Ausgleichsanspruch wegen geringfügiger Ankunftsverspätung und Versäumung direkten Anschlussfluges
LG Berlin: Ausgleichsanspruch wegen geringfügiger Ankunftsverspätung und Versäumung direkten Anschlussfluges
Zwei Reisende haben der Klägerin Rechte aus Flügen, die sie bei der Beklagten gebucht hatten, abgetreten. Dabei verspätete sich der erste Flug, sodass der Anschlussflug nicht erreicht wurde. Die Klägerin verlangt Ausgleichszahlung.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, da die Beklagte den zweiten Teilflug nicht selbst durchgeführt hatte.
LG Berlin | 58 S 1/17 (Aktenzeichen) |
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LG Berlin: | LG Berlin, Urt. vom 27.03.2017 |
Rechtsweg: | LG Berlin, Urt. v. 27.03.2017, Az: 58 S 1/17 |
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Leitsatz:
2. Dem EuGH wird die Frage vorgelegt, ob ein Ausgleichsanspruch nach Art 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auch dann bestehen kann, wenn ein Fluggast wegen einer relativ geringfügigen Ankunftsverspätung einen direkten Anschlussflug nicht erreicht und dies eine Verspätung von drei Stunden und mehr am Endziel zur Folge hat.
Zusammenfassung:
3. Zwei Reisende haben der Klägerin Rechte aus Flügen, die sie bei der Beklagten gebucht hatten, abgetreten. Die Beförderung sollte von Berlin nach San Salvador über Madrid und San Jose erfolgen. Dabei verspätete sich der erste Flug um etwa eine Stunde, sodass der Anschlussflug nicht erreicht wurde und die Reisenden ihr Ziel erst 49 Stunden später erreichten. Die Klägerin verlangt Ausgleichszahlung.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, da die Beklagte den zweiten Teilflug nicht selbst durchgeführt hatte. Das Landgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage vorgelegt, ob auch in solchen Fällen ein Ausgleichsanspruch bestehe. Diese frage sei aus der bisherigen europäischen Rechtsprechung nicht eindeutig zu beantworten.
Tenor
4. Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art 267 Abs. 2 AEUV folgende Frage zur Auslegung der Fluggastrechteverordnung vorgelegt:
Kann ein Ausgleichsanspruch nach Art 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auch dann bestehen, wenn ein Fluggast wegen einer relativ geringfügigen Ankunftsverspätung einen direkten Anschlussflug nicht erreicht und dies eine Verspätung von drei Stunden und mehr am Endziel zur Folge hat, die beiden Flüge aber von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen ausgeführt wurden und die Buchung durch einen Reiseveranstalter erfolgte, der die Buchung der gesamten Flugreise über eine andere Fluggesellschaft vornahm?
Gründe
1.
5. Die Klägerin begehrt eine Ausgleichszahlung aus abgetretenem Recht in Höhe von 600,00 € pro Fluggast nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung EWG NR 295/91 (im folgenden: Verordnung, VO).
6. Die Zedenten buchten über die … GmbH eine Flugreise für zwei Personen von Berlin nach San Salvador über Madrid und San Jose. In der Rechnung der … GmbH war als Leistungsträgerin des gesamten Fluges … genannt (Anlage K 2 = Bl. 19 d.A.). Die Buchungsbestätigung stellte ebenfalls die … GmbH aus (Anlage K 3 = Bl. 21 d.A.). Der geplante Flug von Berlin nach Madrid (Flugnummer … ), welchen die Beklagte ausführte, hatte 59 Minuten Verspätung, sodass die Zedenten den von der Fluggesellschaft … durchgeführten Anschlussflug von Madrid nach San Jose (…) nicht erreichen konnten. Die Zedenten kamen mit dem zu Verfügung gestellten Ersatzflug erst über 49 Stunden später in San Salvador an.
7. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, da die Beklagte nur den Flug von Berlin nach Madrid durchgeführt habe, nicht jedoch die Anschlussflüge. Auch sei die Beklagte nicht in Buchung und Planung des Gesamtfluges eingebunden gewesen. Sie sei daher nur für die Abweichung des ersten Flugabschnitts von Berlin nach Madrid verantwortlich. Auf dieser Strecke, die über 1.500 km betrage, sei nur eine Verspätung von 59 Minuten aufgetreten, also unter 3 Stunden. Daher bestehe kein Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art 7 der VO.
8. Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und verfolgt ihr erstinstanzliches Begehren weiter.
2.
9. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert die Beantwortung einer Vorfrage durch den Gerichtshof der Europäischen Union.
10. Der Klägerin könnte ein Erstattungsanspruch aus Art. 7 Abs. 1 c) der Verordnung zustehen.
a)
11. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH steht eine Verspätung einer Flug-Annullierung im Sinne des Art 7 Abs. 1 VO gleich mit der Folge, dass auch für derartige Verspätungen eine Entschädigung nach Art. 5 Abs. 1 c) iVm Art. 7 Abs. 1 VO gefordert werden kann, wenn die Verspätung drei Stunden oder mehr beträgt (EuGH Rs C-402/07 Sturgeon juris; EuGH Rs C-581/10 Nelson, juris). Voraussetzung ist, dass die Verspätung gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel drei Stunden oder mehr beträgt (vgl. Führich, Reiserecht 7. Auflage, § 41 RN 3 mwN).
b)
12. Dies gilt auch, wenn eine relativ geringfügige Verspätung wegen des Verpassens eines Anschlussfluges zu einer großen Verspätung führt. Der EuGH hat diesbezüglich entschieden, dass grundsätzlich auch dann eine Entschädigung nach Art 7 Abs. 1 VO beansprucht werden kann, wenn ein Zubringerflug eine unter drei Stunden liegende Verspätung hat, aufgrund der Verspätung jedoch ein Anschlussflug nicht erreicht werden kann, sodass die Ankunft am Endziel verspätet erfolgt. Für die pauschale Ausgleichszahlung kommt es dann allein auf die Verspätung an, die gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel, dh dem Zielort des letzten Flugs des betreffenden Fluggasts, festgestellt wird (EuGH, Urt v 26.2.13, C-11/11 Folkerts, juris, Rn 33). In dem dort zu entscheidenden Fall wurden der Zubringer- und der Anschlussflug von derselben Fluggesellschaft durchgeführt (EuGH, Urt v 26.2.13, C-11/11 Folkerts, juris, Rn 18).
c)
13. Fraglich ist, ob diese Rechtsprechung auch dann gilt, wenn – wie hier – der Zubringerflug und der Anschlussflug nicht von derselben Fluggesellschaft durchgeführt worden sind. Insofern unterscheidet sich die hiesige Fallkonstellation von der oben zitierten (Folkerts).
14. Ein vergleichbarer Fall lag dem BGH im Rahmen einer Revision gegen ein Urteil des LG Hamburg (320 S 41/15 juris) zur Entscheidung vor (BGH, X ZR 138/15). Der BGH hatte das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH vorgelegt mit einer der hiesigen im Wesentlichen gleichlautenden Frage zur Auslegung der Fluggastrechteverordnung. Die Vorlagefrage wurde vom BGH jedoch zurückgenommen, nachdem im dort zu entscheidenden Fall die Beklagtenseite den Klageanspruch anerkannt hatte. Der BGH hat dazu ausgeführt:
15. „Aus dem Sinn und Zweck von Art. 7 FluggastrechteVO könnte sich ergeben, dass ein Anspruch auf Ausgleichsleistung nur dann besteht, wenn das Flugunternehmen, das die Verspätung am Endziel verursacht hat, die Zusammenstellung der aufeinanderfolgenden Flüge durch Ausgabe oder Genehmigung einer Buchungsbestätigung gebilligt hat. Diese Frage ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht abschließend geklärt.
aa)
16. Der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist zu entnehmen, dass ein Ausgleichsanspruch jedenfalls dann bestehen kann, wenn mehrere aufeinanderfolgende Flüge bei dem Luftfahrtunternehmen gebucht werden, das auf Ausgleichszahlung in Anspruch genommen wird.
