Übernahme von Rechtsanwaltskosten durch das Luftfahrtunternehmen
AG Bremen: Übernahme von Rechtsanwaltskosten durch das Luftfahrtunternehmen
Die Parteien streiten um die Erstattung von Rechtsanwaltskosten, welche bei einer außergerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs auf eine Ausgleichszahlung entstanden sind. Das Amtsgericht Bremen hat entschieden, dass die Beklagte (Ryanair Ltd.) dem Fluggast die außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten erstatten muss.
AG Bremen | 9 C 0072/14 (Aktenzeichen) |
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AG Bremen: | AG Bremen, Urt. vom 12.06.2014 |
Rechtsweg: | AG Bremen, Urt. v. 12.06.2014, Az: 9 C 0072/14 |
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Leitsatz:
2. Die Rechtsanwaltskosten für eine außergerichtliche Einigung zwischen Luftfahrtunternehmen und Fluggast über Ausgleichsansprüche, sind dann von dem Luftfahrtunternehmen zu tragen, wenn das Luftfahrtunternehmen die Ausgleichszahlung nicht von sich aus anbietet.
Zusammenfassung:
3. Der Kläger buchte bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen (Ryanair. Ltd.) einen Flug. Dieser Flug verspätete sich um mehr als drei Stunden, sodass den Kläger ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung im Sinne der Fluggastrechteverordnung entstanden ist. Um seinen Anspruch durchzusetzen, erteilte der Kläger einem Rechtsanwalt ein Mandat. Der Rechtsanwalt hat den Anspruch des Klägers außergerichtlich durchgesetzt.
Der Kläger begehrt von der Beklagten (Ryanair Ltd.) die Übernahme seiner Rechtsanwaltskosten. Nach Ansicht des Amtsgerichts in Bremen, muss die Beklagte (Ryanair Ltd.) diese Kosten übernehmen. Bietet ein Luftfahrtunternehmen den Ausgleichsanspruch nicht von sich aus an, so muss der Verbraucher (Fluggast) sich hierzu der Hilfe eines Rechtsanwalts bedienen. Folglich werden die Rechtsanwaltskosten durch das Luftfahrtunternehmen verursacht.
Tenor:
4. Die Beklagte (Ryanair Ltd.) wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 250,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.05.2014, sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 13.05.2014 zu zahlen.
Die Beklagte (Ryanair Ltd.) trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
5. Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 313a ZPO
Entscheidungsgründe:
6. Die zulässige Klage ist begründet.
7. Das angerufene Gericht ist zuständig, weil der streitgegenständliche Flug vom 16.08.2013 via Bremen erfolgte.
8. Die Ausgleichszahlungsverpflichtung nach Art. 7 I a der Fluggastrechteverordnung (EG Nr. 261/2004) wurde seitens der Beklagten (Ryanair Ltd.) anerkannt (§ 307 ZPO).
9. Die Beklagte (Ryanair Ltd.) schuldet dem Kläger auch die Erstattung der vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten (Art. 12 Fluggastrechteverordnung i.V.m. §§ 634 Nr. 4, 280 , 249 BGB):
10. Unstreitig erreichte der klägerseits gebuchte Flug FR …. das Endziel später als 3 Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit. Diese erhebliche Flugverspätung stellt eine Schlechtleistung des Beförderungsvertrags dar, die eine sofort fällige Ausgleichszahlungsverpflichtung begründete.
11. Zwar ist der immaterielle Anspruch auf Ausgleichszahlung kein originärer Schadensersatzanspruch. Diesbezügliche vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten können aufgrund der zugrunde liegenden vertraglichen Pflichtverletzung gleichwohl eine Schadensposition im Sinne der §§ 631, 634 Nr. 4, 280 I, 249 BGB sein (Palandt, 73. A., § 249, Rn. 56; Einf. v. § 631, Rn. 17e; § 634, Rn. 8; BGH NJW 2003, 3766).
12. Es handelt sich regelmäßig um erforderliche und zweckdienliche Kosten der Rechtsverfolgung (Palandt, 73. A., § 249, Rn. 57; Woitkewitsch MDR 2012, 500 m.w.N.). Denn der Fluggast steht als Verbraucher einem international agierenden Unternehmen gegenüber; die materielle Rechtslage – neu gesetztes EU Recht befindet sich in stetiger Rechtsfortbildung. Somit bedarf der Anspruchsteller anwaltlicher Unterstützung. Die infolge der Mandatierung freiwillig getätigten Aufwendungen stellen sich als zurechenbar veranlasste Schadensposition dar.
13. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts sind vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nicht erst ab dem Zeitpunkt der wirksamen erstattungsfähig (a.A.: Rüsselsheim, Urteil vom 18.07.2013, 3 C 219/12-JURIS; AG Charlottenburg, Urteil vom 17.01.2014, 234 C 237/13-JURIS; Amtsgericht Geldern, Urteil vom 06.05.2014, 4 C 117/14; AG Köln, Urteil vom 09.05.2014, 147 C 60/14 n.v.: Anspruch nur gemäß § 286 BGB).
14. Zwar folgt der Zahlungsanspruch aus einer gesetzlichen Verordnung (so argumentativ das AG Köln, a.a.O.). Da alle Sekundäransprüche aus dem Gesetz folgen, ist dieser Umstand jedoch unerheblich. Entscheidend ist, dass die Entschädigungszahlung auf einer Vertragsverletzung beruht. Denn das Luftfahrtunternehmen schuldet die Beförderung zu den vereinbarten Zeiten; die planmäßige Ankunft ist als werkvertraglich geschuldeter Leistungserfolg zu klassifizieren (vgl. Palandt, 73. A., Einf. v. § 631, Rn. 17a m.w.N.). Auch wenn die pünktliche Ankunft im Sinne eines absoluten Fixgeschäfts nicht geschuldet sein sollte (vgl. BGH NJW 2009, 2743) zeigt die Existenz der Fluggastrechteverordnung in ihrer Interpretation durch den EuGH – große Kammer – (NJW 2013, 1291), dass die erhebliche Ankunftsverspätung am Zielort zweifelsfrei als vertragliche Pflichtverletzung zu bewerten ist.
15. An sich müsste ein gegen die Vorschriften der Fluggastrechteverordnung verstoßendes Luftfahrtunternehmen von sich aus Ausgleichszahlung leisten oder zumindest auf die entsprechenden Rechte des schlecht beförderten Kunden hinweisen. Würde ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten erst nach ergebnisloser Mahnung zugesprochen, setzte man – fälschlicherweise einen präzise informierten und an sich nicht schutzbedürftigen Fluggast voraus. Denn der Fluggast könnte – ohne anwaltliche Hilfe – das Luftfahrtunternehmen nur dann in Verzug setzen, wenn er die EG Verordnung 261/2004 und die Rechtsprechung des EuGH zur Gleichstellung von Annullierung und Verspätung im Detail kennen würde; überdies würde dem Fluggast abverlangt, den Kontakt zu der – international agierenden – Fluglinie, die ihren Sitz regelmäßig im Ausland unterhält, herzustellen. Der Verbraucher weiß nach einer Schlechtleistung in der Regel aber nur, dass ihm gewisse Rechte zustehen könnten; um diese konkret prüfen und ggf. beziffern zu lassen, sucht er anwaltliche Hilfe.
16. Es ist daher typisch, dass das erste Anspruchsschreiben des Fluggastes von anwaltlicher Seite aus erfolgt. Hat das Luftfahrtunternehmen zum Zeitpunkt der Mandatierung von sich aus keine Zahlung angeboten, hat es bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die entsprechenden Kosten grundsätzlich zurechenbar veranlasst.
17. Wertungsmäßig vergleichbar erscheint der Schadens- oder Schmerzensgeldanspruch des durch eine unerlaubte Handlung Geschädigten: Die vorgerichtlichen Anwaltskosten sind nach einem Verkehrsunfall (verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung gemäß § 7 StVG) auch ohne vorangehende Inverzugsetzung regelmäßig erstattungsfähig.
18. Ein Luftfahrtunternehmen, das die Erstattung vorgerichtlicher Kosten vermeiden möchte, kann nach einer erheblichen Flugverspätung von sich aus Ausgleichszahlung leisten.
19. Das Verschulden Beklagten (Ryanair Ltd.) wird vermutet (§ 280 I 2 BGB).
20. Die Höhe der vorgerichtlich angefallenen Kosten (1,3 Geschäftsgebühr zzgl. Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer) ist unstreitig und wurde zutreffend berechnet.
21. Die geltend gemachten Zinsen sind gemäß Art. 12 Fluggastrechteverordnung i.V.m. §§ 291, 288 I BGB geschuldet.
22. Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 713 ZPO; ein sofortiges Anerkenntnis im Sinne des § 93 ZPO liegt nicht vor.
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