Erstreckung eines außergewöhnlichen Umstandes auf Folgeflüge desselben Fluggerätes

AG Köln: Erstreckung eines außergewöhnlichen Umstandes auf Folgeflüge desselben Fluggerätes

Flugreisende forderten eine Ausgleichszahlung für die Annullierung ihres Fluges und resultierende 7-stündige Ankunftsverspätung. Der Klage wurde stattgegeben, weil die von der Fluggesellschaft angeführten schlechten Wetterbedingungen lediglich den Vorflug am Vortrag betroffen hatten.

AG Köln 142 C 505/17 (Aktenzeichen)
AG Köln: AG Köln, Urt. vom 04.06.2018
Rechtsweg: AG Köln, Urt. v. 04.06.2018, Az: 142 C 505/17
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Amtsgericht Köln

1. Urteil vom 4. Juni 2018

Aktenzeichen 142 C 505/17

Leitsatz:

2. Schlechte Wetterbedingungen, die den Vorflug eines annullierten Fluges am Vortrag beeinträchtigen, befreien nicht als außergewöhnlicher Umstand von der Ausgleichspflicht für die Annullierung.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei der Beklagten als ausführendem Luftfahrtunternehmen eine Flugbeförderung von Köln-Bonn über München nach Catania für den 19. August 2017 gebucht. Aufgrund der Annullierung des Zubringerfluges wurden die Reisenden ersatzbefördert und erreichten ihr Reiseziel mit 7 Stunden Verspätung. Auf der Rückreise am 9. September 2017 wurden sie nach der Annullierung des zweiten Teilfluges von München nach Köln stattdessen nach Düsseldorf ersatzbefördert. Für Letzteres zahlte die Fluggesellschaft vorgerichtlich 250,- Euro an die Kläger. Sie forderten weitere 150,-, weil sie der Meinung waren, die gesamte Flugstrecke sei entscheidend für die Höhe des Anspruches. Zugleich verlangten sie eine Ausgleichszahlung für die Ankunftsverspätung auf dem Hinflug in Höhe von 400,- €. Die Beklagte berief sich auf außergewöhnliche Umstände in Form widriger Witterungsbedingungen, die den Vorflug aufgehalten hätten.

Das Amtsgericht Köln gab der Klage teilweise statt. Es gestand den Klägern 400,- € für die Verspätung auf dem Hinflug zu. Auf außergewöhnliche Umstände konnte sich die Beklagte nicht berufen, da der Vorflug am Vortag stattgefunden hatte und sie den Nachweis unterbleiben ließ, warum die Ersatzmaschinen nicht eingesetzt werden konnten, über die sie zweifelsohne verfügte. Hinsichtlich der zweiten Verspätung war der Anspruch der Kläger aber bereits abgegolten, da es nur auf die Distanz der annullierten Flugstrecke ankam.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger zu 1.) bis 4.) jeweils 400,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.10.2017 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Gerichtskosten tragen die Kläger zu 1.) bis 3.) zu 1/5 und die Beklagte zu 4/5. Die aussergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 4.) trägt die Beklagte ganz und die aussergerichtlichen Kosten der Kläger zu 1.) bis 3.) trägt die Beklagte zu 4/5. Von den aussergerichtlichen Kosten der Beklagten  tragen die Kläger zu 1.) bis 3.) 1/5.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteiles vollstreckbaren Betrages abzuwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages geleistet haben.

Tatbestand:

5. Die Kläger nehmen die Beklagte, eine Fluggesellschaft, auf Ausgleichszahlung in Anspruch.

6. Die Kläger buchten bei der Beklagten den Flug xxx von Köln/Bonn nach München (Abflugzeit 6.50 Uhr Ortszeit) und weiter den Flug yyy von München nach Catania (Ankunftszeit 10.55 Uhr Ortszeit) am 19.08.2017. Der Flug LH xxx wurde am 19.08.2017 um 1:03 Uhr annulliert. Die Kläger wurden mit Flug zzz nach Catania transportiert, das sie um 17:35 Uhr mit einer Verspätung von 6 Stunden und 40 Minuten erreichten. Die Grosskreisentfernung  zwischen Catania und dem Flughafen Köln/Bonn beläuft sich auf mehr als 1500 km und weniger als 3500 km.

