Schadensersatzansprüche bei Kündigung des Vertrags wegen Flugannullierung

LG Hannover: Schadensersatzansprüche bei Kündigung des Vertrags wegen Flugannullierung

Der Kläger hatte bei der Beklagten eine Reise gebucht, die diese wegen ausfallender Flüge stornierte. Der Reisepreis wurde rückerstattet. Der Kläger verlangt darüber hinaus Schadensersatz und Aufwendungsersatz.

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Die Beklagte sei zum Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit verpflichtet, nicht jedoch zum Ersatz der Kosten der Ersatzreise.

LG Hannover 8 O 299/16 (Aktenzeichen)
LG Hannover: LG Hannover, Urt. vom 11.01.2017
Rechtsweg: LG Hannover, Urt. v. 11.01.2017, Az: 8 O 299/16
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Landgericht Hannover

1. Urteil vom 11. Januar 2017

Aktenzeichen 8 O 299/16

Leitsatz:

2. Ein wilder Streik beim vom Reiseveranstalter eingesetzten Flugunternehmen berechtigt nur zum Storno des Reisevertrages, wenn ausreichend dargelegt wird, dass die Reise nicht durchführbar war.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger hatte bei der Beklagten für sich und seine Familie eine Reise auf die Kanarischen Inseln gebucht, die diese wegen ausfallender Flüge stornierte. Der Reisepreis wurde rückerstattet. Der Kläger buchte eine Ersatzreise in die Türkei. Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit und Aufwendungsersatz für die Ersatzbuchung.

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Die Beklagte sei zum Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit verpflichtet. Der wilde Streik bei der als Erfüllungsgehilfin genutzten Fluggesellschaft entschuldige die Stornierung nicht, da es sich nicht um ein externes Ereignis handele. Es bestehe aber kein Ersatzanspruch hinsichtlich der Kosten der Ersatzreise, da das Interesse des Klägers mit dem Schadensersatz abgegolten sei.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1.) einen Betrag in Höhe von 918,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2016 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 2.) einen Betrag in Höhe von 126,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2016 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 3.) einen Betrag in Höhe von 37,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2016 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 4.) einen Betrag in Höhe von 37,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2016 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreites haben der Kläger zu 1.) 81 %, der Kläger zu 2.) 2 %, die Kläger zu 3.) und 4.) je 0,5 % und die Beklagte 16 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Kostenschuldner bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

5. Der Kläger zu 1.) nimmt die Beklagte nach deren Kündigung des Reisevertrages aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Ehefrau auf Schadensersatz wegen nutzlos vertaner Urlaubszeit sowie Erstattung der Mehrkosten einer Ersatzreise in Anspruch. Seine drei Kinder begehren ebenfalls Schadensersatz gemäß § 651 f Abs. 2 BGB.

6. Der Kläger zu 1.) buchte im November 2015 für sich, seine Ehefrau und die drei Kinder (Kläger zu 2. bis 4.) bei der Beklagten eine Flugpauschalreise für die Zeit vom 08.10. – 22.10.2016 nach Fuerteventura in den …-​Club … Beach Resort – all inclusive – zu einem Gesamtreisepreis von 4.474,00 €. Von dem Gesamtreisepreis entfielen auf den Kläger und seine Frau je 1.836,00 €, auf den Kläger zu 2.) 504,00 € und auf die beiden Kläger zu 3.) und 4.) je 149,00 €. Der Hinflug von Stuttgart nach Fuerteventura am 08.10.2016 sollte unter der Flugnummer … von der Fluggesellschaft … durchgeführt werden. Anstelle weiterer Einzelheiten wird auf die Buchungsbestätigung, Bl. 7f. d. A., Bezug genommen.

