Verspätung nach Flugumbuchung durch den Fluggast

AG Rüsselsheim: Verspätung nach Flugumbuchung durch den Fluggast

Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug gebucht, der sich verspätete. Daraufhin buchten sie eigenständig einen Ersatzflug, dessen Kosten ihnen die Beklagte ersetzte. Zusätzlich verlangen sie wegen der Verspätung Ausgleichszahlung.

Das Gericht wies die Klage ab.

AG Rüsselsheim 3 C 4246/14 (36) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 03.12.2014
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 03.12.2014, Az: 3 C 4246/14 (36)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1. Urteil vom 03. Dezember 2014

Aktenzeichen 3 C 4246/14 (36)

Leitsatz:

2. Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung wegen Flugverspätung besteht nur, wenn der verspätete Flug letzendlich auch genutzt wird.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug von Kapstadt nach Frankfurt gebucht, der sich verspätete. Daraufhin buchten sie eigenständig einen Ersatzflug, dessen Kosten ihnen die Beklagte ersetzte. Zusätzlich verlangen sie wegen der Verspätung des ursprünglichen Fluges Ausgleichszahlung.

Das Gericht wies die Klage ab. Der Anspruch auf Ausgleichszahlung wegen Verspätung bestehe nur, wenn der verspätete Flug auch tatsächlich genutzt werde. Da die Kläger hier aber auf einen anderen Flug ausgewichen seien, könnten sie eine solche Zahlung nicht verlangen.

Tenor

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

5. Die Parteien streiten um die Zahlung von Ausgleichsansprüchen nach der Verordnung (EG) 261/2004 (nachfolgend „VO“ genannt) infolge einer Flugverspätung.

6. Die Kläger buchten im Rahmen einer Urlaubsreise nach Südafrika einen Flug für den 17. 11. 2013, von Kapstadt nach Frankfurt/ Main, den die Beklagte durchführen sollte. Obwohl sich die Kläger rechtzeitig am Abflughafen eingefunden hatten, startete die Maschine bis zum 19. 11. 2013 nicht. Da der Kläger am 22. 11. 2013 einen beruflichen Termin im Ausland wahrzunehmen hatte, der Rückflug indes ungewiss schien und durch die Beklagte kein Alternativflug angeboten wurde, buchten die Kläger schließlich auf eigene Veranlassung einen Flug bei der Gesellschaft Qatar Airways für den 19. 11. 2013, auf dem sie auch befördert wurden. Die hierfür anfallenden Flugscheinkosten wurden durch die Beklagte beglichen. Die Flugentfernung betrug mehr als 3.500 km.

7. Mit anwaltlichem Schreiben vom 19. 02. 2014 forderten die Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zum 05. 03. 2014 zur Leistung von Ausgleichsansprüchen in Höhe von insgesamt 600,00 EUR auf, was die Beklagte unter dem 28. 02. 2014 zurückwies.

8. Die Kläger sind der Auffassung, dass eine Pflicht zur Leistung von Ausgleichsansprüchen unabhängig von dem Umstand bestünde, ob ein Passagier auf dem streitgegenständlichen Flug auch tatsächlich befördert worden sei. Selbst im Falle einer Umbuchung und Nutzung einer Ersatzbeförderung schulde ein Luftfahrtunternehmen gemäß Art. 7 Abs. 2 VO– unter Berücksichtigung der Kürzungsmöglichkeit um 50 %- grundsätzlich den pauschalierten Ausgleichsanspruch. Der Regelungszweck der hier maßgeblichen Verordnung, nämlich ein Luftartunternehmen dazu anzuhalten, Unannehmlichkeiten der zahlenden Fluggäste auf ein unvermeidbares Minimum zu reduzieren, gebiete es vorliegend, hinsichtlich der Ausgleichsansprüche keine Unterscheidung danach vorzunehmen, ob ein verspätet durchgeführter Ersatzflug von der Beklagten gestellt oder von den Klägern anderweitig gebucht worden sei. Ein effektiver Verbraucherschutz verbiete hier eine Ungleichbehandlung, da sich die für die Kläger spürbaren Unannehmlichkeiten auch nicht unterschiedlich ausgewirkt hätten.

9. Die Kläger haben ursprünglich beantragt, die Beklagte zu Leistung von Ausgleichsansprüchen in Höhe von insgesamt 600,00 EUR nebst Zinsen zu verurteilen.

10. Die Kläger beantragen nunmehr,

11. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils 300,00 EUR, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 05. 03. 2014 zu zahlen;

12. Die Beklagte beantragt,

13. die Klage abzuweisen.

