Entschädigung bei Flugverspätung
BGH: Entschädigung bei Flugverspätung
Ein Reisender buchte bei einem Luftfahrtunternehmen einen Linienflug. Weil dieser 19 Stunden Verspätung hatte, fordert der Fluggast nun eine Ausgleichszahlung wegen einer Flugverspätung im Sinne von Art. 7 der Verordnung 261/2004.
Der Bundesgerichtshof hat dem Kläger Recht zugesprochen. Bei einer um mehr als 3 Stunden verspäteten Beförderungen, stehe Fluggästen grundsätzlich eine angemessene Entschädigungsleistung zu.
BGH | Xa ZR 106/06 (Aktenzeichen) |
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BGH: | BGH, Urt. vom 18.10.2010 |
Rechtsweg: | BGH, Urt. v. 18.10.2010, Az: Xa ZR 106/06 |
LG Darmstadt, Urt. v. 12.07.2006, Az: 21 S 43/06 | |
AG Rüsselsheim, Urt. v. 21.02.2006 | |
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Leitsatz:
2. Fluggästen steht ein Anspruch auf Ausgleichszahlung zu, wenn diesen den Zielflughafen nicht früher als drei Stunden nach der geplanten Ankunftszeit erreichen.
Zusammenfassung:
3. Der Kläger buchte bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen eine Flug von Frankfurt am Main nach Halifax und zurück. Der für den 26. August 2005 geplante Rückflug erfolgte erst am nächsten Tag, so dass der Kläger mit insgesammt 19 Stunden verspätung an Zielflughafen gelandet ist.
Der Kläger verlangte vom beklagten Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 in Höhe von 600 €, den Ersatz von Taxikosten in Höhe von 50 € sowie Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit in Höhe von 100 Euro.
Der Bundesgerichtshof hat dem Kläger teilweise Recht zugesprochen. Eine ursprünglich vom Kläger gerügte Annullierung sei vorliegend nicht eingetreten. Der Flug habe zwar nicht zum vereinbarten Zeitpunkt stattgefunden, jedoch wurde er mit Verspätung in seiner konkret Angekündigten Form ausgeführt.
In der 19-stündigen Verzögerung sei daher keine Annullierung, sondern lediglich eine Flugverspätung im Sinne von Art. 7 der Fluggastrechte Verordnung zu sehen.
Auf den geforderten Ersatzanspruch habe dies allerdings keine Auswirkungen, da er in Höhe und Umfang dem abgelehnten Anspruch entspricht.
Ansprüche wegen vertaner Urlaubszeit und stünden dem Kläger indes nicht zu. Im Rahmen der Luftbeförderung gelten primär die Normen der Fluggastrechte Verordnung. Der geltend gemachte reiserechtliche Ersatzanspruch finde hier keine Anwendung.
Tenor:
4. Auf die Revision des Klägers wird das am 12. Juli 2006 verkündete Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt im Umfang der nachfolgenden Änderung des Ersturteils aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das am 21. Februar 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 376,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. September 2005 zu zahlen.
Die weitergehenden Rechtsmittel werden zurückgewiesen.
Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits fallen zu 1/4 dem Kläger und zu 3/4 der Beklagten zur Last. Die Kosten der Rechtsmittelverfahren werden gegeneinander aufgehoben.
Tatbestand:
5. Der Kläger verlangt von der beklagten Charterfluggesellschaft unter anderem Ausgleichszahlungen nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (ABl. EG L 46 S. 1; im Folgenden: Verordnung), weil er mit erheblicher Verspätung abgeflogen und mit erheblicher Verspätung am Zielflughafen angekommen ist, sowie Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit.“
6. Der Kläger buchte bei der Beklagten einen Flug von Frankfurt am Main nach Halifax und zurück.
7. Der für den 26. August 2005 gebuchte Rückflug erfolgte erst am nächsten Tag. Der Kläger kam etwa 23 Stunden später als geplant in Frankfurt an.
8. Er verlangt deshalb eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600,00 Euro, Ersatz von Taxikosten in Höhe von 50,00 Euro, Gutschrift der von ihm für ein Upgrade in eine höhere Klasse eingesetzten Bonusmeilen und Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit in Höhe von 100,00 Euro.
9. Die Beklagte, die vorprozessual 224,00 Euro als Minderung des Rückflugpreises an den Kläger gezahlt hat, hat den Anspruch auf Ersatz der Taxikosten anerkannt und im Übrigen Klageabweisung beantragt.
