Ausgleichsanspruch gegenüber dem die erste Teilstrecke ausführenden Luftfahrtunternehmen

AG Hamburg: Ausgleichsanspruch gegenüber dem die erste Teilstrecke ausführenden Luftfahrtunternehmen

Flugreisende forderten eine Ausgleichszahlung für die Verspätung bei einer mehrteiligen Flugreise. Das Verfahren wurde ausgesetzt, weil unklar war, ob die Fluggesellschaft der ersten Teilstrecke für die Gesamtverspätung haften musste.

AG Hamburg 25b C 413/16 (Aktenzeichen)
AG Hamburg: AG Hamburg, Urt. vom 12.05.2017
Rechtsweg: AG Hamburg, Urt. v. 12.05.2017, Az: 25b C 413/16
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Amtsgericht Hamburg

1. Urteil vom 12. Mai 2017

Aktenzeichen 25b C 413/16

Leitsätze:

2. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:

Ist Art. 7 Nr. 1 a) der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen dahin auszulegen, dass der Begriff „Ansprüche aus einem Vertrag“ auch einen Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen erfasst, der gegenüber einem ausführenden Luftfahrtunternehmen verfolgt wird, welches nicht Vertragspartner des betroffenen Fluggasts ist?

Soweit Art. 7 Nr. 1 a) der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Anwendung findet:

Ist bei einer Personenbeförderung auf zwei Flügen ohne nennenswerten Aufenthalt auf dem Umsteigeflughafen das Endziel des Fluggastes auch dann als Erfüllungsort anzusehen, wenn der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf eine Ausgleichszahlung auf eine auf der ersten Teilstrecke aufgetretene Störung gestützt wird und sich die Klage gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen des ersten Flugs richtet, das weder Vertragspartner des Beförderungsvertrags noch ausführendes Luftfahrtunternehmen des zweiten Flugs ist?

Wenn die 2. Frage bejaht wird:

Ist bei einer Personenbeförderung durch ein Luftfahrtunternehmen aus einem Mitgliedsstaat über einen anderen Mitgliedsstaat in einen dritten Mitgliedsstaat auf einer aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugverbindung – entsprechend dem mit einer anderen Luftfahrtgesellschaft geschlossenen Beförderungsvertrag – das die erste Teilstrecke ausführende Luftfahrtunternehmen, das nicht Vertragspartner des Fluggastes ist, für eine große Verspätung am Endziel, die sich aus einer geringen Verspätung auf der ersten Teilstrecke ergibt, gegenüber dem Fluggast in dem Sinne verantwortlich, dass es im Falle einer Verspätung ab drei Stunden am Endziel zur Leistung der Ausgleichszahlungen  verpflichtet ist?

Zusammenfassung:

3. Die Kläger für den 2. Juli 2016 eine einheitliche Flugreise von Marseille in Frankreich über Amsterdam in den Niederlanden nach Hamburg in Deutschland gebucht. Der erste Flug wurde durch die Beklagte, der zweite durch die Vertragspartnerin der Kläger durchgeführt. Wegen einer geringfügigen Verspätung des ersten wurde der zweite Flug nicht und dadurch das Ziel mit vierstündiger Verspätung erreicht. Hierfür forderten die Reisenden eine Ausgleichszahlung gemäß der europäischen Fluggastrechteverordnung.

Das Amtsgericht Hamburg setzte das Verfahren aus, weil unklar war, ob es selbst zuständig war, ob der Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung eröffnet war und ob die Beklagte nach der Fluggastrechteverordnung haftbar gemacht werden konnte, da sie nicht Vertragspartnerin der geschädigten Passagiere war. Außerdem lag die Verspätung des Fluges unter der ausgleichsfähigen Dauer und der zweite Flug war nicht durch sie durchgeführt worden. Daher legte das Gericht dem Europäischen Gerichtshof die Fragen zur Beantwortung vor, ob es zuständig war und die Beklagte unter den entsprechenden Bedingungen haftbar gemacht werden konnte.

Tenor:

4. Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:

1.