14. Die Beklagte ist der Auffassung, dass ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Art. 5, 7 VO wegen Flugverspätung die Teilnahme an eben jenem verzögerten Flug voraussetze.

15. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Schriftwechsel der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

17. Die Kläger können die geltend gemachten Ausgleichszahlungen nicht verlangen.

18. Hierbei konnte nach Auffassung des erkennenden Gerichts zunächst offenbleiben, ob aus Gründen des effektiven Verbraucherschutzes entgegen der Verweisungsregelung in Art. 6 Abs. 1 c) lit. iii) VO auch für Fälle der Flugverspätung ein Anspruch auf eine Ersatzbeförderung gemäß Art. 8 Abs. 1 b) VO besteht (vgl. hierzu AG Rüsselsheim, Urteil vom 13. 06. 2013, Az. 3 C 574/13 (34)). Denn selbst wenn man die Pflicht der ausführenden Luftfahrtunternehmen zur Beschaffung einer Ersatzbeförderung auch in solchen Fällen bejahen wollte, würde eine diesbezügliche Pflichtverletzung des Luftfahrtunternehmens lediglich unter den weiteren Voraussetzungen der §§ 280, 281 BGB einen Schadenersatzanspruch auslösen, nicht aber den hier geltend gemachten Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Art. 5 Abs. 1 c), 7 Abs. 1 a) VO.

19. Ein solcher steht den Klägern nicht zu. Zwar können Passagiere grundsätzlich Ausgleichsleistungen nach der VO auch dann beanspruchen, wenn ihr Flug zwar nicht annulliert, aber mit einer großen Verspätung dargestellt wird. Nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 sowie vom 26. 02. 2013 sind die Art. 5, 6 und 7 VO dahingehend auszulegen, dass die Passagiere verspäteter Flüge hinsichtlich der Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Passagieren annullierter Flüge gleichzustellen sind, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von 3 h oder mehr erleiden, ihr Ziel also nicht früher als 3 h nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen (EuGH, Entscheidung vom 19. 11. 2009, Az. C-402/07 und C-432/07 sowie vom 26. 02. 2013, Az. C-11/11; vgl. auch BGH, Entscheidung vom 18. 02. 2010, Az. Xa ZR 95/06).

20. Hierfür ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts aber Voraussetzung, dass die Passagiere auf dem verspätetet durchgeführten Flug auch tatsächlich befördert worden sind (so auch LG Darmstadt, Urteil vom 18. 12. 2013, Az. 7 S 120/13, Rdn. 18, zit. nach Juris, AG Rüsselsheim, Urteil vom 13. 06. 2013, Az. 3 C 574/13 (34)). Nach dem Willen des Verordnungsgebers, der in Erwägungsgrund 2 der VO ausgedrückt ist, findet der Anspruch auf Ausgleichsleistungen seine Begründung in den Unannehmlichkeiten, die Passagiere im Falle einer Nichtbeförderung oder Annullierung erleiden. Der Europäischen Gerichtshof hat in der bereits zitierten Rechtsprechung den Anwendungsbereich für Ansprüche auf Ausgleichsleistungen für Passagiere erweitert, die infolge einer Flugverspätung einen Zeitverlust am Ankunftsort von 3 h oder mehr hinnehmen müssen, da sich deren Lage hinsichtlich der geschilderten Unannehmlichkeiten kaum von Passagieren, deren Flüge annulliert wurden, unterscheidet. Ausdrücklich führt der Europäische Gerichtshof hierzu aus: „Daher ist festzustellen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge den in Art. 7 VO Nr. 261/2004 vorgesehenen Anspruch auf Ausgleich geltend machen können, wenn sie wegen solcher Flüge einen Zeitverlust von 3 Stunden oder mehr erleiden, das heißt, wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen“ (EuGH, Entscheidung vom 19. 11. 2009, Az. C-402/07 und C-432/07, Rdn. 61). Es wird also ausdrücklich eine Kausalität zwischen dem Zeitverlust und dem verspäteten Flug gefordert.