7. Am Abend des 30.09.2016, einem Freitag, informierte der Aufsichtsratsvorsitzende von … sämtliche Mitarbeiter in einem „Management Letter“ (Anlage B 1, Anlagenband Beklagte) darüber, dass die Geschäftsleitung Gespräche mit der Fluggesellschaft „…“ über eine Zusammenarbeit führe. Die … (…) berichtete darüber in ihrer Ausgabe vom 01.10.2016 unter der Überschrift „… soll neue Eigentümer bekommen – Airline will offenbar bei … unterschlüpfen“ (Anlage B 2, Anlagenband Beklagte). Noch am 30.09.2016 bildete sich ein „Krisenstab der Arbeitnehmervertreter“, der sich mit einer Mitteilung an die Mitarbeiter der Fluggesellschaft wandte (Anlage B 3). Der „Krisenstab“ wollte sich namentlich dagegen wehren, dass „unsere …“ veräußert wird.

8. Daraufhin erfolgten bei der Fluggesellschaft ab dem 02.10.2016 stetig steigende Krankmeldungen, deren Umfang zwischen den Parteien jedoch streitig ist.

9. Ab dem 04.10.2016 verhandelte die Geschäftsleitung der Fluggesellschaft mit den Arbeitnehmervertretern.

10. Am 05.10.2016 annullierte die … die für den 05. und 06.10. vorgesehenen Hinflüge in Urlaubsgebiete teilweise und die für den 07. bzw. 08.10.2016 vorgesehenen Hinflüge vollständig und informierte die Beklagte darüber.

11. Dem Kläger zu 1.) gegenüber erklärte die Beklagte am 07.10.2016 die Kündigung des Reisevertrages. Den Reisepreis erstattete sie in voller Höhe.

12. Am Abend des 7.10.2016 (Freitag) verständigten sich die Geschäftsleitung und die Arbeitnehmervertreter. In der Folge sollte der Flugbetrieb wieder aufgenommen werden und bis Sonntag planmäßig erfolgen (Anlagen B 7 a bis 7 c).

13. Der Kläger buchte für sich, seine Ehefrau und die Kläger zu 2.) bis 4.) für die Zeit vom 10.10. bis 23.10.2016 eine Reise in die Türkei in den … Club … zu einem Reisepreis von insgesamt 9.095,00 €. Anstelle weiterer Einzelheiten wird auf die Buchungsbestätigung, Bl. 9 d. A., Bezug genommen.

14. Der Kläger zu 1. beansprucht Erstattung der Mehrkosten der ersatzweise gebuchten Reise in Höhe von 4.621,00 € sowie aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Ehefrau Schadensersatz wegen nutzlos vertaner Urlaubszeit in Höhe von 50% des Reisepreises, mithin zusammen 1.836,00 €. Die Kläger zu 2.) bis 4.) machen ebenfalls Schadensersatzansprüche gemäß § 651 f Abs. 2 BGB in Höhe von 50% geltend.

15. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 29.10.2016 forderten die Kläger die Beklagten auf, binnen einer Frist von 15 Tagen Schadensersatz in Höhe von insgesamt 6.858,00 € zu leisten.

16. Die Kläger bestreiten den gesamten Vortrag der Beklagten zur Entwicklung eines „wilden Streiks“, den Informationen und Presseberichten sowie den vorgetragenen Bemühungen, der Situation Herr zu werden, mit Nichtwissen.

17. Die Kläger beantragen,

1.

18. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1.) 6.457,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu bezahlen;

2.

19. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 2.) 252,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu bezahlen;

3.

20. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zu 3.) und 4.) jeweils 74,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu bezahlen;

4.

21. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu 1.) von Honoraransprüchen seines Prozessbevollmächtigten für die vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 650,34 € freizustellen.

22. Die Beklagte beantragt,

23. die Klage abzuweisen.

24. Die Beklagte meint, die Kündigung des Reisevertrages sei wegen höherer Gewalt i. S. d. § 651 j BGB berechtigt gewesen.

25. Sie behauptet, die Zahl der Krankmeldungen habe beim Cockpit-​Personal der Fluggesellschaft … am 03.10.2016 93 betragen, was gegenüber dem Üblichen einer Steigerung um 300% entspreche. Am 04.10. hätten sich 123 Personen, am 05.10. 194 und am 06.10. 225 Personen des Cockpitpersonals krank gemeldet, wobei die Steigerung gegenüber der durchschnittlich üblichen Rate am 06.10.2016 750% betragen habe.

