Verjährung von Ausgleichansprüchen

AG Rüsselsheim: Verjährung von Ausgleichansprüchen

Die Klägerin macht gegen das beklagte Luffahrtunternehmen ihren Anspruch auf Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung geltend. Sie buchte bei der Beklagten einen Flug von Hamburg nach Palma (Mallorca), welcher erst 7 Stunden später als geplant startete. Dadurch kam sie 3 Stunden später am Zielort an.

Das Amtsgericht Rüsselsheim entschied, dass der Klägerin ein Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß der Fluggastrechteverordnung zustehe und dieser auch nicht durch Art. 35 Abs. 1 MÜ ausgeschlossen sei. Die Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung unterlegen allein den Verjährungsregeln nach dem nationalem Recht.

AG Rüsselsheim 3 C 219/12 (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 18.08.2012
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 18.08.2012, Az: 3 C 219/12
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Amtsgericht Rüsselsheim

1. Urteil vom 18. Juli 2012

Aktenzeichen 3 C 219/12

 Leitsatz:

2. Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung unterliegen allein den Verjährungsregeln nach dem nationelen Recht und nicht denen gemäß Art. 35 Abs. 1 MÜ.

Zusammenfassung:

3. Vorliegend buchte der Klägerin bei der Beklagten einen Flug von Hamburg nach Palma (Mallorca), wodurch die Parteien einen Luftbeförderungsvertrag schlossen. Dieser Flug startete mit einer  Verspätung von insgesamt 7 Stunden und kam 3 Stunden später am Zielort an. Die Klägerin verlangt nun von der Beklagten eine Ausgleichszahlung wegen Flugverspätung nach der Fluggastrechteverordnung.

Das Amtsgericht Rüsselsheim sprach dem Kläger einen Anspruch auf Ausgleichzahlung nach der Fluggastrechteverordnung zu. Wenn der Flug mehr als 3 Stunden Verspätung hatte, steht den Fluggästen ebenso ein Ausgleichsanspruch zu, wie bei einer Flugannullierung. Hier erlitten die Fluggäste einen Zeitverlust von 3 Stunden durch den verspäteten Flug. Somit steht der Klägerin eine Anspruch auf Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung zu.

Mithin sei der Anspruch auch nicht nach den Verjährungsregeln gemäß Art. 35 Abs. 1 MÜ ausgeschlossen, da diese nicht auf die Fluggastrechteverordnung anwendbar seien und. Die Ansprüche gemäß der Fluggastrechteverordnung unterlegen den Verjährungsregeln nach dem nationelen Recht.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 400,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.08.2008 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 17 % und die Beklagte 83 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um die Zahlung von Ausgleichsansprüchen nach der Verordnung (EG) 261/2004 (nachfolgend „VO“ genannt) wegen Flugverspätung sowie um den Ersatz, hilfsweise um Freistellung, von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

6. Die Klägerin buchte bei der Beklagten für den 29.06.2008 einen Flug von Hamburg nach Palma (Mallorca) (Flug …). Nachdem sich die Klägerin rechtzeitig am Abflughafen eingefunden hatte, startete der Flug tatsächlich erst mit einer Verspätung von 7 h und traf am Zielflughafen erst mit einer Verspätung von über 3 h ein. Die Flugentfernung betrug 1653 km.

7. Mit Schreiben vom 23.07.2008 bot die Beklagte der Klägerin eine Zahlung von EUR 11,00 an. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin machten mit Schreiben vom 11.08.2008 außergerichtlich einen Betrag von EUR 250,00 gegenüber der Beklagten geltend und forderten diese zur Zahlung bis zum 29.08.2008 auf. Die Beklagte lehnte eine Zahlung mit Schreiben vom 22.08.2008 ab. Die Klägervertreter machten am 27.06.2011 im Namen der Klägerin Ansprüche in Höhe von EUR 400,00 geltend.

8. Die Klägerin behauptet, dass ihr aus der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung ein Schaden in Form der nun klageweise geltend gemachten Anwaltskosten in Höhe von insgesamt EUR 83,54 entstanden sei.

9. Auf Antrag der Klägerin ist am 02.01.2012 Mahnbescheid erlassen worden, der am 05.01.2012 zugestellt worden ist und gegen den die Beklagte am 11.01.2012 Widerspruch eingelegt hat.

10. Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

an die Klägerin EUR 400,00 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.06.2008 zu zahlen,

an die Klägerin vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 83,54 zu erstatten,

hilfsweise, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und -gebühren der Rechtsanwälte … in Höhe von EUR 83,54 freizustellen.

11. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12. Die Beklagte erklärt die Anrechnung behaupteter Anwaltskosten sowie des Scheckbetrages nach Art. 12 VO.

13. Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Klageanspruch gemäß Art. 35 MÜ ausgeschlossen sei. Das Verfahren sei gemäß § 148 ZPO im Hinblick auf die beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Rechtssachen C-​581/10 und C-​629/10 auszusetzen.

 

Entscheidungsgründe:

14. Die Klage ist zulässig und im Hinblick auf die Hauptforderung vollständig, im Hinblick auf die geltend gemachten Zinsen teilweise begründet.

15. Die Klägerseite hat einen Anspruch auf Leistung von Ausgleichszahlungen in der geltend gemachten Höhe gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b), Art. 6 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (nachfolgend VO genannt). Nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 (Aktenzeichen C-​402/07 und C-​432/07) sowie des Bundesgerichtshofs vom 18.02.2010 (Aktenzeichen Xa ZR 95/06) sind die Art. 5, 6 und 7 VO dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichzustellen sind, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von 3 h oder mehr erleiden, ihr Ziel also nicht früher als 3 h nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Die Klägerseite kann die Ausgleichszahlung beanspruchen, da sie ihr Ziel später als 3 h nach der geplanten Ankunftszeit erreicht hat und auch eine Abflugverspätung von mehr als 3 h vorlag.

16. Eine Verurteilung Zug um Zug gegen Herausgabe eines von der Beklagten nicht näher benannten „Schecks“ ist nicht geboten. Die Klägerin kann einen ihr überlassenen – unstreitig aber bislang nicht eingelösten – Scheck bereits seit geraumer Zeit nicht mehr einlösen, § 29 ScheckG.

17. Die klägerischen Ansprüche sind auch nicht gemäß Art. 35 Abs. 1 MÜ ausgeschlossen. Die Ausschlussfrist des Art. 35 Abs. 1 MÜ ist auf Ansprüche nach der VO nicht anwendbar; diese unterliegen allein den Verjährungsregeln nach dem nationalen Recht. Der geltend gemachte Ausgleichsanspruch nach der VO stellt nach seiner Rechtsnatur bereits keinen Schadenersatzanspruch im Sinne des Art. 35 Abs. 1 MÜ dar (zum Ganzen BGH NJW 2010, 1526). Diese Vorschrift bezieht sich lediglich auf (individuelle) Schadensersatzansprüche, die in den Art. 17 ff. MÜ geregelt sind; für derartige Schadensersatzansprüche und Ausgleichsansprüche nach der VO gelten unterschiedliche Regelungsrahmen (EuGH NJW 2009, 2801, Rn. 27 m. w. N.).

18. Eine entsprechende Anwendung des Art. 35 Abs. 1 MÜ für Ausgleichsansprüche im Sinne des Art. 7 VO ist nicht geboten, da es diesbezüglich unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Rechtsquellen an einer Regelungslücke fehlt. Zwar sieht die VO selbst keine zeitlichen Schranken für die Durchsetzung von Ausgleichsansprüchen vor, insoweit ist jedoch nationales Recht anzuwenden. Verordnungen als sekundäre Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaften verdrängen nationales Recht nur insoweit, als sie ihren Gegenstand abschließend regeln; im Übrigen bleibt nationales Recht anwendbar (BGH, a. a. O.).

19. Eine gemeinschaftsweite Rechtsunsicherheit ist nicht zu besorgen, da sich in die betroffenen Luftfahrtunternehmen auf die nationalen Regelungen einstellen können (BGH, a. a. O.). Dabei etwa eintretende Diskrepanzen in der Verjährung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft sind hinzunehmen.

20. Hiernach richtet sich ein zeitlicher Ausschluss der geltend gemachten Ausgleichsforderungen allein nach den Verjährungsregeln der §§ 194, 195, 199 BGB (BGH, a. a. O.). Die Einrede der Verjährung wurde nicht erhoben.

