Ausgleichsanspruch nach EU-​Fluggastrechteverordnung

AG Rüsselsheim: Ausgleichsanspruch nach EU-​Fluggastrechteverordnung

Die Kläger hatten Flüge gebucht, wobei einige Teilstrecken von der Beklagten durchgeführt wurden. Aufgrund einer Verspätung eines Fluges erreichten sie einen Anschlussflug nicht mehr und kamen verspätet am Endziel an. Daher verlangen sie Ausgleichszahlung.

Das Amtsgericht wies die Klage ab.

AG Rüsselsheim 3 C 2425/14 (36) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 30.07.2014
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 30.07.2014, Az: 3 C 2425/14 (36)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1. Urteil vom 30. Juli 2014

Aktenzeichen 3 C 2425/14 (36)

Leitsatz:

2. Ein Flugunternehmen ist nicht für eine Verspätung ausgleichspflichtig, die auf der Verspätung eines anderen Fluges eines anderen Unternehmens beruht.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten Flüge von Holguin über Montego Bay und Frankfurt nach Leipzig gebucht, wobei einige Teilstrecken von der Beklagten durchgeführt wurden. Aufgrund einer Verspätung des Fluges Montego Bay-Frankfurt erreichten sie einen Anschlussflug nicht mehr und kamen verspätet am Endziel Leipzig an. Daher verlangen sie Ausgleichszahlung.

Das Amtsgericht wies die Klage ab. Die Beklagte sei nicht Flugdienstleisterin auf der ursprünglich verspäteten Strecke gewesen. Daher sei sie nicht ausgleichspflichtig. Auch sei die ursprüngliche Verspätung unter der relevanten Mindestverspätung geblieben.

Tenor

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

5. Die Parteien streiten über Ausgleichsansprüche nach der EG-Verordnung 261/2004 (nachfolgend VO) infolge von Flugverspätungen sowie über die Zahlung, hilfsweise Freistellung, diesbezüglicher vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren.

6. Die Kläger buchten über das Unternehmen … für den 19. 05. 2013 einen Flug von Holguin über Montego Bay (…) und Frankfurt (…) nach Leipzig (…). Die Flugstrecken Holguin- Montego Bay und Montego Bay- Frankfurt sollte die Beklagte darstellen. Die Landung in Leipzig sollte planmäßig um 14:05 Uhr erfolgen, tatsächlich erreichten die Kläger Leipzig jedoch erst um 20:18 Uhr. Grund hierfür war, dass der Flug Montego Bay- Frankfurt außerplanmäßig statt um 11:25 Uhr erst um 13:09 Uhr in Frankfurt landete, sodass der Anschlussflug nach Leipzig verpasst wurde. Die Flugentfernung betrug 8.444 km.

7. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger forderte die Beklagte unter dem 18. 03. 2014 zur Zahlung von Ausgleichsansprüchen auf.

8. Die Kläger behaupten, mit Schreiben vom 09. 10. 2013 die Beklagte bereits die zur Zahlung von Ausgleichsansprüchen bis zum 23. 10. 2013 aufgefordert zu haben. Weiterhin sei ihnen aus der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung ein Schaden durch Verbindlichkeiten gegenüber ihrem Prozessvertreter in Form ordnungsgemäß abgerechneter Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 334,75 EUR entstanden.

9. Die Kläger sind der Auffassung, dass zur Auslösung von Ausgleichsansprüchen lediglich auf die Verspätung am Endpunkt der Reise- hier Leipzig- abzustellen sei. Des Weiteren werde von der Rechtsprechung für die Ausgleichsleistung beim Verpassen eines Anschlussfluges im Falle von Teilstrecken lediglich ein einheitlicher Buchungsvorgang verlangt, was vorliegend gegeben sei.

10. Die Kläger beantragen,

11. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils 600,00 EUR, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 24. 10. 2013 zu zahlen sowie 334,75 EUR Verzugsschaden an die Kläger als Gesamtgläubiger zu zahlen;

12. h i l f s w e i s e

13. die Beklagte zu verurteilen, die Kläger von der Forderung der … in Höhe von 334,75 EUR freizustellen.

14. Die Beklagte beantragt,

15. die Klage abzuweisen.

16. Die Beklagte rügt, dass sie selbst nicht ausführendes Luftfahrtunternehmen des eine Verspätung von über 3 h hervorrufenden Fluges gewesen sei. Die durch sie verursachte Verspätung habe weniger als 3 h betragen- was letztlich unstreitig ist.

17. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18. Die zulässige Klage ist unbegründet.

19. Den Klägern steht kein Anspruch auf Ausgleichsleistungen zu.

20. Ein solcher folgt zunächst nicht aus Art. 4 Abs. 3, Art. 7 VO wegen Nichtbeförderung, da die Beklagte unstreitig nicht ausführendes Luftfahrtunternehmen des verpassten Anschlussfluges von Frankfurt nach Leipzig gewesen ist und die Beklagte die Kläger auf dem Flug von Holguin über Montego Bay nach Frankfurt unstreitig befördert hat. Ein Fall der Annullierung lag ebenfalls nicht vor.

