Startabbruch auf dem Rollfeld

AG Frankfurt: Startabbruch auf dem Rollfeld

Eine Flugreisende erhielt eine Ausgleichszahlung, weil ihr Flug auf dem Rollfeld abgebrochen und sie 24 Stunden später befördert wurde. Außergewöhnliche Umstände konnten nicht geltend gemacht werden, weil die Fluggesellschaft zu den Wetterverhältnissen zu wenig vorgetragen hatte.

AG Frankfurt 30 C 553/17 (20) (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 27.06.2017
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 27.06.2017, Az: 30 C 553/17 (20)
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Amtsgericht Frankfurt am Main

1. Urteil vom 27. Juni 2017

Aktenzeichen 30 C 553/17 (20)

Leitsatz:

2. Für die Ausgleichspflicht einer Fluggesellschaft kommt es nicht darauf an, ob der Passagier mit dem ausführenden Unternehmen in einer vertraglichen Beziehung steht. Es kommt alleine darauf an, ob das Unternehmen den streitbefangenen Flug tatsächlich allein verantwortlich durchführt.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin war wegen erwartbarer Verspätung ihres Fluges wegen widriger Wetterbedingungen auf eine Flugreise mit der beklagten Fluggesellschaft von Frankfurt am Main über Zürich und Johannesburg nach Durban für 22. Juli 2016 umgebucht worden. Deren Start wurde jedoch abgebrochen, als die Maschine das Rollfeld bereits ansteuerte und die Beklagte erst am Folgetag befördert. Vor dem Amtsgericht Frankfurt forderte sie eine Ausgleichszahlung gemäß der europäischen Fluggastrechteverordnung, sowie die Erstattung zusätzlicher Telefon- und Taxikosten, die ihr entstanden waren. Die Beklagte behauptete, im Falle einer Umbuchung bestehe kein Ausgleichsanspruch und verwies außerdem auf das Wetter als außergewöhnlichen Umstand.

Das Gericht gab der Klage statt. Der Ausgleichsanspruch bestand auch im Fall einer nach Umbuchung erfolgten Annullierung, da dem Fluggast dadurch Zeitverlust und Beinträchtigungen entstehen. Ausgleichspflichtig ist das Flugunternehmen, dass den Flug auszuführen beabsichtigte. Der Vortrag der Beklagten hinsichtlich des Wetters war zu vage, um außergewöhnliche Umstände geltend zu machen. Daher erhielt die Klägerin 600,- € für die Annullierung und weitere 103,20 € als Schadensersatz.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Euro 703,20 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.12.2016 sowie weitere Euro 147,56 vorgerichtliche Anwaltskosten zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um Ansprüche aufgrund eines Luftbeförderungsvorgangs.

6. Die Klägerin verfügt über eine bestätigte Buchung für den Flug der X am 22.7.2016 von Frankfurt über Zürich und Johannesburg nach Durban in Südafrika. Wegen einer zu erwartenden wetterbedingten Verspätung dieses Fluges wurde die Klägerin umgebucht auf den Flug der Beklagten mit der Nummer XXX um 22.15 Uhr mit geplanter Ankunftszeit in Durban am 23.7.2016 um 15.00 Uhr. Um 23.15 Uhr rollte die Maschine Richtung Rollbahn, nachdem sie einen Slot zugewiesen bekommen hatte. Zum Start kam es an diesem Tag jedoch nicht, vielmehr wurde die Klägerin am 23.7.2016 um 22.35 Uhr mit XXX befördert und erreichte Durban am 24.7.2016 um 12.04 Uhr.

7. Wegen der streitbefangenen Verspätung des Fluges der Beklagten macht die Klägerin eine Ausgleichsleistung nach der EG-Verordnung Nr. 261/04 geltend und verlangt darüber hinaus die Zahlung von Schadensersatz wegen der Taxikosten, die sie hat aufwenden müssen, weil sie in der Nacht um 2.00 Uhr mit dem Taxi nach Hause fuhr und um 5.00 Uhr mit dem Taxi wieder zurück zum Flughafen fuhr, weil ihr mitgeteilt worden war, dass es vor 5.30 Uhr keine Informationen gebe. Sodann fuhr die Klägerin erneut mit dem Taxi nach Hause, nachdem ihr mitgeteilt worden war, dass die Maschine um 16.00 Uhr starten werde. Gegen 13.00 Uhr fuhr sie erneut mit dem Taxi zum Flughafen. Für die Taxifahrten wendete die Klägerin Euro 254,20 auf. Für Telefonate zahlte sie Euro 14,48. Auf die Taxikosten und Telefonkosten zahlte die Beklagte insgesamt Euro 151,00. Den Rest bildet die Klagesumme.