Ist Art. 7 Nr. 1 a) der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dahin auszulegen, dass der Begriff „Ansprüche aus einem Vertrag“ auch einen Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 296/91 erfasst, der gegenüber einem ausführenden Luftfahrtunternehmen verfolgt wird, welches nicht Vertragspartner des betroffenen Fluggasts ist?

2.

Soweit Art. 7 Nr. 1 a) der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Anwendung findet:

Ist bei einer Personenbeförderung auf zwei Flügen ohne nennenswerten Aufenthalt auf dem Umsteigeflughafen das Endziel des Fluggastes auch dann als Erfüllungsort gemäß Art. 7 Nr. 1b) 2. Spiegelstrich der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen anzusehen, wenn der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auf eine auf der ersten Teilstrecke aufgetretene Störung gestützt wird und sich die Klage gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen des ersten Flugs richtet, das weder Vertragspartner des Beförderungsvertrags noch ausführendes Luftfahrtunternehmen des zweiten Flugs ist?

3.

Wenn die 2. Frage bejaht wird:

Ist bei einer Personenbeförderung durch ein Luftfahrtunternehmen aus einem Mitgliedsstaat über einen anderen Mitgliedsstaat in einen dritten Mitgliedsstaat auf einer aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugverbindung – entsprechend dem mit einer anderen Luftfahrtgesellschaft geschlossenen Beförderungsvertrag – das die erste Teilstrecke ausführende Luftfahrtunternehmen, das nicht Vertragspartner des Fluggastes ist, für eine große Verspätung am Endziel, die sich aus einer geringen Verspätung (hier: 36 Minuten) auf der ersten Teilstrecke ergibt, gegenüber dem Fluggast in dem Sinne verantwortlich, dass es im Falle einer Verspätung ab drei Stunden am Endziel zur Leistung der Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 an den Fluggast verpflichtet ist?

Gründe:

I.

5. Die Kläger sollten gemäß der einheitlichen Buchungsbestätigung (Anlage K1, jedoch nur für den Kläger zu 2.) am 02.07.2016 von Marseille in Frankreich über Amsterdam in den Niederlanden nach Hamburg in Deutschland befördert werden. Der erste Flug hatte die Flugnummer AF1874 und sollte um 19.45 Uhr (alle Uhrzeitangaben in jeweiliger Ortszeit) in Amsterdam landen. Ausführendes Luftfahrtunternehmen dieses Fluges war die Beklagte. Der zweite Flug hatte die Flugnummer KL1789 und sollte um 20.35 Uhr in Amsterdam starten und Hamburg um 21.40 Uhr erreichen. Er wurde von einem anderen Luftfahrtunternehmen, der KLM, ausgeführt.

6. Der erste Flug war verspätet und erreichte Amsterdam erst um 20.21 Uhr, so dass der Anschlussflug nicht erreicht wurde. Die Kläger erreichten das Ziel Hamburg mittels einer Ersatzbeförderung erst am 03.07.2016 um 08.12 Uhr.

7. Die Kläger behaupten zwar, dass sie den Beförderungsvertrag mit der Beklagten geschlossen hätten. Die Beklagte wendet dagegen jedoch ein, nicht sie, sondern die KLM sei Vertragspartnerin der Kläger geworden. Die Beklagte habe nur den ersten Flug durchgeführt. Beide Parteien stützen sich dazu unter anderem auf die Buchungsbestätigung (Anlage K1) und die dortigen Angaben. Die Anlage K1 ist jedoch insoweit unergiebig, zumal sie für den Kläger zu 1. gar keine Aussagekraft entfaltet. Die darlegungsbelasteten Kläger tragen jedoch trotz wiederholten gerichtlichen Hinweises zu den konkreten Umständen des behaupteten Vertragsschlusses mit der Beklagten nicht vor, so dass ihre Behauptung prozessual als unbeachtlich zu gelten hat. Daher ist prozessual davon auszugehen, dass die hier streitenden Parteien kein Vertragsverhältnis verbindet.

8. Die Kläger meinen, dass die Beklagte ihnen aufgrund der großen Verspätung am Endziel Hamburg in Anbetracht der Entfernung der Gesamtflugstrecke gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Buchst. c) der Verordnung Nr. 261/2004 eine Ausgleichsleistung in Höhe von je 250,00 € schulde.

