Erkrankung von Crew-Mitglied kein außergewöhnlicher Umstand

LG Darmstadt: Erkrankung von Crew-Mitglied kein außergewöhnlicher Umstand

Eine Reiseveranstalterin wurde auf Schadensersatz verklagt, weil der Abflug des Flugzeuges mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden stattgefunden hat.

Das Landgericht Darmstadt sprach dem Kläger eine Schadensersatzforderung zu.

Landgericht Darmstadt 7 S 122/10 (Aktenzeichen)
LG Darmstadt: LG Darmstadt, Urt. vom 06.04.2011
Rechtsweg: LG Darmstadt, Urt. v. 06.04.2011, Az: 7 S 122/10
AG Rüsselsheim, Urt. v. 28.08.2010, Az: 3 C 109/10
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Landgericht Darmstadt

1. Urteil vom 06. April 2011

Aktenzeichen: 7 S 122/10

Leitsatz:

2. Verspätet sich der Abflug, so kommt das Luftfahrtunternehmen als Schuldner der Leistung in Verzug.

Zusammenfassung:

3. In diesem Fall buchte die Klägerin bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen einen Flug. Aufgrund der Erkrankung eines Crew-Mitglieds konnte der Flug nicht früher stattfinden. Somit verspätete sich der Flug um mehr als sechs Stunden.

Der Kläger begehrt von dem beklagten Luftfahrtunternehmen einen Schadensersatz wegen der Verspätung von mehr als drei Stunden. Als Rechtsgrundlage werden die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts aus dem Bürgerliche Gesetzbuch genommen.

Das Landgericht in Darmstadt hat dem Kläger den Mehrkostenersatz zugesprochen. Bei einem Flug handelt es sich um ein Fixgeschäft. Der Flug muss dann erfolgen, wie zuvor bei der Buchung vereinbart wurde. Verspätet sich der Abflug, so kommt das Luftfahrtunternehmen in Verzug und macht sich dem Fluggast gegenüber schadensersatzpflichtig.

Tenor:

4. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des AGs Rüsselsheim vom 25.08.2010 (3 C 109/10) wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann jedoch die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 1.134,11 Euro festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe:

5. Der für den 30.01.2008 um 13:45 Uhr vom Kläger für sich und seine Ehefrau über […] bei der Beklagten als Rückflug gebuchte Flug von Ras Al Khaimah (Vereinigte Arabische Emirate) nach Frankfurt a.M. ([…]) wurde von der Beklagten mit ca. 14-stündiger Verspätung dann am 31.01.2008 um 04:00 Uhr durchgeführt. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 01.02.2008 zusätzliche Verpflegungskosten in Höhe von 144,11 € sowie Entschädigung nach EU-Verordnung von 2 x 600,– € begehrt hatte, übersandte die Beklagte mit Schreiben vom 05.03.2008 einen vom Kläger später eingelösten Verrechnungsscheck über 210,– € für Minderung sowie Nebenkosten. Mit der am 12.02.2010 zugestellten Klage verlangte der Kläger unter Hinweis auf die von seiner Ehefrau erfolgte Abtretung Zahlung von 1.134,11 € nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Anwaltskosten. Die Beklagte hat das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes wegen der plötzlich aufgetretenen Erkrankung eines Crew-Mitgliedes geltend gemacht und die Anrechnung mit eigenen sowie eventuellen Zahlungen des Reiseveranstalters erklärt.

6. Mit Urteil des AGs Rüsselsheim vom 25.08.2010 wurde die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.134,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.03.2008 zuzüglich 155,30 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

7. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten mit dem Antrag, unter Abänderung des AGlichen Urteils die Klage abzuweisen. Der Kläger verteidigt das Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

8. Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und nach insoweit antragsgemäß verlängerter Frist auch rechtzeitig begründet worden, mithin zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil das AG der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben hat.

9. Vorab wird gemäß § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil des AGs Rüsselsheim verwiesen. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Ziff.1 ZPO) sind nicht ersichtlich.