26. Beim Kabinenpersonal habe sich die Zahl der krankgemeldeten Mitarbeiter vom 04.10. auf den 05.10.2016 um 100% auf 227 Personen und am 06. u. 07.10.2016 auf 350 Krankmeldungen gesteigert.

27. Beim Cockpitpersonal habe daher am 03.10. 41% und am 07.10. 89% bzw. am 08.10. 67% des diensthabenden Personals und beim Kabinenpersonal zwischen 28% am 03.10. und 62 bzw. 61% am 07./08.10.2016 nicht zur Verfügung gestanden.

28. Für den 08.10.2016 hätten 56 Flüge annulliert werden müssen, für welche es nicht möglich gewesen sei, eine Ersatzbeförderung zu bekommen. Die Beklagte bzw. die Fluggesellschaft hätten alles getan, um Flug- und Reiseausfälle zu vermeiden. Im Zeitraum vom 02.10. bis 09.10.2016 seien 49 Subcharter-​Flugzeuge nebst Crew (sog. „Wet Lease“) von anderen Fluggesellschaften gechartert worden. Zudem habe die Beklagte im Wege des Voll- und Teilcharter sämtliche am Markt verfügbaren Flugplätze eingekauft, um Gäste anderweitig zu befördern, wobei es gelungen sei, zusätzlich 44 Flüge (von 6 verschiedenen Airlines) als Vollcharter zu gewinnen und weitere insgesamt 2.996 Flugplätze als Teilcharter für verschiedene Zielgebiete einzukaufen.

29. Es habe sich bei den Geschehnissen in der Zeit vom 02.10. bis 09.10.2016 um einen wilden Streik gehandelt. Sie ist der Ansicht, die Streichung der Hinflüge für den 07. und 08.10.2016 habe sie dazu berechtigt, die Reiseverträge wegen höherer Gewalt zu kündigen. Schadensersatzansprüche nach § 651 f BGB kämen nicht in Betracht. Da die Beklagte bzw. ihr Leistungsträger alles getan hätten, um die Durchführung des Hinfluges zu ermöglichen, fehle es an einem Verschulden. Soweit der Kläger eine andere Reise beanspruche, handele es sich um eine erheblich höherwertige Reise. Auch fehle es an einer Fristsetzung. Überdies sei der Schadensersatzanspruch nach § 651 f Abs. 2 BGB mit 50% des Reisepreises jedenfalls zu hoch bemessen.

30. Die Klage ist der Beklagten am 28.12.2016 zugestellt worden.

31. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

32. Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

I.

33. Die Kläger haben gegen die Beklagte Anspruch auf Schadensersatz wegen nutzlos vertaner Urlaubszeit gemäß § 651 f Abs. 2 BGB, der Kläger zu 1.) in Höhe von 918,00 €, der Kläger zu 2.) in Höhe von 126,00 € und die Kläger zu 3.) und 4.) in Höhe von jeweils 37,24 €.

a)

34. Zwischen den Parteien bestand ein wirksamer Reisevertrag. Nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien war die Beklagte insbesondere verpflichtet, die Kläger am 08.10.2016 vom Flughafen Stuttgart mit dem Flug … der Fluggesellschaft … nach Fuerteventura zu befördern, für die Zeit vom 08. bis 22.10.2016 die Unterbringung in einem Familienzimmer des Club-​Hotels … Beach Resort sowie all-​inclusive Verpflegung zu gewährleisten und den Rückflug am 22.10.2016 durchzuführen.

b)

35. Diese Vertragsverpflichtungen hat die Beklagte nicht erfüllt und die Reise abgesagt, obwohl sie hierzu nicht berechtigt war. Die bei der Beklagten gebuchte Reise ist durch einen der Beklagten zuzurechnenden Umstand vereitelt worden, da die Beklagte den Reisevertrag zu Unrecht gekündigt hat.

