Relevanz der Ankunftsverspätung

AG Frankfurt: Relevanz der Ankunftsverspätung

Ein Fluggast forderte von einem Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung wegen der um einen Tag verspäteten Ankunft am endgültigen Flugziel.

Das Amtsgericht Frankfurt entschied, dass eine Abflugverspätung für eine Anspruchsbegründung nicht allein entscheidend sein könne und gab der Klage vollumfänglich statt.

AG Frankfurt 31 C 2553/12 (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 06.12.2012
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 06.12.2012, Az: 31 C 2553/12
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Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 6. Dezember 2012

Aktenzeichen 31 C 2553/12

Leitsätze:
2. Verspätet sich die Ankunft einer Flugreise um 3 Stunden oder mehr, steht dem Passagier eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600,00€ zu.

Ausgleichsansprüche gemäß der Fluggastrechteverordnung hängen nicht audrücklich von einer relevanten Abflugsverspätung ab, da für den zu schützenden Passagier nur die Verspätung am Endziel entscheidend ist.

Zusammenfassung:
3. Vorliegend klagte ein Flugreisender gegen das ausführende Flugunternehmen, weil sich aufgrund eines technischen Defekts seine Ankunft am Reiseziel um einen Tag verzögerte. Die Beklagte führte vor dem Amtsgericht Frankfurt zu ihrer Verteidigung an, dass für die Begründung eines Ausgleichsanspruchs eine Verspätung am Startflughafen notwendig sei, die hier nicht vorgelegen habe.

Das Gericht entschied, dass der Kläger Anspruch auf Ausgleichszahlung hat, weil die mehr als dreistündige Verspätung der Ankunft am endgültigen Reiseziel einer Annullierung gleichkommt. Ob die Verspätung auf eine solche oder auf eine Abflugverspätung zurückzuführen ist oder ob die Verzögerung während des Fluges zustande kommt, ist für den geschädigten Passagier nicht entscheidend, da die Unannehmlichkeiten die selben und entsprechend zu entschädigen sind.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1. EUR 455,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz hieraus seit dem 10.04.2012 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 2. EUR 455,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz hieraus seit dem 10.04.2012 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger EUR 155,29 für außergerichtliche Anwaltskosten zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils für diesen insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn dieser vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert des Rechtsstreits wird auf EUR 911,00 festgesetzt.

Tatbestand:

5. Die Kläger nehmen die Beklagte auf Zahlung von Ausgleichsleistungen gemäß der EG-​VO Nr. 261/2004 (nachfolgend auch FluggastrechteVO) wegen nicht ordnungsgemäß erbrachter Flugleistungen in Anspruch.

6. Die Kläger buchten bei der Beklagten einen Flug von Colombo nach Frankfurt am Main via Dubai (Flug …). Die Buchung wurde bestätigt.

7. Geplanter Abflug in Colombo war am 19.02.2012 um 09:40 Uhr.

8. Geplante Ankunft in Dubai war am 19.02.2012 um 12:55 Uhr

9. Geplanter Abflug in Dubai war am 19.02.2012 um 14:00 Uhr.

10. Geplante Ankunft in Frankfurt am Main war am 19.02.2012 um 18:10 Uhr.

11. Bei der Zwischenlandung in Dubai wurde festgestellt, dass aus der Maschine Öl austritt.

12. Der tatsächliche Abflug in Dubai war sodann am 20.02.2012 um ca. 12:40 Uhr.

13. Die tatsächliche Ankunft in Frankfurt am Main war am 20.02.2012 um ca. 17:30 Uhr.

14. Die Kläger haben die Beklagte mit außergerichtlichem Schreiben vom 22.02.2012 zur Leistung einer angemessenen Entschädigung aufgefordert (Anlage K1, B. 12-​13 d.A.).

15. Die Beklagte antwortete hierauf mit Schreiben vom 20.03.2012 und zahlte an die Kläger insgesamt EUR 289,00.

16. Die Kläger forderten die Beklagte hiernach mit Schreiben vom 26.03.2012 zur Zahlung einer Ausgleichsleistung von jeweils EUR 600,00 bis 09.04.2012 auf.

17. Nachdem keine weitere Zahlung erfolgte forderten die Kläger die Beklagte mit außergerichtlichem Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 25.04.2012 zur Zahlung des Restbetrags von insgesamt EUR 911,00 auf.

18. Die Kläger sind der Ansicht, dass ein Anspruch aus der FluggastrechteVO nicht von einer Abflugverspätung in Colombo im Sinne von Art. 6 der FluggastrechteVO abhängig sei. Voraussetzung sei gemäß der Entscheidung des EuGH vom 19.11.2009 (Aktenzeichen C-​402/07) lediglich, dass das Endziel nicht früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreicht wurde.

19. Die Kläger beantragen:

20. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1. eine weitere Entschädigung in Höhe von EUR 455,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.03.2012 zu bezahlen.

21. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 2. eine weitere Entschädigung in Höhe von EUR 455,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.03.2012 zu bezahlen.

22. Die Beklagte wird verurteilt, außergerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von EUR 185,64 an die Kläger zu bezahlen.

23. Die Beklagte beantragt,

24. die Klage abzuweisen.