9. Die Beklagte macht geltend, dass außergewöhnliche Umstände vorgelegen hätten und daher kein Ausgleichsanspruch bestehe. Auf dem Vorflug des hier in Streit stehenden Flugs von Marseille nach Amsterdam hätten 7 Passagiere zwar eingecheckt, seien aber nicht zum Boarding erschienen. Angesichts dessen habe die Beklagte entsprechend den gesetzlichen Vorgaben das bereits verladene Gepäck der 7 Passagiere wieder ausladen müssen, was zunächst zu der Verspätung des Vorfluges und sodann auch zu der Verspätung des hiesigen Fluges geführt habe. All dies ist streitig.

10. Die Kläger haben vor dem Amtsgericht Hamburg gegen die Beklagte Klage auf Zahlung von jeweils 250,00 € Ausgleichszahlung nebst Zinsen erhoben. Die Klage datiert vom 21.11.2016. Die Beklagte hält das angerufene Gericht für international unzuständig und die Klage im Übrigen auch für unbegründet.

II.

11. Die hier zu treffende Entscheidung ist abhängig von der Auslegung des Unionsrechts.

12. Es ist streitig, ob außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 zu der kleinen Verspätung auf dem Flug nach Amsterdam geführt haben, die dann wiederum zu der großen Verspätung am Endziel Hamburg geführt hat. Wenn sich der Beklagtenvortrag als zutreffend erweist, würde das erkennende Gericht einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der genannten Vorschrift bejahen und die Klage abweisen. Über diese tatsächlichen Fragen ist jedoch erst dann zu verhandeln und Beweis zu erheben, wenn es überhaupt auf die Frage nach außergewöhnlichen Umständen ankommt. Im Übrigen ist die zur internationalen Zuständigkeit aufgeworfene Frage zu 1. davon auch unabhängig und prozessual vorrangig, weil die Klage bei internationaler Unzuständigkeit des Gerichts als unzulässig abzuweisen wäre. Zudem rechtfertigt schon die Vielzahl der allein beim Amtsgericht Hamburg behandelten Verfahren, in denen die hier aufgeworfenen Fragen eine Rolle spielen, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs, um insoweit Rechtssicherheit herzustellen. Schließlich beurteilt das vorlegende Gericht in eigener Verantwortung, ob die Frage nach der Auslegung des Unionsrechts entscheidungsrelevant ist (EuGH, Urteil vom 16.6.2015, C-​62/14, NJW 2015, 2013 Rn. 11 ff., 24 – Gauweiler). Grundsätzlich wird die Erforderlichkeit vom Gerichtshof nicht überprüft, denn sie ist vom nationalen Recht abhängig. Der Gerichtshof spricht von einem „unbeschränkten Recht zur Vorlage“ (EuGH, Urteil vom 26.11.2014, C-​22/13, NZA 2015, 153 Rn. 48 – Mascolo; Urteil vom 16.06.2015 – NJW 2015, 2013 Rn. 25).

13. Das Gericht hat vorrangig zu prüfen, ob eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte besteht. Wenn die deutschen Gerichte aus dem Grund zuständig sind, dass die Klage am Ort des Endziels erhoben werden kann, wäre die Klage vor dem Amtsgericht Hamburg zulässig. Andernfalls wäre sie als unzulässig abzuweisen. Das hängt von der Auslegung der Verordnung Nr. 1215/2012 („Brüssel-​Ia-​VO“) ab. Diese ist gemäß ihrem Art. 66 anzuwenden, da das Verfahren nach dem 10.01.2015 eingeleitet wurde.

14. Zur vorher geltenden Verordnung Nr. 44/2001 („Brüssel-​I-VO“), die zu den hier aufgeworfenen Fragen im Wesentlichen gleich lautet, hat der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) dem Gerichtshof der Europäischen Union mit Beschluss vom 14.06.2016 – X ZR 92/15 – die folgenden Fragen vorgelegt:

15. „1. Ist Art. 5 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dahin auszulegen, dass der Begriff „Ansprüche aus einem Vertrag“ auch einen Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 296/91 erfasst, der gegenüber einem ausführenden Luftfahrtunternehmen verfolgt wird, welches nicht Vertragspartner des betroffenen Fluggasts ist?

