Außergewöhnlicher Umstand bei äußerst seltenem Reifendefekt

AG Frankfurt: Außergewöhnlicher Umstand bei äußerst seltenem Reifendefekt

Ein Fluggast forderte von einer Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung wegen der 13-stündige Verspätung seines Fluges von Havanna nach Frankfurt.

Das Amtsgericht Frankurt gab der Klage statt, weil der technische Defekt, den die Beklagte anführte, keinen außergewöhnlichen Umstand darstellte.

AG Frankfurt 30 C 1048/10 (32) (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 28.09.2010
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 28.09.2010, Az: 30 C 1048/10 (32)
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Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 28. September 2010

Aktenzeichen 30 C 1048/10 (32)

Leitsätze:
2. Zuständig bei Ausgleichsforderungen gemäß der Fluggastrechteverordnung ist das Gericht am Zielort der streitgegenständlichen Flugreise.

Die mehr als dreistündige Verspätung der Ankunft am Zielort ist einer Annullierung gleichzusetzen.

Zusammenfassung:
3. Vorliegend klagte ein Flugpassagier gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen wegen der 13-stündigen Verspätung seine Fluges von Havanna nach Frankfurt. Die Airline berief sich auf einen seltenen technischen Defekt als außergewöhnlichen Umstand.

Das Amtsgericht Frankfurt gab der Klage statt, da es in dem technischen Defekt keinen außergewöhnlichen Umstand gegeben sah und darüberhinaus die Beklagte nicht dargelegt hatte, inwiefern dieser durch zumutbare Maßnahmen nicht hatte verhindert werden konnen und ob solche Maßnahmen überhaupt ergriffen worden sind.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Euro 600,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.12.2009 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

6. Die Klage zulässig und begründet.

7. Das Amtsgericht Frankfurt am Main ist gemäß § 29 Abs. 1 ZPO als Erfüllungsort örtlich zuständig. Die Parteien haben einen Beförderungsvertrag über den streitgegenständlichen Flug von Havanna (Kuba) nach Frankfurt am Main geschlossen. Der Zielort Frankfurt am Main ist – zumindest auch – der Ort, an dem die Beförderungspflicht zu erfüllen war. Der Anwendbarkeit des § 29 ZPO steht nicht entgegen, dass der Kläger vorliegend Ansprüche aufgrund der Verordnung (EG) 261/2004 geltend macht, die gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen gerichtet sind, da im vorliegenden Fall der beanstandenden Beförderung ein Vertragsverhältnis zwischen den Parteien zugrunde lag.

8. Dem Kläger steht gemäß Artikel 4 Abs. 3 analog, 7 Abs. 1 c) der Verordnung (EG) 261/2004 gegen die Beklagte ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 600,00 Euro zu. Die Anwendbarkeit der Verordnung ergibt aus Artikel 3 Abs. 1 b), da es sich der Beklagten um ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft handelt.

9. Zwar gewährt Artikel 4 Abs. 3 seinem Wortlaut gemäß nur in den Fällen der Nichtbeförderung den Ausgleichsanspruch gemäß Artikel 7. Jedoch ergibt eine Auslegung der Vorschrift unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs und ihrer Ziele, dass auch die Fluggäste verspäteter Flüge den in Artikel 7 vorgesehenen Anspruch auf Ausgleich geltend machen können, wenn sie wegen solcher Flüge einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden (vgl. EuGH, Urteil vom 19.11.2009, C-​402/07 und C-​232/07). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt, da der Kläger mit einer Verspätung von ca. 13 Stunden gegenüber der vereinbarten Ankunftszeit in Frankfurt am Main angekommen ist.

10. Der Flug erfolgte über eine Entfernung von mehr als 3500 Kilometern, so dass der zu zahlende Ausgleichsanspruch 600,00 Euro beträgt.

11. Die Beklagte hat sich nicht ausreichend gemäß Artikel 5 Abs. 3 exkulpieren können. Sie hat nicht dargetan, dass der verspätete Abflug auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, dass Grund für die Verspätung eine Laufflächenablösung an Reifen Nr. 3 des Hauptfahrwerks gewesen sei, den die Besatzung bei dem vor dem Flug stattfindenden Outside-​check festgestellt habe. Laufflächenablösungen seien an Flugzeugen äußert selten. Selbst wenn man den Reifendefekt als außergewöhnlichen Umstand ansehen würde, so hat die Beklagte jedenfalls nicht dargetan, dass der Defekt auch dann nicht vermeidbar gewesen wäre, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Insbesondere hat die Beklagte nicht vorgetragen, welche Schutz- und Kontrollmaßnahmen die Beklagte überhaupt getroffen hat, um solche Reifendefekte, die ja offenbar zumindest in seltenen Fällen vorkommen, zu vermeiden bzw. bereits frühzeitig zu erkennen und nicht erst beim letzten Check vor dem Abflug durch die Besatzung.

12. Nach alledem war der Klage vollumfänglich stattzugeben.

13. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

14. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

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