10. Auf Grund dieser ordnungsgemäß erhobenen Feststellungen hat das Amts-gericht die Beklagte zu Recht zur Zahlung der Ausgleichsleistung gemäß Art. 7 Abs. 1 b) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 in Höhe von insgesamt 1.200,– € für zwei Personen abzüglich des schon vom Kläger zutreffend aus der vorprozessualen Scheckzahlung nach Abzug der Verpflegungskosten noch verbleibenden hierauf verrechneten Differenzbetrages verurteilt. Die Beklagte schuldet dem Kläger und seiner Ehefrau angesichts der hier vorgetragenen und im wesentlichen unstreitigen Umstände im Zusammenhang mit dem erheblich verspäteten Rückflug entsprechend Art. 7 der VO (EG) Nr. 261/2004 die sich aus der Flugstrecke ergebende Ausgleichsleistung von jeweils 600,– €. Denn die ganz erhebliche Abflugverspätung und die damit korrespondierende verspätete Ankunft der Fluggäste am Zielflughafen stellte zwar, wie vom AG zutreffend festgestellt, keine Annullierung des ursprünglich gebuchten Fluges und auch keine Nichtbeförderung der Passagiere dar, gleichwohl schuldet die Beklagte unter Berücksichtigung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 (C-402/07 bzw. C-432/07), der zwischenzeitlich auch der BGH mit Urteilen vom 18.02.2010 gefolgt ist, gegenüber dem Kläger und seiner Gattin die Ausgleichszahlung.

11. In seinem Urteil vom 19.11.2009 hat der Europäische Gerichtshof (Az: C 402/07 und C 432/07) entschieden:

„1. Art. 2 Buchst. l sowie die Art. 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden kann, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.

2. Die Art. 5, 6 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Eine solche Verspätung führt allerdings dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.

3. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung oder Verspätung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind.“

12. Mit Urteil vom 18.02.2010 (Az: Xa ZR 95/06) hat der BGH daraufhin in dem von ihm dem EuGH vorgelegten Verfahren entschieden, daß den Klägern Ausgleichsansprüche nach der EG-VO Nr. 261/2004 zustehen. Aus diesem Urteil sowie aus den weiteren am gleichen Tage verkündeten Urteilen des BGH in den Verfahren Xa ZR 106/06, Xa ZR 64/07, Xa ZR 164/07 und Xa ZR 166/07 ergibt sich, daß der Senat keine Veranlassung zu einer erneuten Vorlage an den EuGH gesehen hat. Das Urteil des EuGH, das nunmehr vom BGH auf die bei ihm anhängig gewesenen Revisionsverfahren angewandt wurde, werfe jedenfalls keine für den Streitfall erheblichen neuen Auslegungsfragen auf, die der Senat nicht ohne erneute Vorlage beantworten könne. Der BGH hat weiter ausgeführt, daß Zweifel an der Gültigkeit der Fluggastrechteverordnung nicht bestehen, nachdem der EuGH die Gültigkeit bei einer am Grundsatz der Gleichbehandlung (Vergleich der Situation von Fluggästen verspäteter Flüge mit der von Fluggästen annullierter Flüge) orientierten Auslegung ausdrücklich bejaht habe und auch von der Vereinbarkeit seiner Auslegung mit dem Montrealer Übereinkommen ausgegangen sei. Da die Beklagte keine außergewöhnlichen Umstände vorgetragen habe, die sie von der Verpflichtung zur Ausgleichszahlung hätten befreien können, konnte der BGH abschließend zugunsten der dortigen Kläger entscheiden.

13. Ausgehend von diesen Grundsätzen schuldet die Beklagte dem Kläger und seiner Ehefrau eine Ausgleichszahlung von jeweils 600,– Euro. Die Entfernung von Ras Al Khaimah zum Zielflughafen in Frankfurt a.M. beträgt nach der Großkreistabelle über 3.500,– km.