7. Die Kläger zu 1.) bis 3.) waren weiter für den Flug der Beklagten aaa von Catania nach München (Abflugzeit 11:55 Uhr Ortszeit)  und LH bbb von München nach Köln/Bonn (Ankunftszeit 16:35 Uhr) am 09.09.2017 gebucht. Bei Ankunft in München wurde den Klägern zu 1.) bis 3.) mitgeteilt, dass der Flug bbb annulliert wird.  Die Kläger zu 1.) bis 3.) wurden mit ccc von München nach Düsseldorf befördert, das sie um 19.25 Uhr erreichten. Köln erreichten die Kläger nach 21:00 Uhr.

8. Die Beklagte zahlte an die Kläger zu 1.) bis 3.) in Hinblick auf den Flug bbb einen Ausgleich in Höhe von jeweils 250,00 Euro.

9. Die Kläger sind der Ansicht, dass ihnen wegen der Annullierung des Fluges xxx am 19.08.2017 ein Ausgleichsanspruch in Höhe von jeweils 400,00 Euro gemäss Art. 7 Abs. 1 lit. b.), Art. 5 Abs. 1 lit c.)  EG VO 261/2004 (im Folgenden: FluggastVO) zustehe. Wegen der Annullierung von Flug bbb am 09.09.2017 stehe ihnen ein Ausgleichsanspruch in Höhe von ebenfalls jeweils 400,00 Euro gemäss Art. 7 Abs. 1 lit. b.), Art. 5 Abs. 1 lit c.) FluggastVO zu, da auf die Gesamtstrecke Catania – Köln abzustellen sei.

10. Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zu 1.) bis 3.) jeweils 550,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.10.2017 zu zahlen.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 4.) 400,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.10.2017 zu zahlen.

11. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12. Die Beklagte behauptet, dass die Annullierung von Flug xxx darauf zurückzuführen sei, dass das für den Flug vorgesehene Fluggerät am Vortag als Flug ddd Berlin Tegel um 18:59 Uhr Ortszeit erreichte. Das Fluggerät sollte dann als Flug eee von Berlin Tegel nach München fliegen und als Flug fff von München nach Köln, wo es am nächsten Morgen als Flug xxx wieder nach München fliegen sollte. Flug eee habe in Berlin Tegel wegen schlechter Wetterbedingungen am Flughafen München nicht  wie geplant starten können. Am Flughafen München wurde für den Abend des 18.08. eine Gewitterlinie mit teils schweren Gewittern zwischen 19:00 und 22:00 Ortszeit erwartet. Dies habe zu einer Steuerung der Anflüge nach München durch die Deutsche Flugsicherung geführt und  zwar von 30 Anflügen pro Stunde zwischen 19:00 Uhr und 22:00 Uhr, 18 Anflügen um 21:30 Uhr , 12 Anflügen zwischen 22:00 Uhr und 23:00 Uhr und 18 Anflügen von 23:00 Uhr bis 0:00 Uhr. Die Anflugsteuerung sei um 22:40 Uhr aufgehoben worden. Zwischen 21:23 Uhr bis 22:14 Uhr habe es einen Abfertigungsstopp am Flughafen München gegeben. Wegen dieser Umstände habe Flug eee, dessen geplanter Abflug 20:00 Uhr lokal gewesen sei, einen Slot erhalten und habe die Parkposition in Berlin erst um 20:28 Uhr verlassen und  habe München wegen eines Holdings um 22:30 Uhr bei einer geplanten Ankunft um 21:05 erreicht. Der Flug zzz von Köln nach München habe eine Ausnahmegenehmigung für einen Start bis 00:30 Uhr erhalten und habe von Eurocontrol wegen Gewittern über Köln einen Slot für 00:33 Uhr erhalten. Wegen der eingetretenen Verzögerungen bei der Abfertigung sei Flug zzz annulliert worden, so dass das Fluggerät am nächsten Morgen in Köln nicht zur Verfügung gestanden habe. Zumutbare Massnahmen zur Vermeidung der Annullierung hätten der Beklagten nicht zur Verfügung gestanden. Es habe kein weiteres Fluggerät zur Verfügung gestanden. Während der Nacht habe auch kein Subcharter organsiert werden können. Die Ereignisse am 18.08., bei denen 14 Flüge mit Abflug/Ankunft München annulliert worden, seien so gravierend gewesen, dass die Nachwirkungen am 19.08. noch nicht hätten kompensiert werden können.

