Staatshaftung wegen mangelhafter Umsetzung von EG-Recht

LG Bonn: Staatshaftung wegen mangelhafter Umsetzung von EG-Recht

Der Kläger forderte Schadensersatz von der BRD, weil diese eine EG-Richtlinie zum Verbraucherschutz bei der Insolvenz von Reiseveranstaltern nicht schnell genug umgesetzt hatte. Die Klage wurde abgewiesen, da dies nicht kausal für seinen Schaden war.

LG Bonn 1 O 294/96 (Aktenzeichen)
LG Bonn: LG Bonn, Urt. vom 06.12.1996
Rechtsweg: LG Bonn, Urt. v. 06.12.1996, Az: 1 O 294/96
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Landgericht Bonn

1. Urteil vom 6. Dezember 1996

Aktenzeichen 1 O 294/96

Leitsatz:

2. Die Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen sieht nicht vor, dass der jeweilige Mitgliedsstaat die Schäden von Verbrauchern selbst ersetzt, sondern instituionelle Mittel schafft, den Reiseveranstalter zum Ersatz zu verpflichten.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger und Bekannte von ihm hatten bei dem Reiseveranstalter MP–Travel Line International GmbH eine Pauschalreise in die Türkei gebucht, der Reisevertrag hierüber kam  am 20.11.1992 zustande. Die Reisenden leisteten zunächst im Dezember 1992 eine Anzahlung von 800,- DM und im Juni 1993 die Restzahlung. Kurz darauf meldete der Reiseveranstalter Konkurs an, sodass die Reise nicht angetreten werden konnte.

Zum Zeitpunkt des Reisevertragsschluss war die EG-Richtlinie über Pauschalreisen vom 13.06.1990 bereits erlassen worden. Diese forderte von Mitgliedsstaaten bis zum 31.12.1992, durch bspw. gesetzgeberische Maßnahmen, zu gewährleisten, dass Verbraucher im Falle der Insolvenz eines Reiseveranstalters die Reisekosten erstattet bekommen. Der Kläger forderte für sich und aus abgetretenem Recht seiner Bekannten Schadensersatz von der Bundesrepublik Deutschland, weil diese die Richtlinie nicht schnell genug umgesetzt hätte, worin der Kläger eine Amtspfichtverletzung sah.

Die Klage wurde abgewiesen, denn der Reisevertrag war vor der Ablauffrist der Richtlinie geschlossen worden. Dafür war unerheblich, dass auch nach ihr bzw. nach der dann erfolgten Gesetzesänderung in Deutschland, noch Zahlungen an den Reiseveranstalter erfolgten. Da der Zeitpunkt der Gesetzesänderung in Deutschland nicht kausal für den Schadend des Klägers war, hatte dieser keine Ersatzansprüche gegen den Staat.

Tatbestand:

4. Der Kl. begehrt von der bekl. Bundesrepublik Deutschland Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung wegen nicht rechtzeitiger Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Rates vom 13. 6. 1990 über Pauschalreisen. Der Kl. buchte im Jahre 1992 bei der Firma MP–Travel Line International GmbH eine dreiwöchige Flugreise mit Übernachtung für 7 Personen in die Türkei. Die Firma MP–Travel Line bestätigte am 20. 11. 1992 die für die Zeit vom 23. 7. bis 13. 8. 1993 geplante Reise. Auf den Gesamtreisepreis von 7273 DM leistete der Kl. im Dezember 1992 in zwei Teilbeträgen eine laut der Bestätigung “sofort fällige” Anzahlung von 1400 DM, wobei eine Überweisung in Höhe von 800 DM durch zwei Mitreisende, die Eheleute G, erfolgte. Von der Möglichkeit, bei sofortiger Zahlung des Gesamtpreises 3 % Rabatt zu erhalten, machte der Kl. keinen Gebrauch. Nach den Bedingungen des Reiseveranstalters war der restliche Gesamtpreis nach Erhalt der Reiseunterlagen zu zahlen. Die Restzahlung erfolgte in Höhe von 2657 DM am 21. 6. 1993 durch die Eheleute G. Die Eheleute G haben ihre eventuellen Schadensersatzansprüche gegen die Bekl. an den Kl. abgetreten. Der Kl. und die weiteren Teilnehmer traten die Reise jedoch nicht mehr an, nachdem die Firma MP–Travel Line International GmbH am 24. 6. 1993 beim AG Frankfurt a. M.Vergleichsantrag gestellt hatte, der am 22. 7. 1993 abgelehnt wurde; gleichzeitig eröffnete das AG den Anschlußkonkurs.

