Haftung des Reiseveranstalters für vor Ort gebuchte Zusatzleistungen

LG Frankfurt: Haftung des Reiseveranstalters für vor Ort gebuchte Zusatzleistungen

Die Kläger hatten bei der Beklagten eine Reise gebucht. Vor Ort buchten sie eine von einem dritten Unternehmen durchgeführte Zusatzleistung. In deren Verlauf kam es zu einem schuldhaften Verkehrsunfall. Daher verlangen die Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Das Landgericht gab der Klage statt.

LG Frankfurt 2-19 O 24/05 (Aktenzeichen)
LG Frankfurt: LG Frankfurt, Urt. vom 25.10.2005
Rechtsweg: LG Frankfurt, Urt. v. 25.10.2005, Az: 2-19 O 24/05
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Landgericht Frankfurt

1. Urteil vom 25. Oktober 2005

Aktenzeichen 2-19 O 24/05

Leitsatz:

2. Der Reiseveranstalter haftet für Mängel einer Zusatzleistung die von einem dritten Unternehmen angeboten wird, wenn für den Durchschnittsreisenden diese Aufgabenverteilung nicht hinreichend klar ist.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei der Beklagten eine Reise gebucht. Vor Ort buchten sie einen von einem dritten Unternehmen durchgeführten Ausflug als Zusatzleistung. In dessen Verlauf kam es zu einem schuldhaften Verkehrsunfall, indem der Busfahrer wegen mangelndem Fahrtlicht auf einen LKW auffuhr. Der Busfahrer kam ums Leben und die Kläger wurden, teilweise schwer, verletzt. Daher verlangen die Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Das Landgericht gab der Klage statt. Es sei für die Reisenden nicht hinreichend erkennbar gewesen, dass der Ausflug nicht von der Beklagten durchgeführt werde. Vielmehr waren die Formulare zur Buchung, der Bus sowie die Mitarbeiter im Bus mit dem Logo der Beklagten dekoriert. Daher sei diese der richtige Anspruchsgegner. Es liege zweifelsohne eine Mangelleistung vor, die zu den geforderten Zahlungen berechtige.

Tenor

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1) 6.000,– Euro, an den Kläger zu 2) 1.000,– Euro und an den Kläger zu 3) 1.500,– Euro zu zahlen, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.11.2004.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin zu 1), den Kläger zu 2) und den Kläger zu 3) jeweils 250,– Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 26.11.2004 und jeweils 60,– Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 08.04.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

5. Die Kläger buchten bei der Beklagten für die Zeit vom 20.09. bis 04.10.2004 eine Pauschalreise nach Ägypten für insgesamt 2.091,– Euro. Die Beklagte wirbt in ihrem Reiseprospekt für Ausflugsmöglichkeiten, die vor Ort bei der örtlichen Reiseleitung gebucht werden könnten. Dabei heißt es „Die Reiseleitung ist Ihnen gerne bei der Buchung behilflich, ist jedoch lediglich Vermittler dieser Ausflugsprogramme. Die Verantwortung für Organisation und Durchführung trägt die örtliche Agentur C“. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 48 d. A. Bezug genommen. Am Urlaubsort buchten die Kläger beim örtlichen Reiseleiter, der Mitarbeiter von C ist, für den 28.09.2004 einen Busausflug nach Kairo, für den jeder der Kläger 60,– Euro bezahlte. Das Ausflugsticket (Blatt 54 d. A.) war mit dem Firmenzeichen der Beklagten und dem von C versehen und enthielt ebenfalls den Hinweis über die Verantwortung für Organisation und Durchführung. Der eingesetzte Reisebus war außen mit einem großen Firmenzeichen der Beklagten versehen und wurde von Reiseleitern begleitet, die T-Shirts mit diesem Logo trugen. Auf der Rückfahrt fuhr der Reisebus, der mit überhöhter Geschwindigkeit und trotz Dunkelheit nur mit Standlicht fuhr, auf einen stehenden Lkw auf, wobei der Busfahrer getötet und die Kläger verletzt wurden. Die Klägerin zu 1) erlitt eine 12 cm lange Risswunde an der rechten Schädelhälfte, die genäht werden musste und möglicherweise zu einer bleibenden Narbe im Gesicht führt, ein Hämatom am rechten Auge, eine Prellung des linken Kniegelenks sowie ein HWS-Schleudertrauma. Sie war bis zum 07.01.2005 arbeitsunfähig. Der Kläger zu 2) erlitt eine 4 cm lange Schnittwunde am Hals, eine Prellung des rechten Schultergelenks sowie der linken Hüfte und ein HWS-Schleudertrauma. Er war für eine Woche arbeitsunfähig. Der Kläger zu 3) erlitt eine circa 2 cm lange Schnittwunde am großen Zeh des rechten Fußes, welche in den folgenden Tagen vereiterte, eine Prellung der unteren LWS und des linken Kniegelenkes. Er war bis zum 14. 11. 2004 arbeitsunfähig. Am übernächsten Tag reisten die Kläger vorzeitig nach Deutschland zurück.

