Flugabbruch und Weiterbeförderung mit Bus nach 11-stündiger Wartezeit

LG Darmstadt: Flugabbruch und Weiterbeförderung mit Bus nach 11-stündiger Wartezeit

Flugreisende forderten eine Ausgleichszahlung gemäß der Fluggastrechteverordnung, da ihr Flug nach einer planmäßigen Zwischenlandung nicht fortgesetzt wurde und sie nach einer Ersatzbeförderung ihr Reiseziel mit einer 37-stündigen Verspätung erreichten.

Das Landgericht Darmstadt hat die Klage in zweiter Instanz abgewiesen, da weder eine Annullierung noch eine Umbuchung vorlag.

LG Darmstadt 7 S 21/09 (Aktenzeichen)
LG Darmstadt: LG Darmstadt, Urt. vom 01.07.2009
Rechtsweg: LG Darmstadt, Urt. v. 01.07.2009, Az: 7 S 21/09
AG Rüsselsheim, Urt. v. 05.12.2008, Az: 3 C 1225/08
AG Rüsselsheim, Urt. v. 28.11.2008, Az: 3 C 1225/08
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Landgericht Darmstadt

1. Urteil vom 1. Juli 2009

Aktenzeichen 7 S 21/09

Leitsatz:

2. Die Regelungslüge der europäischen Fluggastrechteverordnung für Fälle, in denen eine Ankunftsverspätung durch den Abbruch des Fluges nach planmäßigem Start und planmäßiger Zwischenlandung entsteht, kann nicht durch Analogieschluss zu Annullierung und Abflugverspätung geschlossen werden.

Zusammenfassung:

3. Flugreisende erreichten ihr Reiseziel mit einer 37-stündigen Verspätung, weil ihr Flug nach  pünktlichem Start und einer planmäßigen Zwischenlandung nicht fortgesetzt wurde. Die Reisenden wurden nach 11-stündiger Wartezeit mit dem Bus zu einem anderen Flughafen befördert, von wo aus der Weiterflug zum entgültigen Reiseziel erfolgte.

Vor dem Amtsgericht Rüsselsheim scheiterte die Klage, da dieses den Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung nicht eröffnet sah. Die Kläger gingen in Berufung, doch auch diese blieb ohne Erfolg.

Das Landgericht Darmstadt führte zur Begründung aus, dass es die missliche Lage der Kläger zwar anerkenne, vorliegend jedoch in der Tat kein von der Fluggastrechteverordnung geregelter Fall vorlag, denn der Flug war pünktlich gestartet, nicht annulliert worden und die Umbuchung auf den Ersatzflug erst nach dem Reisenatritt erfolgt. In der vorliegenden Situation seien die Reisenden zwar erhöht schutzbedürftig gewesen, doch es lag eine Regelungslücke der Verordnung vor, die nicht durch den Analogieschluss zu Annullierung und Verspätung geschlossen werden konnte.

Tenor:

4. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 05.12.2008 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können jedoch die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 1.200,- Euro festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

5. Die Kläger verlangen mit der am 11.11.2008 zugestellten Klage von der beklagten Charterfluggesellschaft Ausgleichszahlungen nach Artikel 7 Absatz 1 der EG-Verordnung Nr. 261/2004 in Höhe von jeweils 600,- € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten, weil der für den 04.03.2008 um 15:20 Uhr gebuchte Flug … von F. a. M. nach G. I. (Malediven) nach planmäßigem Start und einer – planmäßigen – Zwischenlandung um 01:00 Uhr Ortszeit auf dem Flughafen R. A. K. – RAK – (Vereinigte Arabische Emirate) nicht wie vorgesehen weiter durchgeführt wurde. Sämtliche Passagiere mussten die Maschine dort verlassen und wurden nach etwa 11-stündiger Wartezeit per Bus nach D. transportiert, von wo aus am 06.03.2008 gegen 9:30 Uhr der Weiterflug nach G. I. (GAN) erfolgte, wo die Kläger dann 37 Stunden später als geplant ankamen. Unter Hinweis auf eine E-Mail-Nachricht der Beklagten, wonach der Flug „… RAK-GAN cancelled“ (Bl. 5 d. A.) sei, sind die Kläger der Ansicht, es habe eine Flugannullierung vorgelegen und damit sei der geltend gemachte Ausgleichsanspruch begründet.