10. Das Amtsgericht hat die Beklagte gemäß ihrem Anerkenntnis und darüber hinaus zur Erteilung der begehrten Gutschrift auf dem Meilenkonto verurteilt.
11. Die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Ansprüche weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben.
12. Mit seiner vom Berufungsgericht zur Klärung der Auslegung von Art. 5 der Verordnung zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren in vollem Umfang weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
13. Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 21. August 2008 auf übereinstimmenden Antrag der Parteien bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in der Vorlagesache X ZR 95/06ausgesetzt.
Entscheidungsgründe:
14. Die nur wegen des Anspruchs auf Ausgleichszahlung zulässige Revision hat in diesem Umfang teilweise Erfolg und führt insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Verurteilung der Beklagten. Im Übrigen ist die Revision als unzulässig zu verwerfen.
15. A. Die Revision ist gemäß §543 Abs. 1 ZPO unzulässig, soweit der Kläger den Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit gemäß §651f Abs. 2 BGB weiterverfolgt. Insoweit fehlt es an der erforderlichen Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht.
16. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Zulassung der Revision bezieht sich lediglich auf den Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung nach Art. 7 der Verordnung. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Tenor des Berufungsurteils, aber aus den Entscheidungsgründen.
17. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich die Eingrenzung einer Rechtsmittelzulassung auch aus den Entscheidungsgründen ergeben. Von einer beschränkten Zulassung der Revision ist regelmäßig auszugehen, wenn die Rechtsfrage, die nach den Ausführungen in den Entscheidungsgründen zur Zulassung geführt hat, nur für einen von mehreren prozessualen Ansprüchen erheblich ist (BGHZ 153, 358, 360 ff. m.w.N.).
18. Im Streitfall ist die vom Landgericht als klärungsbedürftig angesehene Frage, wann eine Annullierung im Sinne von Art. 5 der Verordnung vorliegt, nur für den geltend gemachten Ausgleichsanspruch erheblich, nicht hingegen für den auf §651f Abs. 2 BGB gestützten Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit. Damit erstreckt sich die Zulassung der Revision nicht auf diesen Anspruch.
19. Die begehrte Ausgleichszahlung steht dem Kläger im Hinblick auf den wesentlich verspäteten Abflug zu; der Kläger muss sich jedoch den Betrag von 224,00 Euro anrechnen lassen, den die Beklagte bereits für die Flugverspätung gezahlt hat.
20. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen für die begehrte Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung seien nicht erfüllt, hält der Nachprüfung nicht stand.
21. Eine Annullierung des Flugs im Sinne von Art. 5 der Verordnung hat allerdings, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht stattgefunden.
22. Nach dem Urteil des Gerichtshofs kann ein verspäteter Flug unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird (EuGH Urteil v. 19.11.2009, Az: Rs. C-402/07 und Rs. C-432/07, aaO Tz. 39). So verhält es sich im Streitfall. Der Flug von Halifax nach Frankfurt ist trotz der eingetretenen Verzögerung entsprechend der ursprünglichen Flugplanung durchgeführt worden.
23. Wegen des wesentlich verspäteten Abflugs kommt gleichwohl ein Anspruch auf die in Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung in Betracht.
24. Der Flug hat einen Tag später als geplant begonnen; die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 der Verordnung für die Annahme einer von der Verordnung erfassten (großen) Verspätung lagen daher ohne weiteres vor.
25. In einem solchen Fall steht dem Fluggast, sofern auch die weiteren Voraussetzungen für eine Ausgleichsleistung erfüllt sind, der in Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichsanspruch zu, wenn er wegen des verspäteten Fluges sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreicht (EuGH Urteil v. 19.11.2009, Az: Rs. C-402/07 und Rs. C-432/07, aaO Tz. 61).
26. Auch diese Voraussetzung ist ohne weiteres erfüllt, denn das Endziel der Kläger wurde ebenfalls etwa 19 Stunden später als geplant erreicht. Damit liegen im Streitfall die vom Gerichtshof aufgestellten Anforderungen für einen Ausgleichsanspruch wegen einer wie eine Annullierung zu behandelnden großen Verspätung vor.
27. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da der Rechtsstreit auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts zur Endentscheidung reif ist.