6. Die Kläger machen Schmerzensgeldansprüche und Ansprüche wegen entgangener Urlaubsfreude sowie Rückzahlung des Preises für den Ausflug geltend.

7. Die Kläger beantragen,

8. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) ein angemessenes, vorläufiges Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber den Betrag von 6.000 Euro nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.11.2004 zu zahlen;

9. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 2) ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber den Betrag von 1.000 Euro nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.11.2004 zu zahlen;

10. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 3) ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber den Betrag von 1.500 Euro nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.11.2004 zu zahlen;

11. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zu 1) bis 3) jeweils eine billige Entschädigung in Geld nach Ermessen des Gerichts nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.11.2004 zu zahlen;

13. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils 60 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

14. Die Beklagte beantragt,

15. die Klage abzuweisen.

16. Die Beklagte wendet ein, sie sei nicht passiv legitimiert, da der Ausflug bei der örtlichen Agentur gebucht wurde und sie deutlich darauf hingewiesen habe, dass es sich um eine Fremdleistung handele.

17. Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der vorgetragenen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18. Die Klage ist begründet.

19. Die Beklagte ist verpflichtet, den Klägern für die bei dem Unfall erlittenen Verletzungen ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, weil die Reise mangelhaft war und die Beklagte daher Schadensersatz wegen Nichterfüllung schuldet (§§ 651 f Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB).

20. Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass es auf der Ausflugsfahrt nach Kairo zu einem schuldhaft herbeigeführten Verkehrsunfall kam, durch den die Kläger am Körper verletzt wurden, und der Ausflug deshalb mangelhaft war. Streitig ist allein die Frage, ob der Ausflug Bestandteil des mit der Beklagten geschlossenen Pauschalreisevertrages (§ 651 a Abs. 1 BGB) ist und die Beklagte daher für die daraus entstandenen Folgen einzustehen hat. Diese in der Rechtsprechung seit jeher umstrittene Frage (vgl. z. B. das in RRa 2005, 65 veröffentlichte Urteil eines Einzelrichters der Kammer und OLG Düsseldorf, RRa 2005, 118 einerseits, OLG Düsseldorf RRa 2005, 121 andererseits) wird von der Kammer für den vorliegenden Fall unter Würdigung aller Umstände dahin beantwortet, dass der Ausflug Bestandteil der Pauschalreise war.

21. Grundsätzlich sind Gegenstand des Reisevertrages alle Leistungen, die der Veranstalter dem Reisenden nach dem ausgeschriebenen Reiseprogramm anbietet. Zur Ermittlung des Umfangs der Leistungen dient daher neben der Reisebestätigung auch der von dem Reiseveranstalter herausgegebene Reiseprospekt (vgl. BGH, NJW 2000, 1188). Bei vor Ort gebuchten Zusatzleistungen kommt es darüber hinaus darauf an, wie das Reiseunternehmen bei objektiver Würdigung der Gesamtumstände aus der Sicht eines vernünftigen und objektiv urteilenden Reisenden auftritt. Für die Annahme einer Fremdleistung ist es erforderlich, dass deren Erbringung außerhalb des Organisations- und Verantwortungsbereichs des Reiseunternehmens aus Sicht eines durchschnittlichen Reisenden unmissverständlich klar ist.

