Zumutbarkeit der Vorhaltung von Ersatzmaschinen für große Fluggesellschaft

AG Frankfurt: Zumutbarkeit der Vorhaltung von Ersatzmaschinen für große Fluggesellschaft

Flugreisende forderten eine Ausgleichszahlung für 3 Stunden Flugverspätung. Die Airline verwies auf schlechtes Wetter als außergewöhnlichen Umstand. Da sie aber nicht nachwies, alles Zumutbare zur Vermeidung der Verspätung unternommen zu haben, wurde sie zur Zahlung verurteilt.

AG Frankfurt 30 C 3979/13 (75) (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 31.10.2014
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 31.10.2014, Az: 30 C 3979/13 (75)
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Amtsgericht Frankfurt am Main

1. Urteil vom 31. Oktober 2014

Aktenzeichen 30 C 3979/13 (75)

Leitsatz:

2. Schlechte Wetterbedingungen befreien die Fluggesellschaft nicht von der Ausgleichspflicht für Annullierungen und Verspätungen, wenn sich die Beeinträchtigung des Flugplanes schon am Vortag ankündigt, sie aber bei einer Flottengröße von 24 Flugzeugen keine Ersatzmaschinen bereithält.

Zusammenfassung:

3. Flugreisende forderten eine Ausgleichszahlung für die 3-stündige Verspätung ihres Fluges. Die Fluggesellschaft versuchte, sich von der Augleichspflicht zu befreien, indem sie auf widrige Wetterbedingungen als außergewöhnliche Umstände verwies.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main gab der Klage statt. Ob die widrigen Wetterbedingungen einen außergewöhnlichen Umstand darstellten musste es nicht entscheiden, da die beklagte Fluggesellschaft nicht dargelegt hatte, dass sie alles unternommen hatte, um die Verspätung zu verhindern. Denn einerseits hatten die Bedingungen schon am Vortrag des Fluges geherrscht und es wäre somit eine Beeinflussung des Flugumlaufes absehbargewesen. Mit 24 Flugzeugen war die Flotte andererseits groß genug, dass die Bereithaltung einer Ersatzmaschine zumutbar gewesen wäre. Daher erhielten die Kläger jeweils 250,- €.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger zu 1. und 2. jeweils einen Betrag in Höhe von 250,00 Euro, insgesamt 500,00 Euro, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.01.2014 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für die Kläger aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

5. Die Kläger nehmen die Beklagte auf Zahlung von Ausgleichsleistungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 (im Folgenden: EGV 261/2004) wegen nicht ordnungsgemäß erbrachter Flugleistungen in Anspruch.

6. Die Kläger buchten bei der Beklagten für den … einen Flug von … nach … (Flugnummer …). Die Distanz zwischen … und … beträgt weniger als 1.500 km

7. Geplanter Abflug in … war am … um … Uhr, geplante Ankunft in … war um … (Ortszeit). Tatsächlich fand der Abflug erst um … Uhr statt. Die Maschine landete am … um … Uhr (Ortszeit) in …. Die Ankunftsverspätung am Zielflughafen … betrug mehr als drei Stunden.

8. Die Beklagte unterhält bei einer Flotte von zumindest 24 Flugzeugen keine eigene Ersatzmaschine.

9. Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1. einen Betrag in Höhe von 250,00 Euro und an den Kläger zu 2. einen Betrag in Höhe von 250,00 Euro, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

10. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11. Die Beklagte behauptet, dass die Verspätung des Fluges auf widrige Wetterbedingungen im Rahmen eines Vorfluges zurückzuführen sei. Da die Beklagte wegen starken Windes am Vortag nicht in … habe landen können, seien Flüge teilweise nach … und … umgeleitet worden, was zu einer Veränderung des gesamten Flugumlaufs geführt habe. Ursprünglich sei zwischen dem letzten Flug am … und dem ersten Flug am … aber eine ausreichend hohe Zeitreserve eingeplant worden. Bezüglich der konkreten Zeiten der einzelnen Flugumläufe wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom … (Bl. … d. A.) verwiesen.

12. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenbestandteile sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

13. Die zulässige Klage ist begründet.

14. Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Ausgleichsanspruch in Höhe von jeweils 250,00 Euro gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) analog, Art. 6 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. a) EGV 261/2004 wegen Verspätung des Fluges.

15. Die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch nach diesen Vorschriften liegen vor.

16. Nach der Rechtsprechung des EuGH haben auch Fluggäste verspäteter Flüge einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 EGV 261/2004, wenn sie – wie hier – wegen der Verspätung einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden (EuGH, Urt. v. 19.11.2009 – Rs. C-​402/07 -, Tenor Ziffer 2; EuGH, Urt. v. 23.10.2012, Az. C-​581/10 und C-​629/10, C-​581/10, C-​629/10).

17. Die Beklagte ist von ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Ausgleichsleistungen nicht nach Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 befreit.

18. Die Beklagte kann sich nicht auf Leistungsfreiheit wegen eines außergewöhnlichen Ereignisses als Ursache für die Verspätung nach Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 berufen. Dabei kann dahinstehen, ob widrige Wetterbedingungen am Vortag, welche zu einer Veränderung des Flugumlaufs führen, einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Verordnung darstellen.

19. Denn jedenfalls unterlässt es die Beklagte darzulegen, dass sich die Verspätung auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Dabei obliegt es der Beklagten als Luftverkehrsunternehmen, darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass es ihr auch unter Einsatz aller ihr zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel offensichtlich nicht möglich gewesen wäre, ohne angesichts der Kapazitäten des Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer die außergewöhnlichen Umstände zu vermeiden, mit denen sie konfrontiert war und die zur Annullierung bzw. Verspätung des Fluges geführt haben (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2008 – C-​549/07, Slg. 2008 I 11061 Rn 40 f.; BGH, Urteil vom 14.10.2010, Xa ZR 15/10, Rn. 29).

20. Vorliegend wäre es für die Beklagte zumutbar gewesen, eine Ersatzmaschine bereitzuhalten und einzusetzen. Dies gilt zumindest für die Flüge vom …, da sich ausweislich des Vortrags der Beklagtenseite bereits am … aufgrund der Wetterbedingungen abzeichnete, dass es zu einer erheblichen Verspätung des gesamten Flugumlaufs – auch noch am Folgetag – kommen würde.

21. Die Beklagte trägt selbst vor, dass bereits der Flug von … nach … im Rahmen des Vorumlaufs am … mit einer Verspätung von mehr als sechs Stunden – nämlich statt um … Uhr um … Uhr – in … gelandet ist. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte es der Beklagten oblegen, entsprechend zu reagieren und zumindest für den Folgetag eine Ersatzmaschine einzusetzen. Abweichend von der Entscheidung des BGH vom 12.06.2014, Az. X ZR 104/13, erachtet es das Gericht als dem Flugbetrieb geradezu immanent, dass dieser ständig mit schlechten Wetterbedingungen konfrontiert wird, die – mögen sie auch einen außergewöhnlichen Umstand darstellen – gerade bei engmaschigen Flugumläufen zu erheblichen Verspätungen führen. Aus diesem Grunde sind von den Fluggesellschaften gerade entsprechende Vorsorgemaßnahmen zu treffen und zumindest ab einer gewissen Flottengröße – wie vorliegend von zumindest 24 Maschinen – eine zumutbare Anzahl an Ersatzmaschinen vorzuhalten.

22. Für das Gericht erscheint nicht nachvollziehbar, warum der BGH mit Urteil vom 12.06.2014 entscheiden konnte, ohne die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen, zumal auch die Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen vom 02.07.2009, Az. C-​402/07, angeführt hat, dass das Vorhalten von Ersatzmaschinen grundsätzlich zu den zumutbaren Maßnahmen zähle.

23. Das Gericht selbst hat hier keine Vorlagepflicht, da es sich vorliegend – wegen Zulassung der Berufung – nicht um eine letztinstanzliche Entscheidung handelt.

24. Die zugesprochenen Zinsen stehen der Klägerin als Verzugsschaden gemäß den §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1, 288 BGB zu.

25. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Maßgabe in §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1 und 2, 711 ZPO.

26. Die Berufung war gemäß § 511 Abs. 4 S. 1 ZPO zuzulassen.

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