21. Der Zinsanspruch ist ab dem 22.08.2008 begründet gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB, da die Beklagte jedenfalls an diesem Tag die klägerischen Ansprüche abgelehnt hat. Ein weitergehender Zinsanspruch ist nicht gegeben, da der Ausgleichsanspruch zwar am 30.06.2008 fällig gewesen ist, gleichwohl aber kein Verzug nach § 286 BGB vorlag. Überdies ist klägerseits nicht hinreichend substantiiert vorgetragen worden ist, ob und wann die anwaltliche Mahnung vom 11.08.2008 bei der Beklagten eingegangen ist.

22. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten ist die Klage unbegründet. Eine Zahlung von vorgerichtlichen Anwaltskosten kommt allein nach Verzugsgesichtspunkten in Betracht (so auch die st. Rspr. des Landgerichts Darmstadt). Dem Klägervortrag ist nicht zu entnehmen, dass ein Schuldnerverzug der Beklagten gegeben war, als die Klägerin ihre Prozessvertreter mit der außergerichtlichen Interessenwahrnehmung beauftragt hat.

23. Für einen Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten jenseits der Verzugsregeln ist kein Raum. Insbesondere besteht kein materiell-​rechtlicher Kostenerstattungsanspruch bezüglich der Rechtsanwaltskosten, da dieser nur im Rahmen der Geltendmachung und Durchsetzung eines originären Schadenersatzanspruchs in Betracht kommt. Vorliegend wurde jedoch nicht ein Schadenersatz-​, sondern ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 VO geltend gemacht, der einem Schadensersatzanspruch insofern nicht gleichzusetzen ist. Aus dem Wortlaut des Art. 12 VO lässt sich entnehmen, dass zwischen dem Ausgleichs- und einem Schadensersatzanspruch zu differenzieren ist.

24. Vor dem Hintergrund des Vorgenannten ist auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Freistellung der Klägerseite von den behaupteten vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren unbegründet.

25. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Im Hinblick auf die konkrete Kostenverteilung kommt es nicht darauf an, ob eine Partei allein im Hinblick auf eine Haupt- oder Nebenforderung unterliegt. Zwar wirken Klageansprüche auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nicht streitwerterhöhend, sie sind bei der Kostenentscheidung gleichwohl quotal zu berücksichtigen, wenn sie – wie hier – mehr als 10 % der (verbleibenden) Hauptforderung ausmachen (so für Teilrücknahme auch: LG Frankfurt JurBüro 1991, 118; für Teilunterliegen auch: OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 24.05.2011, Az. 9 U 110/10; BGH NJW 1988, 2173; BGH NJW 1961, 361; Zöller, § 92, Rn. 11). Der hilfsweise gestellte Klageantrag ist in diesem Rahmen nicht zu berücksichtigen, da im Hinblick auf den (fiktiven) Streitwert aufgrund der wirtschaftlichen Identität zum Hauptantrag nur der höhere Wert des Hauptantrags anzusetzen ist und eine Addition der Streitwerte unterbleibt.

26. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

27. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO ist nicht geboten. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO ist nur im Falle eines anderen anhängigen Rechtsstreits oder einer anstehenden Entscheidung einer Verwaltungsbehörde zulässig. Ein anderer Rechtsstreit, der für den vorliegenden vorgreiflich ist, liegt nicht vor. Der Umstand, dass eine reine Rechtsfrage in einem anderen Verfahren zu erörtern ist, reicht für eine Aussetzung nach § 148 ZPO nicht aus. Auch eine analoge Anwendung der Vorschrift ist nicht zulässig (so auch die Auffassung des Landgerichts Darmstadt, Beschluss vom 05.12.2011, Az. 5 T 597/11).

28. Auch eine Vorlage der Rechtsfrage an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV ist nicht veranlasst, da das erkennende Gericht eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht für erforderlich hält, Art. 267 Abs. 2 AEUV. Eine Verpflichtung zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof besteht nicht, da die vorliegende Entscheidung mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann, Art. 267 Abs. 3 AEUV.

29. Die Berufung war gemäß § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen, da die Beklagte mit nicht mehr als EUR 600,00 beschwert ist, die Rechtssache im Hinblick auf die Vorabentscheidungsverfahren anhängigen Rechtssachen C-​581/10 und C-​629/10 beim Europäischen Gerichtshof aber grundsätzliche Bedeutung hat.

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