Verordnung (EG) Nr. 2027/97

VERORDNUNG (EG) Nr. 2027/97 DES RATES

vom 9. Oktober 1997

über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION –

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 84 Absatz 2,

auf Vorschlag der Kommission (1),

nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses (2),

gemäß dem Verfahren des Artikels 189c des Vertrags (3),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1) Im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik ist das Niveau des Schutzes von Fluggästen, die von Unfällen im Luftverkehr betroffen sind, zu verbessern.

(2) Die Haftung bei Unfällen ist geregelt durch das am 12. Oktober 1929 in Warschau unterzeichnete Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr bzw. dieses Abkommen in der durch das Haager Protokoll vom 28. September 1955 geänderten Fassung und das Abkommen von Guadalajara vom 18. September 1961 – je nachdem, welches Anwendung findet, wobei jedes dieser Abkommen nachstehend, falls anwendbar, „Warschauer Abkommen“ genannt wird. Das Warschauer Abkommen gilt weltweit zum Nutzen sowohl der Fluggäste als auch der Luftfahrtunternehmen.

(3) Die durch das Warschauer Abkommen festgesetzten Haftungsgrenzen sind in Anbetracht der heutigen wirtschaftlichen und sozialen Maßstäbe zu niedrig und führen oft zu langwierigen Rechtsstreitigkeiten, die das Image des Luftverkehrs schädigen. Daher haben verschiedene Mitgliedstaaten die Haftungsgrenzen erhöht, was wiederum zu unterschiedlichen Beförderungsbedingungen im Luftverkehrsbinnenmarkt geführt hat.

Urteile (Rück-) Verweise

(4) Das Warschauer Abkommen gilt überdies nur für den internationalen Luftverkehr. Im Luftverkehrsbinnenmarkt wird nicht mehr zwischen nationalen und internationalen Flügen unterschieden. Aus diesem Grund sollten im nationalen und internationalen Luftverkehr dieselben Bestimmungen über Höhe und Art der Haftung gelten.

(5) Eine umfassende Überprüfung und Revision des Warschauer Abkommens ist seit langem überfällig und wäre langfristig auf internationaler Ebene eine einheitlichere und praktischere Lösung hinsichtlich der Haftung der Luftfahrtunternehmen bei Unfällen. Die Bemühungen um eine Anhebung der im Warschauer Abkommen vorgeschriebenen Haftungsgrenzen sollten weiter in Verhandlungen auf multilateraler Ebene fortgesetzt werden.

Urteile (Rück-) Verweise

(6) Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene sind im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip wünschenswert, um eine Harmonisierung im Bereich der Haftung von Luftfahrtunternehmen zu erreichen, und könnten als Leitlinie für einen besseren Schutz der Fluggäste weltweit dienen.

(7) Im Einklang mit derzeitigen Tendenzen auf internationaler Ebene ist es angemessen, jegliche finanzielle Haftungsgrenzen im Sinne von Artikel 22 Absatz 1 des Warschauer Abkommens oder sonstige rechtliche oder vertragliche Haftungsgrenzen aufzuheben.

(8) Um zu verhindern, daß Opfer von Unfällen keine Entschädigung erhalten, sollten die Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft bei Schadensersatzforderungen im Rahmen von Artikel 17 des Warschauer Abkommens aufgrund von Tod, körperlicher Verletzung oder sonstigen gesundheitlichen Schäden eines Fluggastes bis zu einem bestimmten Betrag nicht Artikel 20 Absatz 1 des Warschauer Abkommens geltend machen.

(9) Für den Fall, daß der Schaden durch Fahrlässigkeit des betreffenden Fluggastes mitverursacht wurde, können die Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft von ihrer Haftung befreit werden.

(10) Die Verpflichtungen aufgrund dieser Verordnung sind im Lichte von Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 des Rates vom 23. Juli 1992 über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen (4) zu sehen. In dieser Hinsicht sollten die Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft bis zu einem in dieser Verordnung festgelegten Betrag versichert sein.

(11) Die Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft sollten stets berechtigt sein, Dritte zu belangen.

(12) Die rasche Zahlung eines Vorschusses kann den geschädigten Fluggästen oder den schadensersatzberechtigten natürlichen Personen in beträchtlicher Weise helfen, die unmittelbaren Kosten aufgrund eines Luftverkehrsunfalls zu tragen.