36. Die gegenüber den Klägern am 07.10.2016 erklärte Kündigung war nicht wirksam. Die Voraussetzungen des § 651 j BGB lagen nicht vor. Die (behauptete) Vielzahl von Krankmeldungen des Flugpersonals bei der als Leistungserbringerin eingesetzten Fluggesellschaft … stellt keine höhere Gewalt im Sinne der vorgenannten Vorschrift dar.

37. Gemäß § 651 j BGB ist der Reiseveranstalter berechtigt, den Reisevertrag zu kündigen, wird die Reise infolge bei Vertragsabschluss nicht voraussehbarer höherer Gewalt erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt. Höhere Gewalt setzt grundsätzlich ein von außen kommendes, betriebsfremdes Ereignis voraus, dass auch bei äußerster vernünftiger Weise zu erwartender Sorgfalt nicht abwendbar war (vgl. BGH, Urt. v. 12.03.1987, VII ZR 172/86, BGHZ 100, 185; Führich, 7. Auflage § 15 Rn. 10).

38. Die massenweise Krankmeldung von Beschäftigten des fliegenden Personals der als Erfüllungsgehilfin i. S. d. § 278 BGB eingesetzten Fluggesellschaft ist im vorliegenden Fall kein betriebsfremdes, von außen kommendes Ereignis im vorgenannten Sinne.

39. Anders als etwa ein Streik Dritter, wie etwa der Fluglotsen oder des Flughafenpersonals, beschränkte sich das Phänomen auf das fliegende Personal der Leistungsträgerin und lag damit in der Sphäre der Beklagten. Der enge zeitliche Abstand zwischen dem Management-​Letter, dem Brief des Krisenstabes der Arbeitnehmer vom 30.09.2016 und dem dann ansteigenden ungewöhnlich hohen Krankenstand, spricht nach den Grundsätzen des ersten Anscheins für einen „wilden“ Streik bzw. eine „streikähnliche Aktion“ i. S. eines sog. „sick-​out“ (vgl. zu letzterem BGH, Urt. v. 31.01.1978, VI ZR 32/77, juris). Anhaltspunkte dafür, dass es sich nicht um ein unzulässiges Streikgeschehen in Form einer abgestimmten Arbeitsniederlegung durch gehäufte Krankmeldungen handeln könnte, sondern dass das Personal der Beklagten tatsächlich von einer Krankheitswelle erfasst worden wäre, bestehen nicht. Die Beklagte hat dazu vorgetragen, dass es bei dem Bodenpersonal keine nennenswerten Krankmeldungen gegeben habe. Auch der Umstand, dass die Krankmeldungen ab dem 9. Oktober rapide zurückgingen, nachdem die Betriebsangehörigen von einer Verständigung unterrichtet worden waren, deutet auf eine gezielte Arbeitskampfmaßnahme hin. Da diese auf den Bereich des Flugpersonals der … beschränkt war, handelte es sich um einen internen Vorgang, der der Sphäre der Beklagten unterfällt.

c)

40. Die Beklagte hat den durch die Nichterfüllung begründeten Reisemangel auch zu vertreten. Das Verschulden der Beklagten bzw. ihrer Erfüllungsgehilfin wird gemäß § 651 f Abs. 1, 2. HS BGB vermutet. Die Beklagte hat nicht ausreichend dargelegt, dass der Reisemangel auf einem Umstand beruht, den sie bzw. ihre Erfüllungsgehilfin nicht zu vertreten haben.