22. Eine solche unmissverständliche Klarheit kann hier nicht angenommen werden. Zwar wird sowohl in dem Reiseprospekt wie auch auf dem vor Ort ausliegenden Prospekt und dem Ausflugsticket mehr oder weniger deutlich darauf hingewiesen, dass die Verantwortung für Organisation und Durchführung die örtliche Agentur C E Travel trage. Abgesehen davon, dass bereits dadurch nicht hinreichend klar wird, dass diese örtliche Agentur ein von der Beklagten rechtlich zu unterscheidendes Unternehmen darstellt, genügt diese Erklärung angesichts der sonstigen Umstände nicht (§ 651a Abs. 2 BGB). Bereits der Umstand, dass für den Ausflug nach Kairo ebenso wie für andere Ausflugsmöglichkeiten im Reiseprospekt der Beklagten geworben und dieser auch näher beschrieben wird, legt für den durchschnittlichen Reisenden nahe, dass der Reiseveranstalter diesen als Ergänzung der Pauschalreise mit anbieten will. Der Hinweis auf dem vor Ort überreichten Werbezettel, dass der Ausflug „nur bei Ihrem E-Reiseleiter buchbar“ sei, musste in Zusammenhang mit dem Umstand, dass diese Werbung das Firmenzeichen der Beklagten trug und sich zudem in der Begrüßungsmappe fand, ebenfalls die Erwartung wecken, dass der Reisende hier ein Zusatzangebot des ihm bekannten Reiseveranstalters erhielt. Letztlich wurde auch durch die tatsächliche Abwicklung des Ausflugs diese Erwartung noch weiter bestärkt. Denn der Ausflug wurde bei der örtlichen Reiseleitung gebucht und bezahlt und zudem mit einem Bus durchgeführt, der außen groß und unübersehbar das Firmenzeichen der Beklagten trug, wie sich aus den vorgelegten Fotos ergibt. Zudem wurde der Ausflug von den örtlichen Reiseleitern begleitet, die T-Shirts mit diesem Zeichen trugen. Angesichts dieser Einbindung in die Organisationsstruktur der Beklagten deutet für den durchschnittlichen Reisenden alles darauf hin, dass diese auch Veranstalterin des Ausflugs ist und für dessen Durchführung einstehen wird. Daher genügt der bloße Hinweis auf eine „Fremdleistung“ nicht, um den Reiseveranstalter aus seiner Verantwortung gegenüber seinen Kunden zu entlassen. Keine Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die örtlichen Reiseleiter ebenfalls Mitarbeiter von C waren, da die Beklagte nach ägyptischem Recht keine eigene „Incoming-Agentur“ unterhalten darf. Der örtliche Reiseleiter darf vom Reisenden nämlich typischerweise als Repräsentant des Reiseveranstalters angesehen werden. Das gefundene Ergebnis entspricht auch der Billigkeit. Denn wenn die Beklagte mit ihrem Namen als deutsches Unternehmen bei ihren Reisenden vor Ort um die Buchung von Zusatzleistungen wirbt, muss sie es letztlich auch hinnehmen, dass sie im Falle von Mängeln dieser Leistungen dafür in Anspruch genommen wird und kann die Reisenden nicht auf die mögliche Inanspruchnahme eines ägyptischen Unternehmens verweisen.

23. Unter diesen Umständen ist die Beklagte den Klägern für die beim Unfall erlittenen Schäden ersatzpflichtig. Für die erheblich verletzte Klägerin zu 1) erscheint unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände und vergleichbarer Fälle ein Schmerzensgeld von 6.000,– Euro angemessen, aber auch ausreichend, wobei die Kammer bereits berücksichtigt hat, dass durch die im Gesicht verlaufende Naht möglicherweise eine andauernde Beeinträchtigung der Klägerin eingetreten ist. Die deutlich geringeren Verletzungen der Kläger zu 2) und 3) erscheinen mit 1.000,– bzw. 1.500,– Euro hinreichend abgegolten. Einwendungen bezüglich der Höhe des Schmerzensgeldes hat die Beklagte im Übrigen auch nicht erhoben.

24. Die Beklagte ist zudem verpflichtet, den Klägern eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit zu zahlen, weil die nach dem Unfall verbliebenen sechs Urlaubstage vollständig – und damit erheblich – beeinträchtigt waren (§ 651 f Abs. 2 BGB). Entsprechend der neueren Rechtsprechung der Kammer ist die Entschädigung nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessen, wobei das Einkommen des Reisenden kein zulässiges Bemessungskriterium ist, und muss in angemessenem Verhältnis zum Reisepreis stehen (Urteil vom 19.07.2005 – 2-19 O 244/05, vgl. auch BGH, NJW 2005, 1047 ff.). Der anteilige Reisepreis für die beeinträchtigte Urlaubszeit betrug für alle drei Kläger zusammen 836,40 Euro, pro Person 278,80 Euro. Die Kammer setzt die Entschädigung für jeden der Kläger daher auf 250,– Euro fest.

25. Schließlich teilt die Kammer auch die Einschätzung der Kläger, dass der für den Ausflug gezahlte Reisepreis von 60,– Euro zurückzuzahlen ist, weil dessen Wert auf Null gemindert war (§ 651 d BGB). Zwar ereignete sich der Unfall auf der Rückfahrt. Gleichwohl ist auch eine Minderung hinsichtlich bereits erbrachter Reiseleistungen möglich, wenn diese in Folge eines Mangels für den Reisenden keinen Nutzen gehabt haben (vgl. BGH, NJW 2000, 1188, 1191). So liegt der Fall hier. Bei einem derart tragischen Ausgang eines Tagesausflugs kommt dem Umstand, dass die Kläger letztlich Kairo besichtigen konnten, keine Bedeutung zu.

26. Die zugesprochenen Zinsen sind Verzugszinsen (§§ 286, 288 BGB).

27. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.

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