8. Zur Ergänzung des Klägervortrags wird auf Klageschrift und Replik jeweils nebst Anlagen Bezug genommen.

9. Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie Euro 703,20 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.12.2016 sowie weitere Euro 147,56 vorgerichtliche Anwaltskosten zu zahlen.

10. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11. Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei nicht passivlegitimiert, da es für die Frage des Entstehens eines Anspruchs auf Zahlung einer Ausgleichsleistung nach der EG-Verordnung auf den Primärflug ankomme, der hier von der X geschuldet war. Für eine Annullierung oder Verspätung im Rahmen einer Ersatzbeförderung gebe es keinen erneuten Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung.

12. Im Übrigen sei die Verspätung des Ersatzfluges auf widrige Wetterbedingungen am Frankfurter Flughafen zurückzuführen.

13. Zur Ergänzung des Beklagtenvorbringens wird auf die Klageerwiderung Bezug genommen.

Gründe:

14. Die Klage ist begründet.

15. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung in Höhe von Euro 600,00 aufgrund von Artikeln 7 Abs. 1, 5 Abs. 1 Buchstabe c) der EG-Verordnung Nr. 261/04 sowie auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe restlicher Euro 103,20 aus Art. 19 des Montrealer Übereinkommens.

16. Die Beklagte schuldet wegen der streitbefangenen unstreitigen Verspätung des Fluges XXX vom 22.7.2016 von über 21 Stunden die Zahlung einer Ausgleichs- leistung aus Artikeln 7, 5 der EG-Verordnung Nr. 261/04, weil sie das ausführende Luftfahrtunternehmen im Sinne der genannten Vorschrift ist. Die EG-Verordnung Nr. 261/04 stellt für die Entstehung eines Ausgleichsanspruchs nicht darauf ab, ob der Passagier mit dem ausführenden Unternehmen in einer vertraglichen Beziehung steht. Es kommt alleine darauf an, ob das Unternehmen den streitbefangenen Flug tatsächlich allein verantwortlich durchführt. Deshalb ist es auch für die rechtliche Beurteilung ohne Bedeutung, dass es sich bei dem streitbefangenen Flug um einen Ersatzflug für den ursprünglich bei der X gebuchten Flug handelte. Dieser Ersatzflug stellt eine sogenannte „anderweitige Beförderung“ im Sinne von Art. 8 der EG-Verordnung dar. Die Einordnung als „anderweitige Beförderung“ im Sinne von Art. 8 der Verordnung schließt indes eine Anwendbarkeit der Art. 5 und 7 der Verordnung nicht aus, denn die Verordnung trennt die Begriffe „anderweitige Beförderung“ und „Flug“ nicht streng, sondern spricht auch bei der anderweitigen Beförderung von einem Flug bzw. Alternativflug (Erwägungsgründe 13 und 18).

17. Die mehrfache Entstehung eines Ausgleichsanspruchs wegen einer Häufung von Verspätungen bzw. Annullierungen auf verschiedenen Flügen steht auch nicht in Widerspruch zur Systematik der Verordnung. Durch den Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung sollen die Unannehmlichkeiten ausgeglichen werden, die ein Passagier durch Annullierung oder Verspätung eines Fluges erleidet. Bei der Annullierung von Alternativflügen treten identische Unannehmlichkeiten auf, was der vorliegende Fall anschaulich zeigt: Die Klägerin wurde erst am Folgetag befördert und musste infolge mehrerer falscher Auskünfte über die geplante Abflugzeit sogar zwei Mal von zu Hause aus zum Flughafen anreisen. (Im Ergebnis wie hier hat das Amtsgericht Frankfurt am Main in einem Parallelfall am 16.5.2013 zu Az.: 31 C 3349/12-78 entschieden; die Entscheidung ist in Ausgabe 11 und 12 vom 3.6.2019 des Newsletters der Deutschen Gesellschaft für Reiserecht als Urteil Nr. 2 abgedruckt).