5. Die am 13. 6. 1990 erlassene Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über Pauschalreisen (90/314/EWG, ABlEG Nr. L 158, S. 59), hatte nach ihrem Wortlaut den Zweck, auf eine Angleichung der Rechts– und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die in der EG angebotenen und verkauften Pauschalreisen hinzuwirken (Art. 1 Richtlinie). Dabei wurde der Begriff der Pauschalreise definiert (Art. 2), ein Mindeststandard von Prospektangaben und Angaben in der Reisebestätigung sowie die Folgen eines Rücktritts und einer Kündigung der Vertragsparteien beschrieben (Art. 3 und 4). Nach Art. 5 Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen “damit der Veranstalter … gegenüber dem Verbraucher die Haftung für die ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen unabhängig davon übernimmt, ob er selbst oder andere Dienstleistungsträger diese Verpflichtungen zu erfüllen haben …“. Ferner heißt es in Art. 5 II u.a.: “Die Mitgliedstaaten treffen hinsichtlich der Schäden, die dem Verbraucher aus der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung des Vertrages entstehen, die erforderlichen Maßnahmen, damit der Veranstalter … die Haftung übernimmt”. Art. 7 Richtlinie bestimmt: “Der Veranstalter … weist nach, daß im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses die Erstattung gezahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers sichergestellt sind”. Schließlich besagt Art. 9 I Richtlinie: “Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um dieser Richtlinie spätestens am 31. 12. 1992 nachzukommen. Sie unterrichten die Kommission unverzüglich davon“. Das BMI leitete dem Deutschen Bundestag unter dem 1. 7. 1993 einen Gesetzentwurf zur Neuregelung der reiserechtlichen Bestimmungen des BGB und der Gewerbeordnung zu (BT–Dr 12/5354). Der Rechtsausschuß des Bundestages verabschiedete am 20. 4. 1994 auf der Basis dieses Entwurfs eine einstimmige positive Beschlußempfehlung. Das Gesetz trat am 1. 7. 1994 mit Übergangsvorschriften in Kraft (BGBl I 1994, 1322). Das Gesetz gilt für die nach dem 1. 7. 1994 abgeschlossenen Reiseverträge, jedoch nur für Reisen, die nach dem 31. 10. 1994 angetreten werden. Hiernach muß der Reiseveranstalter entweder durch eine Versicherung oder ein Zahlungsversprechen eines Kreditinstituts sicherstellen, daß dem Reisenden, der infolge von Zahlungsunfähigkeit oder Konkurs unnütz gezahlte Reisepreis sowie die notwendigen Aufwendungen für die Heimreise erstattet werden. Ferner darf der Reiseveranstalter eine Anzahlung von 10 % des Reisepreises, höchstens 500 DM, erst fordern und annehmen, wenn er den Reisenden zuvor einen “Sicherungsschein” übergeben hat, der die vorerwähnten Erstattungsansprüche sichert. Mit Wirkung ab 1. 11. 1994 können Verstöße der Reiseveranstalter gegen diese Vorkasseregelung mit einem Bußgeld bis zu 10000 DM geahndet werden. Der Kl. ist der Auffassung, die Bekl. hätte aufgrund der EG–Pauschalreise–Richtlinie spätestens für die Zeit ab 1. 1. 1993 entsprechende gesetzliche Vorkehrungen gegen den Konkursausfall treffen müssen. Eine bereits zu diesem Datum geltende gesetzliche Regelung hätte ihm einen Erstattungsanspruch bezüglich der am 14. 12. 1992 und 21. 6. 1993 gezahlten Beträge gegenüber dem sichernden Dritten gewährleistet.

6. Das LG hat die Klage abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

7. Die Klage ist nicht begründet.

8. Mit Verfügung vom 10. 7. 1996 ist der Kl. bereits darauf hingewiesen worden, daß die Kammer in mehreren – inzwischen rechtskräftigen – Urteilen die Anwendung der EG–Richtlinie auf Verträge, die vor dem 1. 1. 1993 abgeschlossen wurden, verneint hat (vgl. z. B. das Urteil der Kammer vom 6. 6. 1994, NJW 1994, 2492 = EuZW 1994, 445).

I.