41. Die Beklagte hat nicht ausreichend dargelegt, dass die bereits am 05.10.2016 erfolgte Annullierung des gebuchten Fluges am 08.10.2016 nicht auf andere Weise hätte vermieden werden können. Namentlich ist nicht hinreichend dargetan, weshalb die Leistungsträgerin bereits am 05.10. eine Annullierung sämtlicher Hinflüge aus Deutschland in die Urlaubsgebiete für den 07. und 08.10.2016 vornahm. Ferner fehlt es an konkretem Vortrag dazu, warum für den gebuchten Flug nicht auf die an den Vortagen eingesetzten Maschinen der Subcharter zurückgegriffen werden konnte und inwieweit die bei Drittanbietern hinzugekauften freien Plätze am 08.10.2016 und insbesondere für die gebuchte Flugstrecke nicht zur Verfügung standen. Insgesamt lässt der Vortrag der Beklagten nicht erkennen, dass eine – ggf. um wenige Tage verspätete – Beförderung der Kläger an den Urlaubsort und mithin ein Erbringen der übrigen geschuldeten Reiseleistungen ausgeschlossen gewesen wäre.

d)

42. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 651 f Abs. 2 BGB ist ferner, dass Urlaubszeit nutzlos aufgewendet worden ist. Dies ist der Fall, da die Reise der Erholung dienen sollte und dieser Zweck verfehlt wurde. Dem steht grundsätzlich nicht entgegen, dass die Kläger in der Zeit vom 10. bis 23.10.2016 eine Ersatzreise angetreten haben. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 11.01.2005, X ZR 118/03, juris, Rn. 23) kann der Reisende auch bei Antritt einer Ersatzreise eine Entschädigung nach § 651 f Abs. 2 BGB verlangen. Es kommt nicht darauf an, wie der Reisende die ursprünglich für die gebuchte Reise vorgesehene Zeit verbracht hat.

e)

43. Eines Abhilfeverlangens mit Fristsetzung vor Buchung der Ersatzreise gemäß § 651 c Abs. 3 BGB bzw. einer Mängelanzeige i. S. d. § 651 d Abs. 2 BGB bedurfte es nicht.

aa)

44. Eine Mängelanzeige war entbehrlich, weil dem Reiseveranstalter der Mangel bekannt war. Mit der Kündigung des Reisevertrages hat er ihn selbst herbeigeführt. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 19.07.2016, X ZR 123/15, juris, Rn. 17) die Anzeige eines Reisemangels grundsätzlich nicht schon deshalb entbehrlich, weil der Reiseveranstalter den Mangel kennt. Vorliegend ist nach den Grundsätzen von Treu und Glauben jedoch auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte den Mangel durch die (unberechtigte) Kündigung selbst herbeigeführt hat. Sie hat damit konkludent und eindeutig zu verstehen gegeben, an einer Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses nicht interessiert zu sein. Eine Mängelanzeige würde in dieser Situation eine bloße Förmelei darstellen.

bb)

45. Eine Fristsetzung zur Abhilfe gemäß § 651 c Abs. 3 BGB, war ebenfalls entbehrlich. Gemäß § 651 c Abs. 3 S. 2 BGB bedarf es der Fristsetzung nicht, wenn die Abhilfe vom Reiseveranstalter verweigert wird oder die sofortige Abhilfe durch ein besonderes Interesse des Reisenden geboten ist. Gegebenenfalls kann auch das Abhilfeverlangen entbehrlich sein, wenn der Reiseveranstalter von vornherein unmissverständlich zu erkennen gibt, zur Abhilfe nicht bereit zu sein, wobei sich eine solche Verweigerung auch aus den Umständen ergeben kann (BGH, Urt. v. 17.04.2012, X ZR 76/11, juris, Rn. 23). Mit Ausspruch der Kündigung hat der Reiseveranstalter konkludent eine Abhilfe verweigert und unmissverständlich zu erkennen gegeben, zu einer – durch Abhilfe modifizierten – Durchführung des Vertrages nicht bereit zu sein.

f)

46. Die Ansprüche sind mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 29.10.2016 rechtzeitig innerhalb der Frist des § 651 g Abs. 1 BGB geltend gemacht worden.

2.

47. Bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung war eine Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (vgl. mit überzeugender und ausführlicher Begründung AG Köln, Urt. v. 22.10.2012, 142 C 210/12, juris). Dabei kommt dem Tatrichter ein Ermessen zu (BGH, Urt. v. Urt. v. 11.01.2005, X ZR 118/03, aaO, Rn. 26).

a)

48. Für den 08. und 09.10.2016 haben die Kläger Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 50% des tagesanteiligen Reisepreises (vgl. BGH, aaO). Der Kläger zu 1.) kann 262,28 € ersetzt verlangen. Bei einem anteiligen Reisepreis von je 1.836,00 € für den Kläger und seine Ehefrau sowie einer Reisedauer von 14 Tagen beträgt der tagesanteilige Reisepreis 131,14 €. 50% entsprechen 65,57 € (x 2 Tage X 2 Reisende = 262,28 €). Der Kläger zu 2. hat für die beiden vorgenannten Tage Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 36,00 € (anteiliger Reispreis Kl. zu 2.): 504,00 € : 14 Tage = 36,00 €/Tag, d. h. 50% = 18,00 € x 2 Tage). Die Kläger zu 3.) und 4.) können jeweils für den 08. und 09.10.2016 10,64 € Entschädigung beanspruchen (anteiliger RP je 149,00 € : 14 Tage = 10,64 €; 10,64 € : 50% x 2 Tage)

49. Eine entsprechende Entschädigung erscheint angemessen. Die Kläger haben die beiden ersten Tage des gebuchten Reisezeitraumes zuhause und nicht im Urlaub verbracht. Mit dem Amtsgericht Köln (Urt. v. 22.10.2012, 142 C 210/12, aaO), sieht es die Kammer bei der Bemessung der Höhe des Entschädigungsanspruches als einen ins Gewicht fallenden Umstand an, ob ein Reisender bei einem geplatzten Urlaub zu Hause bleibt, wieder arbeiten geht oder aber eine andere der Erholung dienende Ersatzreise antritt.

b)

50. Für den Zeitraum vom 10.10. bis 22.10.2016 haben die Kläger Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 25% des tagesanteiligen Reisepreises. Der Kläger zu 1.) hat für den Zeitraum von 10 Tagen aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Ehefrau Anspruch auf Entschädigung in Höhe von weiteren 655,72 €. Der Kläger zu 2.) hat Anspruch auf Entschädigung in Höhe von weiteren 90,00 € und die Kläger zu 3.) und 4.) können jeweils weitere 26,60 € als Entschädigung verlangen.

51. Zu berücksichtigen war für diesen Zeitraum, dass die Kläger eine Ersatzreise nach Side (Türkei) in den … -Club … gebucht und angetreten haben. Es wirkt sich entschädigungsmindernd aus, dass die Kläger eine Ersatzreise angetreten und so den Urlaubszweck für die überwiegende Zeit der gebuchten Reise erreicht haben. Bei der Ersatzreise handelte es sich ausweislich der Buchungsbestätigung ebenfalls um einen Club-​Urlaub bei Verpflegung all-​inclusive. Durch den Wechsel des Zielgebietes hat sich der Zuschnitt der Reise geändert. Dabei fällt der Umstand, dass die Reise in die Türkei und nicht auf die Kanarischen Inseln erfolgte, nicht erheblich ins Gewicht. Es ist nicht ersichtlich, dass es den Klägern gerade besonders darauf ankam, den Urlaub auf der Insel Fuerteventura zu verbringen.

II.

52. Der zuerkannte Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB.

III.

53. Im Übrigen war die Klage abzuweisen. Weitergehende Ansprüche bestehen nicht.

1.

54. Der Kläger zu 1.) hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der für die Ersatzreise angefallenen Mehrkosten gemäß § 651 f Abs. 1 BGB bzw. aus § 651 c Abs. 3 BGB.

55. Es fehlt an der Erforderlichkeit der aufgewendeten Mehrkosten.

a)

56. Ist, was nach den obigen Ausführungen unter I. zu bejahen ist, ein Schadensersatzanspruch gemäß § 651 f Abs. 1 BGB dem Grunde nach gegeben, ist dieser als Schadensersatz wegen Nichterfüllung auf das positive Interesse gerichtet. Der Reisende ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Reiseveranstalter den Vertrag mangelfrei erfüllt hätte. Umfasst ist dabei grundsätzlich auch der Ersatz des Aufwandes aus einem Deckungsgeschäft (vgl. BGH, Urt. v. 17.04.2012, X ZR 76/11, aaO, Rn. 25). Mit der Rückzahlung des Reisepreises hat die Beklagte diesen Schaden bereits weitgehend ausgeglichen.

