Ausgleichszahlung bei Zubringerflug

LG Berlin: Ausgleichszahlung bei Zubringerflug

Ein Fluggast verlangt von einem Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung, da sich der Flug verspätetet und die Klägerin ihren Anschlussflug dadurch nicht mehr erreichte.

Das Amtsgericht Berlin sprach dem Kläger einen solchen Anspruch nicht zu. Auch das Landgericht Berlin stimmte aufgrund der Berufung des Klägers hin, dieser Entscheidung zu. Dem Kläger steht kein Ausgleichsanspruch für den verpassten Anschlussflug zu.

LG Berlin 85 S 113/11 (Aktenzeichen)
LG Berlin: LG Berlin, Urt. vom 20.09.2011
Rechtsweg: AG Berlin-Wedding, Urt. v. 31.03.2011, Az: 8a C 10/10
LG Berlin, Urt. v. 20.09.2011, Az: 85 S 113/11
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Landgericht Berlin

1.Urteil vom 20.September 2011

Aktenzeichen 85 S 113/11

Leitsätze:

2. Nichterreichen des Anschlussfluges aufgrund der Verspätung des Zubringerflugs begründet keinen Schadensersatzanspruch sowie Ausgleichsanspruch.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter buchten bei der Beklagten einen Flug von Berlin nach Madrid und von Madrid einen Anschlussflug nach San Jose in Costa Rica. Der Flug in Berlin startete 1 1/2 Stunden später. Dadurch erreichten sie den Flughafen in Madrid verspätet und konnten nicht den gebuchten Flug nach Costa Rica nicht mehr erreichen.

Die Klägerin verlangt nun eine Ausgleichszahlung nach Art. 4 Abs. 3, Art. 7 EG-VO 261/04 bzw. Schadensersatz aus §280 I BGB.

Das Landgericht sowie das Amtsgericht Berlin spricht der Klägerin einen solchen Anspruch nicht zu. Zubringerflug und Anschlussflug seien isoliert zu betrachten, auch wenn beide Flüge zusammen gebucht wurden und von der selben Fluggesellschaft sind. Die Klägerin und der Prozessbevollmächtigte befanden sich außerdem nicht rechtzeitig am Flugsteig, was eine Voraussetzung für einen Ausgleichsanspruch nach Art. 4 Abs. 3, Art. 7 EG-VO 261/04 wäre. Mithin ist kein materieller Schaden seitens der Klägerin zu erkennen, sodass ein Schadensersatzanspruch ebenso ausscheidet.

Tenor:

4. Die Berufung der Klägerin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

5. Die Klägerin verlangt von der beklagten Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung nach Art. 4 Abs. 3, Art. 7 EG-VO 261/04 aus eigenem und aus abgetretenem Recht ihres Prozessbevollmächtigten in Höhe von insgesamt 1200 EUR bzw. Schadensersatz wegen Vertragsverletzung nach § 280 Absatz 1 BGB in der geschätzten Höhe von 1200 EUR.

6. Die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter buchten bei der Beklagten einen Flug von Berlin Tegel nach Madrid und einen Anschlussflug von Madrid nach San Jose in Costa Rica für den 20. Januar 2010. Die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter hatten bereits in Berlin-Tegel auch für den Anschlussflug „eingecheckt“ und ihre Bordkarten für den Anschlussflug bereits in Berlin erhalten. Die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter starteten am 20. Januar 2010 vom Flughafen Berlin-Tegel mit einer Verspätung von 1 1/2 Stunden. Sie landeten in Madrid (verspätet) um 11:28 Uhr am Terminal 4. Das Flugzeug erreichte die Standposition um 11:39 Uhr. Der Weiterflug nach San Jose erfolgte vom Terminal 4S. Die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter wurden nicht mit dem von ihnen gebuchten Flug nach San Jose befördert. Als sie am Schalter eintrafen war der Einsteigevorgang bereits beendet. Sie flogen am folgenden Tag mit dem Flug um 12:05 nach San Jose ab.

7. Die Klägerin hat behauptet, sie und ihr Prozessbevollmächtigter seien um 11:55 Uhr am Abfertigungsschalter zum Weiterflug nach San Jose eingetroffen. Ihnen sei der Einstieg jedoch verweigert worden. Ihnen sei gesagt worden, die Maschine sei ausgebucht und ihre Plätze anderweitig vergeben worden. Die Beklagte habe daher auch schon den Flug von Berlin nach Madrid vorsätzlich verzögert. Das Flugzeug nach San Jose habe als die Klägerin den Schalter um 12:40 Uhr verließ noch am Terminal gestanden.

