Schadensersatzansprüche eines unentgeltlich beförderten Fluggastes
EuGH: Schadensersatzansprüche eines unentgeltlich beförderten Fluggastes
Eine bei einem Rundlfug verletzte Frau forderte Schmerzensgeld von der Versicherung des Schädigers. Der Europäische Gerichtshof, dass eine Direktklage gegen die Versicherung eines Schädigers nicht ausgeschlossen ist, wenn sie das dem außervertraglichen Schuldverhältnis zugrundeliegende Recht vorsieht.
EuGH | C-240/14 (Aktenzeichen) |
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EuGH: | EuGH, Urt. vom 09.09.2015 |
Rechtsweg: | EuGH, Urt. v. 09.09.2015, Az: C-240/14 |
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Leitsätze:
2. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck und Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr sind dahin auszulegen, dass sie es ausschließen, dass nach Art. 17 dieses Übereinkommens Schadensersatzansprüche einer Person beurteilt werden, die als Insassin eines Luftfahrzeugs, dessen Abflug- und Landeort derselbe Ort eines Mitgliedstaats war, unentgeltlich befördert wurde, um für ein mit dem Piloten des Luftfahrzeugs geplantes Liegenschaftsgeschäft die Liegenschaft von oben zu besichtigen, und dabei durch den Absturz des Luftfahrzeugs am Körper verletzt wurde.
Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) ist dahin auszulegen, dass er in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren eine Direktklage des Geschädigten gegen den Versicherer des Haftenden zulässt, wenn sie nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis anzuwendenden Recht vorgesehen ist, unabhängig davon, was nach dem Recht gilt, das die Vertragsparteien als auf den Versicherungsvertrag anzuwendendes Recht gewählt haben.
Zusammenfassung:
3. Zur Besichtigung einer Aloe-Vera-Plantage in Spanien unternahm die Klägerin mit einem Piloten, der über den Beklagten versichert war, einen Rundflug in einem Tragschrauber. Dabei ereignete sich ein Unfall, bei dem die Klägerin verletzt wurde. Sie klagte gegen den Versicherungsnehmer und die Axa-Versicherung auf Schmerzensgeld und Übernahme aller kausalen Kosten.
Vor dem verhandelnden österreichischen Gericht bestritten die Beklagten dessen Zuständigkeit, da dem Versicherungsschein deutsches Recht zugrundelag, dass keine Direktklagen gegen die Versicherung eines Schädigers vorsieht. Das Gericht hegte zudem Zweifel an der Anwendbarkeit des Montrealer Abkommens auf den vorliegenden Fall und rief zu dessen Auslegung den Europäischen Gerichthof an.
Dieser stellte fest, dass das Abkommen keine Anwendung fand, da die Beklagten kein Luftfahrtunternehmen, und auch nicht als solches aufgetreten waren. Der Rundflug war unentgeltlich gewesen und sein Start und Ende im selben Mitgliedsstaat vorgesehen. Überdies war eine Direktklage der Geschädigten gegen Axa nicht unbedingt ausgeschlossen, da es nicht allein auf das Recht ankam, das dem Versicherungsvertrag zugrundelag, sondern auf jenes des außervertraglichen Schuldverhältnisses im Falle der Schädigung eines unentgeltlich beförderten Fluggastes. Das vorlegende Gericht hatte daher im Anschluss zu prüfen, welches Recht zurgrundelag und ob es Direktklagen vorsah.
Tenor:
4. Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9. Oktober 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr in der durch die Verordnung (EG) Nr. 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Mai 2002 geänderten Fassung und Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, das am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossen und im Namen der Europäischen Union durch den Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 genehmigt wurde, sind dahin auszulegen, dass sie es ausschließen, dass nach Art. 17 dieses Übereinkommens Schadensersatzansprüche einer Person beurteilt werden, die als Insassin eines Luftfahrzeugs, dessen Abflug- und Landeort derselbe Ort eines Mitgliedstaats war, unentgeltlich befördert wurde, um für ein mit dem Piloten des Luftfahrzeugs geplantes Liegenschaftsgeschäft die Liegenschaft von oben zu besichtigen, und dabei durch den Absturz des Luftfahrzeugs am Körper verletzt wurde.
Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) ist dahin auszulegen, dass er in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren eine Direktklage des Geschädigten gegen den Versicherer des Haftenden zulässt, wenn sie nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis anzuwendenden Recht vorgesehen ist, unabhängig davon, was nach dem Recht gilt, das die Vertragsparteien als auf den Versicherungsvertrag anzuwendendes Recht gewählt haben.
Gründe:
Urteil:
5. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 1 Abs. 1, 17, 29 und 33 des am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossenen Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, das im Namen der Europäischen Union mit dem Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. L 194, S. 38) genehmigt wurde (im Folgenden: Übereinkommen von Montreal), von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9. Oktober 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr (ABl. L 285, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Mai 2002 (ABl. L 140, S. 2) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2027/97), von Art. 3 Buchst. c und g der Verordnung (EG) Nr. 785/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Versicherungsanforderungen an Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber (ABl. L 138, S. 1), von Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1), von Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (ABl. L 199, S. 40) sowie von Art. 7 Abs. 1 Buchst. f der Zweiten Richtlinie 88/357/EWG des Rates vom 22. Juni 1988 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG (ABl. L 172, S. 1) in der durch die Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 (ABl. L 228, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 88/357).
6. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Prüller-Frey auf der einen und Herrn Brodnig und der Axa Versicherung AG (im Folgenden: Axa), einer deutschen Versicherungsgesellschaft, auf der anderen Seite über die Entschädigung für die gegenwärtigen und die künftig noch eintretenden Schäden, die Frau Prüller-Frey bei einem Luftverkehrsunfall erlitten hat.
Rechtlicher Rahmen:
8. Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal lautet wie folgt:
9. „Dieses Übereinkommen gilt für jede internationale Beförderung von Personen, Reisegepäck oder Gütern, die durch Luftfahrzeuge gegen Entgelt erfolgt. Es gilt auch für unentgeltliche Beförderungen durch Luftfahrzeuge, wenn sie von einem Luftfahrtunternehmen ausgeführt werden.“
11. Art. 1 der Verordnung Nr. 2027/97 lautet:
12. „Diese Verordnung setzt die einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal über die Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr um und trifft zusätzliche Bestimmungen. Ferner wird der Geltungsbereich dieser Bestimmungen auf Beförderungen im Luftverkehr innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats ausgeweitet.“
13. Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:
14. „Im Sinne dieser Verordnung bedeutet:
a)
15. ‚Luftfahrtunternehmen‘ ein Lufttransportunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung;
b)
16. ‚Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft‘ ein Luftfahrtunternehmen mit einer von einem Mitgliedstaat im Einklang mit der Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 [des Rates vom 23. Juli 1992 über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen (ABl. L 240, S. 1)] erteilten gültigen Betriebsgenehmigung;
c)
17. ‚Schadensersatzberechtigter‘ ein Fluggast oder jede Person, die in Bezug auf diesen Fluggast gemäß den geltenden Rechtsvorschriften schadensersatzberechtigt ist;
19. Mit der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (Neufassung) (ABl. L 293, S. 3) ist die Verordnung Nr. 2407/92 mit Wirkung vom 1. November 2008 aufgehoben worden.
20. In Art. 2 der Verordnung Nr. 1008/2008 heißt es:
21. „Im Sinne dieser Verordnung gelten die folgenden Begriffsbestimmungen:
4.
23. ‚Flugdienst‘ ist ein Flug oder eine Folge von Flügen zur gewerblichen Beförderung von Fluggästen, Fracht und/oder Post;
5.
24. ‚Flug‘ ist ein Abflug von einem bestimmten Flughafen nach einem bestimmten Zielflughafen;
6.
25. ‚Rundflug‘ ist ein Flug, mit dem keine Beförderung von Fluggästen, Post und/oder Fracht zwischen verschiedenen Flughäfen oder anderen genehmigten Landepunkten verbunden ist;
27. Art. 3 dieser Verordnung bestimmt:
28. „(1) Kein in der Gemeinschaft niedergelassenes Unternehmen darf Fluggäste, Post und/oder Fracht im gewerblichen Luftverkehr befördern, wenn ihm nicht eine entsprechende Betriebsgenehmigung erteilt worden ist.
29. Ein Unternehmen, das die Voraussetzungen dieses Kapitels erfüllt, hat Anspruch auf Erteilung einer Betriebsgenehmigung.