13. Es wird weiter auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

14. Die Klage ist teilweise begründet.

15. Den Klägern zu 1.) bis 4.) steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 400,00 Euro gemäss Art. 7 Abs. 1 lit. b.), Art. 5 Abs. 1 lit c.) FluggastVO in Hinblick auf die Annullierung von xxx am 19.08.2017 zu. Weitere Ansprüche bestehen nicht.

I.

16. Dem Anspruch der Kläger zu 1.) bis 4.), der aufgrund der unstreitigen Annullierung von Flug xxx und der unstreitigen Entfernung zwischen Köln und dem Endziel Catania von über 1500 km und unter 3500 km, wirksam nach Art. 7 Abs. 1 lit. b.), Art. 5 Abs. 1 lit c.) FluggastVO entstanden ist, steht kein außergewöhnlichen Umstand nach Art. 5 Abs. 3 FluggastVO entgegen. Die Beklagte kann sich mit den zur Annullierung von Flug zzz führenden mit der Durchführung dieses Fluges nicht zu vereinbaren Wetterbedingungen – ihr Vorliegen als richtig unterstellt – am 18.08.2017 betreffend des Fluges am Folgetag nicht mehr exkulpieren.

17. Nach Art. 5 Abs. 3 der Fluggast VO entfällt die Pflicht zur Leistung von Ausgleichzahlungen, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen ist, die sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Nach dem 14. Erwägungsgrund der FluggastVO können solche Umstände politische Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwartete Flugsicherheitsmängel und Streiks sein. Der 15. Erwägungsgrund der FluggastVO sieht vor, dass von dem Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ausgegangen werden sollte, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeuges zu einer großen Verspätung auch bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt. Da der 15. Erwägungsgrund dem 14. unmittelbar nachfolgt, greift er den in dem 14. Erwägungsrund erwähnten und definierten Begriff des außergewöhnlichen Umstandes wieder auf und bestimmt, dass von dem Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ausgegangen werden sollte, wenn die weiteren Voraussetzungen des 15. Erwägungsgrundes vorliegen. Durch die Wendung „soll ausgegangen werden“ wird der 14. Erwägungsgrund um eine Vermutung für das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes nach dem 14. Erwägungsgrund ergänzt, wenn eine Anordnung des Flugverkehrsmanagements vorliegt. Weiter wird der Anwendungsbereich des 14. Erwägungsgrundes für den Fall der mit der Durchführung des betreffenden Flug nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen erweitert, wenn sich die Anordnung des Flugverkehrsmanagements auf die Flüge eines Flugzeuges an einem bestimmten Tag im Sinne einer grossen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder einer Annullierung auswirkt. Bei dem 15. Erwägungsgrund handelt es sich demnach um eine Ergänzung und Erweiterung und nicht um einen weiteren selbständigen außergewöhnlichen Umstand gemäss Art. 5 Abs. 3 FluggastVO. Das ergibt sich auch aus dem Umstand, dass Art. 5 Abs. 3 FluggastVO als Ausnahmevorschrift grundsätzlich eng auszulegen ist. Dies ist auch der Grund dafür, dass der 15. Erwägungsgrund auch nicht dahin verstanden werden kann, dass ein außergewöhnlicher Umstand sich ohne jedwede zeitliche Begrenzung auf sämtliche Folgeflüge desselben Fluggerätes erstreckt. Nach Ansicht des BGH kommt es auf eine zeitliche Nähe an. Eine unmittelbare Betroffenheit ist dann nicht erforderlich, wenn sich ein aussergewöhnlicher Umstand noch am selben Tag auswirkt (BGH, NJW 2014, 3303). Durch die Wendung „bis zum nächsten Tag“ macht der Verordnungsgeber deutlich, dass eine Ausdehnung über den Tag hinaus, in dem der aussergewöhnliche Umstand  aufgetreten ist, auf den nächsten Tag möglich ist. Damit sollen insbesondere die Fälle erfasst werden, in denen der Flugplanung auch aufgrund des Durchfliegens mehrerer Zeitzonen ein Überschreiten der Datumsgrenze immanent ist. Dem Luftfahrtunternehmen soll eine Exkulpation möglich bleiben, wenn die Flugorganisation ein Überschreiten der Datumsgrenze erfordert (AG Köln Urt. v. 6.4.2018 – 126 C 315/17 – , BeckRS 2018, 5844, beck-online). Indes bedarf diese Ausweitung der Begrenzung auch in sachlicher Hinsicht; denn aus dem Wort „bis“ lässt sich entnehmen, dass nicht immer der gesamte nächste Tag erfasst werden, sondern nur soweit dies flugbetrieblich erforderlich war. Die Notwendigkeit einer weiteren sachlichen Begrenzung neben der zeitlichen rechtfertigt sich ebenfalls aus dem Ausnahmecharakter von Art. 5 Abs. 3 FluggastVO und dem Ziel der Verordnung ein hohes Maß an Schutz für Fluggäste sicherzustellen. Bei der Frage nach der sachlichen Begrenzung ist abzustellen auf die jeweilige Flugplanung. Hierbei kommt es maßgeblich darauf an, wann sich nach der jeweiligen Flugplanung ein Flug oder Umlauf als abgeschlossener Vorgang darstellt. Dies ist der Fall, wenn der für das Fluggerät geplante Umlauf abgeschlossen ist. Ein Umlauf sind dabei in der Regel unmittelbar aufeinanderfolgende einzelne Flüge desselben Fluggerätes, zwischen denen Turnarounds liegen und der an einem bestimmten Flughafen startet und an diesem auch wieder endet. Nach Abschluss des Umlaufes tritt eine Zäsur ein, die dazu führt, dass es sich bei dem neu beginnenden Umlauf im Sinne der FluggastVO nicht mehr um Folgeflüge handelt. Ein aussergewöhnlicher Umstand kann demgemäss nur innerhalb eines Umlaufes Auswirkungen auf die Folgeflüge haben, allerdings auch dann, wenn sich der Umlauf bis in den nächsten Tag erstreckt.  Umlaufüberschreitende Auswirkungen eines beendeten aussergewöhnlichen Umstandes werden damit von Art. 5 Abs.3 FluggastVO nicht mehr erfasst.