2.

16. Soweit Art. 5 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 Anwendung findet:

17. Ist bei einer Personenbeförderung auf zwei Flügen ohne nennenswerten Aufenthalt auf dem Umsteigeflughafen das Endziel des Fluggastes auch dann als Erfüllungsort gemäß Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Spiegelstrich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 anzusehen, wenn der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auf eine auf der ersten Teilstrecke aufgetretene Störung gestützt wird und sich die Klage gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen des ersten Flugs richtet, das nicht Vertragspartner des Beförderungsvertrags ist?“

18. Diese beiden Fragen stellen sich auch im vorliegenden Verfahren, wenn auch nunmehr zu Art. 7 der Verordnung Nr. 1215/2012 an Stelle von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Spiegelstrich der Verordnung Nr. 44/2001.

1.

19. Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte für eine Klage auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 FluggastrechteVO ist nicht nach Art. 19 Abs. 1 des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28. Mai 1999 (ABl. EG L 194, S. 39 vom 18. Juli 2001) ausgeschlossen, weil für Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung und aus jenem Abkommen unterschiedliche Regelungsrahmen gelten (EuGH, Urteil vom 9. Juli 2009 – C-​204/08, Slg. 2009, I-​6073 Rn. 27 – Rehder; vom 23. Oktober 2012 – C-​581/10 und C-​629/10, RRa 2012, 272 Rn. 46, 55, 57 mwN – Nelson u.a.).

20. Die Zuständigkeit deutscher Gerichte kann sich, da der geschlossene Vertrag die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand hat, nur aus Art. 7 Nr. 1 a), b) 2. Spiegelstrich der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 ergeben.

21. Die Anknüpfung an den dem Wohnsitz gleichgesetzten Unternehmenssitz führt nicht zur Zuständigkeit deutscher Gerichte, weil der Sitz der Beklagten außerhalb Deutschlands liegt. Der Verbraucherwahlgerichtsstand am Wohnsitz des Klägers in Deutschland ist nicht auf Beförderungsleistungen anzuwenden, die außerhalb von Reiseverträgen mit einem Pauschalpreis für kombinierte Beförderungs- und Unterbringungsleistungen erbracht werden. Der Deliktsgerichtsstand läge auch dann nicht in Deutschland, wenn die Beförderung mit einer Verspätung, die einen Anspruch aus Art. 7 FluggastrechteVO auslöst, als schädigendes Ereignis einzuordnen wäre. Der Ort der unerlaubten Handlung umfasste dann zwar sowohl den Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens als auch den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs (EuGH, Urteil vom 18. Juli 2013 – C-​147/12, EuZW 2013, 703 Rn. 51 – ÖFAB). Dafür kämen aber lediglich der Ort des Abflugs oder der Ankunft des verspäteten Fluges in Betracht, hier also Marseille oder Amsterdam.

2.

22. Sollte der Gerichtshof die erste Frage und damit die Anwendbarkeit des für Vertragsbeziehungen geltenden Gerichtsstandes bejahen, wäre vorliegend die weitere Frage aufgeworfen, ob bei einer Klage gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen, das nicht Vertragspartner ist, wegen einer kleinen Verspätung auf dem ersten Flug auch der Zielort des zweiten Fluges als Erfüllungsort anzusehen ist. Denn das angerufene Gericht ist nur für den Ankunftsort der zweiten Teilstrecke zuständig.

23. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass im Fall einer Beförderung von Personen im Luftverkehr von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage eines mit einer einzigen Luftfahrtgesellschaft, dem ausführenden Luftfahrtunternehmen, geschlossenen Vertrags für eine auf diesen Beförderungsvertrag und die Verordnung Nr. 261/2004 gestützte Klage auf Ausgleichszahlungen nach Wahl des Klägers das Gericht des Ortes des Abflugs oder das des Ortes der Ankunft des Flugzeugs entsprechend der Vereinbarung dieser Orte in dem Vertrag zuständig ist (EuGH, Urteil „Rehder“ vom 09.07.2009, C-​204/08, Rn. 43 ff.). Daran dürfte sich dadurch, dass Art. 5 der Verordnung Nr. 44/2001 durch Art. 7 der Verordnung Nr. 1215/2012 ersetzt ist, inhaltlich nichts ändern. Die Frage, welches Gericht zuständig ist, wenn die Klage sich gegen ein Luftfahrtunternehmen richtet, welches nicht Vertragspartner des betroffenen Fluggasts ist, hat der Gerichtshof jedoch bisher nicht beantwortet.