31. (3) Unbeschadet anderer anwendbarer Bestimmungen gemeinschaftlicher, einzelstaatlicher oder internationaler Rechtsvorschriften gilt für die folgenden Kategorien von Flugdiensten nicht das Erfordernis einer gültigen Betriebsgenehmigung:
a)
32. Flugdienste, die mit Luftfahrzeugen ohne Motorantrieb und/oder mit ultraleichten Luftfahrzeugen mit Motorantrieb durchgeführt werden, und
b)
34. In Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 785/2004 heißt es:
35. „Diese Verordnung gilt nicht für
- g) Luftfahrzeuge, einschließlich Segelflugzeuge, mit einem MTOM von weniger als 500 kg und Ultraleicht-Flugzeuge, die
– für nichtgewerbliche Zwecke oder
– für lokale Flugeinweisungen ohne Überflug internationaler Grenzen
37. genutzt werden, soweit Versicherungspflichten nach dieser Verordnung für die Risiken von Krieg und Terrorismus betroffen sind.“
38. Art. 4 der Verordnung Nr. 864/2007 lautet:
39. „(1) Soweit in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind.
40. (2) Haben jedoch die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, und die Person, die geschädigt wurde, zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so unterliegt die unerlaubte Handlung dem Recht dieses Staates.
41. (3) Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass die unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Absätzen 1 oder 2 bezeichneten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden. Eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen Staat könnte sich insbesondere aus einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis zwischen den Parteien – wie einem Vertrag – ergeben, das mit der betreffenden unerlaubten Handlung in enger Verbindung steht.“
42. Art. 18 dieser Verordnung bestimmt:
43. „Der Geschädigte kann seinen Anspruch direkt gegen den Versicherer des Haftenden geltend machen, wenn dies nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis oder nach dem auf den Versicherungsvertrag anzuwendenden Recht vorgesehen ist.“
44. In Art. 1 der Ersten Richtlinie 73/239/EWG des Rates vom 24. Juli 1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) (ABl. L 228, S. 3) in der durch die Richtlinie 88/357 geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 73/239) heißt es:
45. „(1) Diese Richtlinie betrifft die Aufnahme und Ausübung der selbständigen Tätigkeit der Direktversicherung, einschließlich der in Absatz 2 bezeichneten Beistandstätigkeit, durch Unternehmen, die in einem Mitgliedstaat niedergelassen sind oder sich dort niederzulassen wünschen.
47. (3) Die Einteilung der in diesem Artikel bezeichneten Tätigkeiten nach Zweigen ist im Anhang aufgeführt.“
48. Art. 5 der Richtlinie 73/239 sieht vor:
49. „Im Sinne dieser Richtlinie ist zu verstehen unter
d)
- i) Die unter den Zweigen 4, 5, 6, 7, 11 und 12 von Buchstabe A des Anhangs eingestuften Risiken, …“
52. Im Anhang dieser Richtlinie heißt es:
53. „A. Einteilung der Risiken nach Versicherungszweigen
5.
56. Sämtliche Schäden an Luftfahrzeugen
…
- Luftfahrzeughaftpflicht
57. Haftpflicht aller Art (einschließlich derjenigen des Frachtführers), die sich aus der Verwendung von Luftfahrzeugen ergibt.
59. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 88/357 bestimmt:
60. „Das Recht, das auf die unter diese Richtlinie fallenden Versicherungsverträge über in den Mitgliedstaaten belegene Risiken anwendbar ist, wird wie folgt bestimmt:
f)
62. In Bezug auf die in Artikel 5 Buchstabe d) [der Richtlinie 73/239/EWG] genannten Risiken können die Vertragsparteien das anwendbare Recht frei wählen.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen:
64. Am 30. August 2010 überflog Frau Prüller-Frey, die zu dieser Zeit ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hatte, an Bord eines Tragschraubers, eines Modells „Calidus“ mit einem Nettoabfluggewicht von 450 kg, der von Herrn Preiss gesteuert wurde, eine Aloe-vera-Plantage, für deren Erwerb sie sich interessierte.
65. Herr Preiss, der Eigentümer des Tragschraubers war, hatte zuvor Herrn Brodnig gebeten, ihm zu einer günstigen Versicherung zu verhelfen. Da Herr Brodnig mehr Flugstunden aufwies als Herr Preiss und die Versicherungsprämie nach Flugstunden abgerechnet wird, erklärte sich Herr Brodnig, der sowohl in Spanien, wo er seit 2007 lebt, als auch in Österreich eine aufrechte Meldung hat, bereit, am 6. Mai 2009 als Halter des Tragschraubers mit Axa einen Vertrag über eine Vielschutzversicherung zu schließen, deren Gegenstand eine kombinierte Halter- und Passagierhaftpflichtversicherung ist.