9. Ein Schadensersatzanspruch des Kl. gegen die Bekl. aus nationalem Recht besteht nicht.

10. Für einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff fehlt es schon an der Unmittelbarkeit zwischen dem in Frage kommenden staatlichen Eingriff, nämlich der Nicht–Umsetzung der Richtlinie, und dem Schaden des Kl. Dieser ist vielmehr erst durch die Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters eingetreten. Auch aus § 839 BGB i.V.mit Art. 34 GG alleine läßt sich der Klageanspruch nicht unmittelbar herleiten. Im Fall des gesetzgeberischen Unterlassens fehlt es nämlich regelmäßig – so auch hier – am sogenannten Drittbezug von Amtspflichten (BGHZ 100, 136 (145) = NJW 1987, 1875; BGH, EuZW 1993, 226). Dieser Drittbezug wäre nur dann gegeben, wenn das gesetzgeberische Tätigwerden das individuelle Interesse gerade des Kl. hätte schützen wollen und nicht nur generell alle Pauschalreisenden.

II.

11. Eine unmittelbare Haftung der Bekl. alleine aus der EG–Reiserichtline vom 13. 6. 1990 ist zu verneinen. Nach Art. 7 dieser Richtlinie soll allein der Reiseveranstalter verpflichtet werden, Sicherheiten für den Fall seiner Zahlungsunfähigkeit oder seines Konkurses nachzuweisen. Dabei obliegt dem einzelnen Mitgliedstaat selbst die Entscheidung, welchen institutionellen Rahmen er dem zu errichtenden Sicherungssystem geben will und wie die finanzielle Ausstattung des Sicherungssystems erfolgen soll. Die durch Art. 7 Richtlinie intendierten Rechte des einzelnen EG–Bürgers sollen gerade nicht unmittelbar gegenüber dem Einzelstaat geltend gemacht werden können. Der Kl. hatte deshalb keinen unmittelbaren Anspruch gegenüber der Bekl. auf Sicherstellung seiner Zahlungen. Diese unmittelbare Wirkung fehlt hier ebenso wie in der Rechtssache Francovich (EuGH, Slg. I 1991, 5357 = NJW 1992, 165 = EuZW 1991, 758).

III.

12. Im Ergebnis haftet die Bekl. dem Kl. auch nicht mittelbar über Art. 189 III EGV i.V.mit § 839 BGB und Art. 34 GG wegen Verletzung von Gemeinschaftsrecht, d.h. wegen Nicht–Umsetzung der Reise–Richtlinie.

13. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein Vertragsstaat bei Verstoß gegen EG–Recht unter drei Voraussetzungen zum Schadensersatz verpflichtet (vgl. EuGH, Slg. I 1991, 5357 = NJW 1992, 165 = EuZW 1991, 758 – Francovich): Erstens muß das durch die Richtlinie vorgeschriebene Ziel die Verleihung von Rechten an einzelne beinhalten. Zweitens muß der Inhalt dieser Rechte auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden können. Drittens muß ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem den Geschädigten entstandenen Schaden bestehen.

14. Wie der EuGH auf entsprechende Vorlagebeschlüsse der Kammer vom 6. 6. 1994 (NJW 1994, 2489 = EuZW 1994, 442) durch Urteil vom 8. 10. 1996 (EuGH, NJW 1996, 3141 = EuZW 1996, 654 – Dillenkofer) entschieden hat, dient Art. 7 Richtlinie des EG–Ministerrats vom 13. 6. 1990 über Pauschalreisen (90/314/EWG) dem Schutz des Verbrauchers vor Zahlungsunfähigkeit oder Konkurs des Veranstalters von Pauschalreisen und soll die Erstattung bereits gezahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers im Insolvenzfall des Reiseveranstalters sicherstellen. Demgemäß gewährt Art. 7 der streitgegenständlichen Richtlinie dem Verbraucher auch Individualrechte; diese sind insbesondere nach Ziel und Inhalt so hinreichend bestimmt, daß ein Verstoß eines Mitgliedstaates gegen Art. 189 III EGV durch Nicht–Umsetzung der Richtlinie dessen Haftung auslösen und zu einem Entschädigungsanspruch des einzelnen Verbrauchers führen kann.

15. Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch an der dritten Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch des Kl., nämlich dem Kausalzusammenhang, also der Ursächlichkeit des Verstoßes der bekl. Bundesrepublik gegen die in der Richtlinie übernommene Verpflichtung, diese bis zum 31. 12. 1992 in nationales Recht umzusetzen und dem Schaden des Kl. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von zahlreichen anderen Fällen, die der Kammer zur Entscheidung vorliegen, dadurch, daß der Kl. den Reisevertrag noch im Jahre 1992 abschloß. Maßgeblich für das Zustandekommen des Vertrages war dabei die Bestätigung des Reiseveranstalters vom 2. 11. 1992. Aufgrund dieses im November 1992 abgeschlossenen Vertrages leisteten der Kl. bzw. die Eheleute G am 14. 12. 1992 die Anzahlungen von 1400 DM und am 21. 6. 1993 die restlichen Zahlungen von 2657 DM und 3816 DM. Mit der Bekl. ist die Kammer der Auffassung, daß die vor dem 1. 1. 1993 abgeschlossenen Reiseverträge nicht in den Schutzbereich der Richtlinie fallen. Selbst bei rechtzeitiger Umsetzung in die nationale Gesetzgebung hätte ein ab dem 1. 1. 1993 geltendes neues nationales Reiserecht den Insolvenzschutz für den Kl. nicht mehr bewirken können, jedenfalls nicht müssen. Art. 9 Richtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um dieser Richtlinie spätestens am 31. 12. 1992 nachzukommen. Zwar hätte dieser in der Richtlinie genannte späteste Zeitpunkt die Bekl. nicht gehindert, die nationalen Gesetze schon zu einem früheren Zeitpunkt zu ändern. Darauf kommt es hier aber nicht an. Im Rahmen des Schadensersatzanspruches ist vielmehr entscheidend, wozu die Bekl. verpflichtet war. Damit ist entscheidungserheblich lediglich die Frage, welche Maßnahmen i.S. der Richtlinie die Bekl. bis zum 31. 12. 1992 treffen mußte. Nach der Richtlinie hatte die Bekl. jedoch nur die Pflicht, bis zum 31. 12. 1992 die gesetzlichen Grundlagen unter Berücksichtigung einer gewissen Vorlaufzeit für die Reise– und Versicherungsbranche so frühzeitig zu schaffen, daß die Insolvenzsicherung für die ab 1. 1. 1993 abgeschlossenen Reiseverträge auch tatsächlich ihre Wirkung hätte entfalten können. Aber selbst dann könnte der Kl. die Erstattung seiner Anzahlung vom 14. 12. 1992 nicht von der Bekl. verlangen.

16. Der Schadensersatzanspruch besteht aber auch hinsichtlich der Restzahlung vom 21. 5. 1993 nicht. Die Reise–Richtlinie bestimmt nicht, daß der Mitgliedstaat ab dem 1. 1. 1993 die Erstattung insolvenzbedingter Ausfälle garantieren muß, vielmehr erlegt Art. 7 dem Veranstalter und/oder dem Vermittler lediglich die Pflicht zum Nachweis der Sicherstellung gezahlter Beträge und Kosten für die Rückreise auf. Die Aufgabe der Mitgliedstaaten kann es deshalb lediglich gewesen sein, die Vertragsverhältnisse zwischen dem Veranstalter und dem Reisenden gesetzgeberisch (oder auf andere Weise) so zu gestalten, daß der Veranstalter zum Nachweis der Sicherstellung auch tatsächlich gezwungen werden kann. Dem Mitgliedstaat mag es zwar unbenommen gewesen sein, eine staatliche Garantieerklärung für Insolvenzfälle abzugeben. Ob eine solche staatliche Garantie einzelner Mitgliedstaaten wettbewerbsrechtlich bedenklich gewesen wäre, kann offenbleiben; die Mitgliedstaaten – und damit die Bekl. – waren hierzu jedenfalls nicht verpflichtet. Die Reise–Richtlinie wollte das Sicherungsmittel vielmehr in das Vertragsverhältnis der Reisevertragsparteien eingebettet wissen. Ebenso wie die Haftung der Veranstalter außerhalb der Insolvenzfälle (Art. 5 Richtlinie) sollte die Insolvenzsicherung schuldrechtlich zwischen den Vertragsparteien geregelt werden, wobei die Sicherheit für den Insolvenzfall naturgemäß nur durch unmittelbare Sicherheitsleistung des Veranstalters oder durch die Möglichkeit des direkten Zugriffs auf Dritte (Versicherungen) erzielt werden konnte. Der “Nachweis” der Sicherstellung sollte nach der Richtlinie in Erfüllung einer schuldrechtlichen Pflicht des Veranstalters erfolgen und allein dies sollte Vertragspflicht des Reiseveranstalters werden.