57. Die von dem Kläger zu 1.) geltend gemachten Mehrkosten des Ersatzurlaubs fallen nicht unter die erstattungsfähigen Kosten im vorgenannten Sinn. Nach § 651 f Abs. 1 i. V. m. § 249 BGB können nur die Kosten erstattet verlangt werden, die erforderlich waren, um den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Der Reisende ist daher im Rahmen der Selbstabhilfe gehalten, sich um Ersatzmöglichkeiten zu bemühen, die der vertraglich geschuldeten Leistung am nächsten kommen. Erst wenn er diese nicht erhalten kann, darf er auch eine höherwertige Leistung in Anspruch nehmen (KG, Urt. v. 18.02.1993, 16 U 4702/92, juris) Erforderlich wären danach Kosten, die hätten aufgewendet werden müssen, um als Ersatz der gebuchten Reise einen entsprechenden Urlaub auf Fuerteventura zu verbringen. Die Kosten der Reise in die Türkei sind unverhältnismäßig hoch. Sie übersteigen den ursprünglichen Reisepreis um mehr als 100%. Der Kläger zu 1.) hat nicht dargelegt, dass es ihm nicht möglich gewesen sein soll, eine hinsichtlich des Reisezuschnitts gleichwertige Reise zu erhalten. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass dies angesichts der Ferienzeit und der kurzfristigen Absage der Beklagten ausgesprochen schwierig gewesen sein dürfte. Welche Anstrengungen der Kläger zu 1.) allerdings insoweit unternommen hat, legt er nicht dar. Er hat offenbar auch nicht die Beklagte auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB hingewiesen.

b)

58. Auch im Rahmen eines auf Ersatz der Aufwendungen der Selbstabhilfe gerichteten Anspruchs nach § 651 c Abs. 3 BGB kommt es darauf an, ob die Aufwendungen erforderlich und angemessen waren (KG, Urt. v. 18.02.1993, 16 U 4702/92, aaO). Hieran fehlt es aus den vorgenannten Gründen. Im Übrigen würde ein Anspruch auf Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit entfallen, wenn dessen Anspruchsvoraussetzung, nämlich die Vereitelung oder erhebliche Beeinträchtigung der vertraglich geschuldeten Reise durch eine angemessene Selbstabhilfe auf Kosten der Beklagten behoben worden wäre.

2.

59. Ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht nicht. Dabei kann dahinstehen, ob im Wege eines Schadensersatzanspruchs gemäß § 651 f Abs. 1 BGB Rechtsanwaltskosten grundsätzlich bereits für die Anspruchsanmeldung geltend gemacht werden können und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich waren (so LG Frankfurt, 1-​24 S 109/09, Urt. v. 17.12.2009, RRa, 2010, 117). Es fehlt an Vortrag dazu, dass der Rechtsanwalt zunächst nur den Auftrag zu einer außergerichtlichen Klärung bzw. nur einen bedingten Prozessauftrag erhalten hat. Denn hat der Mandant seinem Rechtsanwalt einen unbedingten Klagauftrag erteilt, ist die Geltendmachung einer Gebühr gemäß Nr. 2300 VV-​RVG ausgeschlossen, weil die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG auch Tätigkeiten erfasst, welche die Klage oder Rechtsverteidigung vorbereiten (vgl. Müller- Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Auflage 2015, § 19 Rn. 19). Ein außergerichtliches Schreiben kann auch auf einem Mandat zur gerichtlichen Forderungsdurchsetzung beruhen (vgl. BGH, Urt. v. 28.05.2013, XI ZR 421/10, juris, Rn. 33). Diesbezüglich hat der Kläger nichts vorgetragen.

V.

60. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, 100 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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