(13) Die Bestimmungen über Art und Begrenzung der Haftung im Falle des Todes, der körperlichen Verletzung oder sonstigen gesundheitlichen Schädigungen des Fluggastes sind Teil der Beförderungsbedingungen in dem Beförderungsvertrag zwischen Luftfahrtunternehmen und Fluggast. Um die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, sollten Luftfahrtunternehmen aus Drittländern ihre Fluggäste in angemessener Form über ihre Beförderungsbedingungen informieren.

(14) Es ist angemessen und erforderlich, die in dieser Verordnung festgelegten finanziellen Haftungsgrenzen zu überprüfen, um der wirtschaftlichen Entwicklung und den in internationalen Gremien sich vollziehenden Entwicklungen Rechnung zu tragen.

(15) Das Warschauer Abkommen wird gegenwärtig im Rahmen der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) überprüft. In Erwartung der Ergebnisse dieser Überprüfung ergreift die Gemeinschaft Übergangsmaßnahmen, um den Schutz der Fluggäste zu verbessern. Der Rat sollte, nachdem die ICAO ihre Überprüfung abgeschlossen hat, diese Verordnung so bald wie möglich überprüfen –

Urteile (Rück-) Verweise

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Diese Verordnung regelt die Haftung von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft für Schäden bei Unfällen, bei denen ein Fluggast getötet, körperlich verletzt oder sonst gesundheitlich geschädigt wird, sofern sich der Unfall, durch den der Schaden verursacht worden ist, an Bord eines Flugzeugs oder beim Ein- oder Ausstieg ereignet hat.

In dieser Verordnung werden außerdem einige Anforderungen an den Versicherungsschutz von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft geklärt.

Mit dieser Verordnung werden ferner einige Anforderungen festgelegt, denen Luftfahrtunternehmen, die nicht in der Gemeinschaft niedergelassen sind und Flüge nach, aus oder innerhalb der Gemeinschaft durchführen, hinsichtlich der Information der Fluggäste nachzukommen haben.

Artikel 2

(1) Im Sinne dieser Verordnung bedeutet:

a) „Luftfahrtunternehmen“ ein Lufttransportunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung;

b) „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ ein Luftfahrtunternehmen mit einer von einem Mitgliedstaat im Einklang mit der Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 erteilten gültigen Betriebsgenehmigung;

c) „Schadensersatzberechtigter“ ein Fluggast oder jede Person, die in bezug auf diesen Fluggast gemäß den geltenden Rechtsvorschriften schadensersatzberechtigt ist;

d) „Ecu“ die bei der Aufstellung des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Gemeinschaften gemäß den Artikeln 207 und 209 des Vertrags verwendete Rechnungseinheit;

e) „SZR“ ein Sonderziehungsrecht gemäß der Definition des Internationalen Währungsfonds;

f) „Warschauer Abkommen“ das am 12. Oktober 1929 in Warschau unterzeichnete Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr bzw. das Warschauer Abkommen in der durch das Haager Protokoll vom 28. September 1955 geänderten Fassung und das in Guadalajara am 18. September 1961 geschlossene Zusatzabkommen zum Warschauer Abkommen – je nachdem welches auf den Fluggastbeförderungsvertrag Anwendung findet – sowie alle anderen internationalen Vereinbarungen, die auf diesem Abkommen aufbauen oder mit ihm im Zusammenhang stehen und in Kraft sind.

(2) Die in dieser Verordnung verwendeten Begriffe, die nicht in Absatz 1 definiert sind, entsprechen den im Warschauer Abkommen benutzten Begriffen.

Urteile (Rück-) Verweise

Artikel 3

(1) a) Die Haftung eines Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft für Schäden bei Unfällen, bei denen ein Fluggast getötet, körperlich verletzt oder sonst gesundheitlich geschädigt wird, ist keiner durch Rechtsvorschriften, Übereinkünfte oder Verträge festgelegten finanziellen Begrenzung unterworfen.

b) Die Versicherungspflicht nach Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 ist in dem Sinne zu verstehen, daß ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft bis zu der in Artikel 3 Absatz 2 festgelegten Haftungsbegrenzung und darüber hinaus bis zu einer angemessenen Höhe versichert sein muß.

(2) Bei Schäden bis zu einem 100 000 SZR entsprechenden Betrag in Ecu kann das Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft auch dann keine Haftungsfreistellung oder Haftungsbegrenzung geltend machen, wenn es beweist, daß es selbst oder sein Personal alle erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung des Schadens getroffen hat oder daß diese Maßnahmen nicht getroffen werden konnten.

