Verspätung außerhalb der EU

LG Frankfurt: 6-stündige Flugverspätung

Zwei Fluggästte buchten eine Flugreise von Frankfurt über Sao Paolo nach Belem. Weil sich der Flug von Sao Paolo nach Belem um mehr als 8 Stunden verspätete, verlangen beide eine Ausgleichszahlung von der Airline.

Das Landgericht Frankfurt hat die Klage abgewiesen. Da beide Flüge getrennt zu bewerten seien und sich lediglich der außerhalb des Geltungsbereichs der Europäischen Fluggastrechte-Verordnung befindliche Annschlussflug in Sao Paolo verspätete, sei ein Anspruch abzulehnen.

LG Frankfurt 2-24 S 133/11 (Aktenzeichen)
LG Frankfurt: LG Frankfurt, Urt. vom 05.01.2012
Rechtsweg: LG Frankfurt, Urt. v. 05.01.2012, Az: 2-24 S 133/11
AG Frankfurt, Urt. v. 29.04.2011, Az: 29 C 102/11 (46)
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Landgericht Frankfurt

1. Urteil vom 05. Januar 2012

Aktenzeichen 2-24 S 133/11

Leitsatz:

2. Keine Ausgleichszahlung bei verspätetem Anschlussflug im Nicht-EU-Ausland.

Zusammenfassung:

3. Vorliegend buchten die Klägerinnen bei der Beklagten einen Flug von Frankfurt nach Belem über Sao Paulo. Während der Flug in Frankfurt planmäßig startete, verspätete sich der Anschlussflug in Sao Paolo um insgesamt 8 Stunden. Da beide Flüge von der selben Fluggesellschaft ausgeführt wurden, verlangen die Klägerinnen nun eine Ausgleichszahlung im Sinne von Art. 7 der Fluggastrechte Verordnung, während die Gesellschaft die Zahlung verweigert.

Das Landgericht Frankfurt sprach den Klägerinnen keinen Anspruch auf Ausgleichzahlung nach der Fluggastverordnung zu. Art. 7 der Verordnung ermögliche grundsätzliche eine Entschädigungspauschale bei einer Abflugverzögerung von mehr als 3 Stunden, hierfür müsse der Abflugort jedoch in den Geltungsbereich der Vorschrift fallen. Da Brasilien, als Abflugort des Anschlussfluges, jedoch nicht von der Reichweite der Europäischen Fluggastrechte-Verordnung umfasst wird, sei der Anspruch für diesen Flug abzulehnen. Für den Zubringerflug aus Frankfurt sei eine Anspruchsbegründung zwar möglich, da dieser jedoch planmäßig startete und beide Flüge getrennt zu bewerten sind, scheide auch hier eine Ausgleichszahlung aus.

Tenor:

4. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29.4.11 verkündete Urteil des Amtsgerichts … – Az. 29 C 102/11 (46) – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerinnen haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

5. Der Ehemann bez. Vater der Klägerinnen hatte für diese bei der Beklagten Luftbeförderungsverträge abgeschlossen. Letztere beförderte sie am 6.10.2010 planmäßig von … nach Sao Paulo. Die unter einer anderen Flugnummer vorgesehene Beförderung von Sao Paulo nach B. am 7.10.10 fand nicht wie geplant statt. Der Abflug erfolgte mit einer fast 6-stündigen Verspätung. Statt durch einen Direktflug erreichten die Klägerinnen ihr Ziel mit über 8-stündiger Verspätung nach einem Flug mit Zwischenlandung in Fortaleza. Ihr Gepäck wurde durchgehend von … bis B. befördert. In … hatten sie Bordkarten bis B. erhalten.

6. Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 600,- an jede der beiden Klägerinnen verurteilt und den Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten abgewiesen. Bezüglich der Einzelheiten seiner tatsächlichen Feststellungen und hinsichtlich der Begründung seiner Entscheidung wird auf das Urteil vom 29.4.11 verwiesen.

7. Die Beklagte strebt mit der Berufung eine vollständige Abweisung der Klage unter Abänderung der angefochten Entscheidung an.

8. Die Beklagte beantragt,

das am 29.4.2011 verkündete und am 6.5.11 zugestellte Urteil des Amtsgerichts … Az.: 29 C 102/11 (46) aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9. Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

10. Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgemäß eingelegt und begründet worden und hat in der Sache Erfolg. In der Berufungsschrift wurde zwar nur Frau … als Berufungsbeklagte aufgeführt. Eine Auslegung mit Hilfe der beigefügten Urteilsausfertigung ergibt jedoch, dass die gegen das Urteil vom 29.4.11 eingelegte Berufung nicht auf die Klägerin zu 1. beschränkt werden sollte. Die Nennung der an erster Stelle im Rubrum des erstinstanzlichen Urteils stehenden Klägerin genügt (BGH NJW 94, NJW Jahr 1994 Seite 512). Angesichts des (bis auf den abgewiesenen Teil der Klage) bei beiden Klägerinnen gleichgelagerten Sach- und Streitstandes ist es naheliegend, dass die Berufung nicht beschränkt werden sollte. Bei einer Beschränkung auf die Klägerin zu 1 wäre die Berufungssumme offensichtlich nicht erreicht worden. Es liegt auf der Hand, dass keine unzulässige Berufung eingelegt werden sollte.

