Erhöhte Kriminalität im Zielgebiet als Reisemangel
LG Frankfurt: Erhöhte Kriminalität im Zielgebiet als Reisemangel
Ein Reisender wurde im Urlaub in der Dominikanischen Republik überfallen und machte dies als Reisemangel geltend. Die Klage wurde abgewiesen, da Kriminalität im persönlichen Lebensrisiko liegt.
LG Frankfurt | 2-24 O 321/11 (Aktenzeichen) |
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LG Frankfurt: | LG Frankfurt, Urt. vom 02.07.2012 |
Rechtsweg: | LG Frankfurt, Urt. v. 02.07.2012, Az: 2-24 O 321/11 |
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Leitsätze:
2. Verbrechensakte liegen im persönlichen Lebensrisiko und nicht im Haftungsbereich des Reiseveranstalters.
Die Informationspflichten des Reiseveranstalters erstrecken sich nicht auf allgemein bekannte, erhöhte Kriminalitätsraten der Reiseziele.
Zusammenfassung:
3. Der Kläger hatte bei der Beklagten als Reiseveranstalterin im Jahr 2010 eine Reise in die Dominikanische Republik gebucht. Dort wurden er und seine mitreisende Ehefrau bei einem Strandspaziergang Opfer eines Raubüberfalls durch zwei Einheimische, bei dem der Kläger lebensgefährlich verletzt wurde. Ingesamt verbrachte er 49 Tage in stationärer Behandlung und trug vor, noch immer unter den Folgen zu leiden. Vor dem Landgericht Frankfurt machte er den Überfall als Reisemangel geltend und verlangte Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,- €. Der Strandabschnitt sei nicht als gefährlich ausgeschildert gewesen und die Beklagte habe ihre Informationspflichten verletzt, indem sie den Kläger nicht über die hohe Kriminalität am Reiseziel aufgeklärt hatte.
Die Klage wurde abgewiesen. Es lag weder eine Pflichtverletzung seitens der Beklagten, noch ein Reisemangel vor. Die Gefahr, Opfer von Kriminellen zu werden, liegt im persönlichen Lebensrisiko, vor dem der Reiseveranstalter den Reisenden weder schützen kann noch muss. Die Beklagte hätte auch nicht auf die erhöhte Kriminalität in der Dominikanischen Republik hinweisen müssen, da diese allgemein bekannt ist und dem Reisenden, der sie sich als Ziel wählt, bewusst sein muss.
Tenor:
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
5. Der Kläger macht gegen die Beklagte als Reiseveranstalterin Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit einem behaupteten erlittenen Raubüberfall geltend.
6. Der Kläger buchte bei der Beklagten für sich und seine Ehefrau eine Pauschalreise in die Dominikanische Republik für den Zeitraum ….2010 bis ….2010.
7. Der Kläger behauptet, er sei am ….2010 Opfer eines brutalen Raubüberfalls geworden. Er sei am ….2010 mit seiner Ehefrau am hoteleigenen Strandabschnitt entlang spaziert als zwei Einheimische aus dem an den Strand angrenzenden Mangrovenwald herausgestürmt seien und von ihm verlangt hätten, ihnen seine mitgeführten Wertgegenstände auszuhändigen. Nachdem er dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, habe einer der beiden Männer eine Machete gezogen und den Kläger damit angegriffen. Aufgrund des Angriffs sei er massiv und lebensgefährlich verletzt worden. Er sei daraufhin in ein Krankenhaus auf der anderen Seite der Insel nach O1 gebracht worden. Die Verletzungen des Klägers seien so gravierend gewesen, dass er nur durch eine Notoperation habe gerettet werden können. Insgesamt sei er 35 Tage in stationärer Behandlung im Krankenhaus in O1 gewesen. Am ….2011 sei er nach Hause geflogen worden und habe dort weitere 14 Tage in einem Krankenhaus verbracht. Der Kläger behauptet, er leide noch heute unter den Folgen des Überfalls.
8. Der Kläger behauptet weiterhin, dass am Strand keinerlei Hinweisschilder vorhanden gewesen seien, auf denen von einer Nutzung dieses Strandabschnittes abgeraten worden sei. Daher seien der Kläger und seine Ehefrau davon ausgegangen, dass es sich um einen sicheren Strandabschnitt gehandelt habe.
