Regulärer Streik des Flugpersonals als außergewöhnlicher Umstand

AG Köln: Regulärer Streik des Flugpersonals als außergewöhnlicher Umstand

Flugreisende forderten eine Ausgleichszahlung und Schadensersatz wegen einer Annullierung. Das Amtsgericht Köln setzte das Verfahren aus, um den Europäischen Gerichtshof zu fragen, ob Streik ein außergewöhnlicher Umstand ist.

AG Köln 142 C 224/17 (Aktenzeichen)
AG Köln: AG Köln, Urt. vom 27.08.2018
Rechtsweg: AG Köln, Urt. v. 27.08.2018, Az: 142 C 224/17
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Amtsgericht Köln

1. Urteil vom 27. August 2018

Aktenzeichen 142 C 224/17

Leitsatz:

2. Dem Europäischen Gerichtshof wird folgende Frage vorgelegt:

Ist ein von einer Gewerkschaft angekündigter, nach dem nationalen Recht regulärer Streik von eigenen Mitarbeitern eines ausführenden Luftfahrtunternehmens ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO 261/2004?

Zusammenfassung:

3. Der Kläger hatte für sich und seine Frau bei dem beklagten Flugunternehmen eine Flugreise von Düsseldorf nach Wien für den 27. Oktober 2016 gebucht. Am Vortag wurde der Kläger von der Beklagten informiert, dass sein Flug aufgrund eines Streiks der Gewerkschaft der Flugbegleiter annulliert worden war. Er fand sich dennoch am Flughafen ein, wo ihm jedoch kein Ersatzflug angeboten wurde. Er schaffte selbst Abhilfe und reiste mit der Bahn nach Wien. Für die Mehrkosten forderte er dann vor dem Amtsgericht Köln Erstattung, sowie eine Ausgleichszahlung gemäß der europäischen Fluggastrechteverordnung.

Das Gericht stellte zunächst fest, dass der Streik ursächlich für die Flugannullierung war. Dann war jedoch fraglich, ob dieser auch einen außergewöhnlichen Umstand darstellen und die Beklagte von der Ausgleichspflicht begründen konnte. Dies war für das Gericht fraglich, da die Verordnung angekündigten Streik zwar als Beispiel für solche Umstände nannte, nach bisheriger Rechtssprechung aber die Rechtmäßigkeit einer Arbeitskampfmaßnahme nicht immer entscheidend war. Außerdem war bei Tarifverhandlungen mit deren Scheitern und folgenden Streiks auch vorher zu rechnen, bzw. durch Einlenken der Fluggesellschaft letztere zu verhindern. Da die Frage entscheidungsrelevant war, setze das Gericht das Verfahren aus und legte sie dem europäischen Gerichtshof zur Beantwortung vor.

Tenor:

4. Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (im Folgenden: VO)  folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist ein von einer Gewerkschaft angekündigter, nach dem nationalen Recht regulärer Streik von eigenen Mitarbeitern eines ausführenden Luftfahrtunternehmens ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO ?

Gründe:

I.

5. Der Kläger nimmt die Beklagte, eine Fluggesellschaft, auf Ausgleichszahlung auf der Grundlage EG-VO 261/2004 (im Folgenden: VO) aus eigenem und aus abgetretenem Recht sowie auf Schadensersatz in Anspruch.

6. Der Kläger buchte für sich und seine Ehefrau über das Internetportal „www.C.de“ eine Flugbeförderung am 27.10.2016 von dem Flughafen Düsseldorf International nach Wien. Der Start des Fluges aaa war geplant für 7:20 Uhr. Am 20.10.2016 kündigte die Gewerkschaft Unabhängige Flugbegleiter Organisation e. V. (im Folgenden UFO) für die kommende Woche mögliche Streiks aufgrund von gescheiterten Tarifverhandlungen mit der Beklagten an. Am Vorabend des Abflugtages erhielt der Kläger die Information, dass der Flug aufgrund eines Streiks, zu dem die UFO aufgerufen hatte, annulliert wurde. Der Kläger fand sich am nächsten Tag am Flughafen ein, wo ihm ein Ersatzflug nicht angeboten wurde. In der Folge reisten er und seine Ehefrau mit der Deutschen Bahn nach Wien. Ihm entstanden Fahrtkosten in Höhe von 357,20 Euro, auf die 107,48 Euro erstattet wurden.  Mit Vertrag vom 24.07.2017 trat die Ehefrau des Klägers ihre Ausgleichsansprüche nach der VO gegen die Beklagte an den Kläger ab.