18. Danach kann sich die Beklagte hinsichtlich der Annullierung des streitgegenständlichen Fluges xxx nicht mehr mit dem auf den Umlauf München – Berlin – München – Köln am 18.08.2017 einwirkenden Wetterbedingungen exkulpieren. Nach dem Vortrag der Beklagten endete der Umlauf der eingesetzten Maschine D-AILT in Köln, wo sie den Night Stop einlegte, bevor am nächsten Tag ein neuer Umlauf dieser Maschine beginnend mit dem Flug xxx Köln – München begann. Während die Annullierung von Flug zzz noch in zeitlicher und sachlicher Hinsicht auf die behaupteten mit dem Flug nicht vereinbarenden Wetterbedingungen  und darauf erfolgenden Anordnungen der Flugsicherung zurückzuführen ist, gilt dies für Flug xxx nicht mehr. Am Morgen des 19.08.2017 gab es keine aussergewöhnlichen Umstände mehr, vielmehr erweist sich der Umstand, dass das Flugzeug am Morgen des 18.08.2017 in Köln nicht zur Verfügung stand als ein logistisches flugbetriebliches Problem, das dem Grunde nach für die Beklagte beherrschbar ist.

19. Die Beklagte hat aber auch nicht alle zumutbaren Ersatzmaßnahmen gemäss Art. 5 Abs. 3 FluggastVO, durch die die zu der Annullierung von Flug xxx führenden Umstände hätten vermieden werden können, ergriffen.

20. Die von der Fluggesellschaft zu ergreifenden zumutbaren Maßnahmen müssen sich dabei auf die außergewöhnlichen Umstände beziehen und nicht auf die Annullierung. Sie müssen geeignet sein, den Kausalzusammenhang zwischen aussergewöhnlichen Umstand und Annullierung zu verhindern. Welche Maßnahmen eine Fluggesellschaft zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer erheblichen Verspätung eines Fluges führen oder Anlass zu seiner Annullierung geben, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls; die Zumutbarkeit ist situationsabhängig zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil vom 12.06.2014, X ZR 121/13 zitiert nach juris) ist zu prüfen, ob die Fluggesellschaft Vorkehrungen getroffen hat, damit nicht bereits bei gewöhnlichem Ablauf des Luftverkehrs durch den Eintritt geringfügiger Beeinträchtigungen die Gefahr besteht, dass die Gesellschaft den Flugplan nicht mehr einhalten kann. Kommt es zu einer mehr als geringfügigen Beeinträchtigung oder droht diese einzutreten, muss geprüft werden, ob die Fluggesellschaft alle ihr in dieser Situation möglichen Maßnahmen ergriffen hat, dass es zu einer Annullierung oder große Verspätung kommt. Gravierende Beeinträchtigungen des Flugplans müssen nach Möglichkeit vermieden werden. Die Fluggesellschaft kann daher in dieser Situation gehalten sein, verfügbare Flugzeuge Dritter zu chartern, um die vorgesehenen Flüge ohne wesentliche Verzögerungen durchführen zu können. Auch insoweit gilt, dass die Maßnahmen zumutbar sein müssen (BGH a.a.O.). Dabei ist anerkannt, dass die Fluggesellschaften nicht verpflichtet sind, an jedem Flughafen Ersatzflugzeuge vorzuhalten.