6. Die Beklagte beantragte Klageabweisung, weil der Flug in F. a. M. ordnungsgemäß gestartet sei und sich die EG-Verordnung Nr. 261/04 nur auf Vorkommnisse bei Abflug beziehe, nicht aber auf Umstände anlässlich von Zwischenlandungen oder bei der Ankunft am Zielort. Ein einmal begonnener Flug könne nicht mehr annulliert werden.

7. Das Amtsgericht Rüsselsheim hat mit Urteil vom 05.12.2008 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein Anwendungsfall der EG-Verordnung 261/2004 liege nicht vor.

8. Hiergegen haben die Kläger Berufung eingelegt mit dem Antrag, abändernd die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 1.200,- € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.08.2008 zu zahlen sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 223,72 € nebst 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Zur Begründung wird vorgetragen, es sei auf den gesamten hier nicht planmäßig durchgeführten Flug und nicht nur auf den Start abzustellen. Das Schutzbedürfnis der bei Zwischenlandung in einem Drittstaat „gestrandeten“ Passagiere sei zudem höher als bei der mit einem Ausgleichsanspruch sanktionierten Zurücklassung am Ausgangsort.

9. Im Übrigen sei die Verspätung so gravierend, dass diese einer Annullierung gleichzusetzen sei.

10. Die Beklagte verteidigt das amtsgerichtliche Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

11. Die Berufung der Kläger ist form- und fristgerecht eingelegt.

12. Gegen die zunächst versäumte Berufungsfrist war den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Kläger waren ohne ihr Verschulden gehindert, die Berufungsfrist einzuhalten. Der Klägervertreter selbst hat ausreichende organisatorische Maßnahmen getroffen, damit gegen das ihm am 15.12.2008 zugestellte Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim rechtzeitig Berufung eingelegt werden konnte. Die Mitarbeiterin des Klägervertreters hat dann aber entgegen der Anweisung, nur auf ausdrückliche Weisung des jeweiligen Sachbearbeiters eine Frist zu streichen, die Berufungsfrist am 15.01.2009 gestrichen und die Akten nicht vorgelegt.

13. Dieses Verschulden einer Mitarbeiterin des Bevollmächtigten ist den Klägern aber nicht zurechenbar, so dass auf Antrag des Klägervertreters Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren war (§§ 233 ZPO, 234 Absatz 1 S. 1 ZPO). Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht begründet und ist somit zulässig.

14. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil das Amtsgericht die Klage zu Recht und auch mit zutreffender Begründung abgewiesen hat.

15. Vorab wird gemäß § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim verwiesen. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO) sind nicht ersichtlich.

16. Aufgrund dieser ordnungsgemäß erhobenen Feststellungen und auch des weiteren Vorbringens in der Berufungsinstanz ist die Klage insgesamt nicht begründet. Die Kammer verweist zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen vollinhaltlich auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 18 d. A.), denen uneingeschränkt beizutreten ist. Zwar ist der Annahme der Kläger, ein Flug sei immer eine Beförderung von einem Abflughafen hin zu einem Zielflughafen und der Sinn einer solchen Reise sei immer ein Ankommen an einem bestimmten Zielort und nicht allein die Tatsache, sich in die Lüfte zu erheben, ohne Einschränkung beizupflichten. Die Kammer hat allerdings bereits in zwei früheren Verfahren (7 S 220/08, Urteil vom 04.03.2009 und 7 S 268/08, Urteil vom 06.05.2009) darauf hingewiesen, dass die sich aus der genannten EG-Verordnung ergebenden Ansprüche regelmäßig an Vorgänge beim Abflug geknüpft sind. So werden dort u. a. Abflugverspätungen geregelt, während das Montrealer Übereinkommen Frachtschäden, Passagierunfälle und Ankunftsverspätungen zum Gegenstand hat (vgl. auch EuGH, Urteil vom 10.01.2006 – EUGH Aktenzeichen C-344/04 -, abgedruckt in NJW 2006, NJW Jahr 2006 Seite 351). Ziel der hier in Rede stehenden EG-Verordnung ist ausweislich der Erwägungsgründe (Ziff. 9, 12) auch, die oft zulasten der Passagiere gehende wirtschaftliche Dispositionsfreiheit der Fluggesellschaften gerade bei der Flugplanung einzuschränken (Führich, Reiserecht, 5. Aufl. 2005, Rdnr 1010 f unter Hinweis auf die Intention, die gängige Branchenpraxis der Überbuchung von Flugzeugen einzudämmen; ebenso Tonner in Münchner Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2009, nach § 651 Rdnr. 21). Schließlich wird bei der Regelung der Informationspflicht in Art. 14 Abs. 1 auf den Zeitpunkt der Abfertigung der Fluggäste abgestellt, also ebenfalls auf ein sogar vor Abflug liegendes Ereignis. Dass es sich bei den haftungsbegründenden Tatbeständen der EG-VO Nr. 261/2004 um Geschehnisse allein im Zusammenhang mit dem Abflug handelt, entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung in der einschlägigen Literatur (vgl. etwa Peterhoff, Die Rechte des Flugreisenden im Überblick, TransR 2007, S. 105 unter Hinweis auf Tonner, NJW 2006, NJW Jahr 2006 Seite 1854, NJW Jahr 2006 1856).