17. In den Entscheidungen, in denen sich der Ausgleichsanspruch aus einer verspäteten Ankunft am Zielort eines direkten Anschlussflugs ergab, waren die aufeinanderfolgenden Flüge bei dem im Ausgangsverfahren in Anspruch genommenen Luftfahrtunternehmen gebucht worden (EuGH, NJW 2013, 1291 = RRa 2013, 78 Rn. 18 – Folkerts [dazu ergänzend BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – Xa ZR 80/10, RRa 2011, 84 Rn. 1]; Beschluss vom 4. Oktober 2012 – C-321/11, NJW 2013, 363 = RRa 2012, 279 Rn. 10, 34 – Rodríguez Cachafeiro u.a.). Andere Entscheidungen des Gerichtshofs, in denen der Begriff des Flugs im Sinne der Verordnung von Bedeutung war, betreffen ebenfalls Fälle, in denen der Fluggast alle relevanten Flüge bei demjenigen Luftfahrtunternehmen gebucht hatte, das er später auf Ausgleichszahlung in Anspruch nahm (vgl. EuGH, NJW 2008, 2697 = RRa 2008, 237 Rn. 13 – Emirates Airlines; NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 Rn. 11 – Sturgeon u.a.; EuGH, NJW 2013, 671 = RRa 2012, 272 Rn. 15 – Nelson u.a.).
bb)
18. Diese Konstellation liegt im Streitfall nicht vor.
19. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sind die beiden Flüge von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen ausgeführt worden. Die Buchung erfolgte nicht bei einem dieser Unternehmen, sondern bei einem Reiseunternehmen. Dieses hat auch die als Anlage K1 vorgelegte Buchungsbestätigung ausgestellt. Mangels entsprechender Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte selbst einen Flugschein für beide Flüge ausgegeben oder genehmigt hat.
cc)
20. Für diese Konstellation ergeben sich aus der Verordnung und der aufgezeigten Rechtsprechung des Gerichtshofs keine hinreichend sicheren Schlussfolgerungen.
21. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. a FluggastrechteVO ist die Verordnung nur dann anwendbar, wenn der Fluggast über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügt. Dies setzt gemäß Art. 2 Buchst. g FluggastrechteVO voraus, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde. Letzteres kann in einem Flugschein im Sinne von Art. 2 Buchst. f FluggastrechteVO erfolgen, den das Luftfahrtunternehmen oder dessen zugelassener Vermittler ausgegeben oder genehmigt hat, oder in einem anderen Beleg.
22. Aus dieser Regelung ergibt sich zweifelsfrei, dass einem Fluggast auch dann ein Ausgleichsanspruch gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen zustehen kann, wenn dieses zwar nicht an der einzelnen Buchung und deren Bestätigung beteiligt war, aber einem Vermittler oder einem Reiseunternehmen die Möglichkeit eingeräumt hat, solche Buchungen entgegenzunehmen und zu bestätigen. Das Luftfahrtunternehmen muss sich in diesen Fällen die Buchungsbestätigung des Vermittlers oder Reiseunternehmens wie eine eigene Erklärung zurechnen lassen.
23. Hieraus kann aber nicht zweifelsfrei abgeleitet werden, dass sich ein Luftfahrtunternehmen die Buchungsbestätigung eines Vermittlers oder Reiseunternehmens auch insoweit zurechnen lassen muss, als diese einen anderen Flug betrifft, der von einem anderen Luftfahrtunternehmen ausgeführt wird. Hinsichtlich eines solchen Flugs tritt der Vermittler oder das Reiseunternehmen primär an die Stelle des Luftfahrtunternehmens, das diesen Flug ausführt. Aus Sicht der beteiligten Luftfahrtunternehmen stellt sich die Lage damit ähnlich dar, wie wenn der Fluggast selbst mehrere separate Buchungen bei unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen für aufeinander folgende Flüge vornimmt. Für den zuletzt genannten Fall geht jedenfalls die Kommission in ihren Leitlinien zur Auslegung der Verordnung davon aus, dass kein Ausgleichsanspruch besteht (Leitlinien der Kommission vom 10. Juni 2016, C(2016) 3502 final, S. 18 unter 4 d A ii).
dd)
24. Nach Auffassung des Senats spricht dennoch einiges dafür, einen Ausgleichsanspruch auch dann zu bejahen, wenn die Buchungsbestätigung für aufeinanderfolgende Flüge von einem Reiseunternehmen ausgegeben wurde.