25. Die Beklagte ist der Ansicht, dass ein Anspruch wegen Verspätung aus der FluggastrechteVO zumindest von einer hier nicht vorhandenen Abflugverspätung am Startflughafen in Colombo abhängig sei. Sie erklärt die Anrechnung gemäß Art. 12 FluggastrechteVO hinsichtlich der geltend gemachten Anwaltskosten.

26. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstige Aktenbestandteile Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

27. Die Klage ist zulässig und weitestgehend begründet.

28. Die Klage ist zulässig.

29. Das Amtsgericht Frankfurt am Main ist als Ankunftsort des gegenständlichen Flugs örtlich zuständig gemäß § 29 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 18.01.2011, Aktenzeichen X ZR 71/10 zu finden in juris).

30. Die Klage ist in der Hauptsache vollumfänglich begründet.

31. Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Ausgleichsleistung in Höhe von EUR 600,00 gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c), Art. 6 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c), Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 (VO (EG) Nr. 261/2004).

32. Hiernach steht bei einer großen Verspätung, welche bei einem Erreichen des Endziels später als 3 Stunden nach der geplanten Ankunftszeit – wie vorliegend – vorliegt, dem Flugpassagier ein Ausgleichsanspruch entsprechend Art. 7 Abs. 1 der FluggastrechteVO zu (vgl. BGH, Urteil vom 18.02.2010, – Xa ZR 95/06 – sowie EuGH, Urteile vom 19.11.2009, – Rs. C-​402/07 und 23.10.2012, – Rs. C-​581/10 und Rs. C-​629/10, jeweils: juris), die im vorliegenden Fall aufgrund der maßgeblichen Entfernung EUR 600,00 beträgt.

33. Nachdem beide Kläger bereits Zahlung in Höhe von jeweils EUR 144,50 erhalten haben steht den Klägern hiernach noch ein Anspruch in Höhe von jeweils EUR 455,50 zu.

34. Die in den angeführten Entscheidungen vorgenommene Auslegung der Verordnung durch den EuGH ist (mit Ausnahme der nachfolgend erörterten Frage der Notwendigkeit einer „relevanten Abflugverspätung“ im Sinne von Art. 6 der FluggastrechteVO) eindeutig.

35. Die vom EuGH und in der Folge auch vom BGH vorgenommene Auslegung ist im Ergebnis aufgrund des maßgeblich zur Auslegung herangezogenen Grundsatzes der Gleichbehandlung auch überzeugend und nach Ansicht des erkennenden Gerichts auch zutreffend. Insbesondere ist auch ein Regelungswiderspruch im Hinblick auf das Montrealer Übereinkommen nicht gegeben (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10.12.2009, – Xa ZR 61/09 -; Urteil vom 18.02.2010, – Xa ZR 95/06 -; EuGH, Urteil vom 23.10.2012, Rs. C-​581/10 und Rs. C-​629/10, jeweils: juris).

36. Eine bestätigte Buchung im Sine von Art. 2 Abs. 1 a) der VO (EG) Nr. 261/2004 liegt auch unstreitig vor. Insoweit die Beklagte in der Klageerwiderung rügt, dass keine bestätige Buchung oder ein Flugschein „vorgelegt“ wurde, so ist dieses irrelevant. Die Beklagtenseite verkennt insoweit wiederholt, dass es kein Erfordernis der Schlüssigkeit einer Klage ist, dass eine bestätigte Buchung „vorgelegt“ wird, sondern, dass es dargetan wird, dass eine bestätigte Buchung „vorliegt“ und der Flug wie angegeben angetreten wurde. Dieses ist vorliegend dargetan und seitens der Beklagten nicht bestritten worden.

37. In der Rechtsprechung höchst umstritten und bisher nicht höchstrichterlich abschließend deutlich geklärt ist, ob dieser vom EuGH für Fluggäste „verspäteter“ Flüge anerkannte Anspruch auf Ausgleichsleistung von einer „relevanten Abflugverspätung“ im Sinne von Art. 6 der FluggastrechteVO abhängig ist.

38. So vertreten unter anderem das Landgericht Frankfurt am Main (24. Zivilkammer) und das Landgericht Darmstadt (7. Zivilkammer), dass ein entsprechender Anspruch von einer relevanten Abflugverspätung im Sinne von Art. 6 der FluggastrechteVO abhängig ist. Das Landgericht Frankfurt am Main hat hierzu mit Urteil vom 23.09.2010 (- 2-​24 S 28/10 -, RRa 2010, 273) wie folgt ausgeführt:

39. „Aus einer Analogie zu Art. 7 der FluggastVO lässt sich der Anspruch nicht herleiten. Ausgleichszahlungen sind in der FluggastVO nur bei Annullierung oder Verweigerung der Beförderung vorgesehen. Verzögert sich der Abflug gegenüber der planmäßigen Abflugzeit, sind den Fluggästen gem. Art. 6 FluggastVO nur Unterstützungsleistungen anzubieten. Da diese unterschiedlichen Rechtsfolgen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, hat der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 19.11.2009 (Az.: C-​402/07 und C-​432/07) festgestellt, dass die Fluggäste verspäteter Flüge den in Art. 7 der Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen solcher Flüge einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen (Leitsatz 2; Rn Nr. 61). Verspätet im Sinne des Art 6 FluggastVO sind aber nur Flüge, bei denen sich die Abflugzeit verzögert. Auf verspätete Ankunft stellt der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht ab. Deshalb hat der Europäische Gerichtshof in seiner obengenannten Entscheidung unter Ziffern 31, 32 nochmals ausdrücklich definiert, dass unter verspäteten Flügen nur solche zu verstehen sind, bei denen sich der Abflug verzögert. Soweit der Gerichtshof darauf abstellt, dass ein Anspruch besteht, wenn der Zielort nicht früher als drei Stunden nach der geplanten Ankunftszeit erreicht wird, schafft er keine neue Anspruchsgrundlage, sondern schränkt den bei einer relevanten Abflugverspätung bejahten Ausgleichsanspruch dahingehend ein, dass er entfällt, falls das Endziel gleichwohl mit einem Zeitverlust von unter drei Stunden erreicht wird (EuGH vom 19.11.09 Rn 57). Eine weitergehende Auslegung dahingehend, dass jeder Zeitverlust über drei Stunden entschädigt werden sollte, auch wenn er nicht abflugbedingt ist, verbietet sich: Dann hätte der Europäische Gerichtshof neben den vom Gemeinschaftsgesetzgeber geschaffenen drei Tatbeständen, die Ansprüche des Fluggastes zur Folge haben, als Gesetzgeber einen weiteren Tatbestand, den der Ankunftsverspätung, geschaffen. Da die FluggastVO aber keine umfassende Regelung von Flugverspätungen enthält, sondern nur einen Mindestschutz gewährt – Art 12 der VO verweist bezüglich weitergehender Ansprüche auf das nationale Recht -, liegt keine (vermeintlich) planwidrige Lücke vor, die durch Schaffung einer weiteren Anspruchsgrundlage geschlossen werden könnte. Eine solche Analogiebildung würde die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschreiten und scheidet damit aus. Die Entscheidung des Gerichtshofs bezieht sich nur auf die Rechtfolgen eines verspäteten Abflugs (BGH RRa 2010, 155, Rz 11 zit. nach juris; Staudinger RRa 2010, 93).“

40. Mit Urteil vom 05.01.2012 (- 2-​24 S 145/11, juris) hat das Landgericht Frankfurt am Main in Fortführung dieser Rechtsprechung wie folgt ausgeführt:

41.  „Die Kammer vertritt in mittlerweile ständiger Rechtsprechung (Urteil vom 23.09.2010, Az. 2-​24 S 44/10, RRa 2011, 44ff.; Urteil vom 01.09.2011, Az. 2-​24 S 65/11; Urteil v. 29.09.2011, Az. 2-​24 S 56/11), die Auffassung, dass für die Entstehung eines Ausgleichsanspruchs nach Art. 7 I FluggastrechteVO wegen Verspätung zusätzliche Voraussetzung ist, dass der Tatbestand von Art. 6 1 FluggastrechteVO erfüllt ist, also schon der Start mit einer Verzögerung erfolgt ist, die die in Art. 6 I FluggastrechteVO definierten Grenzen übersteigt (so auch Staudinger, RRa 2010, 10,11/12).

42. Der EuGH (NJW 2010, 43ff.) hat nämlich anerkannt, dass der von der Verordnung vorgesehene Ausgleich durch verschiedene Formen von Maßnahmen verwirklicht wird, die Gegenstand von Regelungen sind, die an die Nichtbeförderung oder die Annullierung oder große Verspätung eines Flugs anknüpfen (aaO Rn. 51). Er hat die Gleichstellung von Fluggästen verspäteter und annullierter Flüge nicht allein mit dem Gleichheitssatz begründet, sondern aus dem Gleichheitssatz lediglich ein zusätzliches Argument (aaO Rn. 46) für das zuvor aus der Auslegung des verfügenden Teils des Gemeinschaftsrechtsakts unter Berücksichtigung seiner Gründe und seiner Ziele abgeleitete Ergebnis gewonnen. Der Ausgleichsanspruch folgt danach primär aus der Verknüpfung, die der Verordnungsgeber in Erwägungsgrund 15 zwischen dem Begriff der großen Verspätung und dem Ausgleichsanspruch vorgenommen hat (aaO Rn. 43), und der Zielsetzung der Verordnung, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste unabhängig davon sicherzustellen, ob sie von einer Nichtbeförderung, Annullierung oder Verspätung eines Flugs betroffen sind (aaO Rn. 44). Dies schließt es aus, der Verordnung Ansprüche zu entnehmen, die nicht an einen der Tatbestände der Art. 4 bis 6 FluggastrechteVO anknüpfen, sondern an die Ankunftsverzögerung, die nach der Verordnung lediglich für die Prüfung der Frage von Bedeutung ist, ob der Ausgleichsanspruch entfällt (Art. 5 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO) oder gekürzt wird (Art. 7 Abs. 2 FluggastrechteVO) (vgl. auch BGH, Beschluss v. 09.12.2010, Az. Xa ZR 80/10, zit. nach juris).“

43. Das Landgericht Darmstadt hat mit Urteil vom 18.04.2012 (- 7 S 171/11, juris) in Anwendung dieser Rechtsprechung bezüglich des hier maßgeblichen Falls einer Ankunftsverspätung nach Abflugverspätung im Rahmen der Zwischenlandung wie folgt ausgeführt:

44.  „Bei der bloßen Zwischenlandung in Bahrain des weiterhin gleichen Fluges handelt es sich um einen Teil des einheitlichen Fluges Phuket – Frankfurt a.M. Wenn aber von einem einheitlichen Flug ausgegangen werden muss, kann für die Bestimmung der Abflugverspätung nur auf eine relevante Abflugverspätung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 VO am Startflughafen abgestellt werden.“

45. Diese Auslegung ist nicht unwidersprochen geblieben.

46. So hat unter anderem das Amtsgericht Frankfurt am Main mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 24.06.2011 – 31 C 961/11-​16 (juris, beck online, RRa 2012, 135-​137) wie folgt ausgeführt (im Ergebnis ebenso schon AG Frankfurt am Main, Urteil vom 20.05.2011 – 31 C 232/11-​16 – (rechtskräftig), juris, beck online; Urteil vom 25.05.2011 31 C 22/11-​16 – (rechtskräftig), juris, beck online):

47. „Im Übrigen wären, selbst wenn man einen rechtzeitigen Abflug verneinte und damit nur zu einer Ankunftsverspätung gelangte, die Ausgleichsansprüche im selben Umfang begründet; anders als die 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main (vgl. Urt. v. 23.09.2010 – 2.24 S 44/10 – S. 7 f.) ist das erkennende Gericht der Ansicht, dass sich aus der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 19.11.2009 – Rs. C-​402/07 -, juris, Tenor Ziffer 2) eindeutig ergibt, dass Ausgleichansprüche bei erheblicher Verspätung analog Art. 7 EGV 261/2004 am erheblichen Zeitverlust für den Flugpassagier anknüpfen – unabhängig davon, ob dieser auf eine Abflug- oder Ankunftsverspätung zurückzuführen ist. Der Tenor der Entscheidung des EuGH unter Ziffer 2 kann insoweit gar nicht anders verstanden werden. Danach sind Ausgleichsansprüche gegeben, wenn die Passagiere „wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen“ (EuGH, Urt. v. 19.11.2009 – Rs. C-​402/07 juris). Dass es darauf ankommen soll, ob dieser Zeitverlust auf einer Abflugverspätung oder – insbesondere in Fällen unwesentlich verspäteten Abflugs, aber Versäumnisses von direkten Anschlussflügen, die auf die geringfügige „Ursprungsverspätung“ zurückzuführen sind, relevanten – erheblichen Ankunftsverspätungen beruht, ist dem Tenor nicht nur nicht zu entnehmen, sondern liefe der Zielrichtung dieses Anspruchs, der gerade an dem „Zeitverlust“ des Passagiers anknüpft, sogar evident zuwider. In diesem Fall ist auch eine Aussetzung des Verfahrens nicht angezeigt.

48. Entgegen dem Bundesgerichtshof (EuGH-​Vorlage vom 09.12.2010 – Xa ZR 80/10 zitiert nach juris) bestehen gerade keine Anhaltspunkte dafür, dass der EuGH bei der Entschädigung nach Abflug- oder Ankunftsverzögerung differenzieren wollte. Der Bundesgerichtshof selbst führt zunächst zutreffend aus, dass der fragliche Schaden für die Passagiere gerade den Fluggästen verspäteter Flüge entstehen, „die vor dem Erreichen ihres Zielorts eine längere Beförderungszeit als die ursprünglich von dem Luftfahrtunternehmen angesetzte hinnehmen müssen“ (Rn. 16) und damit nach der Zielrichtung unabhängig von Abflug- oder Ankunftsverspätung greifen muss. Weshalb andererseits nach der weiteren Begründung des Bundesgerichtshofs gerade das vom Verordnungsgeber gewollte hohe Schutzniveau für die Passagiere (!) es „ausschließen [könnte]“ – und damit wird die Vorlage tragend begründet – „der Verordnung Ansprüche zu entnehmen, die nicht an einen der Tatbestände der Art. 4 bis 6 FluggastrechteVO anknüpfen, sondern an die Ankunftsverzögerung, die nach der Verordnung lediglich für die Prüfung der Frage von Bedeutung ist, ob der Ausgleichsanspruch entfällt… oder gekürzt wird …“, (Rn. 17), ist vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH, Ausgleichsansprüche analog Art. 7 EGV 261/2004 auch bei erheblichem Zeitverlust der Passagiere zu gewähren, unverständlich.“

49. Der Bundesgerichtshof erachtet diese Frage für ungeklärt und hat daher diese Frage mit Beschluss vom 09.12.2010 (- Xa ZR 80/10 -, RRa 2011, 84-​86) dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt.

50. Der Bundesgerichtshof führt in diesem Vorlagebeschluss wie folgt aus:

51.  „Ob der geltend gemachte Ausgleichsanspruch unter dem Gesichtspunkt der Verspätung begründet ist, hängt davon ab, ob Art. 7 Abs. 1 FluggastrechteVO auch dann herangezogen werden kann, wenn keine Verspätung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 FluggastrechteVO vorliegt.

52. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seiner Entscheidung vom 19. November 2009 (aaO Rn. 61) ausgeführt, die Fluggäste verspäteter Flüge könnten den in Art. 7 FluggastrechteVO vorgesehenen Anspruch auf Ausgleich geltend machen, wenn sie wegen solcher Flüge einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erlitten, wenn sie also ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichten. Dies folge daraus, dass die von den Fluggästen im Fall einer Annullierung und einer Verspätung erlittenen Schäden einander entsprächen und die Fluggäste verspäteter Flüge und annullierter Flüge deshalb nicht unterschiedlich behandelt werden könnten, ohne dass gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen würde. Damit hat er entschieden, dass der Ausgleichsanspruch auch Fluggästen verspäteter Flüge zustehen kann.

53. Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt, es werde unter solchen Umständen der in Art. 7 FluggastrechteVO vorgesehene Anspruch gewährt, wenn das Luftfahrtunternehmen Fluggäste nicht anderweitig mit einem Flug befördere, der nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit starte und das Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit erreiche. Diese Fluggäste erlangten somit einen Ausgleichsanspruch, wenn sie gegenüber der ursprünglich von dem Luftfahrtunternehmen angesetzten Dauer einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erlitten (Rn. 57).

54. Damit ist nach dem Verständnis des Senats noch nicht die Frage geklärt, ob für die Entstehung eines Ausgleichsanspruchs nach Art. 7 Abs. 1 FluggastrechteVO allein die Dauer der Verspätung am letzten Zielort maßgeblich ist oder ob ein Ausgleichsanspruch wegen Verspätung zusätzlich voraussetzt, dass der Tatbestand von Art. 6 Abs. 1 FluggastrechteVO erfüllt ist, also schon der Start mit einer Verzögerung erfolgt ist, die die in Art. 6 Abs. 1 FluggastrechteVO definierten Grenzen übersteigt.

55. Für die zuerst genannte Auffassung könnte der vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. November 2009 herangezogene Grundsatz der Gleichbehandlung sprechen. Nachdem der Gerichtshof über den Wortlaut der Verordnung hinaus einen Ausgleichsanspruch auch für den Fall der Verspätung bejaht hat, könnten seine Überlegungen zur Gleichbehandlung von Fluggästen es nahelegen, Art. 7 FluggastrechteVO auch bei einer reinen Ankunftsverzögerung anzuwenden. Der Gerichtshof hat insoweit darauf abgestellt, dass die Verordnung darauf abziele, den Schaden standardisiert und sofort zu beheben, der in einem Zeitverlust der betroffenen Fluggäste bestehe und der angesichts seines irreversiblen Charakters nur mit einer Ausgleichszahlung ersetzt werden könne. Dieser Schaden entstehe nicht nur den Fluggästen annullierter Flüge, sondern auch den Fluggästen verspäteter Flüge, die vor dem Erreichen ihres Zielorts eine längere Beförderungszeit als die ursprünglich von dem Luftfahrtunternehmen angesetzte hinnehmen müssten (aaO Rn. 51 bis 53).

56. Der Gerichtshof hat jedoch auch anerkannt, dass der von der Verordnung vorgesehene Ausgleich durch verschiedene Formen von Maßnahmen verwirklicht wird, die Gegenstand von Regelungen sind, die an die Nichtbeförderung oder die Annullierung oder große Verspätung eines Flugs anknüpfen (aaO Rn. 51). Er hat die Gleichstellung von Fluggästen verspäteter und annullierter Flüge nicht allein mit dem Gleichheitssatz begründet, sondern aus dem Gleichheitssatz lediglich ein zusätzliches Argument (aaO Rn. 46) für das zuvor aus der Auslegung des verfügenden Teils des Gemeinschaftsrechtsakts unter Berücksichtigung seiner Gründe und seiner Ziele abgeleitete Ergebnis gewonnen. Der Ausgleichsanspruch folgt danach primär aus der Verknüpfung, die der Verordnunggeber in Erwägungsgrund 15 zwischen dem Begriff der großen Verspätung und dem Ausgleichsanspruch vorgenommen hat (aaO Rn. 43), und der Zielsetzung der Verordnung, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste unabhängig davon sicherzustellen, ob sie von einer Nichtbeförderung, Annullierung oder Verspätung eines Flugs betroffen sind (aaO Rn. 44). Dies könnte es ausschließen, der Verordnung Ansprüche zu entnehmen, die nicht an einen der Tatbestände der Art. 4 bis 6 FluggastrechteVO anknüpfen, sondern an die Ankunftsverzögerung, die nach der Verordnung lediglich für die Prüfung der Frage von Bedeutung ist, ob der Ausgleichsanspruch entfällt (Art. 5 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO) oder gekürzt wird (Art. 7 Abs. 2 FluggastrechteVO).“

57. Die erkennende Abteilung erachtet in mittlerweile ständiger Rechtsprechung die vom Amtsgericht Frankfurt am Main in den angeführten Entscheidungen getroffene Auslegung für richtig (vgl. hierzu bereits ausführlich: Amtsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 14.05.2012 – 31 C 145/12 -78 -, juris, beck online; ebenso aus jüngster Zeit – noch unveröffentlicht – : AG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.11.2012 – 31 C 514/12-​16 -; Urteil vom 28.11.2012 – 31 C 519/12-​16 -; Urteil vom 28.11.2012 – 31 C 520/12-​16 -; Urteil vom 28.11.2012 – 31 C 521/12-​16 -; Urteil vom 23.11.2012 – 31 C 2496/12-​16 -; Urteil vom 09.11.2012 – 31 C 2132/12-​16 -; Urteil vom 09.11.2012 – 31 C 2144/12-​16 -; Urteil vom 09.11.2012 – 31 C 2145/12-​16 -; Urteil vom 09.11.2012 – 31 C 2146/12-​16 -; Urteil vom 09.11.2012 – 31 C 2147/12-​16 -).

