Ausgleichsanspruch nach verspätetem Flug und selbstständiger Wahl einer Ersatzbeförderung

AG Rüsselsheim: Ausgleichsanspruch nach verspätetem Flug und selbstständiger Wahl einer Ersatzbeförderung

Flugreisende forderten eine Ausgleichszahlung wegen einer Flugverspätung. Das Gericht legte dem Europäischen Gerichtshof die Frage vor, ob dieser Anspruch auch besteht, wenn die Passagiere eigenständig eine Ersatzbeförderung gebucht haben.

AG Rüsselsheim 3 C 3012/12 (33) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 22.08.2013
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 22.08.2013, Az: 3 C 3012/12 (33)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1. Urteil vom 22. August 2013

Aktenzeichen 3 C 3012/12 (33)

Leitsatz:

2. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen vorgelegt:

Besteht ein Anspruch auf Ausgleichszahlung auch dann, wenn sich die Ankunft des von den Fluggästen ursprünglich gebuchten Fluges um mehr als drei Stunden verspätet, die Fluggäste sich jedoch zwischenzeitlich – nachdem bereits eine große Abflugverspätung eingetreten ist – freiwillig, selbstständig und auf eigene Rechnung bei einem anderen Luftfahrtunternehmen um eine Ersatzbeförderung bemüht haben und daher nicht an dem ursprünglich gebuchten Flug teilnehmen, wobei die Fluggäste im Rahmen der Ersatzbeförderung zu einem Zeitpunkt am Zielflughafen eintreffen, der mehr als drei Stunden nach der im Hinblick auf den ursprünglich gebuchten Flug vorgesehene Ankunftszeit liegt?

Für den Fall, dass die erste Frage zu bejahen ist: Ist es für die Entstehung eines Anspruchs entscheidend, dass die freiwillige und selbstständige Wahl einer Ersatzbeförderung mit einem anderen Luftfahrtunternehmen zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem die Verspätung jedenfalls schon fünf Stunden beträgt?

Zusammenfassung:

3. Der Kläger hatte für sich und seine Frau bei der Beklagten aus ausführendem Luftfahrtunternehmen einen Flug von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main gebucht, der am 13. Juni 2012 um 8.10 Uhr starten und 10.30 Uhr landen sollte.  Die Reisenden fanden sich pünktlich am Flughafen ein. Doch nachdem sich der Flug bereits um 4 Stunden verzögert hatte und auf 21 Uhr verschoben werden sollte, buchte der Kläger freiwillig und auf eigene Kosten einen Flug bei einer anderen Fluggesellschaft. Dieser landete 3 Stunden nach der geplanten Ankunft des anderen Fluges und auch jener startete und landete letztlich erheblich verspätet.

Vor dem Amtsgericht Rüsselsheim forderte der Kläger für sich und seine Frau eine Ausgleichszahlung. Das Gericht hatte jedoch Zweifel, ob ein Anspruch auf Ausgleichsleistung für eine tatsächliche Flugverspätungen auch besteht, wenn die Passagiere nicht daran teilgenommen, sondern sich freiwillig auf den Flug einer konkurrierenden Fluggesellschaft umgebucht haben, dessen Ankunft mehr als 3 Stunden nach der ursprünglich geplanten liegt. Ferner, ob für die Entstehung des Anspruches entscheidend ist, ob zum Umbuchungszeitpunkt die Verspätung bereits erheblich ist. Das Verfahren wurde ausgesetzt und beide Fragen dem Europäischen Gerichtshof zur Beantwortung vorgelegt, da es auf die Auslegung der europäischen Fluggastrechteverordnung ankam.

Tenor:

4. Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV zur Auslegung von Art. 7 Abs. 1, Artikel 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) 261/2004 des Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 vom 11.02.2004 folgende Fragen vorgelegt:

Besteht ein Anspruch auf Ausgleichszahlung analog Art. 6, Art. 7 der Verordnung (EG) 261/2004 auch dann, wenn sich die Ankunft des von den Fluggästen ursprünglich gebuchten Fluges um mehr als 3 Stunden verspätet, die Fluggäste sich jedoch zwischenzeitlich – nachdem bereits eine große Abflugverspätung eingetreten ist – freiwillig, selbstständig und auf eigene Rechnung bei einem anderen Luftfahrtunternehmen um eine Ersatzbeförderung bemüht haben und daher nicht an dem ursprünglich gebuchten Flug teilnehmen, wobei die Fluggäste im Rahmen der Ersatzbeförderung zu einem Zeitpunkt am Zielflughafen eintreffen, der mehr als 3 Stunden nach der im Hinblick auf den ursprünglich gebuchten Flug vorgesehen Ankunftszeit liegt?

Für den Fall, dass die erste Frage zu bejahen ist: Ist es für die Entstehung eines Anspruchs analog Art. 6, Art. 7 der Verordnung (EG) 261/2004 entscheidend, dass die freiwillige und selbstständige Wahl einer Ersatzbeförderung mit einem anderen Luftfahrtunternehmen zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem die Verspätung jedenfalls schon fünf Stunden gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. c) iii), Art. 8 Abs. 1 lit. a) der Verordnung (EG) 261/2004 beträgt?