(1)
25. Die Verordnung sieht für die unterschiedlichen Formen der Buchungsbestätigung grundsätzlich dieselben Rechtsfolgen vor. In Erwägungsgrund 5 wird zudem hervorgehoben, dass sich der Schutz auch auf Fluggäste im Rahmen von Pauschalreisen erstrecken soll. Eine Einstandspflicht für Flüge, die ein Reiseunternehmen zusammengestellt hat, stünde ferner in Einklang mit dem in den Erwägungsgründen 1 bis 4 definierten Ziel, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes Rechnung zu tragen, und dem daraus vom Gerichtshof abgeleiteten Grundsatz, dass die Vorschriften der Verordnung, mit denen den Fluggästen Ansprüche eingeräumt werden, weit auszulegen sind (dazu EuGH, NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 Rn. 45 – Sturgeon u.a.), während Begriffe in einer Bestimmung, die eine Ausnahme von einem Grundsatz oder spezifischer, von gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften darstellt, grundsätzlich eng auszulegen sind (dazu EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2008 – C-549/07, Slg. 2008, I-11061, NJW 2009, 347 = RRa 2009, 35 Rn. 17 – Wallentin-Hermann).
(2)
26. Die Bejahung eines Ausgleichsanspruchs steht nach Auffassung des Senats auch in Einklang mit dem vom Gerichtshof hervorgehobenem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit für die mit der Buchungsbestätigung übernommenen Leistungspflichten.
27. Für den Fall, dass ein Luftfahrtunternehmen, bei dem zwei aufeinanderfolgende Flüge gebucht wurden, die Beförderung auf dem zweiten Flug in der Annahme verweigert, der Fluggast könne diesen Flug wegen Verspätung des ersten Flugs nicht mehr erreichen, hat der Gerichtshof einen Ausgleichsanspruch bejaht. Als ausschlaggebend hierfür hat er angesehen, dass der Anspruch die Unannehmlichkeiten ausgleichen soll, die durch einen irreversiblen Zeitverlust von drei Stunden und mehr entstehen, und dass ein ausführendes Luftfahrtunternehmen für diese Unannehmlichkeiten jedenfalls dann einstehen muss, wenn feststeht, dass es sie zu vertreten hat – sei es, weil es die Verspätung des ersten von ihm selbst durchgeführten Flugs zu verantworten hat, sei es, weil es irrig davon ausgegangen ist, die betroffenen Fluggäste könnten sich nicht rechtzeitig am Flugsteig des Anschlussflugs einfinden, oder weil es Flugscheine für aufeinanderfolgende Flüge verkauft hat, bei denen die für das Erreichen des Anschlussflugs zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreichte (EuGH, NJW 2013, 363 = RRa 2012, 279 Rn. 34 – Rodríguez Cachafeiro u.a.).
28. Jedenfalls aus Sicht des Fluggasts, dessen Schutz der Ausgleichsanspruch dient, liegt eine vergleichbare Situation vor, wenn das Luftfahrtunternehmen die Flugscheine für aufeinanderfolgende Flüge zwar nicht selbst ausgegeben oder genehmigt, einem Reiseunternehmen aber die Möglichkeit eingeräumt hat, solche Flugscheine auszustellen und hierbei auch Flüge zusammenzustellen, die von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen ausgeführt werden.
ee)
29. Dennoch sieht sich der Senat an einer eigenen Entscheidung gehindert.
30. Eine entsprechende Anwendung der vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze auf die hier zu beurteilende Konstellation erscheint aus den dargelegten Gründen zwar naheliegend. Sie ergibt sich aus den bisherigen Entscheidungen des Gerichtshofs aber nicht zweifelsfrei (BGH, X ZR 138/15 juris RN 27-42).
31. Nach Auffassung der Kammer kann daher über die Berufung der Klägerin nicht ohne Beantwortung der Vorlagefrage entschieden werden.
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