58. Die Abteilung 31 des Amtsgerichts hat dort – 31 C 145/12-​78 – ausgeführt:

59. „Das Gericht erachtet insoweit, neben dem Wortlaut der Tenorierung des EuGH, welcher eine relevante Abflugverspätung gerade nicht erfordert und hinsichtlich dessen auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass dieser bei einer entsprechend sensiblen und bedeutenden Rechtsfrage einfach derart ungenau verfasst wurde, das vom Bundesgerichtshof in seinem Vorlagebeschluss für die dortige Erstauffassung herangezogene Auslegungsargument des Gesichtspunktes des Grundsatzes der Gleichbehandlung (welches der EuGH in seiner Entscheidung als maßgebliches Auslegungskriterium herangezogen hat) für überwiegend und damit für eine Auslegung bestimmend an. Der Bundesgerichtshof hat diese Auslegungsvariante in Folge der Entscheidung des EuGH völlig zutreffend auch als naheliegende Auslegungsvariante bezeichnet („könnten seine Überlegungen zur Gleichbehandlung von Fluggästen es nahelegen, Art. 7 FluggastrechteVO auch bei einer reinen Ankunftsverzögerung anzuwenden“).

60. Eine Anknüpfung an den Tatbestand einer (relevanten) Abflugverspätung im Sinne des Art. 6 der FluggastrechteVO erachtet das Gericht gemäß der vom EuGH im Urteil vom 19.11.2009 vorgenommenen Auslegung weder für geboten, noch sind hinreichende Ansatzpunkte ersichtlich, dass die vorgenommene Auslegung des EuGH dahingehend zu verstehen ist.

61. Insoweit das Landgericht Frankfurt am Main darauf abstellt, dass der EuGH eine Ausgleichsleistung für verspätete Flüge bejahte und unter den Rn. 31 und 32 verspätete Flüge ausdrücklich dahingehend definiert habe, dass hierunter nur solche zu verstehen sind, bei denen sich der Abflug im Sinne von Art. 6 der FluggastrechteVO verzögert hat, so vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Dass eine Verzögerung im Sinne von Art. 6 der FluggastrechteVO vorgelegen haben muss, lässt sich der Entscheidung des EuGH nach Ansicht des erkennenden Gerichts gerade nicht entnehmen und wäre mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung auch nicht vereinbar.

62. Der vom EuGH verwendete Begriff eines „verspäteten“ Fluges im Rahmen der Ausführungen zur hier relevanten Vorlagefrage stellt nach Ansicht des Gerichts erkennbar nicht auf eine Abflugverspätung im Sinne von Art. 6 der FluggastrechteVO ab. Die Wortwahl eines „verspäteten Fluges“ ist offensichtlich hinsichtlich der ersten und der zweiten (hier relevanten) Vorlagefrage anderweitig zu verstehen. Insoweit das Landgericht Frankfurt am Main für seine Auslegung auf die Ausführungen des EuGH unter Rn. 32 verweist, so überzeugt diese Argumentation in der Folge nicht. Diese Ausführungen stehen im Zusammenhang mit der ersten Vorlagefrage, wann eine „Verspätung“ etwaig eine „Annullierung“ darstellt, so dass diese Ausführungen hinsichtlich der hier relevanten Vorlagefrage, ob und inwieweit Passagieren verspäteter Flüge ein Anspruch auf Ausgleichsleistung zustehen kann, wenn überhaupt nur sehr begrenzt herangezogen werden können. Im Rahmen der hier relevanten Vorlagefrage (Rn. 40ff. der Entscheidung des EUGH) nimmt der EuGH bereits keinen entsprechenden Bezug auf Art. 6 der FluggastrechteVO vor. Dass die wiedergegebene Wortwahl unterschiedlich zu verstehen ist, folgt auch daraus, dass der EuGH hinsichtlich der Ausführungen zur ersten Vorlagefrage unter Rn. 32 gerade von (Hervorhebung durch das Gericht) „“verspätet“ im Sinne von Art. 6…“ spricht. Diese Ausführung zeigt, dass der EuGH offensichtlich von verschiedenen Begriffen eines „verspäteten Fluges“ ausgeht, denn ansonsten hätte es dieser klarstellenden Ergänzung nicht bedurft.

63. Insoweit der EuGH im Rahmen der hier relevanten zweiten Vorlagefrage von einem verspäteten Flug spricht, ist in der Gesamtschau ersichtlich, dass hiermit ausschließlich nur eine Verspätung am Endziel gemeint ist. Auf eine „Verspätung im Sinne von Art. 6 der FluggastrechteVO“ stellt der EuGH gerade nicht ab. Aus dem Wortlaut ergibt sich entsprechendes nicht. Die hier vorgenommene Auslegung ergibt sich insbesondere auch aus den Ausführungen unter Rn. 53 der Entscheidung, wo der EuGH ausdrücklich bei einem verspäteten Flug auf die Möglichkeit einer längeren Beförderungszeit abstellt. Hierin zeigt sich deutlich, dass der EuGH gerade nicht eine Verspätung am Abflugort, sondern eine Verspätung am Zielort für anspruchsbegründend erachtet.