24. Der dem Streitfall zugrunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich vom Fall „Rehder“ in dreierlei Hinsicht. Zum einen sollten die Fluggäste zu ihrem Endziel mit zwei Flügen – ohne nennenswerten Aufenthalt auf dem Umsteigeflughafen – befördert werden. Zum anderen ist das in Anspruch genommene ausführende Luftfahrtunternehmen nicht dasjenige, mit dem die Fluggäste den Vertrag geschlossen hatten. Schließlich ist das in Anspruch genommene ausführende Luftfahrtunternehmen auch nicht dasjenige, welches den Flug zum Endziel durchgeführt hat.

25. Aus Sicht des erkennenden Gerichts sprechen die besseren Argumente dafür, in einem Fall wie diesem einen Gerichtsstand am Endziel des zweiten Fluges zu verneinen. Das die erste Flugstrecke durchführende Luftfahrtunternehmen, das mit dem Fluggast in keiner vertraglichen Beziehung steht, hat mit dem zweiten Flugabschnitt nichts zu tun, müsste sich aber dennoch an dessen Ankunftsort verklagen lassen. Es hätte also keinerlei Einfluss darauf, an welchen Orten europaweit ein vertraglicher Gerichtsstand begründet würde. Der Fluggast hingegen hat sowohl den Abflug- als auch den Ankunftsort des ersten Teilfluges bewusst gewählt, so dass nichts dagegen spricht, ihn auf diese Gerichtsstände zu verweisen. Er hat sich auf diesen Ort eingelassen, anders als das nicht vertraglich mit dem Fluggast verbundene Luftfahrtunternehmen auf den Ankunftsort eines Anschlussfluges, der durch ein anderes Unternehmen durchgeführt wird.

3.

26. Ist die Klage dennoch zulässig, weil der Gerichtshof die Fragen zu 2. bejaht, so hat das angerufene Gericht zu prüfen, ob die geltend gemachten Ansprüche auf Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) der Verordnung Nr. 261/2004 bestehen. Das hängt von der Auslegung der Verordnung Nr. 261/2004 ab.

27. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass Fluggäste, die am Endziel eine große Verspätung erleiden, nämlich eine Verspätung von drei Stunden oder mehr, über den Wortlaut der Verordnung Nr. 261/2004 hinaus ebenso wie Fluggäste, deren ursprünglicher Flug annulliert wurde und denen das Luftfahrtunternehmen keine anderweitige Beförderung unter den in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. iii der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Voraussetzungen anbieten kann, einen Ausgleichsanspruch auf der Grundlage von Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 haben, da sie in ähnlicher Weise einen irreversiblen Zeitverlust und somit Unannehmlichkeiten erleiden (EuGH, Urteil „Sturgeon u.a.“ vom 19.11.2009, C-​402/07, Rn. 60 f., Urteil „Nelson u.a.“ vom 23.10.2012, C-​581/10 und C-​629/10 sowie Urteil „Folkerts“ vom 26.01.2013, C-​11/11, Rn. 32 f.). Weiter hat der Gerichtshof entschieden, dass es im Fall einer Flugreise mit Anschlussflügen für die Zwecke der in Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen pauschalen Ausgleichszahlung allein auf die Verspätung ankommt, die gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel, nämlich dem Zielort des letzten Fluges des betreffenden Fluggasts, festgestellt wird (EuGH, Urteil „Rehder“ vom 26.02.2013, C-​11/11, Rn. 35). Die Entscheidung betraf allerdings den Fall, dass alle Flüge von einem Luftfahrtunternehmen, das zudem Partei des geschlossenen Beförderungsvertrags war, ausgeführt wurden.