21. Zwar ist der Auffassung der Klägerseite zuzugeben, dass auch in Fällen, in denen ein Fluggast auf dem ursprünglich gebuchten und verspätet dargestellten Flug gar nicht befördert wurde, die durch den Ausgleichsanspruch zu kompensierenden Unannehmlichkeiten zu spüren bekommt, weil der in Ansehung einer zu erwartenden Verspätung eigenmächtig durch den Passagier gebuchte Ersatzflug aufgrund von Flugplänen, Passagieraufkommen oder eigener Verspätung nur derart durchgeführt werden konnte, so dass eine Verspätung am Ankunftsort von 3 h oder mehr in letzter Konsequenz auf die Verspätung des ursprünglich gebuchten Fluges zurückzuführen ist. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts reicht eine solche mittelbare Kausalität jedoch nicht aus, vielmehr ist ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem verspäteten Flug- nicht einer infolge der Verspätung durchgeführten anderweitigen Beförderung- und dem erlittenen Zeitverlust zur Begründung einer Ausgleichspflicht des ausführenden Luftfahrtunternehmens erforderlich (EuGH a. a. O.: „wegen“). Um mit dem Europäischen Gerichtshof auf die Ankunftsverspätung am Endziel abstellen zu können, muss diese auch unmittelbar der Beförderung mit dem streitgegenständlichen ursprünglichen Flug erwachsen (so auch LG Darmstadt, a. a. O. Rdn. 19).

22. Anders wären auch nicht hinnehmbare Wertungswidersprüche nicht zu vermeiden: unerlässlich muss der Fluggast eine Verspätung am Ankunftsort von 3 h und mehr tatsächlich auch erlitten haben, so die eindeutige Wertung des Europäischen Gerichtshofs, da dies alleine den Anknüpfungspunkt für die Vergleichbarkeit von Flugverspätungen und Flugannullierungen darstellt, die wiederum erst Grundlage für die Erweiterung der Ausgleichspflicht für Verspätungen wurde (EuGH, Entscheidung vom 19. 11. 2009, Az. C-402/07 und C-432/07 sowie vom 26. 02. 2013, Az. C-​11/11; vgl. auch BGH, Entscheidung vom 18. 02. 2010, Az. Xa ZR 95/06). Daher kann für die Feststellung der Verspätung am Ankunftsort nicht isoliert der ursprünglich geplante Flug betrachtet werden, sollten die Kläger mit diesem überhaupt nicht befördert worden sein. Denn hier wäre ohne Weiteres denkbar, dass aufgrund „glücklicher Umstände“ die anderweitige Beförderung so gebucht und auch durchgeführt werden kann, dass der Passagier an seinem Endziel gar keine oder eine Verspätung von unter 3 h erleidet.

23. Auch die isolierte- das heißt ohne Berücksichtigung des ursprünglich geplanten Fluges- Betrachtung der tatsächlichen Ankunftszeit des Fluggastes gegenüber dem ursprünglich geplanten Flug kann nicht herangezogen werden, da hier- insbesondere, wenn die Beförderung durch ein anderes Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, nicht ausgeschlossen ist, dass eine Verzögerung von 3 h und mehr auf Umstände zurückzuführen ist, auf die das ausführende Luftfahrtunternehmen des Ursprungsfluges keinerlei Einfluss nehmen kann, allerdings ohne sich womöglich hierauf gemäß Art. 5 Abs. 3 VO berufen zu dürfen.

24. Den Klägern ist vorliegend zuzugeben, dass diese bei einer rein faktischen Betrachtungsweise eben die Unannehmlichkeiten hinnehmen mussten, zu deren „Sanktionierung“ und Kompensation die Ausgleichsleistungen durch den Verordnungsgeber geschaffen wurden. Auch hat das Gericht nicht verkannt, dass diese Unannehmlichkeiten bei einer Ankunftsverzögerung von ca. 2 Tagen wie vorliegend nicht unerheblich gewesen sind. Eine rein faktische Betrachtungsweise losgelöst von dem Verordnungstext oder der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hält das erkennende Gericht dennoch nicht für geboten, da sich hierfür weder im Regelungswerk noch in der genannten Rechtsprechung Anhaltspunkte finden.

25. Nach alldem können die Kläger die geltend gemachten Ausgleichsansprüche nicht verlangen.

26. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.

27. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

28. Die Berufung war zuzulassen, da die unterliegende Partei mit nicht mehr als 600.- EUR beschwert ist und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung angesichts der unterschiedlichen Bewertung des Schicksals von Ausgleichsansprüchen nach der EG-Verordnung 261/2004 im Falle eines nicht in Anspruch genommenen Fluges durch die Instanzgerichte dies gebietet.

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Süddeutsche Zeitung: Flug verspätet: Entschädigung nur bei Beförderung
Forum Fluggastrechte: Ansprüche nach Umbuchung
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