8. Die Beklagte hat behauptet, aufgrund der örtlichen Gegebenheiten am Flughafen sei es nicht möglich, dass die Parteien den Abfertigungsschalter für den Anschlussflug bereits um 11:55 Uhr erreicht haben. Der Flug nach San Jose sei um 12:40 Uhr abgeflogen.

9. Im Übrigen wird gemäß § 540 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen.

10. Mit am 31. März 2011 verkündeten und der Klägerin am 5. April 2011 zugestellten Urteil hat das Amtsgericht Wedding das Versäumnisurteil vom 10. November 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte es aus, dass es nicht erwiesen sei, dass sich die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter auf dem Flugsteig eingefunden haben, als das Flugzeug die Parkposition noch nicht verlassen hatte.

11. Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer am 2. Mai 2011 beim Landgericht Berlin durch ihren Prozessbevollmächtigten eingelegten Berufung gewendet und verfolgt die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche weiter. Die Berufung wurde bereits mit der Einlegungsschrift, zugegangen beim Landgericht am 2. Mai 2011, durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin begründet.

12. Die Klägerin hat beantragt,

13. unter Aufhebung des am 31. März 2011 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Wedding, Geschäftsnummer 8a C 10/10, das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Wedding vom 10.11.2010 wiederherzustellen.

14. Die Beklagte hat schriftsätzlich den Antrag angekündigt,

15. die Berufung zurückzuweisen.

16. Für die Beklagte ist im Termin zur Berufungshauptverhandlung am 20. September 2011 niemand erschienen. Eine ordnungsgemäße Ladung konnte nicht festgestellt werden.

17. Die zulässige Berufung hat auch unter Zugrundelegung allein des Vorbringens der Berufungsklägerin keinen Erfolg. Die Berufung war daher zurückzuweisen, § 539 Absatz 2 ZPO.

18. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ausgleichszahlung oder Schadensersatz wegen des Nichterreichens des Anschlussflugs nach San Jose.

19. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ausgleichszahlungen gemäß Art. 4 Abs. 3, Art. 7 EG-VO 261/04 (im weiteren: Verordnung) wegen der Verspätung des Zubringerflugs und des dadurch bedingten Nichterreichens des Anschlussfluges. Einem Fluggast, der einen Flug wegen eines verspäteten Zubringerflugs nicht erreicht, steht kein Anspruch auf eine Ausgleichsleistung nach Art. 4 Abs. 3, Art. 7 der Verordnung zu. Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn beide Flüge gemeinsam gebucht sind und von demselben Luftverkehrsunternehmen durchgeführt werden (BGH, Urteil vom 30. April 2009, Az: BGH Xa ZR 79/08). Zubringerflug und Anschlussflug sind nach gefestigter Rechtsprechung grundsätzlich isoliert zu betrachten (vgl. Art. 2 lit h der Verordnung und EuGH Rra 2008, 237).

20. Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung ergibt sich auch nicht wegen einer Beförderungsverweigerung hinsichtlich des geplanten Anschlussfluges nach San Jose in Costa Rica, obwohl sich das Flugzeug nach Angaben der Klägerin noch in der Parkposition am Flugsteig befand. Eine Ausgleichszahlung nach Artikel Art. 4 Abs. 3, Art. 7 setzt insbesondere voraus, dass sich der Flugreisende rechtzeitig am Flugsteig eingefunden haben muss, um das Flugzeug zu besteigen (BGH, Urteil vom 30. April 2009, Az: Xa ZR 79/08, Rz. 8 unter Hinweis auf die französische, englische, italienische und spanische Fassung der Verordnung- zitiert nach juris). Die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter fanden sich unstreitig erst nach Abschluss des Einsteigevorgangs am Flugsteig ein. Dies war nicht mehr rechtzeitig.

21. Zwar mussten sich die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter nicht spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung einfinden, wie dies Artikel 3 Abs. 2 lit. a grundsätzlich vorsieht, denn die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter waren bereits in Berlin auch für den Anschlussflug abgefertigt worden und hatten ihre Bordkarten erhalten.