Gründe:

5. Die Parteien streiten unter anderem um die Zahlung von Ausgleichsansprüchen nach der Verordnung (EG) 261/2004 (nachfolgend „VO“ genannt) wegen Flugverspätung aus eigenem und abgetretenem Recht.

6. Der Kläger buchte für sich und seine Ehegattin bei der Beklagten für den 13.06.2012 einen Flug von Palma (Mallorca) nach Frankfurt am Main (Flug DE …). Planmäßiger Abflug war für 8.10 Uhr, die planmäßige Landung für 10.30 Uhr vorgesehen. Die Flugentfernung betrug unter 1500 km.

7. Der Kläger und seine Ehegattin verfügten über eine bestätigte Buchung und fanden sich rechtzeitig vor dem Abflug des gebuchten Fluges am Flugsteig ein. Nachdem jedenfalls 4 Stunden nach der geplanten Abflugzeit erkennbar wurde, dass der Abflug des Fluges auf 21.00 Uhr verschoben werden sollte, buchten der Kläger und seine Ehegattin – um in Anbetracht eines anstehenden Termins des Klägers die Verspätungszeit zu verkürzen – freiwillig, selbstständig und auf eigene Rechnung eine Ersatzbeförderung bei der Deutschen Lufthansa AG und traten den dortigen Flug an. An dem ursprünglich bei der Beklagten gebuchten Flug nahmen der Kläger und seine Ehegattin nicht teil.

8. Der Abflug des ursprünglich bei der Beklagten gebuchten Fluges fand um 21.14 Uhr statt; der Flug erreichte den Zielflughafen tatsächlich erst um 23.29 Uhr.

9. Der Kläger ist der Auffassung, dass es für das Entstehen eines Ausgleichsanspruchs allein maßgeblich sei, dass sich der ursprünglich gebuchte Flug um mehr als drei Stunden verspätet habe und die Anspruchssteller auch tatsächlich eine große Verspätung erlitten haben; auf den Umstand, dass die Anspruchssteller tatsächlich an dem verspäteten Flug der Beklagten nicht teilgenommen haben, sondern – um, die Verspätung zu verkürzen – freiwillig eine Ersatzbeförderung gewählt haben, komme es nicht an.

10. Die Beklagte ist der Auffassung, dass Ansprüche auf Ausgleichsleistungen nicht gegeben seien, da der Kläger und seine Gattin an dem von ihr durchgeführten – verspäteten – Flug nicht teilgenommen haben.

11. Für das erkennende Gericht ist die Frage entscheidungserheblich, ob die vom Europäischen Gerichtshof unter anderem in den Entscheidungen vom 19.11.2009, 23.10.2012 und 26.02.2013 (Aktenzeichen C-​402/07, C-​432/07, C-​581/10, C-​629/10 und C-​11/11) herangezogene analoge Anwendung der Art. 6 und 7 VO hinsichtlich eines Anspruchs auf Ausgleichsleistungen auch für den Fall Geltung beansprucht, in dem (aufgrund einer bereits eingetretenen großen Abflugverspätung) eine Ankunftsverspätung von mehr als 3 Stunden bereits zu erwarten ist und der Fluggast zur Verkürzung seiner persönlichen Verspätung freiwillig, selbstständig und auf eigene Rechnung die Buchung eines Ersatzfluges bei einem anderen Luftfahrtunternehmen vornimmt, in dessen Folge er den Zielflughafen zwar dennoch mit einer großen Verspätung erreicht, die jedoch geringer ist als die, die er bei Teilnahme am ursprünglich gebuchten Flug erlitten hätte.

12. Nach bisheriger – indes nicht verfestigter – Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts stehen einem Ausgleichsanspruch der Fluggäste analog Art. 5, 6, 7 VO systematische Erwägungen entgegen (so auch LG Darmstadt, Urteil v. 19.09.2012, Az. 7 S 81/12; a. A. LG Frankfurt, Urteil v. 25.04.2013, Az. 2-​24 S 213/12). Insbesondere spricht die Regelung nach Art. 6 lit. c) iii) VO i. V. m. Art. 8 Abs. 1 lit. a) VO nach bisheriger Auffassung dafür, dass ein Fluggast im Falle einer bloßen Verspätung keinen Anspruch auf Ersatzbeförderung hat und sich mithin auch seines etwaigen Ausgleichsanspruchs begibt, wenn er freiwillig die Beförderung durch ein anderes Luftfahrtunternehmen wählt. Auch lässt sich der VO für einen Fall wie den vorliegenden nicht entnehmen, welche Ankunft (die Ankunft des tatsächlich in Anspruch genommenen Fluges mit einem anderen Luftfahrtunternehmen, auf welchen das beklagte Luftfahrtunternehmen keinerlei Einfluss hat und der teilweise vom bloßen Zufall abhängt, oder die des ursprünglich gebuchten Fluges, an dem die Anspruchsteller aber nicht teilgenommen haben und dessen Verspätung sie tatsächlich nicht erlitten haben?) für die Ermittlung der Verspätung der Fluggäste maßgeblich sein soll.

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