66. Im Versicherungsschein war als Verwendungszweck des Tragschraubers angegeben: „Geschäfts- und Reiseflüge sowie Vorführungsflüge zwecks Verkauf“. Ferner hieß es darin, dass auf den Vertrag deutsches Recht Anwendung finde und dass für Klagen aus dem Versicherungsverhältnis die „Gerichtsstände der Bundesrepublik Deutschland“ gälten. Der Versicherungsschein schloss jedoch „andere nach deutschem Recht zwingend begründete Gerichtsstände“ nicht aus.
67. Der Tragschrauber hob von Medina Sidonia (Spanien) ab. In der Nähe von Jerez de la Frontera (Spanien) kam es zu einem Unfall.
68. Frau Prüller-Frey, die bei dem Unfall am Körper verletzt wurde, erhob beim Landesgericht Korneuburg Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 142 946,40 Euro samt 4 % Zinsen seit dem 2. Oktober 2012 sowie auf Ausspruch der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für sämtliche zukünftigen unfallskausalen Schäden, wobei die Haftung von Herrn Brodnig mit den gesetzlichen Haftungshöchstbeträgen und die Haftung von Axa mit der Höhe der Versicherungssumme beschränkt ist.
69. Im Rahmen des Verfahrens vor dem Landesgericht Korneuburg bestreiten die Beklagten die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits, auf den zudem spanisches und nicht österreichisches Recht anzuwenden sei. Ob für Frau Prüller-Frey die Möglichkeit bestehe, gegen Axa eine Direktklage einzubringen, hänge von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Versicherungsschein ab. Dieser unterliege dem deutschen Recht, das keine Direktklage vorsehe, und auf den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalt finde spanisches Recht Anwendung, in dem es ebenfalls keinen direkten Klageanspruch gebe. Die Klage sei daher abzuweisen. Die Parteien des Ausgangsverfahrens sind sich allerdings darüber einig, dass es sich bei der in Rede stehenden Versicherung um eine Pflichtversicherung handele und das Übereinkommen von Montreal auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht Anwendung finde.
70. Das vorlegende Gericht hat aufgrund der Erweiterung des Anwendungsbereichs des Übereinkommens von Montreal auf Inlandsflüge durch die Verordnung Nr. 2027/97 Zweifel an dessen Unanwendbarkeit auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens. Es möchte in Erfahrung bringen, welche Haftungsregelung auf den Sachverhalt anzuwenden ist und, falls dieses Übereinkommen keine Anwendung finden sollte, ob Art. 18 der Verordnung Nr. 864/2007 dahin auszulegen ist, dass Frau Prüller-Frey eine Direktklage gegen Axa nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis anzuwendenden Recht erheben kann, unabhängig von dem Recht, das Herr Brodnig und Axa in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Versicherungsvertrag als anwendbares Recht gewählt haben.
71. Unter diesen Umständen hat das Landesgericht Korneuburg angesichts der Zweifel, die es hinsichtlich der Auslegung des Unionsrechts hat, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1.
72. Sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Verordnung Nr. 2027/97, Art. 3 Buchst. c und g der Verordnung Nr. 785/2004 sowie Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal dahin auszulegen, dass Schadensersatzansprüche einer Geschädigten,
– die Insassin eines Luftfahrzeugs war, dessen Abflug- und Landeort derselbe Ort eines Mitgliedstaats war,
– die vom Piloten unentgeltlich transportiert wurde,
– wenn der Zweck des Fluges darin bestand, für ein mit dem Piloten geplantes Liegenschaftsgeschäft die Liegenschaft von oben zu besichtigen, und
– die durch den Absturz des Luftfahrzeugs am Körper verletzt wurde,
ausschließlich nach Art. 17 des Übereinkommens von Montreal zu beurteilen sind und nationales Recht nicht anwendbar ist?
2.
73. Für den Fall, dass die Frage 1 bejaht wird: Sind Art. 33 des Übereinkommens von Montreal und Art. 67 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass die Zuständigkeit zur Verhandlung und Entscheidung über die in Frage 1 genannten Schadensersatzansprüche ausschließlich nach Art. 33 des Übereinkommens von Montreal zu beurteilen ist?