7. Der Kläger ist der Ansicht, ihm stünde aus eigenem und abgetretenem Recht neben der Erstattung der restlichen Kosten für die Bahnfahrt in Höhe von 249,72 Euro eine Ausgleichszahlung in Höhe von 500 Euro zu. Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 749,72 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.11.16 zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

8. Das Gericht hat zunächst Beweis erhoben über die Frage, ob Ursache der Annullierung ein Streik der Gewerkschaft UFO war. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Beklagte am 26.10.2016 um 18:00 informiert wurde, dass am 27.10.2017 an allen Stationierungsorten der Beklagten ein 24 Stunden Streik durchgeführt werden sollte, woraufhin die Beklagte einen Ersatzflugplan erstellte, es gleichwohl aber zu einer Streichung von 420 Flügen kam, darunter der streitgegenständliche Flug aaa von Düsseldorf nach Wien.

II.

9. Der Erfolg des Klageantrages in Hinblick auf die begehrten Ausgleichszahlungen in Höhe von 500,00 Euro hängt nunmehr davon ab, ob der Streik der Gewerkschaft UFO am 27.10.2017, an dem auch die Flugbegleiter der Beklagten teilnahmen,  einen außergewöhnlichen Umstand nach Art. 5 Abs. 3 VO darstellt.

10. Gemäß Art. 5 Abs. 3 VO entfällt der Anspruch auf Ausgleichszahlung, wenn die Annullierung des Fluges auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Dabei ist Art. 5 Abs. 3 VO als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Ein außergewöhnlicher Umstand liegt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes vor, wenn ein Ereignis nicht dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge entspricht, sondern außerhalb dessen liegt, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden sein kann. Nach dem 14. Erwägungsgrund der VO können außergewöhnliche Umstände insbesondere politische Instabilität, mit dem Flug nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwartete Flugsicherheitsmängel und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigende Streiks sein. Der Gerichtshof hat weiter klargestellt, dass die in diesem Erwägungsgrund genannten Umstände nicht unbedingt und automatisch Gründe für die Befreiung von der Ausgleichspflicht darstellen. Er hat weiter festgestellt, dass außergewöhnliche Umstände bei solchen Vorkommnissen vorliegen können, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und sich von ihm aufgrund ihrer Natur oder Ursache tatsächlich nicht beherrschen lassen (EuGH, „Wallentin-Hermann“, Rs. C-549/07, Urteil v. 22.12.2008; sowie EuGH, „Siewert“, Rs. 394/14, Beschluss v. 14.11.2014; EuGH, „van der Lans“, Rs. C-257/14, Urteil v. 17.9.2015, zuletzt EuGH, „Peskova“, Rs. C-315/15, Urteil vom 04.05.2017, alle zitiert nach juris). Es müssen danach für einen außergewöhnlichen Umstand zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Das Vorkommnis darf der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens nicht „innewohnen“ und es darf aufgrund seiner Natur oder Ursache von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht beherrschbar sein.

11. Der Streik wird als Beispiel für einen außergewöhnlichen Umstand ausdrücklich im 14. Erwägungsgrund der VO genannt. Eine Differenzierung danach, ob ein Streik von eigenen Mitarbeitern des Luftfahrtunternehmens oder Dritten, also etwa Fluglosten, Sicherheitspersonal etc., durchgeführt wird, enthält der Erwägungsgrund nicht. Dem Wortlaut des 14. Erwägungsgrundes ist auch kein Anhalt dafür zu entnehmen, ob nur eine bestimmte Form des Streiks ein außergewöhnlicher Umstand sein kann. Die VO differenziert seinem Wortlaut nach nicht danach, ob sich ein Streik innerhalb der jeweiligen nationalen Regelungen der Mitgliedstaaten über Arbeitskämpfe hält oder nicht bzw. von einer Gewerkschaft geführt wird oder nicht. Er hat daher angenommen, dass es sich bei einem „wilden Streik“ in Form von massenhaften Krankmeldungen, der in Folge einer überraschenden Ankündigung von Umstrukturierungsplänen durchgeführt wurde, um keinen außergewöhnlichen Umstand gemäß Art. 5 Abs. 3 VO handelt (EuGH „Krüsemann“, Rs. C 195/17, Urteil v. 17.04.2018, zitiert nach juris). Der Gerichtshof führt aus, dass Umstrukturierungen und betriebliche Umorganisationen zu den normalen betriebswirtschaftlichen Maßnahmen von Unternehmen gehören, sodass es nicht ungewöhnlich ist, dass sich Luftfahrtunternehmen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten mit ihren Mitarbeitern oder einem Teil von ihnen gegenübersehen können, sodass die Risiken, die sich aus den mit solchen Maßnahmen einhergehenden sozialen Folgen ergeben, als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens zu betrachten sind. Er stellt zudem fest, dass der „wilde Streik“ auf eine Entscheidung des genannten Luftfahrtunternehmens zurückzuführen und somit auch eine tatsächliche Beherrschbarkeit anzunehmen war. Er führt weiter aus, dass diese Erwägung durch die Einstufung der Vorgehensweise der Belegschaft als „wilder Streik“ im Sinne des einschlägigen deutschen Arbeits- und Tarifrechts, die darauf beruht, dass sie nicht offiziell von einer Gewerkschaft initiiert wurde, nicht in Frage gestellt wird. Würde nämlich zur Klärung der Frage, ob Streiks als außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art 5 Abs. 3 VO einzustufen sind, darauf abgestellt, ob sie nach dem einschlägigen nationalen Recht rechtmäßig sind oder nicht, hätte dies zur Folge, dass der Anspruch von Fluggästen auf Ausgleichszahlung von den arbeits- und tarifrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates abhinge; dadurch würden die in den Erwägungsgründen 1 und 4 der VO genannten Ziele beeinträchtigt, ein hohes Schutzniveau für die Fluggäste sowie harmonisierte Bedingungen für die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in der Union sicherzustellen.

12. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung stellt sich für das erkennende Gericht nunmehr die Frage, ob der Streik der Mitarbeiter eines Luftfahrtunternehmens überhaupt als außergewöhnlicher Umstand anzuerkennen ist; denn wenn die Rechtmäßigkeit einer Arbeitskampfmaßnahme nicht als ausschlaggebendes Kriterium für die Beurteilung, ob ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt, herangezogen werden kann, macht es keinen Unterschied ob es sich um einen regulären oder „wilden“ Streik handelt, da es in dem einen wie dem anderen Fall bei den einen Streik auslösenden Umständen, wie Arbeitsbedingungen, Entlohnung etc., um solche handelt, die im normalen Geschäftsbetrieb eines jeden Unternehmens eine Rolle spielen. Dabei ist es nicht unüblich, dass im Falle des Scheiterns von Verhandlungen zwischen Gewerkschaft und Unternehmen zu Streikaufrufen und Streiks kommt. Das Risiko, dass es zu Streils kommt, ist danach insgesamt als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens zu betrachten. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass in steter Regelmäßigkeit Tarifverhandlungen geführt werden. Hinzu kommt, dass Streiks meist schon im Vorfeld angekündigt werden. Mit Streiks muss also grundsätzlich bei jeder Tarifverhandlung gerechnet werden. Insoweit handelt es sich also um ein typisches, in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit zu erwartendes Ereignis. Des Weiteren ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofes auch eine tatsächliche Beherrschbarkeit anzunehmen. Ob ein Luftfahrtunternehmen durch das Eingehen auf Tarifforderungen einen Streik vermeidet oder abkürzt, steht im Ermessen des Unternehmens.

13. Der Bundesgerichtshof ist in seinem Urteil vom 21.08.2012 hingegen zu dem Ergebnis gelangt, dass es keinen Unterschied macht, ob ein Streik der eigenen Mitarbeiter vorliegt oder sich ein Streik der Mitarbeiter eines Dritten auf den Betrieb des Luftfahrtunternehmens auswirkt (BGH, Urt. v. 21. 8. 2012, NJW 2013, 374). In beiden Fällen wirke der Streikaufruf und der Streik selbst von „außen“ auf das Unternehmen ein. Dieser Betrachtung ließe sich entgegenhalten, dass es bei Frage, ob ein Umstand dem Betrieb „innewohnt“ nicht auf die Perspektive des betroffenen Luftfahrtunternehmens ankommt, sondern auf die Perspektive des Fluggastes, da die VO ein hohes Schutzniveau für den Fluggast bezweckt. Aus der Sicht des Fluggastes handelt es sich aber um ein betriebsinternes Problem des Luftfahrtunternehmens, während es sich bei einem Streik von Dritten auch aus seiner Sicht um ein von außen auf den Betrieb einwirkendes Ereignis handelt.

14. Neben der Frage, ob es sich bei dem Streik der eigenen Mitarbeiter um einen dem normalen Betrieb innewohnenden Umstand handelt, hat der der Bundesgerichtshof in der genannten Entscheidung ausgeführt, dass der Streik der Mitarbeiter für das Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar sei: Auf die Forderungen der Mitarbeiter einzugehen würde das Luftfahrtunternehmen dazu zwingen sich von vornherein in die Rolle des Unterlegenen zu begeben und würde das Unternehmen in seiner unionsrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit tangieren. Dieser Ansicht steht nach Auffassung des Gerichtes nunmehr das Urteil des Gerichtshofes vom 17.04.2018 entgegen, in dem ausgeführt wird, dass der Ausgleichsanspruch nicht von nationalen arbeitsrechtlichen Vorschriften abhängen kann.

15. Nach Auffassung des erkennenden Gerichtes ergibt sich aus Art. 5 Abs. 3 der VO insbesondere dem Erwägungsgrund 14 der VO sowie unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH sowie der Rechtsprechung des BGH und unter Berücksichtigung der dargelegten Argumente nicht mit der gebotenen Sicherheit für eine eigene europarechtskonforme Auslegung, ob ein von einer Gewerkschaft angekündigter, nach nationalem Recht regulärer Streik von eigenen Mitarbeitern eines ausführenden Luftfahrtunternehmens einen außergewöhnlichen Umstand begründen kann, so dass diese Frage dem Gerichtshof mit der Bitte um Beantwortung vorgelegt wird.

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