64. Entsprechend ergibt sich dieses auch aus Rn. 68 wo es wörtlich lautet (Hervorhebung durch das Gericht):

65.  „und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Eine solche Verspätung…“

66. Die Begrifflichkeit „solche“ stellt erkennbar auf die zuvor angeführte Verspätung am Ankunftsort ab, woraus sich zeigt, dass der EuGH bei Verwendung der Formulierung „verspäteter Flug“ im Rahmen dieser Vorlagefrage die Verspätung am Ankunftsort meint.

67. Nur diese Auslegung ist auch mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar. Denn für den Betroffenen, welcher sein Endziel mit einer Verzögerung von über 3 Stunden erreicht ist es praktisch irrelevant, ob nun eine Annullierung, eine Abflugverspätung gemäß Art. 6 der FluggastrechteVO oder eine unter diesen Grenzen liegende Abflugverspätung und/oder (hieran) anschließende Probleme zu dieser Ankunftsverzögerung geführt haben. Diese Passagiere befinden sich in einer vergleichbaren Lage im Sinne der Entscheidung des EUGH vom 19.11.2009 (siehe dort Rn. 54).

68. Diese Vergleichbarkeit zeigt sich insbesondere auch an dem Verweis des EuGH (Rn. 63 a.a.O) auf die Möglichkeit einer Anspruchskürzung bei verspäteten Flügen über Art. 7 Abs. 2 der FluggastrechteVO. Ein Fluggast, dessen Flug annulliert wurde und sodann mit einem anderweitigen Flug etwaig sogar vor der geplanten Abflugzeit in diesen Zeitgrenzen alternativ zu seinem Endziel befördert wurde und ein Fluggast, dessen Flug zwar pünktlich startete, aber trotzdem aus sonstigen Gründen am Endziel eine Ankunftsverspätung gemäß der Entscheidung des EuGH hinnehmen musste, befinden sich in einer nahezu völlig identischen Lage. Beide sind im Verhältnis zur geplanten Abflugzeit pünktlich gestartet (der Passagier des annullierten Fluges etwaig sogar früher) und haben lediglich ihr Endziel mit großer Verspätung erreicht. Eine Ungleichbehandlung des Passagiers des lediglich verspäteten Fluges alleine aufgrund des Umstandes, dass dieser mit dem geplanten Flug und nicht anderweitig im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der FluggastrechteVO befördert wurde, erscheint aufgrund der überragenden Relevanz des maßgeblichen Kriteriums des ähnlichen Schadens in Form eines Zeitverlusts nicht vertretbar. Auch die anderweitige Beförderung muss vergleichbare Reisebedingungen aufweisen, so dass alleine der Umstand, dass ein etwaig anderes Fluggerät unter einer anderen Flugnummer eingesetzt wurde, kein entscheidendes Kriterium für eine Ungleichbehandlung sein kann.“

69. Alleine dieses Verständnis – anspruchsbegründend und daher entscheidend ist alleine der Zeitverlust des Passagiers am Endziel – wird auch durch die neuerliche Entscheidung des EuGH vom 23.10.2012 (Rs. C-​581-​10, C-​629/10, juris) gestützt.

70. In dieser Entscheidung hat der EuGH – auch wenn er die Frage der Relevanz einer Abflugverspätung gemäß Art. 6 der FluggastrechteVO nicht ausdrücklich entschieden hat, zumindest auch Fälle wie den vorliegenden in seine Erwägungen einbezogen, bei welchen sich die zu der Verspätung am Endziel führenden Umstände erst nach dem Abflug ereigneten.

71. So führt der EuGH unter Randziffer 32 dieser Entscheidung zunächst aus:

72. „Dagegen räumt keine Bestimmung der Verordnung Nr. 261/2004 ausdrücklich solchen Fluggästen eine pauschalierte Ausgleichsleistung ein, die zu einem äußerst späten Zeitpunkt vor ihrem Flug oder sogar erst während dieses Fluges erfahren, dass er große Verspätung haben wird und sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der geplanten Ankunftszeit erreichen werden.“

73. Unter Randziffer 35 führt der EuGH sodann aus:

74.  „Überdies ist den zu der einen oder der anderen Gruppe gehörenden Fluggästen praktisch die Möglichkeit genommen, ihre Reise nach freien Stücken umzugestalten, da sie sich entweder einem schwerwiegenden Zwischenfall bei der Durchführung ihres bevorstehenden oder bereits stattfindenden Fluges oder aber der Annullierung eines solchen Fluges ausgesetzt sehen, was gegebenenfalls zum Angebot einer anderweitigen Beförderung führt. Wenn diese Fluggäste also aus irgendeinem Grund unbedingt ihr Endziel zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichen müssen, können sie den mit der neuen Situation einhergehenden Zeitverlust nicht vermeiden, da sie insoweit über keinerlei Handlungsspielraum verfügen.“

75. Der EuGH stellt hiernach in Fortführung seiner Rechtsprechung ausdrücklich darauf ab, dass auch die Passagiere, bei denen sich ein zur Verspätung am Endziel führender Zwischenfall erst bei der Durchführung des Fluges – mithin nach pünktlichem Abflug – ereignet in einer vergleichbaren Lage befinden.

