Ausfall des Flugradars

AG Charlottenburg: Ausfall des Flugradars

Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug gebucht, der annulliert wurde. Sie verlangen Ausgleichszahlung.

Das Amtsgericht gab dem statt. Soweit ein Flugunternehmen seinen Plan in Folge eines außergewöhnlichen Umstands umstrukturiere, sei es für anfallende Annullierungen selbst verantwortlich.

AG Charlottenburg 203 C 40/17 (Aktenzeichen)
AG Charlottenburg: AG Charlottenburg, Urt. vom 04.05.2017
Rechtsweg: AG Charlottenburg, Urt. v. 04.05.2017, Az: 203 C 40/17
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Amtsgericht Charlottenburg

1. Urteil vom 04. Mai 2017

Aktenzeichen 203 C 40/17

Leitsatz:

2. Soweit ein Flugunternehmen seinen Flugplan in Folge eines außergewöhnlichen Umstands umstrukturiert, ist es für anfallende Annullierungen selbst verantwortlich.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug von Hamburg nach München gebucht, der annulliert wurde. Sie verlangen Ausgleichszahlung.

Das Amtsgericht gab dem statt. Es sei zwar anzunehmen, dass am Flugtag ein Radar der Luftsicherung in Langen ausgefallen sei. Hierin liege auch ein außergewöhnlicher Umstand. Soweit aber ein Flugunternehmen seinen Plan in Folge eines außergewöhnlichen Umstands umstrukturiere, sei es für anfallende Annullierungen selbst verantwortlich. Insofern sei der außergewöhnliche Umstand für die hiesige Annullierung nicht mehr kausal.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger je 159,25, insgesamt 318,49 Euro Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 04.11.2016 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, die Kläger von Honoraransprüchen ihrer Prozessbevollmächtigter … Rechtsanwälte in … für die vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 70,20 Euro, zzgl. 19 % Mwst 13,34 Euro, insgesamt 83,54 Euro freizustellen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

5. Von der Abfassung eines Tatbestandes wird gemäß § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

6. Die Klage ist begründet. Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz einer Fluggastentschädigung nach Artikel 5 Abs. 1 lit. c), Artikel 7 Abs. 1 lit. a) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91, im Folgenden: FluggastrechteVO in Höhe von 250,00 Euro und auch einen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für den von ihnen selbst gebuchten Ersatzflug gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. Artikel 8 FluggastrechteVO in Höhe von 228,73 Euro sowie einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 Euro.

7. Da die Beklagte an die Kläger vorgerichtlich bereits 410,24 Euro gezahlt hat, bestehen die o.g. Ausgleichs- und Entschädigungsansprüche nur in Höhe tenorierten Betrages.

8. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Anspruch der Kläger aus Ersatz von Ausgleichzahlungen gemäß Artikel 7 der FluggastrechteVO nicht gemäß Artikel 5 Abs. 3 FluggastrechteVO ausgeschlossen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Beklagte darlegen und beweisen könnte, dass die Annullierung des streitgegenständlichen Fluges auf einem außergewöhnlichen Umstand beruht. Im Zusammenhang mit dem Luftverkehr bezeichnet der Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ ein Vorkommnis, das a) der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens nicht innewohnt und b) aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist (so schon EuGH ECLI:EU:C:2008:771 Rn. 23 = BeckRS 2009, 70012 = RRa 2009, 35 – Wallentin-Hermann ./. Alitalia; bestätigt ECLI:EU:C:2015:618 = NJW 2015, 3427 = RRa 2015, 287 – van der Lans ./. KLM; s. auch Rn. 26 der Schlussanträge des Generalanwalts Bot v. 28.7.2016 in der Rs. C-315/15, ECLI:EU:C:2016:623, BeckRS 2016, 81851 – Pešková ./. Travel Service). Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Zu berücksichtigen ist aber auch – so der EuGH (ECLI:EU:C:2008:771 Rn. 31 = BeckRS 2009, 70012 = RRa 2009, 35 – Wallentin-Hermann ./. Alitalia; ECLI:EU:C:2015:618 = NJW 2015, 3427 = RRa 2015, 287 – van der Lans ./. KLM) – dass aus den Erwägungsgründen eindeutig hervorgehe, dass die Verordnung ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherstellen und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen Rechnung tragen soll, da die Annullierung eines Fluges den Fluggästen große Unannehmlichkeiten bereitet. Folgerichtig hat der BGH festgestellt, dass der Gesetzgeber nicht jedes unvermeidbare Ereignis genügen lassen wollte, sondern nur solche, die aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen (BeckRS 2012, 19694 Rn. 15 f.). Für die Qualifizierung der Umstände als außergewöhnlich ist somit maßgeblich, dass sie sich von denjenigen Ereignissen unterscheiden, mit denen typischerweise bei der Durchführung eines einzelnen Flugs gerechnet werden muss (so auch Schuster RRa 2014, 2 ff.). Das bedeutet, dass einem Luftfahrtunternehmen auch die unvermeidbaren Hindernisse für die planmäßige Durchführung eines Fluges seiner Risikosphäre zugewiesen werden, die nicht aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen und somit bestenfalls ungewöhnlich, aber nicht außergewöhnlich sind (AG Köln BeckRS 2016, 11531 = RRa 2016, 137, (BeckOK Fluggastrechte-VO/Schmid VO (EG) 261/2004 Art. 5 Rn. 21-36, beck-online).