21. Schließlich können die Kläger die Leistung von Ausgleichszahlungen auch nicht gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. c) VO verlangen. Nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 (Aktenzeichen C-402/07 und C-432/07) sowie des Bundesgerichtshofs vom 18.02.2010 (Aktenzeichen Xa ZR 95/06) sind die Art. 5, 6 und 7 VO dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichzustellen sind, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von 3 h oder mehr erleiden, ihr Ziel also nicht früher als 3 h nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Demnach haben Fluggäste grundsätzlich eine Flugverspätung von unter 3 h hinzunehmen, ohne hierfür einen Ausgleich beanspruchen zu können.

22. Vorliegend fehlt es bereits unstreitig an einer relevanten Ankunftsverspätung von mindestens 3 h, da hinsichtlich des Fluges von Montego Bay nach Frankfurt auch nach dem Klägervortrag eine Maximalverspätung von 1 h und 45 min. vorlag. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist für die Feststellung einer haftungsrelevanten Verspätung lediglich auf diesen durch die Beklagte durchgeführten Flug abzustellen, da- wie bereits ausgeführt- die Beklagte für den Anschlussflug von Frankfurt nach Leipzig nicht ausführendes Luftfahrtunternehmen gewesen ist (so auch Landgericht Darmstadt, Urteil vom 06. 11. 2013, Az. 7 S 78/13).

23. Nach Art. 2 lit. h) VO ist unter dem „Endziel“ der Zielort auf dem am Abfertigungsschalter vorgelegten Flugschein, bzw. bei direkten Anschlussflügen der Zielort des letzten Fluges zu verstehen. Dass für die Feststellung der Ankunftsverspätung am „Endziel“ ausschließlich der letzte Flug des jeweils in Anspruch genommenen Luftfahrtunternehmens erheblich sein kann, folgt bereits daraus, dass sich die VO hinsichtlich sämtlicher Verpflichtungen primär an die jeweils „ausführenden Luftfahrtunternehmen“ richtet, so in Art. 4 Abs. 3, Art 5 Abs. 1, 3, Art. 6 Abs. 1, Art. 8 Abs. 3, Art. 10 Abs. 1, Art. 11, 13, 14 VO.

24. Aus diesem Grund kam es nach Auffassung des erkennenden Gerichts auch nicht darauf an, dass sich die Ankunftsverspätung aufgrund des verpassten und durch die … durchgeführten Anschlussfluges auf über 3 h erhöht hat.

25. Nach der für Ausgleichsansprüche im Fall von Verspätungen maßgeblichen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 (Az. C-402/07 und C-432/07) wurde die Dauer einer relevanten Ankunftsverspätung seitens des Gerichtshofs auf 3 h festgelegt. Hierbei ging der Gerichtshof davon aus, dass nach Art. 7 VO ein Ausgleichsanspruch auch bei Verspätungen gerechtfertigt sei, wenn das Luftfahrtunternehmen seine Fluggäste nicht anderweitig mit einem Flug befördert, der nicht mehr als 1 h vor der planmäßigen Abflugzeit startet und das Endziel höchstens 2 h nach der planmäßigen Ankunftszeit erreicht, die Fluggäste also gegenüber der ursprünglich von dem Luftfahrtunternehmen angesetzten Dauer einen Zeitverlust von 3 h oder mehr erleiden (EuGH, a. a. O., Rz. 57). Der Gerichtshof ging dabei erkennbar davon aus, dass der Zeitverlust von 3 h unmittelbar vom ausführenden Luftfahrtunternehmen zu verantworten sein muss. Dem steht die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 26. 02. 2013 (Az. C-11/11) nicht entgegen.

26. Zwar ist der Rechtsauffassung der Klägerseite zuzugeben, dass sich dieses von ihm zitierte Urteil des Europäischen Gerichtshofs mit der Problematik von Anschlussflügen beschäftigt und hierbei ausgehend von Art. 2 lit. h) VO hinsichtlich des für die Feststellung der maßgeblichen Ankunftsverspätung relevanten „Endziels“ bei direkten Anschlussflügen den Zielort des „letzten Fluges“ zugrunde legt (EuGH a. a. O., Rdn. 34). Der Sachverhalt, der dem dortigen Urteil zugrunde lag, ist mit dem vorliegenden jedoch nicht vergleichbar, da dort sämtliche Flüge planmäßig und tatsächlich von dem selben beklagten Luftfahrtunternehmen (…) durchgeführt worden sind.

27. Die Auffassung der Klägerseite würde letztlich dazu führen, dass Fluggäste, die nach einer eben noch nicht haftungsrelevanten Ankunftsverspätung von unter 3 h ihre Reise mit einem Anschlussflug verspätet fortsetzen und allein deshalb den „Schlussort“ der Reise mit einer Ankunftsverspätung von über 3 h erreichen, gegenüber den Fluggästen, deren Reise am Ankunftsort des verspäteten Fluges endet oder die sich von dort mit sonstigen Transportmitteln weiterbewegen (Zug, Mietwagen), ohne vernünftigen Grund bessergestellt würden.

28. Anderweitige, insbesondere vertragliche Ansprüche gegen die Beklagte sind nicht ersichtlich, da zwischen den Parteien keine vertraglichen Beziehungen existierten. Zwar lag nach dem Vortrag der Kläger der Flugreise ein einheitlicher Buchungsvorgang zugrunde. Die Buchung erfolgte jedoch unstreitig und ausweislich der Anlage K 2 (Bl. 29 ff. d. A.) gegenüber dem Reiseveranstalter … .

29. Da die Hauptforderung nicht besteht, sind auch die Nebenforderungen unbegründet.

30. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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