28. Der Ausgleichsanspruch ist nicht entsprechend Art. 5 Abs. 3 der Verordnung ausgeschlossen.
29. Die Verspätung geht nicht auf außergewöhnliche Umstände im Sinne dieser Vorschrift zurück.
30. Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung besteht keine Veranlassung, den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um der Beklagten Gelegenheit zu geben, zu den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung vorzutragen. Die Parteien haben in den Tatsacheninstanzen darüber gestritten, ob die Beklagte im Streitfall zu einer Ausgleichszahlung wegen Annullierung des Flugs verpflichtet ist. Die Beklagte war demgemäß gehalten, auch zu den Voraussetzungen vorzutragen, unter denen die Verpflichtung zu einer solchen Ausgleichszahlung ausgeschlossen ist. Für den Ausgleichsanspruch wegen großer Verspätung gelten keine anderen Voraussetzungen.
31. Die Beklagte hat geltend gemacht, die Verspätung beruhe auf technischen Beanstandungen, die sich schon vor dem Flug von Frankfurt nach Halifax ergeben hätten. Damit ist kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung aufgezeigt.
32. Wie der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bereits entschieden hat, begründen technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs gelegentlich auftreten können, für sich gesehen keine außergewöhnlichen Umstände, die das Luftfahrtunternehmen von der Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsleistung wegen Annullierung eines Fluges befreien können (BGH Urteil v. 12.11.2009, Az: Xa ZR 76/07 -Peter Rehder gegen Air Baltic Corporation).
33. Die Beklagte ist deshalb verpflichtet, zusätzlich zu den bereits vom Amtsgericht zugesprochenen Leistungen eine Ausgleichszahlung in der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung bestimmten Höhe von 600,00 Euro zu erbringen.
34. Da sie vorprozessual an den Kläger unter dem Gesichtspunkt der Minderung des Flugpreises bereits einen Betrag von 224,00 Euro gezahlt hat, ist sie zur Zahlung weiterer 376,00 Euro zu verurteilen. Ein Mangel der Flugleistung, der einen zusätzlichen Minderungsanspruch begründen könnte, liegt in einer Verspätung regelmäßig nicht (BGH Urteil v. 28.05.2009, Az: Xa ZR 113/08); auch im Streitfall ist für einen Mangel nichts dargetan.
35. Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus §288 Abs. 1 BGB.
36. Zu der von der Beklagten angeregten Vorlage der Sache an den Gerichtshof der Europäischen Union sieht der Senat keine Veranlassung.
37. Der Bundesgerichtshof hat dem Gerichtshof die Streitsache X ZR 95/06 (BGH Vorlagebeschluss an EuGH v. 17.07.2007, Az.: X ZR 95/06) zur Vorabentscheidung vorgelegt, weil er es nicht für zweifelsfrei gehalten hat, dass den Fluggästen eines wesentlich verspäteten Fluges, wie er im Streitfall vorliegt, nach der Verordnung kein Anspruch auf Ausgleichszahlungen zusteht.
38. Diese Unklarheit hinsichtlich der Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist dadurch beseitigt worden, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. November 2009 die Verordnung dahin ausgelegt hat, dass auch in einem solchen Fall Ausgleichsleistungen zu erbringen sind.
39. Das Urteil selbst wirft jedenfalls keine für den Streitfall relevanten neuen Auslegungsfragen auf, die der Senat nicht ohne erneute Vorlage beantworten könnte.
40. Soweit sich das Urteil nicht ausdrücklich mit der Frage befasst, ob das vom Gerichtshof gefundene Auslegungsergebnis mit dem Montrealer Übereinkommen vereinbar ist, hat der Senat diese Frage bereits in seinem Urteil vom 10. Dezember 2009 (Xa ZR 61/ 09) bejaht; daran hält er fest. Der Gerichtshof hat dies offenbar ebenso gesehen; dass er Art. 29 MÜ übersehen hätte, kann nicht angenommen werden.
41. Der Senat hat auch keine Zweifel an der Gültigkeit der Verordnung. Der Gerichtshof hat die Gültigkeit – anders als die Generalanwältin – bejaht (EuGH Urteil v. 19.11.2009, Az: Rs. C-402/07 und Rs. C-432/07, aaO Tz. 47). Für den von der Beklagten angenommenen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nichts Substantiiertes geltend gemacht.
42. Die Kostenentscheidung beruht auf §92 Abs. 1 ZPO.
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