9. Der Kläger behauptet zudem, dass ein Mitarbeiter der Beklagten im Krankenhaus in O1 gewesen sei. Diesem gegenüber habe der Kläger erklärt, dass er sämtliche ihm durch den Überfall entstandenen Schäden bei der Beklagten geltend machen werde.
10. Der Kläger behauptet weiterhin, seine Ehefrau sei in ein Hotel in der Nähe des Krankenhauses gezogen, um ihm näher zu sein. Weiterhin seien seine beiden Kinder aus Deutschland angereist, da nicht sicher gewesen sei, ob der Kläger den Angriff überhaupt überleben werde. Die diesbezüglich angefallenen zusätzlichen Kosten macht der Kläger als Schadensersatz gegenüber der Beklagten geltend. Hinsichtlich der Einzelheiten, insbesondere der Zusammensetzung der Forderung, wird auf die Klageschrift (Bl. 1ff. d.A.) Bezug genommen.
1.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.030,56 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basisdiskontsatz hieraus seit Rechtshängigkeit (….2012) zu zahlen.
2.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 15.000,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basisdiskontsatz hieraus seit Rechtshängigkeit (….2012) zu zahlen.
die Klage abzuweisen.
13. Die Beklagte behauptet – für den Fall, dass der Überfall tatsächlich stattgefunden habe -, dass dieser sich jedenfalls nicht an dem hoteleigenen Strand ereignet habe, sondern vielmehr außerhalb auf der vom Hotel aus linken Strandseite.
14. Die Beklagte ist der Auffassung, dass ihr eine Pflichtverletzung / Verkehrssicherungspflichtverletzung nicht zur Last zu legen sei. Vielmehr habe sich in dem behaupteten Überfall lediglich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht.
15. Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass reisevertragliche Gewährleistungsansprüche gem. § 651g I BGB ausgeschlossen seien. Insoweit behauptet die Beklagte, dass eine Anspruchsanmeldung nicht erfolgt sei.
16. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
17. Die zulässige Klage ist unbegründet.
1.
18. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld im Zusammenhang mit dem behaupteten Raubüberfall vom ….2010 gem. §§ 651f I, 253 II BGB bzw. gem. §§ 823, 253 II BGB.
19. Die vom Kläger geltend gemachte Ansprüche scheiden schon deshalb aus, weil nach einer Gesamtwürdigung der Umstände ein Reisemangel im Sinne von § 651c I BGB nicht feststellbar ist.
20. Der vom Kläger behauptete Raubüberfall stellt, sofern er tatsächlich vorgelegen hat (wobei das Gericht an dem vom Kläger geschilderten Geschehensablauf keine Zweifel hat), keinen Reisemangel dar. Vielmehr hat sich in dem Raubüberfall – so bedauerlich dies für den Kläger auch ist, was das Gericht auch nicht verkennt – lediglich in tragischer Weise ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, für welches die Beklagte als Reiseveranstalterin jedoch nicht haftet.
21. Kriminalität im Zielgebiet und allgemeine Gefahren des Überfalls und Diebstahls in der Urlaubsregion sind als Fälle des allgemeinen Lebensrisikos anerkannt (vgl. Führich, Reiserecht, 6. Aufl., 2010, Rn. 254 m.w.N.). Vor diesem brauchte die Beklagte den Kläger und seine Ehefrau nicht zu schützen, wobei es auch letztlich dahinstehen kann, wo genau sich der behauptete Raubüberfall abgespielt, also noch am hoteleigenen Strand oder schon am öffentlichen Strand. Da die Strände offensichtlich ineinander übergehen ist das allgemeine Lebensrisiko eines Überfalls nicht auf den öffentlichen Strandabschnitt beschränkt, sondern kann sich genauso gut auch am hoteleigenen Strand ereignen.
22. Nicht um allgemeines Lebensrisiko handelt es sich dann, wenn nicht das im Zielgebiet allgemein herrschende Kriminalitätsrisiko in Rede steht, sondern eine gegenüber dem allgemeinen Risiko deutlich erhöhte Überfallgefahr besteht (vgl. LG Frankfurt/Main, NJW-RR 2009, 402, 402 m.w.N.; Führich, Reiserecht, 6. Aufl., 2010, Rn. 257 m.w.N.).