76. Der EuGH führt ausdrücklich an, dass die erlittenen Unannehmlichkeiten im Ergebnis gleichwertig sind und kommt in der Folge zu folgendem Ergebnis:

77.  „Unter diesen Umständen und in Anbetracht dessen, dass die Verordnung Nr. 261/2004 die Erhöhung des Schutzes aller Fluggäste bezweckt, können die Fluggäste von Flügen mit einer Verspätung von drei Stunden oder mehr nicht anders behandelt werden als die Fluggäste, denen eine Ausgleichsleistung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. iii dieser Verordnung zugutekommt, da eine solche Ungleichbehandlung dieser beiden Gruppen angesichts der mit der Verordnung verfolgten Ziele nicht hinreichend gerechtfertigt ist (vgl. Urteil Sturgeon u. a., Randnrn. 59 und 60).“

78. In Anbetracht des Umstandes, dass der EuGH i) ausdrücklich auch die Fallgruppe in seine Erwägungen einbezogen hat, bei welcher sich die zur Verspätung führenden Umstände erst bei Durchführung des Fluges ereigneten, ii) diese Fallgruppe gegenüber der Fallgruppe der annullierten Flüge sowie der Fallgruppe der Flüge mit einer relevanten Abflugverspätung konsequenterweise (da für den Passagier der Ort der eingetretenen Verzögerungen irrelevant ist) als gleichwertig bewertet, iii) hiernach erneut darauf hinweist, dass die FluggastrechteVO auf ein hohes Schutzniveau der Fluggäste abzielt und sodann iiii) gemäß dem Wortlaut seiner Entscheidung einzig auf die Verspätung von über 3 Stunden am Endziel anspruchsbegründend abstellt, erscheinen Zweifel dahingehend, dass auch eine Abflugverspätung in den Grenzen des Art. 6 der FluggastrechteVO am Abflugort anspruchsbegründend sei, nicht mehr berechtigt.

79. Zinsen stehen den Klägern in Folge ihrer Zahlungsaufforderung vom 26.03.2012 erst ab dem 10.04.2012 gemäß den §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 BGB zu. Das Schreiben vom 22.02.2012 stellt keine Mahnung im Sinne des § 286 Abs. 1 BGB dar. Das Schreiben der Beklagten vom 20.03.2012 stellt keine ernsthafte und endgültige Zahlungsverweigerung im Sinne von § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB dar.

80. Außergerichte Rechtsanwaltskosten stehen den Klägern nur in Höhe von EUR 155,29 gemäß den §§ 280, 281, 286 Abs. 1 BGB als Verzugsschaden zu.

81. Auf eine tatsächliche Zahlung durch die Kläger kommt es insoweit gemäß § 250 S. 2 BGB nicht an, nachdem die Beklagte jegliche Zahlungspflicht zurückweist. Dass die Kläger die Ihnen persönlich zustehenden Ansprüche im Rahmen eines (fiktiven) gemeinschaftlichen Anspruchs geltend gemacht haben, begegnet keinen Bedenken, da die Kläger insoweit im Interesse der Beklagten niedrigere Gesamtkosten gegenüber einer jeweils getrennten Geltendmachung verursacht haben.

82. Die Erhöhungsgebühr gem. Ziff. 1008 VV RVG von 0,3 ist hingegen nicht erstattungsfähig, da den Klägern insoweit kein Schaden entstanden ist. Da die Kläger vorliegend jeweils nur ihnen persönlich zustehende Ansprüche von jeweils EUR 455,50 aus einem einheitlichen Vertrag geltend machen, fehlt es insoweit an der für die Erhöhungsgebühr notwendigen Identität der Angelegenheit (vgl. AG Düsseldorf, Urteil vom 01.02.2012, Aktenzeichen: 24 C 8824/10, zu finden in juris m.w.N.).

83. Die Beklagte kann die Ausgleichsleistung auch nicht nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 VO auf die außergerichtlichen Anwaltskosten anrechnen.

84. Mit weitergehendem Schadensersatz im Sinne von Art. 12 Abs. 1 VO sind die Schäden gemeint, die aufgrund der Annullierung, Verspätung oder Nichtbeförderung entstanden sind, nicht aber der Schaden, der sich dadurch ergibt, dass das Luftfahrtunternehmen seiner Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsleistung nicht nachkommt (vgl. Landgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.03.2011, Aktenzeichen: 2-​24 S 1/11 zu finden in juris). Hinsichtlich der Anwaltskosten geht es um einen Schadensersatzanspruch aus Verzug, der unmittelbar darauf beruht, dass die Beklagte als Luftfahrtunternehmen den berechtigten Ausgleichsanspruch nicht bezahlt hat. Dieser Anspruch beruht gerade nicht unmittelbar darauf, dass der Flug verspätet war. Insofern liegen unterschiedliche Haftungsgründe vor. Ein anderes Ergebnis wäre auch nicht mit dem Zweck der FluggastrechteVO, ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen, vereinbar (vgl. Landgericht Frankfurt a.a.O.).

85. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Insoweit die Klage abgewiesen wurde lag nur eine geringfügige Zuvielforderung hinsichtlich Nebenforderungen vor, welche keine höheren Kosten verursachte.

86. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 1 und 2 ZPO.

87. Mangels letztinstanzlicher rechtskräftiger Entscheidung des erkennenden Gerichts besteht keine Veranlassung einer ansonsten gebotenen Vorlage an den Europäischen Gerichtshof.

88. Der Streitwert entspricht dem Wert des geltend gemachten Anspruchs in der Hauptsache (§§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO).

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