17. Eine Umbuchung der Kläger auf einen anderen Flug (hierzu Schmid, Fluggastrechte in der Praxis, NJW 2007, S. NJW Jahr 2007 Seite 264 f mit weiteren Nachweisen) ist vorliegend nicht bereits zum Reisebeginn in F. a. M., sondern erst in R. A. K. bzw. in D. durch das neue Einchecken in ein anderes Flugzeug mit einer anderen Flugnummer, neuen Bordkarten und anderen Sitzplätzen für die Passagiere erfolgt. Bei allem Verständnis für die seinerzeit außerordentlich missliche Situation der Kläger und ihrer Mitreisenden löst dies auch unter Berücksichtigung der von den Klägern vorgelegten E-Mail-Nachricht der Beklagten, die sich nur auf den Teilabschnitt ab Zwischenlandung bis zum Zielflughafen bezieht, aus den genannten Gründen die hier allein geltend gemachten pauschalen Ausgleichsansprüche nach Art. 7 der EG-VO Nr. 261/2004 nicht aus. Denn die insoweit bestehende Regelungslücke bei derartigen Vorfällen der letzten Flugstrecke kann wegen des Ausnahmecharakters dieser Verordnung nicht im Wege der Analogie dahingehend gefüllt werden, dass nunmehr allein wegen des möglicherweise sogar noch gesteigerten Schutzbedürfnisses der in irgendwelchen Drittländern „gestrandeten“ Passagiere auch für derartige nicht geregelte Fälle die pauschalierte Ausgleichszahlung zugesprochen wird.

18. Auch das Berufungsgericht geht daher davon aus, dass die Voraussetzungen der einschlägigen EG-Verordnung vorliegend nicht erfüllt sind.

19. Nach alledem war die zulässige Berufung der Kläger des vorliegenden Verfahrens mit der Kostenfolge des § 97 Absatz 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

20. Die Bemessung des Gegenstandswertes folgt dem Umfang der Anfechtung des amtsgerichtlichen Urteils bzw. dem bezifferten Rechtsmittelantrag, wobei die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten als Nebenforderung außer Betracht zu bleiben hatten. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung, aber mit Abwendungsbefugnis, ergibt sich aus § 708 Ziff. 10 ZPO in Verbindung mit § ZPO § 711 ZPO.

21. Wie in den anderen vergleichbaren, von der Kammer entschiedenen Fällen, war gemäß § ZPO § 543 ZPO auch in diesem Verfahren die Revision zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts und möglicherweise darüber hinaus im Wege der Vorlage durch den BGH nach Art. 234 EGV sogar des Europäischen Gerichtshofes erfordert. Die Frage, ob bei dauerhaften Flugunterbrechungen am planmäßigen Ort einer Zwischenlandung nach ordnungsgemäß durchgeführtem erstem Flugabschnitt die Voraussetzungen für die hier geltend gemachte Ausgleichszahlung nach der EG-VO Nr. 261/04 gegeben sind, ist soweit ersichtlich noch nicht abschließend höchstrichterlich entschieden. Es ist auch zu erwarten, dass diese Frage angesichts der Entwicklungen auf dem Pauschalreisemarkt und wegen der bereits bei der erkennenden Kammer anhängigen drei Verfahren mit genau gleicher Problematik und (bei gleichem betroffenen Flug) unterschiedlichen amtsgerichtlichen Ausgangsentscheidungen künftig in einer Vielzahl von Fällen entscheidungserheblich sein wird, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Klärung erforderlich ist.

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