11. Es war in der Sache über den aus der EU-Fluggastrechte VO abgeleiteten Ausgleichsanspruch zu befinden, da die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zu bejahen ist. Die Entscheidung des Amtsgerichts über den Aussetzungsantrag (§ ZPO § 148 ZPO) wird mit der Berufung nicht angegriffen.

12. Die Klägerinnen machen einen Anspruch nach der Fluggastrechteverordnung gegen ein Luftverkehrsunternehmen geltend, das faktisch die gesamte Beförderung durchgeführt hat und von dem sie Flugscheine oder eine gleichwertige elektronische Berechtigung erhalten hatten, die einen Anspruch auf Beförderungsleistung begründeten. Danach war Abflugs- und Ankunftsort …. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der abzuweichen schon im Interesse der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung aller Anspruchsteller kein Anlass besteht, ist in einem solchen Fall ein internationaler Gerichtsstand am Ort des vertragsgemäßen Abflugs in … gegeben. Ohne diesen Gerichtsstand wäre nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. vom 9.7.09 EUGH Aktenzeichen C20408 C-204/08 RRa 09, 234 Rz. 47) bei Abflügen eines Luftfahrtunternehmen mit Sitz in der Gemeinschaft gem. Art. 5 Nr. 1 b zweiter Spiegelstrich wie bei Dienstverträgen der Ort der Leistungserbringung maßgebend, die internationale Zuständigkeit bei Abflügen in … gegeben, bei Luftfahrtunternehmen aus einem Drittstaat jedoch nicht.

13. Laut Ziffer 1 der Erwägungsgründe sollen für die Verbraucher einheitlich hohe Schutzstandards erreicht werden und laut Ziffer 4 der Erwägungsgründe der FluggastrechteVO soll sichergestellt werden, dass die Geschäftstätigkeit der Luftfahrtunternehmen harmonisierten Bedingungen unterliegt, was voraussetzt, dass die Verordnung unabhängig vom Sitz des Beförderers gilt. Deshalb erscheint es geboten, einen einheitlichen Gerichtsstand zu bejahen, auch um Rechtssicherheit zu gewährleisten. Danach ist der vereinbarte Abflugort auch als der Ort der Erfüllung in Sinne des § ZPO § 29 ZPO anzusehen, unabhängig von dem Erfüllungsort, der sich nach der jeweils anzuwendenden Rechtsordnung ergibt. Das nach § ZPO § 29 ZPO für einen solchen Gerichtsstand erforderliche „Vertragsverhältnis“ liegt bereits dann vor, wenn die Streitigkeit in Zusammenhang mit einem Vertragsverhältnis steht.

14. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu bejahen, da es sich bei dem Ausgleichsanspruch nach der FluggastrechteVO um einen gesetzlichen Anspruch auf vertraglicher Grundlage handelt. Dies folgt aus der in Art. 3 II a der Verordnung genannten Anspruchsvoraussetzung „bestätigte Buchung“, was regelmäßig das Bestehen eines Beförderungsvertrages voraussetzt. Durch die damit gegebene Anknüpfung auf vertraglicher Ebene an den im Flugschein genannten Abflugsort in … bei der Geltendmachung von Ansprüchen, die aus der FluggastrechteVO hergeleitet werden, kommt es für die Frage der internationalen Zuständigkeit nicht darauf an, ob die Abflugsverspätung bez. die Flugannullierung in … eingetreten ist. Bei anderer Betrachtungsweise müsste ein Fluggast einen Anspruch auf Ausgleichszahlung in einem Drittstaat geltend machen, der keinen konkreten Bezug zur FluggastrechteVO hat (vgl. im einzelnen Urteil der Kammer vom 5.1.12 Az.: 2-24 S 145/11). Dies würde dem Schutzzweck dieser Verordnung zuwiderlaufen.

15. Der Anspruch ist jedoch unbegründet.

16. Folgt man der Ansicht der Klägerinnen, dass es sich um einen einheitlichen Flug von … nach B. mit einer Zwischenlandung in Sao Paulo handelte, ist die Verordnung anzuwenden, da dann der Abflug in Deutschland erfolgte (Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a). Sie ist in Deutschland unmittelbar geltendes Recht und geht kollisionsrechtlich dem deutschen internationalen Privatrecht (Rom I VO, Rom II VO) vor (Art. EGBGB Artikel 3 EGBGB, Art. 288 AEU).

