Verordnung (EG) Nr. 261/2004; Anspruchsabtretung

AG Hannover: Verordnung (EG) Nr. 261/2004; Anspruchsabtretung

Die beiden Parteien streiten um das Recht der Abtretung von Ansprüchen auf Ausgleichszahlungen wegen einer Flugverspätung, die sich aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004 ergeben. Das beklagte Luftfahrtunternehmen ist der Ansicht, dass eine Abtretung der Ansprüche nicht möglich sei und verweist dabei auf eine Klausel in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB).

Das Amtsgericht Hannover hält die Abtretung von Ansprüchen  gemäß Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004 für möglich. Ein Ausschluss des Abtretungsrechts durch die Beklagte, der im vorliegenden Fall in einer Klausel der Beklagten festgehalten ist, würde zu einem Konflikt mit § 307 BGB führen. Die Klausel ist damit zulässig.

AG Hannover 531 C 10491/11 (Aktenzeichen)
AG Hannover: AG Hannover, Urt. vom 08.02.2012
Rechtsweg: AG Hannover, Urt. v. 08.02.2012, Az: 531 C 10491/11
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Amtsgericht Hannover

1. Urteil vom 08. Februar 2012

Aktenzeichen: 531 C 10491/11

Leitsatz:

2. Die Abtretung der Ansprüche aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004 ist zulässig.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall streitet der Kläger mit der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, um das Recht der Abtretung seiner eigenen Ansprüche auf Ausgleichszahlungen wegen Flugverspätung, die sich aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004 ergeben. Die Beklagte ist hier der Ansicht, dass eine Abtretung der Ansprüche unmöglich ist und verweist dabei auf eine Klausel in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB).

Das Amtsgericht Hannover entscheidet, dass die Abtretung von Ansprüchen  gemäß Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004 möglich ist, denn ein Ausschluss des Abtretungsrechts durch die Beklagte würde zu einem Konflikt mit § 307 BGB führen. Des Weiteren stellt das Amtsgericht Hannover klar, dass alle Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingung eines Luftfahrtunternehmens, die eine Abtretung der Ansprüche aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004 verbieten, unwirksam seien müssen.

Tenor:

4. Das Versäumnisurteil vom 06.12.2011 bleibt aufrechterhalten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

5. Von der Darstellung des

6. Tatbestandes

7. wird gemäß § 313 a ZPO Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

8. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Hannover ergibt sich aus § 29 ZPO. Wird ein Ausgleichsanspruch nach der EG-VO 261/2004 geltend gemacht, ist der Erfüllungsort im Sinne von § 29 ZPO sowohl der Abflugort als auch der Ankunftsort (BGH NJW 2011, 2056). Der streitbefangene Flug ist in Hannover gestartet.

9. Es besteht kein Anlass das Verfahren auszusetzen und dem EuGH zur Beantwortung der von der Beklagten gestellten Fragen vorzulegen.

10. Art. 234 EGV dient der Förderung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Deshalb besteht kein Gebot zur Vorlage, wenn der EuGH über für die Entscheidung erhebliche Rechtsfragen bereits entschieden hat und eine Änderung der Rechtsprechung nicht zu erwarten ist.

