Ansprüche bei Flugverspätung

AG Rüsselsheim: Ansprüche bei Flugverspätung

Als ein Fluggast erfährt, dass der von ihm gebuchte Flug sich um unbestimmte Zeit verzögern werde, storniert er seine Buchung kurzfristig und tritt die Reise mit einer anderen Fluggesellschaft an. In der Folge verangt er von der ursprünglichen Airline eine Ausgleichszahlung.

Das Amtsgericht Rüsselsheim hat die Klage abgewiesen. Eine Ausgleichszahlung käme nur dann in Betracht, wenn der Passagier tatsächlich am Flughafen hätte warten müssen.

AG Rüsselsheim 3 C 574/13 (34) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 13.06.2013
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 13.06.2013, Az: 3 C 574/13 (34)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1. Urteil vom 13. Juni 2013

Aktenzeichen: 3 C 574/13 (34)

Leitsatz:

2. Ausgleichszahlung nur bei tatsächlicher Wartezeit am Flughafen.

Zusammmenfassung:

3. Ein Reisender buchte bei einer privaten Luftfahrtgesellschaft einen Linienflug. Als er am Tag des Fluges am Gate ankam, wurde er darüber informiert, dass sich der Flug um unbestimmte Zeit verzögern werde. Hiermit nicht einverstanden, stornierte der Kläger seine Buchung und flog stattdessen mit einer anderen Airline.
Da der Grund für die Stornierung die Verspätung der Maschine war, verlangt der Reisende nun eine Ausgleichszahlung im Sinne von Art. 7 der Fluggastrechte Verordnung.
Die Airline weigert sich der Zahlung. Durch die vorzeitige Stornierung der Buchung habe der Fluggast keinen Anspruch auf eine Entschädigungsleistung.

Das Amtsgericht Rüsselsheim hat dem Klägerbegehren nicht entsprochen und die Klage abgewiesen. Nach Art. 7 der Fluggastrechte Verordnung sei ein Passagier im Falle einer Abflugverspätung von mehr als 3 Stunden in angemessener Form von der Fluggesellschaft zu entschädigen.
Hintergrund dieser Entschädigungsleistung sei jedoch, dass der Fluggast unfreiwillig seine Urlaubszeit am Flughafen verbringen müssen und durch die Verspätung der Maschine in seinen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt sei. Stoniert der Passagier hingegen die Buchung noch vor Antritt der zur Entschädigung berechtigenden Wartezeit, so entstehe der Anspruch nicht.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt es nachgelassen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um Ausgleichsansprüche gemäß der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004 (nachfolgend: VO).

6. Die Klägerin buchte über den Reiseveranstalter L-TUR für den 11.10.2012 einen Flug bei der Beklagten von Stuttgart nach Palma de Mallorca. Geplante Abflugszeit war am 11.10.2012 um 06:30 Uhr.

7. Die Klägerin und die übrigen Mitreisenden trafen zwei Stunden vor dem geplanten Abflug am Flughafen ein. Dort erhielten sie die Information, der Flug werde voraussichtlich auf 13:55 Uhr verlegt. Gegen Mittag erhielten sie die Mitteilung, dass der Flug voraussichtlich um 18:50 Uhr abgehe. Außerdem wurde ihnen ein Hotelzimmer angeboten, weil zu diesem Zeitpunkt nicht klar war, ob diese Abflugzeit tatsächlich eingehalten werden würde.

8. Die Klägerin buchte für sich und die Mitreisenden daraufhin über den Reiseveranstalter L-TUR eine Ersatzreise. Sie flogen mit einer anderen Reisegesellschaft um 17:20 Uhr nach Palma de Mallorca. Dort traf sie etwa 2,5 Stunden später, also gegen 20:00 Uhr, ein.

9. Die übrigen Mitreisenden, Frau …, Frau … und Frau … haben ihre Ansprüche an die Klägerin abgetreten. Frau … ist die minderjährige Tochter der Klägerin, Frau … die minderjährige Tochter von Frau ….

10. Die Klägerin behauptet, es habe die Möglichkeit bestanden, dass die Abflugzeit sich um bis zu zwei Tage verzögern könne.

11. Die Klägerin ist der Ansicht, ihr hätte vorliegend ein Anspruch auf Ersatzbeförderung gemäß Art. 6 Abs. 1 c) iii) VO zugestanden. Aus Art. 3 Abs. 2 b) VO müsse zudem abgeleitet werden, dass im Falle einer Verspätung ein Ausgleichsanspruch in gleicher Weise wie bei einer Verlegung des Fluges durch das Luftfahrt- oder Reiseunternehmen zu gewähren ist.