18. Soweit sich die Beklagte darauf bezogen hat, die 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main habe die Auffassung vertreten, dass im Falle einer Ersatzbeförderung kein erneuter Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung entstehe, so folgt das Gericht der Beklagten nicht. Das von der Beklagten zur Akte gereichte Sitzungsprotokoll aus dem Verfahren 2-24 O 254/16 belegt, dass es sich im dort zu entscheidenden Fall um eine andere Sachverhaltskonstellation handelte, weil der dort streitbefangene Flug keine Startgenehmigung erhalten hatte und der Ersatzflug annulliert worden ist. Im Übrigen ist nach Auffassung der Dezernentin die Rechtsauffassung des dort zur Entscheidung berufenen Einzelrichters nicht haltbar, wonach die Annullierung des Ersatzfluges unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines „Auflebens der Haftung“ aus der Annullierung des ursprünglichen Fluges eingeordnet worden ist. Denn ein Aufleben der Haftung ist nur denkbar, sofern die Haftung zuvor durch tatsächliche oder rechtliche Umstände zum Ruhen gebracht worden wäre. Eine solche Sachverhaltskonstellation kennt die Verordnung jedoch nicht. Vielmehr ist ein Ausgleichsanspruch für einen bestimmten Flug entweder gegeben oder er scheidet wegen Vorliegens außergewöhnlicher Umstände im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 der Verordnung aus. Ein Aufleben ist in diesem Zusammenhang dogmatisch nicht vorgesehen. Vielmehr sind zwei selbstständige Flüge zu betrachten, nämlich der ursprünglich gebuchte und der Ersatzflug. Das Angebot der Durchführung eines Ersatzfluges lässt die Haftung wegen Annullierung des ursprünglich gebuchten Fluges ebenso wenig entfallen, wie der Umstand, dass es sich bei dem Ersatzflug um eine Alternativbeförderung im Sinne von Art. 8 der Verordnung handelt, die Tatsache unberührt lässt, dass dieser Alternativflug seinerseits annulliert worden sein kann, was einen eigenen Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung nach Artikeln 5, 7 der Verordnung auslöst.

19. Die Beklagte hat sich nicht nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung entlastet. Zwar hat sie vorgetragen, der Ersatzflug sei „wegen des Wetters in Frankfurt“ annulliert worden. Dieser Vortrag reicht indes zur Exkulpation nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung nicht aus. Denn Wetterbedingungen stellen dann keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung dar, wenn sie nicht als außergewöhnlich aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen (vgl. BGH, Urteil vom 21.8.2012 zu Az.: X ZR 138/11). Für außergewöhnliche, aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragende Wetterbedingungen spricht es, wenn diese geeignet sind, den Luftverkehr oder die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftverkehrsunternehmen ganz oder teilweise zum Erliegen zu bringen. Diese Voraussetzungen sind von der Beklagten nicht ansatzweise dargelegt worden.

20. Die von der Klägerin schlüssig geltend gemachten Taxikosten sind ein ersatzfähiger Schaden im Sinne von Art. 19 des Montrealer Übereinkommens, welches neben der EG-Verordnung Nr. 261/04 anwendbar ist. Substantiierte Einwendungen zur Schadenshöhe hat die Beklagte nicht erhoben. Nachdem sie vorprozessual auf den von der Klägerin geltend gemachten Schaden insgesamt Euro 151,00 auf die Taxikosten reguliert hat, verblieb der klagegegenständliche Restschaden in Höhe von 103,20, der zuzusprechen war.

21. Die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten sowie der Zinsschaden sind geschuldet unter Verzugsgesichtspunkten (§§ 280 ff. BGB).

22. Nach alledem war wie erkannt zu entscheiden mit der Kostenfolge aus § 91 Abs. 1 ZPO.

23. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.

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