Kündigung einer Kreuzfahrtreise nach dem Reaktorunfall in Fukushima
AG Frankfurt: Kündigung einer Kreuzfahrtreise nach dem Reaktorunfall in Fukushima
Der Kläger forderte die Erstattung von Gebühren für die Stornierung einer Kreuzfahrt. Das Amtsgericht Frankfurt erkannte das Reaktorunglück in Fukushima als Fall höherer Gewalt an und gab der Klage statt.
AG Frankfurt | 31 C 2617/11 (78) (Aktenzeichen) |
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AG Frankfurt: | AG Frankfurt, Urt. vom 28.11.2013 |
Rechtsweg: | AG Frankfurt, Urt. v. 28.11.2013, Az: 31 C 2617/11 (78) |
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Leitsätze:
2. Eine zur Kündigung berechtigende erhebliche Gefährdung der Reise durch höhere Gewalt liegt vor, wenn sich aus Sicht des Reisenden ergibt, dass seine Sicherheit der Voraussicht nach erheblich gefährdet sein wird.
Für eine Kreuzfahrtreise durch japanische Gewässer stellte der Reaktorunfall von Fukushima in den Fogletagen einen zur Kündigung berechtigenden Fall höherer Gewalt dar.
Im Kündigungsfall wegen höherer Gewalt ist der volle Reisepreis zu erstatten.
Zusammenfassung:
3. Der Kläger hatte für sich und seine Ehefrau bei der beklagten Reiseveranstalterin eine Kreuzfahrt im Japanischen Meer gebucht. Nachdem es durch ein Erdbeben und einen Tsunami im Atomkraftwerk Fukushima zu einem Reaktorunfall gekommen war, fragte der Kläger bei der Beklagten eine Routenänderung an. Nachdem diese nicht vorgenommen wurde, kündigte er den Reisevertrag mit Verweis auf höhere Gewalt. Die Reiseveranstalterin erstattete daraufhin 5.044,- € und behielt Stornokosten in Höhe von 4.920,- € ein. Deren Erstattung forderte er sodann vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main.
Das Gericht gab der Klage statt. Die Katastrophe in Japan stellte einen Fall höherer Gewalt dar, der den Kläger zur Kündigung berechtigt. Es hatte sich aus Sicht der Reisenden abgezeichnet, dass bei Beibehaltung der Route eine Gefährdung der Reisenden gegeben sei. Auch das auswärtige Amt gab für den Reisezeitraum und das Reisegebiet eine Warnung aus. Zwar hatte die Beklagte die Route noch geändert, jeoch erst nachdem der Kläger bereits gekündigt hatte. Daher stand ihm die volle Reisepreiserstattung und er erhielt die einbehaltenen Stornokosten nebst Zinsen.
Tenor:
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 4.920,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz hieraus seit dem 17.08.2011 sowie weitere EUR 489,45 vorgerichtliche Anwaltskosten zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
5. Der Kläger nimmt die Beklagte aus eigenem und abgetretenem Recht auf Rückerstattung eines Reisepreises nach Kündigung in Anspruch.
6. Der Kläger und seine Ehefrau buchten bei der Beklagten eine Kreuzfahrt … für den Zeitraum … zu einem Gesamtpreis von EUR 9.964,00. Nach einer Routenänderung gemäß Schreiben der Beklagten vom 17.01.2013 sollte am … durch das Kreuzfahrtschiff der Hafen in … angelaufen werden. Hinsichtlich des genauen geplanten Reiseverlaufs wird auf die als Anlage zur Akte gereichte Reisebeschreibung, Bl. 15-21 d.A., und die Routenänderung vom …, Bl. 22 d.A., verwiesen.