23. Es ist allgemein bekannt und ergibt sich auch aus allgemein zugänglichen Quellen, dass in der Dominikanischen Republik das allgemein herrschende Kriminalitätsrisiko, insbesondere in Form von Überfällen, erhöht ist. Insoweit hat sich lediglich das allgemein bestehende nicht unerhebliche Risiko eines Raubüberfalls verwirklicht. Dagegen hat der Kläger auch nach Hinweis des Gerichts nicht dargelegt, dass gerade im Strandbereich, wo sich der Überfall ereignet haben soll, ein besonderes erhöhtes Überfallrisiko bestanden hat bzw. es dort bereits zu vermehrten Raubüberfällen gekommen ist. Insoweit ist nicht erkennbar, dass am Strand ein über das allgemeine Maß hinausgehende Überfallrisiko bestanden hat. Deshalb ist auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte bzw. ihre Leistungsträger verpflichtet gewesen wären, die Strandbereiche gesondert zu bewachen bzw. überwachen.
24. Ein Reisemangel kann auch nicht in einer Informationspflichtverletzung der Beklagten bzgl. Kriminalitäts- und Überfallrisiken gesehen werden.
25. Grundsätzlich ergibt sich eine Verpflichtung zur Information nicht bereits aus der lediglich abstrakten Überfallgefahr, wie sie aus der normalen Kriminalität eines Urlaubsortes zu folgern ist, da dies zum allgemeinen Lebensrisiko gehört, das der Reisende grundsätzlich selbst tragen muss (LG Frankfurt am Main, NJW-RR 1993, 632f.).
26. Auch wenn es sich bei dem Urlaubsziel des Klägers gerade um eine Land handelt, in dem mit einer erhöhten Kriminalität zu rechnen ist, so kann dies vorliegend trotzdem keine weitergehende Pflicht der Beklagten zur Aufklärung begründen.
27. Der Umfang der Informationspflicht des Reiseveranstalters bestimmt sich nämlich danach, inwieweit Informationen seitens des Reiseveranstalters überhaupt erforderlich sind (vgl. OLG Köln, NJW-RR 2000, 61, 61/62). Insofern ist davon auszugehen, dass eine Informationspflicht insbesondere dann nicht gegeben ist, wenn davon auszugehen ist, dass auf Grund allgemein bestehender Kenntnis, vermittelt durch allgemein zugängliche Quellen, die erforderlichen Informationen über das Zielgebiet bereits vorliegen.
28. Es ist davon auszugehen, dass es allgemein bekannt ist, dass die Dominikanische Republik unter höheren Sicherheitsrisiken zu bereisen ist. Es ist bekannt, dass die Bevölkerung dieses Landes arm ist, dass eine erhöhte Gewaltbereitschaft besteht und es regelmäßig auch zu bewaffneten Raubüberfällen kommt. Dieses Risiko muss jedem Reisenden, der sich dieses Zielgebiet aussucht, bewusst sein (vgl. dazu auch AG Köln, RRa 2004, 80, 80/81).
29. Der Kläger hat auch nicht ausreichend dargetan, dass Anhaltspunkte für eine besondere Gefahr speziell für den Urlaub des Klägers und seiner Frau vorlagen, auf die seitens der Beklagten hätte hingewiesen werden müssen.
30. Nach all dem ist nicht von einem Reisemangel im Zusammenhang mit dem behaupteten Raubüberfall auszugehen.
31. Danach scheiden reisevertragliche Gewährleistungsansprüche als aber auch deliktische Schadensersatzansprüche aus.
32. Nach all dem scheiden Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche des Klägers gegen die Beklagte aus.
2.
33. Da die weitergehenden Schriftsätze des Klägers vom 10.05.2012 und 31.05.2012 keinen weitergehenden entscheidungserheblichen Tatsachenvortrag enthalten, bedurfte es keines weitergehenden Schriftsatznachlasses für die Beklagte.
II.
34. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.
35. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.
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