9. Dies mag bei einem Ausfall des Radars der Flugsicherung in Langen der Fall sein. Jedoch ist zu beachten, dass ein außergewöhnlicher Umstand kausal gewesen sein muss für die Annullierung, Verspätung oder Nichtbeförderung eines konkreten Fluges. Wenn beispielsweise ein Luftfahrtunternehmen seinen Flugplan infolge eines außergewöhnlichen Umstands (hier: Streik des Sicherheitspersonals) „umorganisiert“ hat (Umplanung), beruht die Annullierung/große Verspätung/Nichtbeförderung eines nachfolgenden, umorganisierten Fluges nicht mehr kausal auf dem Streik, sondern auf dieser unternehmerischen Entscheidung, auch wenn diese mittelbar durch einen außergewöhnlichen Umstand iSd Art. 5 Abs. 3 bedingt worden ist (so zutr. LG Frankfurt a. M. BeckRS 2016, 10454 = RRa 2016, 19; ebenso AG Hannover BeckRS 2016, 15433; AG Düsseldorf BeckRS 2017, 104095; s. auch Sendmeyer NJW 2011, 808 (811), BeckOK Fluggastrechte-VO/Schmid VO (EG) 261/2004 Art. 5 Rn. 21-36, beck-online).

10. Vorliegend kann nicht festgestellt werden, dass der Ausfall des Radars der deutschen Flugsicherung in Langen kausal für die Annullierung des Fluges am 23.09.2016 von Hamburg nach München um 08:20 Uhr war. Nach den von der Beklagten vorgelegten Zeitungsberichten und Pressemeldungen trat der Ausfall der Anlage um 06:00 Uhr auf und war bereits um 06:40 Uhr behoben, so dass ab diesem Zeitpunkt die zuvor geltende Überflugbeschränkung schrittweise wieder aufgehoben wurde. Die Beklagte legt zudem eine Übersicht der von ihr am 23.09.2016 von Hamburg aus durchgeführten Flüge vor, aus der sich ergibt, dass z.B. der Flug von Hamburg nach Stuttgart um 08:30 Uhr mit nur vier Minuten Verspätung in Stuttgart eintraf. Auch die vorhergehenden Flüge konnten durchgeführt werden mit einer Verspätung zwischen 11 und 121 Minuten. Es ist daher nach dem eigenen Vortrag der Beklagten nicht nachvollziehbar, weshalb der Flug, der von den Klägern gebucht worden war, annulliert werden musste. Der Vortrag der Beklagten dahingehend, dass verspätete Flüge nachgeholt und neue slots vergeben werden mussten ist zu unsubstantiiert.

11. Der Anspruch der Kläger auf Erstattung der Kosten für den selbst gebuchten Flug ergibt sich aus der Verletzung der Pflicht der Beklagten zur Anbietung einer Ersatzbeförderung gemäß Artikel 8 Abs. 1 FluggastrechteVO.

12. Da die Kläger die Beklagte bereits vorgerichtlich gemahnt haben, haben sie auch einen Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

13. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

14. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

15. Ein Grund die Berufung zuzulassen ist nicht ersichtlich, § 511 Abs. 4 ZPO. Die Sache ist weder von grundsätzlicher Bedeutung, noch dient sie der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Die Beschwer überschreitet 600,00 Euro nicht.

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