.

34. Mangels Entscheidungserheblichkeit kann damit dahinstehen, ob diese Umstände, die erstmals in der Berufung vorgetragen wurden, dann trotzdem noch berücksichtigt werden könnten, wenn sie für die Annahme eines außergewöhnlichen Umstandes ausreichend wären.

2.

35. Allerdings hat der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung eines Minderungsbetrages. Ein Mangel der Flugleistung, der einen zusätzlichen Minderungsanspruch begründen könnte, liegt in einer Verspätung regelmäßig nicht (BGH, Urteil vom 28.05.2009, Az: Xa ZR 113/08, abgedruckt in NJW 2009, 2743; BGH, Urteil vom 18.02.2010, Az: Xa ZR 106/06).

3.

36. Der Kläger hat auch Anspruch auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Anwaltskosten aus einem Geschäftswert von 600,00 Euro, also in Höhe von 83,54 Euro.

37. Bereits vor Beauftragung des Klägervertreters befand sich die Beklagte in Verzug, weil der Kläger selbst die Zahlung der Ausgleichsleistung angemahnt hatte.

38. Durch die Mahnung vom 11.05.2009 mit Zahlungsfrist zum 25.05.2009 ist die Beklagte mit der Zahlung des geschuldeten Betrages auch mit Ablauf dieses Tages in Verzug geraten und muss deshalb ab 26.05.2009 Verzugszinsen in der gesetzlichen Höhe bezahlen (§§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB entsprechend).

39. Dies gilt auch für die vorprozessualen Anwaltskosten, deren Zahlung ebenfalls mit Schreiben vom 11.05.2009 verlangt wurde.

40. Die Kosten des gesamten Rechtsstreits waren im Maß des Obsiegens und Unterliegens verhältnismäßig zu teilen (§ 92 Abs. 1 ZPO).

41. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (§ 708 Nr. 10 ZPO).

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