7. Am … kam es infolge eines … zu einem … in … infolge dessen … freigesetzt wurde.
8. Angesicht der Katastrophenmeldungen infolge dieses … wandte sich der Kläger am … an die Beklagte mit der Bitte um Auskunft bezüglich Konsequenzen hinsichtlich der gebuchten Reise. Der Beklagte erhielt am … per E-Mail eine Rückmeldung der Beklagten, dass sich die Meldungen aus … überschlagen. Die Beklagte stehe in engem Kontakt mit Experten, man könne derzeit aber nichts Genaues sagen. Die Reise werde wie geplant am … Flughafen starten. Zurzeit bestehe auf der geplanten Route keine Gefahr. Hinsichtlich des genauen Wortlauts und Inhalts dieser E-Mail wird auf die zur Akte gereichte Kopie, Bl. 58 d.A., verwiesen.
9. Der Kläger bemühte sich hiernach noch vergeblich telefonisch Auskünfte über eine evtl. Routenänderung seitens der Beklagten zu erhalten, wurde seitens der Beklagten jedoch darauf verwiesen, dass sich die Reederei hierzu nicht äußere. Hiernach kündigte der Kläger – auch im Namen seiner Ehefrau – am … die gebuchte Reise unter Berufung auf höhere Gewalt im Sinne von § 651j BGB.
10. Das auswärtige Amt erließ am … einen Reise- und Sicherheitshinweis (Teilreisewarnung) für … hinsichtlich deren Wortlauts auf die als Anlage zur Akte gereichte Ausfertigung, Bk. 81 d.A., verwiesen wird.
11. Unter dem … wurde seitens der Reederei die geplante Route dahingehend geändert, dass statt … angefahren wurde.
12. Unter dem … teilte die Beklagte den Klägern mit, dass sich die Stornokosten auf EUR 4.920,00 belaufen und erstattete EUR 5.044,00.
13. Der Kläger forderte die Beklagte mehrfach – zuletzt mit Schreiben vom … unter Fristsetzung bis … – zur Rückzahlung des Restpreises auf. Die Ehefrau des Klägers hat ihr gegenüber der Beklagten zustehende Ansprüche an den Kläger abgetreten.
14. Unter dem … mandatierte der Kläger seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten, welcher die Beklagte unter dem … erneut unter Fristsetzung bis … zur Zahlung aufforderte.
dass am … eine objektive und nicht nur fernliegende Gefahr bestanden habe, dass im Rahmen der geplanten Reise eine Gefährdung der Reiseteilnehmer eintritt und ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Kündigung gemäß § 651j BGB vorlagen.
die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 4.920,00 nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz p.a. hieraus seit dem 17.08.2011 sowie weitere EUR 489,45 vorgerichtliche Anwaltskosten zu bezahlen.
die Klage abzuweisen.
18. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen … . Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die sachverständige Stellungnahme vom 13.08.2013, Bl. 130-132 d.A., verwiesen.
19. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstige Aktenbestandteile.
Entscheidungsgründe:
20. Die zulässige Klage ist begründet.
21. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des vollen Reisepreises gemäß §§ 651j, 346 BGB und somit auf Zahlung weiterer EUR 4.920,00 aus eigenem bzw. abgetretenem Recht seiner Ehefrau (§ 398 BGB).
22. Der Kläger war gemäß § 651j BGB zur Kündigung des Reisevertrages berechtigt, denn zum Zeitpunkt der Kündigung waren die Voraussetzungen des § 651j BGB gegeben.
23. Nach § 651j BGB können sowohl der Reiseveranstalter als auch der Reisende den Vertrag kündigen, wenn die Reise infolge bei Vertragsschluss nicht voraussehbarer höherer Gewalt erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt wird.
24. Der … stellt hinsichtlich der gegenständlichen Reise einen solchen Fall dar.
25. Die vorgesehene Reise wäre durch den … erheblich beeinträchtigt und erschwert worden, ohne dass die von der Beklagten geschuldeten Reiseleistungen selbst Mängel aufgewiesen hätten (vgl. BGH, Urteil vom 23.11.1989, Aktenzeichen: VII ZR 60/89, zu finden in juris).
26. Für das Vorliegen einer entsprechenden höheren Gewalt ist es nicht entscheidend, ob aus heutiger Sicht eine erhöhte … und eine damit einhergehende hinreichend erhebliche Gesundheitsgefährdung ausgeschlossen werden kann.