11. Der EuGH hat sich mit der Frage von Ausgleichszahlungen gem. Art. 7 der EG-VO 261/2004 im Falle von Flugverspätungen in seiner Entscheidung vom 19.11.2009 (C-402/07) befasst. Der EuGH hat entschieden, dass eine Flugverspätung ab drei Stunden der Annullierung gleichzustellen ist. Der EuGH hat bewusst eine weite Auslegung gewählt, um ein hohes Schutzniveau für die Fluggäste sicherzustellen und betont, dass ein Gemeinschaftsakt nach Möglichkeit so auszulegen ist, dass seine Gültigkeit nicht in Frage stellt und die Vorschrift praxiswirksam ist. Er hat sich dabei auch auf das Gleichbehandlungsgebot gestützt. Vorliegende ist keine Fallgestaltung gegeben, die eine Abweichung von dieser grundlegenden Entscheidung des EuGH rechtfertigen würde. Auch ist nicht zu erwarten, dass der EuGH diese Rechtsprechung in Zukunft insb. hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit mit dem Montrealer Übereinkommen aufgeben wird. Der EuGH hat bereits in seiner Entscheidung C-344/04 entschieden, dass die Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen nach Art. 6 EU-VO 261/2004 standardisierte sofortige Maßnahmen zur Wiedergutmachung des Verspätungsschadens darstellen, die nicht zu denjenigen Maßnahmen gehören, deren Voraussetzungen das Montrealer Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr festlegt und deshalb nicht als unvereinbar mit dem Montrealer Übereinkommen angesehen werden können, da diese nur den Schadensersatzanspruch zu individuellen Wiedergutmachung regeln, ohne die Beförderungsunternehmen vor allen andersartigen Maßnahmen zu bewahren. Dies sieht der BGH ebenso und hat entschieden, dass nicht von einem Übersehen des Art. 29 des Montrealer Übereinkommens durch den EuGH ausgegangen werden kann (Xa ZR 61/09, Xa ZR 95/06). In Anbetracht dessen ist nicht zu erwarten, dass der EuGH seine Rechtsprechung gem. Urteil vom 19.11.2009 aufgibt.

12. Die Frage, worauf sich der Relativsatz „die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen” bezieht, ist ebenfalls durch die Rechtsprechung des EuGH ausreichend geklärt. Der EuGH hat in den Entscheidungen C-509/07 und C-294/10 entschieden, dass nicht alle außergewöhnlichen Umstände zu einer Befreiung von den Ausgleichszahlung führen, es sei denn, die Fluggesellschaft könne nachweisen, dass es ihr auch unter Einsatz aller ihr zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel nicht möglich gewesen ist, die außergewöhnlichen Umstände zu vermeiden, mit denen es konfrontiert war und die zur Annullierung (Verspätung) geführt haben.

13. Aus den vorgenannten Gründen ist auch eine Aussetzung gem. § 148 ZPO im Hinblick auf die von der Beklagten genannten Vorabentscheidungsersuchen nicht angezeigt.

14. Die Klägerin ist für die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs auch für ihren Ehemann aktivlegitimiert. Wer Vertragspartner des Flugbeförderungsvertrages mit der Beklagten ist und, ob zugunsten des mitreisenden Ehemanns ein Vertrags zu Gunsten Dritter besteht, ist unerheblich, weil die Ansprüche aus der EG-VO 261/2004 dem Fluggast zustehen. Der Ehemann der Klägerin war unstreitig Fluggast des streitbefangenen Flugs. Er hat seine Ausgleichsansprüche aufgrund der Flugverspätung Hannover-Rom am 19.06.2011 mit Erklärung vom 25.07.2011 an die Klägerin abgetreten. Die Abtretungserklärung wurde im Original in der mündlichen Verhandlung vorgelegt. Der Ehemann der Klägerin hat bei seiner Vernehmung bestätigt, die o. g. Ansprüche an seine Ehefrau abgetreten und die Abtretungserklärung vom 27.05.2011 abgegeben zu haben und er hat die Echtheit seiner Unterschrift bestätigt.

15. Die Beklagte kann sich nicht auf ein Abtretungsverbot berufen. Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob die AGB der Beklagten Vertragsbestandteil geworden sind, da Artikel 3.1.2. der AGB der Beklagten jedenfalls kein Abtretungsverbot enthält und dieses anderenfalls mangels Rechtfertigungsgrund auch gem. § 307 BGB unwirksam wäre.