(3) Unbeschadet des Absatzes 2 kann das Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft – sofern es nachweist, daß der Schaden durch die Fahrlässigkeit der geschädigten oder getöteten Person verursacht oder mitverursacht wurde – gemäß dem anwendbaren Recht ganz oder teilweise von seiner Haftung befreit werden.

Artikel 4

Wird ein Fluggast bei einem Unfall getötet, körperlich verletzt oder sonst gesundheitlich geschädigt, so besagt keine Bestimmung dieser Verordnung, daß

a) das Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft die einzige schadensersatzpflichtige Partei ist oder

b) die Rechte des Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft, eine Mithaftung oder Entschädigung seitens einer anderen Partei gemäß den geltenden Rechtsvorschriften zu erwirken, eingeschränkt werden.

Artikel 5

(1) Das Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zahlt unverzüglich, keinesfalls jedoch später als fünfzehn Tage nach der Feststellung der Identität der schadensersatzberechtigten natürlichen Person einen Vorschuß zur Befriedigung der unmittelbaren wirtschaftlichen Bedürfnisse, und zwar im Verhältnis zur Schwere des Falles.

(2) Unbeschadet des Absatzes 1 beläuft sich dieser Vorschuß mindestens auf einen 15 000 SZR entsprechenden Betrag in Ecu je Fluggast im Todesfall.

(3) Der Vorschuß stellt keine Haftungsanerkennung dar und kann mit den eventuell später aufgrund der Haftung des Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft gezahlten Beträgen verrechnet werden, ist aber nicht zurückzuzahlen, es sei denn, es handelt sich um Fälle gemäß Artikel 3 Absatz 3 oder um Fälle, in denen in der Folge nachgewiesen wird, daß die Person, die den Vorschuß erhalten hat, den Schaden durch Fahrlässigkeit verursacht oder mitverursacht hat oder keinen Schadensersatzanspruch hatte.

Urteile (Rück-) Verweise

Artikel 6

(1) Die Bestimmungen der Artikel 3 und 5 werden in die Beförderungsbedingungen des Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft aufgenommen.

(2) Angemessene Auskünfte über die Bestimmungen der Artikel 3 und 5 sind den Fluggästen in den Vertretungen des Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft sowie in Reisebüros, an den Abfertigungsschaltern und den Verkaufsstellen auf Anfrage zu erteilen. Auf dem Beförderungsschein oder einem Äquivalent werden diese Bestimmungen in zusammengefaßter Form in einfacher und verständlicher Sprache wiedergegeben.

(3) Luftfahrtunternehmen mit Sitz außerhalb der Gemeinschaft, die Flüge nach, aus oder innerhalb der Gemeinschaft durchführen und nicht die Bestimmungen der Artikel 3 und 5 anwenden, informieren die Fluggäste beim Kauf des Beförderungsscheins in den Vertretungen des Luftfahrtunternehmens, in Reisebüros oder an den Abfertigungsschaltern im Gebiet des Mitgliedstaats ausdrücklich und eindeutig darüber. Die Fluggäste erhalten von den Luftfahrtunternehmen ein Formblatt mit deren Beförderungsbedingungen. Allein die Angabe einer Haftungsgrenze auf dem Beförderungsschein oder einem Äquivalent ist als Information nicht ausreichend.

Urteile (Rück-) Verweise

Artikel 7

Die Kommission erstellt bis spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten dieser Verordnung einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung, in dem unter anderem den wirtschaftlichen Entwicklungen und den in internationalen Gremien sich vollziehenden Entwicklungen Rechnung getragen wird. Dieser Bericht kann durch Vorschläge für eine Überprüfung dieser Verordnung ergänzt werden.

Artikel 8

Diese Verordnung tritt ein Jahr nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Geschehen zu Luxemburg am 9. Oktober 1997.

Im Namen des Rates

Der Präsident

M. DELVAUX-STEHRES

(1) ABl. C 104 vom 10. 4. 1996, S. 18 und ABl. C 29 vom 30. 1. 1997, S. 10.

(2) ABl. C 212 vom 22. 7. 1996, S. 38.

(3) Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 17. September 1996 (ABl. C 320 vom 28. 10. 1996, S. 30), gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 24. Februar 1997 (ABl. C 123 vom 21. April 1997, S. 89) und Beschluß des Europäischen Parlaments vom 29. Mai 1997 (ABl. C 182 vom 16. 6. 1997).

(4) ABl. L 240 vom 24. 8. 1992, S. 1.