17. Aus der direkten Anwendung des Art. 7 bei Annullierung oder der nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Entscheidung vom 19.11.09 Az.: C-402/07) gebotenen analogen Anwendung des Art. 7 der Verordnung im Falle von großen Verspätungen lässt sich der Anspruch aber nicht herleiten. Der Abflug in … war weder verspätet erfolgt noch der Flug annulliert worden. Allein damit, dass das Endziel nur mit großer Verspätung und auf einer anderen als der nach dem Flugplan vorgesehen Route erreicht wurde, lässt sich der Anspruch nicht begründen. Verspätet im Sinne des Art. 6 der VO sind nur Flüge, bei denen sich die Abflugszeit verzögert. Auf eine verspätete Ankunftszeit stellt der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht ab. Deshalb hat der Europäische Gerichtshof in seiner obengenannten Entscheidung ausdrücklich definiert, dass unter verspäteten Flügen nur solche zu verstehen sind, bei denen sich der Abflug verzögert.

18. Soweit der Gerichtshof darauf abstellt, dass ein Anspruch besteht, wenn der Zielort nicht früher als drei Stunden nach der geplanten Ankunftszeit erreicht wird, schafft er keine neue Anspruchsgrundlage, sondern schränkt den bei einer relevanten Abflugsverspätung bejahten Ausgleichsanspruch dahingehend ein, dass er entfällt, falls das Endziel gleichwohl mit einem Zeitverlust von unter drei Stunden erreicht wird. Eine weitergehende Auslegung dahingehend, dass jeder Zeitverlust über drei Stunden hinaus entschädigt werden sollte, auch wenn er nicht abflugbedingt ist, verbietet sich: Dann hätte der Europäische Gerichtshof neben den vom Gemeinschaftsgesetzgeber geschaffenen drei Tatbeständen, die Ansprüche des Fluggastes zur Folge haben, als Gesetzgeber einen weiteren Tatbestand, den der Ankunftsverspätung, geschaffen. Da die FluggastVO aber keine umfassende Regelung von Flugverspätungen enthält, sondern nur einen Mindestschutz gewährt – Art. 12 der VO verweist bezüglich weitergehender Ansprüche auf das nationale Recht -, liegt keine (vermeintlich planwidrige) Lücke vor, die durch Schaffung einer weiteren Anspruchsgrundlage geschlossen werden könnte. Eine solche Analogiebildung würde die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschreiten und scheidet damit aus. Die Entscheidung des Gerichtshofs bezieht sich nur auf die Rechtfolgen eines verspäteten Abflugs.

19. Geht man davon aus, dass der Flug von Sao Paulo nach B. annulliert wurde, kann nichts anderes gelten. Den Fall einer Teilannullierung regelt der Gesetzgeber nicht; er ist obergerichtlich nicht entschieden worden. Wie oben ausgeführt, liegt keine planwidrige Lücke vor, die durch eine Analogiebildung geschlossen werden könnte.

20. Näherliegend ist jedoch die Auffassung, wonach es sich bei dem Flug von Sao Paulo nach B. um einen selbstständigen Flug handelt (BGH RRa 09, 239; BGH RRa 09, 242; vgl. Urteil der Kammer vom 5.1.12 Az.: 2-24 S 145/11). Dann ist die Klage ebenfalls abzuweisen. Denn auf innerbrasilianische Flüge ist die FluggastrechteVO nicht anwendbar (Art. 3 I). Solche Flüge werden in den Flugplänen isoliert angeboten ohne Bezug zu möglicherweise vorhergehenden Flüge der Fluggäste. Die Flüge werden nur dadurch, dass ein Kunde mehrere Flüge auswählt, um zu seinem Endziel zu gelangen, zu einer Flugreise verbunden.

21. Gem. Art. 234 II EG kommt eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof in Betracht. Der Umfang der Prüfungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs bei Entscheidungen über die internationale Zuständigkeit in Fällen, bei denen ein Luftfahrtunternehmen seinen Sitz in einem Drittstaat hat und der Umfang der internationalen Zuständigkeit ist dort noch nicht geklärt. Seiner Entscheidung vom 19.11.09 lässt sich ferner nicht sicher entnehmen, ob er in Fällen einer reinen Ankunftsverspätung die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung bereits abschließend abgesteckt hat. Der Leitsatz 2 der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.09 in Verbindung mit dessen Ausführungen unter Ziffern 52, 53 könnte den Eindruck erwecken, dass schon bei einem um mehr als 3 Stunden verspätetem Erreichen des Endziels ein Ausgleichsanspruch gegeben ist, weil nicht ausreichend deutlich wird, dass nur die Rechtsfolgen des verspäteten Abflugs geregelt werden. Die Kammer wäre gehalten, zur dieser Frage ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu richten, wenn sie rechtskräftig entscheiden würde. Da eine entscheidungserhebliche Frage durch eine Vorlage nach Art. 234 EGV zu klären ist, liegt ein Grund für die Zulassung der Revision zur Frage der internationalen Zuständigkeit und zur Frage der Anwendbarkeit der FluggastrechteVO bei fehlender Abflugsverspätung bez. zur Frage einer Teilannullierung vor, damit eine einheitliche Rechtsprechung gesichert werden kann.

22. Die unterliegende Partei hat die Kosten gem. § ZPO § 91 Abs. ZPO § 91 Absatz 1 ZPO zu tragen.

23. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ ZPO § 708 Nr. ZPO § 708 Nummer 10, ZPO § 711 ZPO.

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