28. Der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofes ist dagegen nicht zu entnehmen, gegen welches Luftfahrtunternehmen sich Ansprüche des Fluggastes auf der Grundlage von Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 richten, wenn die „große“ Verspätung von mehr als drei Stunden am Endziel durch eine nur „kleine“ Verspätung von weniger als drei Stunden auf einer früheren Teilstrecke verursacht wird, die von einem anderen Unternehmen als dem Vertragspartner des Fluggasts ausgeführt wird. Auch der Verordnung Nr. 261/2004 ist das nicht zu entnehmen, da sie diesen Fall nicht erfasst, sondern nur in Fällen der Annullierung und der Nichtbeförderung Ausgleichsleistungen vorsieht. Dann aber ist stets eindeutig, welches Unternehmen dafür einzustehen hat. Die hier aufgetretene Rechtsunsicherheit ergibt sich erst aufgrund der vom Gerichtshof in richterlicher Rechtsfortbildung vorgenommenen erheblichen Ausweitung der Verordnung auch auf Fälle der Verspätung. In Fällen, in denen es auf einer früheren Teilstrecke nur zu einer kleinen Verspätung kommt, erscheint fraglich, ob eine große Verspätung am Endziel (stets) zu Ansprüchen gegen das Unternehmen führen soll, das nur für die kleine Verspätung verantwortlich und zudem nicht Vertragspartner des Fluggasts ist. Dafür mag sprechen, dass das Unternehmen die Möglichkeit hat, die Beförderung von Passagieren anderer Gesellschaften von Bedingungen abhängig zu machen und gegebenenfalls das Unternehmen, das den Vertrag mit dem Passagier geschlossen hat, in Regress zu nehmen. Ersteres ist hier aber gar nicht vorgetragen. Und andererseits erscheint es zu weitreichend, ein Luftfahrtunternehmen, das auf der von ihm ausgeführten (Zubringer-​) Strecke nur eine kleine Verspätung verursacht, so zu behandeln, als ob es einen bei ihm gebuchten Flug (zu einem erheblich weiter entfernten Ziel) gegenüber seinem Vertragspartner annulliert hätte. Dadurch würde man letztlich dem ausführenden Unternehmen eine Verantwortung für die gesamte – theoretisch denkbar weltweite – Verbindung auferlegen, die es gerade nicht vertraglich übernommen hat und obwohl es keinen Einfluss auf die Buchung der Gesamtverbindung nehmen konnte und sogar in Fällen, in denen dem die Teilstrecke ausführenden Luftfahrtunternehmen gar nicht bekannt war, dass oder welchen weiteren Flug ein Fluggast gebucht hat. Das erscheint nicht sach- und interessengerecht, weil das ausführende Luftfahrtunternehmen dann der Höhe nach nahezu unkalkulierbaren Risiken ausgesetzt wäre. Denn es hat, wenn es nicht Vertragspartei des Luftbeförderungsvertrags ist, weder Einfluss darauf, welchen Preis die Fluggäste für den von ihm ausgeführten Flug zu entrichten haben, noch Einfluss darauf, welche weiteren Anschlussflüge die Fluggäste buchen. Auf diese Weise wäre es gemäß Art. 7 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 c) der Verordnung Nr. 261/2004 auch zu Ausgleichsleistungen in Höhe von jeweils 600,00 € gemäß Art. 7 Abs. 1 c) der Verordnung Nr. 261/2004 verpflichtet, obwohl es selbst nur einen Flug im Sinne von Art. 7 Abs. 1 a) der Verordnung Nr. 261/2004 mit einem maximalen Risiko von Ausgleichsansprüchen in Höhe von 250,00 € pro Passagier durchgeführt hat. Auch das erscheint weder sach- noch interessengerecht. Vielmehr wäre in diesen Fällen nach Dafürhalten des erkennenden Gerichts das mit dem Fluggast vertraglich verbundene Luftfahrtunternehmen in Anspruch zu nehmen, also als ausführendes Luftfahrtunternehmen im Sinne der Verordnung Nr. 261/2004 anzusehen, denn allein dieses hat sich gegenüber dem Fluggast verpflichtet und allein diesem waren die Details der gesamten Reise und somit auch die damit verbundenen Risiken bekannt, und allein dieses konnte diese Umstände auch in seine wirtschaftliche Kalkulation einbeziehen.

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