16. Die Abtretung ist auch nicht gem. § 399 BGB ausgeschlossen, weil es sich bei den Ansprüchen aus Art. 7 EG-VO nicht um höchstpersönliche Ansprüche handelt und durch die Abtretung eine Änderung des Leistungsinhalts nicht eintreten würde.

17. Gem. Art. 7 1) a) EG-VO 261/2004 kann die Klägerin für sich und ihren Ehemann eine Ausgleichszahlung von je 250,– € beanspruchen, da eine Flugverspätung von mehr als 6 Stunden vorlag und die Flugstrecke 1.200 km betrug. Der EuGH hat entschieden, dass Flugverspätungen von mehr als 3 Stunden einer Annullierung gleichzusetzen ist (C-402/07).

18. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die Flugverspätung auf ungewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Hierfür trägt die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast. Ein Streik kann zu ungewöhnlichen Umständen in diesem Sinne führen. In diesem Zusammenhang kann die Streitfrage, ob ein Streik tatsächlich stattgefunden hat, dahinstehen. Denn Entscheidungserheblich ist, ob außergewöhnliche Umstände eingetreten sind, die zu der Flugverspätung geführt haben und sich bei Einsatz aller zumutbaren finanziellen, materiellen und personellen Mittel nicht hätten verhindert lassen können. Dass selbst beim Unterstellen eines Streiks die Beklagte tatsächlich alle zumutbaren Maßnahmen im o. g. Sinne unternommen hat, hat sie trotz Bestreitens der Klägerin nicht substantiiert dargetan. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten soll der Streik bereits am Abend des 17.06.11 angekündigt worden sein und sollte von 10.00 bis 18.00 am 19.06.11 durch Mitarbeiter der durchgeführt werden. Jegliche Darlegungen der Beklagten, welche finanziellen, materiellen und personelle Anstrengungen Sie unternommen hat, um die Folgen dieses angekündigten Streiks abzufangen, fehlen. Nach ihrem eigenen Vorbringen werden die Bodenabfertigungsdienste am Flughafen … nicht allein durch die … abgewickelt. Die Anzahl der Mitarbeiter, die bei der Bodenabfertigung wegen des Streiks ausgefallen sein sollen, wurde nicht dargetan. Welche Anstrengungen unternommen worden sind, um mit Ersatzkräften (eigenen oder geliehene) den Folgen des zeitlich begrenzten Streiks entgegenzuwirken, wurde nicht dargetan. Außerdem sollte der Streik bis 18.00 Uhr andauern und die streitbefangene Maschine ist um 18.03 Uhr gelandet, ohne dass die Klägerin und ihr Ehemann etwas von einem Streik bemerkt haben. Eine nachvollziehbare Erklärung hierzu hat die Beklagte nicht abgegeben. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass die Beklagte entgegen ihren Pflichten den eventuell stattgefundenen Streik nur „ausgesessen” hat, indem sie den Flug nicht planmäßig durchführte. Gegenteilige substantiierte Darlegungen sind durch die Beklagte trotz ihrer Darlegungspflicht jedenfalls nicht erfolgt.

19. Der Zinsanspruch beruht auf §§ 280, 286, 288 BGB.

20. Soweit die Klägerseite entgegen der Klagschrift in den mündlichen Verhandlung den Antrag zu Ziff. 3 nicht ausdrücklich gestellt hat, wird von einen Versehen der Klägerseite und deshalb von einem Entscheidungsbedarf insoweit ausgegangen. Ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht jedoch nicht. Ein anwaltliches Aufforderungsschreiben war nicht im Sinne von § 249 BGB erforderlich, nachdem die Beklagte bereits zweifach eine Zahlungsbereitschaft abgelehnt hatte. Die Beklagte hätte deshalb sogleich gerichtlich in Anspruch genommen werden müssen.

21. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

22. Eine Zulassung der Berufung war nicht geboten, da entsprechend die obigen Ausführungen die streitrelevanten Rechtsfragen bereits höchstrichterlich entschieden sind.

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