22. Die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter hätten sich jedoch spätestens bis zum Ende des Einsteigevorgangs am Flugsteig einfinden müssen, was ihnen aber unstreitig nicht gelang. Nach ihrem Wortlaut sagt die Verordnung zwar nichts darüber, wann sich der rechtzeitig zur Abfertigung für den Flug erschienene Fluggast zum Einstieg am Flugsteig einfinden muss. Das Amtsgericht ging jedoch aus den zutreffenden Gründen davon aus, dass es auf den Zeitpunkt der Beendigung des Einsteigevorgangs ankommt. Es ist einer Fluggesellschaft nicht zuzumuten, nach Beendigung dieses Vorgangs erneut Passagiere aufzunehmen. Dies selbst dann nicht, wenn sich das Flugzeug noch am Flugsteig befindet und über Brücken noch erreicht werden kann, also lediglich die Türen nochmals geöffnet werden müssen. Das erneute Aufnehmen von Passagieren würde zu einer unverhältnismäßigen Störung des Betriebsablaufs führen und dürfte in den meisten Fällen zu einer erheblichen Verspätung des betroffenen Flugs führen.

23. Nach Beendigung des Einsteigevorgangs wird in der Regel das Zuteilen einer Startbahn beantragt. Bei erneuter Aufnahme von Passagieren müsste der Antrag auf Zuteilung einer Startbahn zurückgenommen werden, was den gesamten Organisationsablauf am Flughafen beeinträchtigen würde. So hat auch der BGH im Urteil vom 30. April 2009 (BGH Xa ZR 79/08, Rz. 9) ausgeführt, es sei nahe liegend, dass sich der Fluggast, wenn schon nicht zur angegebenen Einsteigezeit, so zumindest bis zum Ende des Einsteigevorgangs am Ausgang eingefunden haben muss. Eine Einstiegsverweigerung im Sinne der Verordnung liegt bei einem später eintreffenden Passagier nicht vor.

24. Es besteht auch kein Anspruch wegen einer Umbuchung des Fluges gegen den Willen der Klägerin. Nicht jede Umbuchung des Anschlussflugs löst den Ausgleichsanspruch aus. Im Streitfall wurde der Klägerin und ihrem Prozessbevollmächtigten der Einstieg in die gebuchte Maschine nicht infolge einer gegen ihren Willen vorgenommenen Umbuchung verwehrt, sondern sie wurden auf einen anderen Flug gebucht, weil und nachdem sie sich, wenn auch ohne ihr Verschulden, zur Abfertigung für den ursprünglich gebuchten Flug nicht rechtzeitig einfinden konnten. In einem solchen Fall kann die Umbuchung keine Einstiegsverweigerung darstellen.

25. Zwar steht eine Entscheidung des EuGH zu der Frage aus, ob eine Umbuchung, die bereits vor Ankunft des Passagiers zur Abfertigung oder zum Besteigen des Flugzeugs, eine Beförderungsverweigerung darstellen kann. Im Streitfall wurde der Klägerin der Einstieg in die gebuchte Maschine jedoch verwehrt, nachdem sie sich (wenn auch schuldlos) verspätet am Flugsteig eintraf. In einem solchen Fall liegt gerade keine unberechtigte Beförderungsverweigerung vor und auch kein planmäßiger Versuch, eine Beförderungsverweigerung vor Ort am Flughafen durch Umbuchungen im Vorfeld zu umgehen. Es stellt sich daher nicht die Frage, welche der BGH mit Vorlagebeschluss vom 7. Oktober 2010 -X ZR 96/06- dem EuGH vorgelegt hat.

26. Soweit die Klägerin behauptete, der Zubringerflug sei vorsätzlich verzögert worden, weil der Anschlussflug überbucht gewesen sei, so erfolgte diese Behauptung, wie das Amtsgericht zu Recht annahm, ohne jede Anhaltspunkte hierfür und damit erkennbar ins Blaue hinein. Der Vortrag ist daher nicht zu berücksichtigen.

27.  Auch ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Absatz 1 BGB wegen Verletzung des Beförderungsvertrags besteht nicht. Die Klägerin hat schon nicht vorgetragen, inwieweit ihr ein materieller Schaden entstanden sein soll. Eine Schätzung der Schadenshöhe nach § 287 ZPO ist nur möglich, wenn die Anknüpfungstatsachen, aus denen sich der Schaden ergibt, ausreichend vorgetragen werden.

28. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nummer 10 ZPO.

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