3.
74. Wenn die Frage 1 bejaht wird: Sind Art. 29 des Übereinkommens von Montreal und Art. 18 der Verordnung Nr. 864/2007 dahin auszulegen, dass sie nationalen Regelungen entgegenstehen, die eine Direktklage der in Frage 1 genannten Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers vorsehen?
4.
75. Wenn die Frage 1 verneint wird: Sind Art. 7 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 88/357 und Art. 18 der Verordnung Nr. 864/2007 dahin auszulegen, dass die Voraussetzungen für die von der in Frage 1 genannten Geschädigten erhobene Direktklage gegen die Haftpflichtversicherung des Schädigers nach dem Recht eines dritten Staates zu beurteilen sind, wenn
– die nach dem Deliktsstatut anzuwendende Rechtsordnung die Direktklage in ihrem Versicherungsvertragsgesetz vorsieht,
– die Parteien des Versicherungsvertrags eine Rechtswahl zugunsten der Rechtsordnung eines dritten Staates vornehmen,
– wonach das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem der Versicherer seinen Sitz hat, und
– die Rechtsordnung dieses Staates die Direktklage ebenso in ihrem Versicherungsvertragsgesetz vorsieht?
Zu den Vorlagefragen:
77. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Verordnung Nr. 2027/97 sowie Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal dahin auszulegen sind, dass Schadensersatzansprüche einer Person, die als Insassin eines Luftfahrzeugs, dessen Abflug- und Landeort derselbe Ort eines Mitgliedstaats war, unentgeltlich befördert wurde, um für ein mit dem Piloten des Luftfahrzeugs geplantes Liegenschaftsgeschäft die Liegenschaft von oben zu besichtigen, und dabei durch den Absturz des Luftfahrzeugs am Körper verletzt wurde, ausschließlich nach Art. 17 des Übereinkommens von Montreal zu beurteilen sind und die Anwendung nationalen Rechts daher ausgeschlossen ist.
78. Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst zu bestimmen, ob das Übereinkommen von Montreal auf das Ausgangsverfahren anwendbar ist.
79. Insoweit ist hervorzuheben, dass die Verordnung Nr. 2027/97 nach ihrem Art. 1 die einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal über die Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr umsetzt und zusätzliche Bestimmungen trifft.
80. Um zu bestimmen, ob das Übereinkommen von Montreal auf das Ausgangsverfahren anwendbar ist, ist daher zu prüfen, ob dieses Verfahren in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2027/97 fällt.
81. Dabei ist zu beachten, dass Art. 1 der Verordnung Nr. 2027/97 die Anwendbarkeit des Übereinkommens auf Beförderungen im Luftverkehr innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats eröffnet hat.
82. Die Verordnung Nr. 2027/97 gilt allerdings nur für „Luftfahrtunternehmen“ im Sinne ihres Art. 2 Abs. 1 Buchst. a, also für Lufttransportunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung, sowie für „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b, d. h. für Luftfahrtunternehmen mit einer von einem Mitgliedstaat im Einklang mit der Verordnung Nr. 2407/92 erteilten gültigen Betriebsgenehmigung.
83. Hierzu geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass die Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht unter den Begriff „Luftfahrtunternehmen“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 2027/97 fallen, da sie keine Lufttransportunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung sind.
84. Sie fallen auch nicht unter den Begriff „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2027/97, da sie keine Luftfahrtunternehmen mit einer von einem Mitgliedstaat im Einklang mit der Verordnung Nr. 2407/92 erteilten gültigen Betriebsgenehmigung sind.
85. Dafür spricht außerdem, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende unentgeltlich innerhalb eines Mitgliedstaats durchgeführte Flug, der den eventuellen Abschluss eines Immobiliengeschäfts bezweckte und mit dem keine Beförderung von Fluggästen zwischen verschiedenen Flughäfen oder anderen genehmigten Landepunkten verbunden war, einen „Rundflug“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Verordnung Nr. 1008/2008 darstellte, für den nach Art. 3 Abs. 3 Buchst. b dieser Verordnung das Erfordernis einer Betriebsgenehmigung nicht gilt.
86. Da die Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht als „Luftfahrtunternehmen“ und erst recht nicht als „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 2027/97 angesehen werden können, fällt der Ausgangsrechtsstreit daher nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung.