12. Die Klägerin beantragte zunächst, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1000,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.11.2012, sowie an die Klägerin zu Händen des Rechtsanwalts …, vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 155,30 Euro zzgl. 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2013, zu zahlen.

13. Die Klägerin beantragte zuletzt die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin sowie Frau …, … und … jeweils 250,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.11.2012 zu zahlen die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin sowie Frau …, … und … von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 155,30 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2013 freizustellen.

14. Die Beklagte hat der Umstellung der Klage nicht widersprochen und weiter zur Sache verhandelt. Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.

15. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

16. Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

17. Die Klageänderung ist gemäß § 263 ZPO  zulässig. Die Einwilligung der Beklagten in die Änderung der Klage wird gemäß § 267 ZPO vermutet. Die Umstellung des Klageantrages ist nicht als subjektive Klagehäufung auszulegen. Unter Berücksichtigung des Klägerischen Sachvortrages und der geschilderten Abtretung der Ansprüche an die Klägerin muss der Klageantrag als ein Antrag der Klägerin auf Zahlung an sich und an die Mitreisenden ausgelegt werden.

18. Der Klägerin stehen jedoch keine Ansprüche auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 Abs. 1 b) der VO zu, weder aus eigenem, noch aus abgetretenem Recht. Die Klägerin und die Mitreisenden wurden auf dem ursprünglich gebuchten Flug der Beklagten nicht befördert. Sie haben eigenständig einen Ersatzflug bei einer anderen Reisegesellschaft gebucht.

19. Gemäß Art. 3 Abs. 1 a) der VO ist diese Anwendbar für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten.

20. Die Klägerin und ihre Mitreisenden haben den Flug bei der Beklagten jedoch nicht angetreten, da sie mit einer anderen Reisegesellschaft geflogen sind.

21. Auch aus Art. 3 Abs. 2 b) der VO ergibt sich vorliegend nicht dessen Anwendbarkeit. Demnach ist die VO auch dann anwendbar, wenn die Fluggäste von einem Luftfahrtunternehmen von einem Flug, für den sie eine Buchung besaßen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes. Eine Verlegung des Fluges durch die Beklagte wurde von der Klägerin jedoch nicht vorgetragen.

22. Es besteht auch nach Ansicht des Gerichts kein Anlass die Frage dem EuGH vorzulegen oder diesbezüglich das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.

23. Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung für den Fall des Nichtantritts eines verspäteten Fluges ist dem Wortlaut der VO nicht zu entnehmen. Auch nach dem Sinn und Zweck der VO ist eine Auslegung insofern nicht möglich.

24. Die Rechtsprechung des EuGH vom EUGH 19.11.2009, wonach Art. 7 der VO auch dann anwendbar sein soll, wenn Passagiere – wie hier – wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden begründet nach Ansicht des Gerichts keine Zweifel für die Auslegung der VO im vorliegenden Fall.

25. Aus der Systematik und dem Sinn und Zweck der VO kann ein Ausgleichsanspruch im vorliegenden Fall nicht bestehen.

26. Art. 8 Abs. 1 der VO sieht in Buchstabe a) und b) zwei alternative Ansprüche nach Wahl des Fluggastes vor. Entweder kann er gemäß Buchstabe a) die Rückerstattung der Flugscheinkosten oder gemäß Buchstabe b), bzw. c) eine anderweitige Beförderung verlangen.

27. Für das ausführende Luftfahrtunternehmen bedeutet somit die Durchführung einer anderweitigen Beförderung den Erhalt bzw. die Sicherung des erlangten Flugpreises.

28. Die Ansprüche auf Ausgleichszahlung und Ersatzbeförderung stehen ausweislich des Art. 5 Abs. 1 VO nebeneinander. Im Falle der Annullierung steht dem Fluggast daher sowohl ein Anspruch auf Ausgleichszahlung, als auch die Rückerstattung der Flugscheinkosten oder alternativ hierzu der Anspruch auf anderweitige Beförderung zu. Nimmt der Fluggast gemäß Art. 8 Abs. 1 b) eine anderweitige Beförderung in Anspruch, so kann er die Flugscheinkosten nicht verlangen.