21. Ausgehend hiervon ist der Beklagten zwar zuzugestehen, dass sie ab  Kenntnis der Annullierung von Flug zzz um 00:30 Uhr keine Subcharter über Nacht hätte organisieren können. Auch ist der Beklagten zuzugestehen, dass sie in Köln kein Ersatzfluggerät vorhalten musste. Indes ist gerichtsbekannt, dass die Beklagte über Ersatzfluggeräte verfügt. Es ist aber nicht dargelegt, warum die Beklagte nicht solche für den Flug xxx etwa aus Frankfurt herangeführt hat. Es ist weiter nicht dargelegt, warum die Beklagte keinen Versuch unternommen hat, das für den Flug xxx vorgesehene Fluggerät noch am Morgen des 19.08.2017 von München nach Köln zu überführen. Das absolute Nachtflugverbot in München endet gerichtsbekannt um 5.00 Uhr. Danach sind Flüge in eingeschränktem Umfang ggfs. mit Genehmigung  möglich.

22. Kein weiterer Ausgleichsanspruch gemäss Art. 7 Abs. 1 lit. b.), Art. 5 Abs. 1 lit c.) EG VO 261/2004 besteht hingegen hinsichtlich weiterer 150,00 Euro in Hinblick auf die Annullierung von Flug bbb am 09.09.2017 von München nach Köln. Insoweit  ist alleine auf die von dem annullierten Flug zurückzulegende unter 1500 km liegende Flugentfernung zwischen München und Köln abzustellen, so dass sich der Anspruch der Höhe nach aus Art. 7 Abs. 1 lit. a.) ergibt und sich nur auf 250,00 Euro beläuft.

23. Grundsätzlich ist auf die Flugentfernung abzustellen, die von dem Flug zurückgelegt werden soll, der von der Annullierung betroffen ist. Insoweit muss die Annullierung dafür kausal geworden sein, dass der Flug diese Strecke nicht zurücklegen kann. Der EuGH hat in seiner Entscheidung Folkerts erklärt, dass der von der FluggastVO bezweckte Ausgleich von den Fluggästen entstehenden Unannehmlichkeiten, die darin bestehen, dass sie einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr gegenüber der ursprünglichen Planung ihrer Beförderung erlitten haben, auch im Fall von Flügen mit Anschlussflügen bei der Ankunft am Endziel besteht, so dass auf die gesamte Flugstrecke bis zum Endziel abzustellen ist und nicht nur die Flugstrecke des Fluges, der verspätet war (EuGH, NJW 2013, 671 – Folkerts ). Daraus folgt, dass der Begriff der „Entfernung“ in Art. 7 Abs. 1 FluggastVO im Fall von Flugverbindungen mit Anschlussflügen die Entfernung zwischen dem Ort des ersten Abflugs und dem Endziel umfasst, die nach der Großkreismethode zu ermitteln ist, unabhängig von der tatsächlich zurückgelegten Flugstrecke (EuGH, NJW 2018, 529  – Bossen). Hieraus ergibt sich indes nicht, dass unabhängig davon, auf welchem Flug zwischen Abflug und Ankunft am Endziel die Störung eintritt, immer die gesamte Entfernung Grundlage für die Bemessung der Höhe ist; denn erst ab dem Auftreten der Störung bedarf es auch des Schutzes der Fluggäste nach Massgabe der Verordnung und ist eine ihnen erst ab diesem Zeitpunkt entstandene Unannehmlichkeit auszugleichen. Eine „Rückwirkung“ der Entfernungsberechnung auf bereits störungsfrei zurückgelegte Flugstrecken sieht die FluggastVO hingegen nicht vor und lässt sich auch aus dem Gedanken des Schutzes des Fluggastes nicht rechtfertigen.

II.

24. Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286, 288 BGB.

III.

25. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92, 708 Nr.11, 711 ZPO.

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