17. Die Begründung neuer Vertragspflichten muß – wie jedes Inkrafttreten eines neuen Gesetzes – einen bestimmten Wirksamkeitszeitpunkt, einen “zeitlichen Schnitt“ haben. Der Richtliniengeber hat sich – was die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu unterstützenden Maßnahmen betrifft – für den 31. 12. 1992 entschieden. Es gibt aber keinen anderen Anhaltspunkt dafür, daß er damit in die zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Vertragsverhältnisse eingreifen und den Veranstaltern auch nachträglich die zusätzliche Nachweispflicht auferlegen wollte. Dementsprechend kann auch der nationale Gesetzgeber aufgrund der Richtlinien nicht verpflichtet gewesen sein, per 31. 12. 1992 Gesetzesbestimmungen in Kraft zu setzen, die rückwirkend in bestehende Schuldverhältnisse eingreifen.

18. Die Kammer meint, daß es an dieser Rechtsauffassung keinen vernünftigen Zweifel geben kann, und hat deshalb auch keinen Anlaß gesehen, diese Frage ebenfalls gem. Art. 177 EGV dem EuGH vorzulegen (vgl. BVerfG, NJW 1988, 1456).

19. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EuGH vom 8. 10. 1996 zu der streitgegenständlichen Reise–Richtlinie. Soweit Huff (NJW 1996, 3190) ohne nähere Begründung die gegenteilige Auffassung vertritt und meint, die Entschädigungspflicht der Bekl. bestehe in allen Fällen, in denen ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Zahlungen nach dem 31. 12. 1992 geleistet worden seien, folgt die Kammer dem nicht. Die in den Raum gestellte Rechtsauffassung interpretiert das Urteil des EuGH ohne Bezug zu den Fragestellungen des Vorlagebeschlusses der Kammer und zum Inhalt der EG–Richtlinie. Wenn der EuGH in seinem Urteil unter den Tz. 50 und 55 ausführt, jedem Mitgliedstaat habe nach Art. 9 Richtlinie die Verpflichtung oblegen, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um für Pauschalreisende ab 1. 1. 1993 die Erstattung gezahlter Beträge und ihre Rückreise im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses des Veranstalters sicherzustellen, bedeutet dies nicht, daß dies auch für vor dem 1. 1. 1993 abgeschlossene Verträge gilt. Denn die dort getroffenen Feststellungen können nicht isoliert von den Fragen der Kammer in ihren Vorlagebeschlüssen gesehen werden. Der EuGH war von der Kammer gefragt worden, welche Mindestanforderungen an “erforderliche Maßnahmen” i.S. des Art. 9 Richtlinie nie zu stellen sind, ob es ausreichte, nur den gesetzlichen Rahmen für Sicherstellungsmaßnahmen i.S. des Art. 7 Richtlinie zum 1. 1. 1993 zur Verfügung zu stellen, oder ob hierfür erforderliche Gesetzesänderungen so frühzeitig in Kraft zu treten hatten, daß die Sicherstellung ab 1. 1. 1993 auch tatsächlich gewährleistet war. Nur in diesem Zusammenhang hat der EuGH die zitierten Feststellungen getroffen. Hiermit war aber nicht gemeint, daß der Mitgliedstaat auch Zahlungen in der Zeit nach dem 1. 1. 1993 für vorher abgeschlossene Verträge sicherstellen mußte; dies ergibt sich aus den Tz. 26 und 29 des genannten Urteils. Dort hat der EuGH in Einklang mit der Rechtsauffassung der Kammer klargestellt, daß die Mitgliedstaaten lediglich verpflichtet waren, Maßnahmen zur Umsetzung der getroffenen Richtlinie bis zum 31. 12. 1992 zu treffen, und zwar dergestalt, daß bis zu diesem Zeitpunkt die Verpflichtung zum Nachweis der Sicherstellung nicht erforderlich war. Demgemäß war es gerade nicht Sinn und Zweck der Richtlinie, in bereits geschlossene Verträge einzugreifen.

20. Aus diesem Grund hatte der Kl., der seinen Reisevertrag im November 1992 abschloß, keinen Anspruch gegen die Bekl. darauf, daß durch nationale Gesetzgebung ein Sicherungszwang für seine im Juni 1993 vorgenommene Restzahlung auf den bereits im Jahre 1992 abgeschlossenen Vertrag geschaffen wurde. Unerheblich ist auch hier wiederum, ob es im Rahmen des nationalen Verfassungs– und des Europäischen Gemeinschaftsrechtes zulässig gewesen wäre, einen rückwirkenden Sicherungszwang einzuführen. Verpflichtet war die Bekl. hierzu jedenfalls nicht. Das bisherige Gesetzgebungsverfahren zeigt, daß es auch bei früherer Einleitung des Verfahrens auf der nationalen Ebene zu einer solchen Rückwirkung nicht gekommen wäre.

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