29. Für den Fall einer Verspätung von mehr als 5 Stunden gewährt die VO dem Fluggast gemäß Art. 6 Abs. 1 c) iii) VO lediglich einen Anspruch auf Erstattung bzw. einen Rückflug zum ersten Abflugsort. Der Anspruch auf anderweitige Beförderung gemäß Art. 8 Abs. 1 b) VO ist von der Verweisung ausdrücklich nicht umfasst.

30. Die vom EuGH vorgenommene weite Auslegung der VO wird mit der Gleichbehandlung von Fällen der Annullierung und der Verspätung von mehr als 3 Stunden begründet. Der EuGH hat hierbei jedoch keine Stellung zu den Auswirkungen auf Art. 6 Abs. 1 c) iii) genommen.

31. Der EuGH hat lediglich ausgeführt: „ Artikel 5, EWG_VO_261_2004 ist dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Flugs einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, …“.

32. Nach dem reinen Wortlaut stünde dem Fluggast somit nach der Rechtsprechung des EuGH im Falle einer Verspätung von mehr als 5 Stunden sowohl der Ausgleichsanspruch, als auch der Anspruch auf Ersatz der Flugscheinkosten zu.

33. Das in Art. 8 Abs. 1 a) geregelte Alternativverhältnis würde nicht für den Fall einer Verspätung gelten.

34. Der Fluggast könnte somit, auch wenn er tatsächlich vom Luftfahrtunternehmen befördert wurde den Ausgleichsanspruch und kummulativ die Flugscheinkosten verlangen.

35. Auch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung, der verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist folgt keine anderweitige Auslegung.

36. Soweit die Klägerin vorträgt, dass Luftfahrtunternehmen, die eine anderweitige Beförderung nur verzögert anbieten, besser gestellt würden, als Luftfahrtunternehmen, die eine zügige Weiterbeförderung bewerkstelligen, ist dies nicht zutreffend.

37. Sofern sich Fluggäste aufgrund einer großen Verspätung zur einer eigenständigen Umbuchung entscheiden und den Flug nicht antreten entfällt für das Luftfahrtunternehmen die Belastung mit einem Ausgleichsanspruch.

38. Aus der Systematik von Ausgleichsansprüchen und Ansprüchen nach Art. 8 Abs. 1 a) VO  folgt jedoch, dass der Fluggast in diesem Fall die Flugscheinkosten zurückverlangen kann. Daneben steht dem Fluggast zudem regelmäßig ein vertraglicher Schadensersatzanspruch im Hinblick auf die Kosten des eigenständig gebuchten Ersatzfluges zu. Dies würde, auch falls keine direkte vertragliche Beziehung zwischen Luftfahrtunternehmen und Fluggast besteht, zu einer Belastung der Luftfahrtunternehmen führen. Es bestünde stets die Gefahr eines Regressanspruchs der Reiseunternehmen gegen die Luftfahrtunternehmen.

39. Im Falle einer absehbaren Verspätung von mehr als 5 Stunden besteht für das ausführende Luftfahrtunternehmen daher ein erheblicher wirtschaftlicher Anreiz für eine zügige Weiterbeförderung zu sorgen.

40. Sofern das Luftfahrtunternehmen keine Ersatzbeförderung anbietet läge eine Annullierung vor und der Fluggast könnte sowohl Ausgleichszahlung, also auch die Flugscheinkosten zurückverlangen. Das Luftfahrtunternehmen wird daher stets versuchen eine Ersatzbeförderung durchzuführen.

41. Falls die Verspätung ein Maß erlangt, das Fluggäste zu einer eigenständigen Umbuchung veranlasst, wäre das Luftfahrtunternehmen insoweit doppelt belastet. Es müsste weiterhin den verspäteten Flug mit den verbleibenden Passagieren und den dadurch entstehen Kosten durchführen, müsste aber den nicht mitreisenden Fluggästen die Flugscheinkosten gemäß Art. 8 Abs. 1 a) VO erstatten und wäre direkten Schadensersatzansprüchen bzw. Regressansprüchen in Höhe der Kosten des Ersatzfluges ausgesetzt.

42. Mangels begründeter Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf Freistellung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

43. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

44. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in den §§ 708 Nummer 11, 711 ZPO.

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Sueddeutsche Zeitung: Flugverspätung: Welche Rechte Passagiere haben
Die Welt: BGH nimmt Flugverspätungen unter die Lupe
T-Online: Entschädigung bei Flugverspätung: Besteht ein Anspruch?

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