14. Die Beklagte hat letztlich keine Umstände vorgetragen, wonach die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (Art. 5 Abs. 3 EG-VO). Hier behauptete die Beklagte vorprozessual in dem an den Kläger gerichteten Schreiben vom 05.03.2008 (Bl. 51 f d.A.), „bedingt durch einen technischen Defekt“ habe sich die Ankunft verzögert, wobei Einzelheiten des angeblichen Defekts nicht mitgeteilt worden sind. Im vorliegenden Rechtsstreit wurde dann in erster Instanz vorgetragen, die Verspätung „resultierte letzten Endes aus der Erkrankung eines Flugbegleiters, dem es gesundheitlich so schlecht ging, dass er zur Behandlung in ein Krankenhaus überführt werden mußte“ (Bl. 20 d.A.). Weitere Einzelheiten der Erkrankung, die den weiteren Ausführungen zufolge offenbar bereits vor dem Start der Maschine in Gan Island (Malediven) aufgetreten sein muss und wegen der bußgeldbewehrten Flugdienstzeitbeschränkungen zur Entscheidung des Flugkapitäns zum sog. „minimum crewrest“ geführt hat, wurden nicht mitgeteilt.

15. Der Kläger hat den Vortrag der Beklagten zu der angeblichen Ursache für die Abflugverspätung, der von ihrer vorprozessualen Erklärung abweicht, mit Nichtwissen bestritten. Dieses Bestreiten des Klägers war zulässig, weil es sich bei den von der Beklagten behaupteten Umständen ausschließlich um solche handelt, die allein in ihrem Wahrnehmungskreis vorgelegen haben sollen (§ 138 Abs. 4 ZPO).

16. Technische Probleme, die zu einer Verspätung führen, stellen grundsätzlich keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der EG-VO dar, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind (vgl. dazu EuGH, a.a.O., Tz. 72; EuGH, Urteil vom 22.12.2008, Az: C-549/07, Tz. 34; BGH, a.a.O., Tz. 15). Dies geht zu Lasten der Beklagten, die substantiiert die Umstände vortragen und gegebenenfalls beweisen muß, warum ein technisches Problem ausnahmsweise einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 EG-VO Nr. 261/2004 darstellen soll.

17. Auch die Erkrankung eines Crew-Mitgliedes, die im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits allein als Begründung für die Flugverspätung angegeben wird, führt nicht nach Art. 5 Abs. 3 der EG-VO zum Wegfall der Leistungspflicht. Das Berufungsgericht verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen AGlichen Urteils (Bl. 56 d.A.). Es ist allein der betrieblichen Sphäre der Fluggesellschaft zuzurechnen, wenn ein bei ihr beschäftigter Mitarbeiter erkrankt und deshalb seine vorgesehenen Aufgaben nicht wahrnehmen kann. Es kommt dabei auch nicht darauf an, welche Ursache dieser krankheitsbedingte Ausfall hat, ob es sich also wie etwa bei einer bakteriellen Erkrankung oder einer Virusinfektion um eine Einwirkung auf den menschlichen Körper „von außen“ handelt, es um eine chronische Krankheit, unfallbedingte Verletzungen oder aber um einen wie etwa bei übermäßigem Alkoholgenuß von dem Mitarbeiter selbst veranlaßten Ausfall geht. Diese eigentliche Krankheitsursache wäre auch, zumal Mitarbeiter insoweit schon gegenüber ihrem Arbeitgeber im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses nicht auskunftspflichtig sind, einer weiteren Darlegung durch die Beklagte bzw. dann im Bestreitensfalle einer Beweisaufnahme durch das Gericht regelmäßig nicht zugänglich. Vielmehr ist die Erkrankung eines Crew-Mitgliedes jedenfalls dann, wenn sie nicht durch einen Sabotageakt (etwa einen Terroranschlag) von außen durch Dritte verursacht worden ist, ein Umstand, der sich in der betrieblichen Sphäre der Fluggesellschaft immer ereignen kann und deshalb nicht „außergewöhnlich“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der EG-VO ist. Auf ein Verschulden der Beklagten kommt es dabei ebensowenig an wie auf die sicherlich nur in ganz seltenen Ausnahmefällen gegebene Möglichkeit, in weit von der Heimatbasis entfernten Flughäfen wie hier auf den Malediven oder dann auf der Arabischen Halbinsel, vor Ort zeitnah ein Ersatz-Crewmitglied zum Einsatz zu bringen. Die Erkrankung eines Mitarbeiters ist das Risiko eines jeden Arbeitgebers, mit dem er für den normalen Betriebsablauf seines Unternehmens rechnen muß. Das Gericht verkennt dabei nicht, daß es einem Luftfahrtunternehmen schwerlich zuzumuten ist, an allen Abflug- und Zielorten der von ihm betriebenen Flugstrecken Ersatzpersonal gleichsam vorrätig zu halten. Aber dies kann allein kein Grund sein, die Erkrankung eines Crew-Mitglieds als außergewöhnlichen Umstand anzusehen.