27. Allein maßgeblich ist der Kenntnisstand unmittelbar vor Reiseantritt.
28. Nach diesem allein maßgeblichen, dem Kläger und seiner Ehefrau zugänglichen, Kenntnisstand unmittelbar vor Reiseantritt war eine Gesundheitsgefährdung nicht auszuschließen. Die Eingehung dieses Risikos war den Reisenden nicht zuzumuten (vgl. BGH a.a.O.).
29. Auch nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens gab es zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung am 16.03.2013 in bis zu … Anzeichen für eine …. Da eine Beschädigung aller Sicherheitsbarrieren zwischen … und … wahrscheinlich war und die … nicht dauerhaft sichergestellt war, konnten zu diesem Zeitpunkte weitere Freisetzungen … auch eine sehr große Freisetzung (größer als die Freisetzung im Rahmen der … nicht ausgeschlossen werden. Hiernach war es am … nicht abschätzbar, ob überhaupt und ggf. in welcher Höhe … im Raum … im Zeitraum … auftreten.
30. Insofern der Sachverständige ausführt, dass aufgrund der Entfernung eine nicht unerhebliche Gesundheitsgefährdung nicht zu erwarten war, so führt dieses nicht zu einer anderen Beurteilung.
31. Entscheidend ist, dass sich aus der Sicht des Klägers und seiner Ehefrau eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit als wahrscheinlich darstellte. Dieses ist vorliegend der Fall gewesen, denn eine Prognose über eine mögliche Gesundheitsgefährdung stellte sich aus deren maßgeblicher Sicht als ungewiss dar. Dieses insbesondere auch vor dem Hintergrund der unklaren Berichterstattung in den Medien und auch seitens des … und der … Behörden sowie auch der unklaren Stellungnahmen seitens der Beklagten selbst. So führte auch die Beklagte selbst unter dem … (E-Mail, Bl. 58 d.A.) aus, dass „die Lage in … weiterhin sehr unübersichtlich“ sei. Diese teilte dem Kläger und seiner Ehefrau mit, dass vorübergehend in … eine erhöhte … Belastung feststellbar gewesen sei und auf der geplanten … „Zurzeit“ keine Gefahr bestehe. Auch die Beklagte zeigte sich hiernach zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht in er Lage, den Klägern verbindliche und klare Angaben zur Gefährdungssituation zu machen. Insoweit diese eine Gefahr auf der geplanten Route mit dem Zusatz „Zurzeit“ verneinte, implizierte diese selbst, dass der Eintritt einer Gefährdung je nach weiterer Entwicklung nicht ausgeschlossen werden kann, was sich auch darin zeigt, dass die Beklagte ebenso darauf hinwies, dass sie gegebenenfalls kurzfristig auf Änderungen reagieren werde.
32. Schließlich führte auch das auswärtige Amt in seinem Reise- und Sicherheitshinweis vom … aus, dass von nicht erforderlichen Reisen nach … abgeraten werde.
33. Bei einer entsprechenden Sonderkonstellation einer Gefährdungsursache mit unklarer Wirkung und unsicherer bzw. widersprüchlicher Informationspolitik verbietet sich die von der Beklagtenseite herangezogene schematische Betrachtungsweise, wonach eine Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung von 25% zu fordern ist (vgl. Staudinger, BGB – Neubearbeitung 2011, § 651j BGB, Rn. 27). Ausreichend ist bei dem vorliegenden Hintergrund, dass dem Kläger und seiner Ehefrau, selbst wenn das Kreuzfahrtschiff das betroffene Gebiet um … nicht unmittelbar ansteuerte, die Situation schon in der Erwartung, auch nur in die weiteren Regionen zu gelangen, beunruhigend vorkommen musste, wobei sich ihre Befürchtung, Schäden durch … davonzutragen, als durchaus berechtigt und infolge der unklaren Nachrichtenlage nachvollziehbar darstellt (vgl. ebenso OLG Bremen, Urteil vom 09.11.2012, Aktenzeichen 2 U 41/12).
34. Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1, 288 BGB.
35. Der Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt aus den §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 BGB.
36. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
37. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
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