87. Folglich ist das Übereinkommen von Montreal, das auf Flüge innerhalb nur eines Mitgliedstaats nur unter der Voraussetzung anwendbar ist, dass diese Flüge in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2027/97 fallen, nicht auf das Ausgangsverfahren anwendbar.
88. Nach alledem sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Verordnung Nr. 2027/97 und Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal dahin auszulegen, dass sie es ausschließen, dass nach Art. 17 dieses Übereinkommens Schadensersatzansprüche einer Person beurteilt werden, die als Insassin eines Luftfahrzeugs, dessen Abflug- und Landeort derselbe Ort eines Mitgliedstaats war, unentgeltlich befördert wurde, um für ein mit dem Piloten des Luftfahrzeugs geplantes Liegenschaftsgeschäft die Liegenschaft von oben zu besichtigen, und dabei durch den Absturz des Luftfahrzeugs am Körper verletzt wurde.
89. Da die erste Frage verneint wird, sind die zweite und die dritte Frage nicht zu beantworten.
91. Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 18 der Verordnung Nr. 864/2007 dahin auszulegen ist, dass er in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren eine Direktklage des Geschädigten gegen den Versicherer des Haftenden zulässt, wenn sie nach dem Recht, das auf das außervertragliche Schuldverhältnis, auf das die Schadensersatzansprüche gestützt sind, anzuwenden ist, vorgesehen ist, unabhängig davon, was nach dem Recht gilt, das die Vertragsparteien als auf den Versicherungsvertrag anzuwendendes Recht gewählt haben.
92. Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Haftung für den durch den Absturz eines Luftfahrzeugs verursachten Schaden unter bestimmten Umständen in die Kategorie der außervertraglichen Schuldverhältnisse im Sinne von Art. 2 der Verordnung Nr. 864/2007 fällt.
93. In einem solchen Fall kann der Geschädigte seinen Anspruch gegen den Versicherer des Haftenden geltend machen, wenn, wie sich aus Art. 18 der Verordnung Nr. 864/2007 ergibt, dies nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis oder nach dem auf den betreffenden Versicherungsvertrag anzuwendenden Recht vorgesehen ist.
94. Wie der Generalanwalt in Nr. 75 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, stellt Art. 18 der Verordnung Nr. 864/2007 keine Kollisionsnorm für das materielle Recht, das für die Bestimmung der Verpflichtung des Versicherers oder des Versicherungsnehmers anzuwenden ist.
95. Dieser Art. 18 beschränkt sich darauf, eine Direktklage zuzulassen, falls sie nach einer der aufgeführten Rechtsordnungen erhoben werden kann.
96. Das Recht des Geschädigten, seinen Anspruch unmittelbar gegen den Versicherer des Haftenden geltend zu machen, hat aber keine Auswirkungen auf die vertraglichen Verpflichtungen der Parteien des betreffenden Versicherungsvertrags. Ebenso wenig hat die von den Parteien getroffene Wahl des auf diesen Vertrag anzuwendenden Rechts Auswirkungen auf das Recht des Geschädigten, eine Direktklage nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis anzuwendenden Recht zu erheben.
97. Um zu bestimmen, ob Frau Prüller-Frey im vorliegenden Fall unmittelbar gegen Axa klagen kann, hat das vorlegende Gericht daher zu prüfen, ob im Ausgangsverfahren nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis anzuwendenden Recht, das sich nach Art. 4 der Verordnung Nr. 864/2007 bestimmt, oder nach dem Recht, das auf den zwischen Axa und Herrn Brodnig geschlossenen Versicherungsvertrag anzuwenden ist, eine Direktklage gegeben ist.
98. Das auf den betreffenden Versicherungsvertrag anzuwendende Recht kann dabei nicht verhindern, dass eine Direktklage gegebenenfalls aufgrund des auf das außervertragliche Schuldverhältnis anzuwendenden Rechts erhoben wird.
99. Nach alledem ist Art. 18 der Verordnung Nr. 864/2007 dahin auszulegen, dass er in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren eine Direktklage des Geschädigten gegen den Versicherer des Haftenden zulässt, wenn sie nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis anzuwendenden Recht vorgesehen ist, unabhängig davon, was nach dem Recht gilt, das die Vertragsparteien als auf den Versicherungsvertrag anzuwendendes Recht gewählt haben.
Kosten
100. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
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