18. Der dann nach dem erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten drohende Ablauf der Dienstzeit der Crew, deretwegen es zu der Entscheidung des Flugzeugführers kam, noch später zu starten, kann die Beklagte hier schon deshalb nicht entlasten, weil es sich lediglich um eine weitere Folge der bereits aus Gründen des krankheitsbedingten Ausfalls eines Mitarbeiters eingetretenen Verspätung gehandelt hat.

19. Von der nach alledem fälligen Ausgleichsleistung von insgesamt 1.200,– € war wie vom Kläger zutreffend errechnet ein Betrag von 65,89 € in Abzug zu bringen, da nur dieser Teilbetrag und nicht die von der Beklagten genannte Betrag von 71,29 € der Scheckzahlung über insgesamt 210,– € als „Minderung“ verbleibt. Denn die Beklagte hat, wie sich aus ihrem Begleitschreiben vom 05.03.2008 ergibt, vorrangig die dem Kläger und seiner Ehefrau wegen unterbliebener Betreuungsleistungen (Art. 9 EG-VO) entstandenen „Nebenkosten“ erstatten wollen. Diese betragen aber, wie vom Kläger unter Vorlage entsprechender Belege nachvollziehbar dargelegt und von der Beklagten auch im Verlaufe des Rechtsstreits nicht mehr bestritten, insgesamt 144,11 €.

20. Die Beklagte hat darüber hinaus hier auch keine wirksame Anrechnung nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 der erwähnten EG-Verordnung vorgenommen. Wie die Kammer bereits mehrfach entschieden hat, kann nach dieser Bestimmung eine nach der Verordnung gewährte Ausgleichsleistung auf einen Schadensersatzanspruch des Fluggastes angerechnet werden, nicht jedoch umgekehrt. Hinzukommt, daß für eine etwaige (weitere) Erstattungsleistung durch die Firma […] keine Anhaltspunkte vorliegen und etwaige Zahlungen Dritter ohnehin nicht ohne weiteres anrechnungsfähig sein dürften.

21. Schließlich hat das AG dem Kläger auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten zu Recht zugesprochen. Nachdem der Kläger zunächst selbst mit Schreiben vom 01.02.2008 die Ansprüche geltend gemacht hat, befand sich die Beklagte jedenfalls mit der Ablehnung weiterer Forderungen durch Schreiben vom 05.03.2008 in Verzug. Deshalb hat sie gemäß §§ 286 ff BGB als Verzugsschaden auch die durch die spätere Anwaltsbeauftragung entstandenen Kosten zu ersetzen. Insbesondere durfte der Rechtsanwalt des Klägers nach Beauftragung nochmals außergerichtlich gegenüber der Beklagten tätig werden, zumal nach Bekanntwerden der EuGH-Entscheidung vom 19.11.2009 deren bisherige Argumentation so nicht mehr haltbar war.

22. Nach alledem war die zulässige Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Die Bemessung des Gegenstandswertes folgt dem Umfang der Anfechtung des AGlichen Urteils, wobei Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten als Nebenforderungen gemäß § 4 Abs. 1 ZPO außer Betracht zu bleiben hatten. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung, aber mit Abwendungsbefugnis, ergibt sich aus § 708 Ziff. 10 ZPO in Verbindung mit § 711 ZPO.

23. Auch ohne Anregung der Parteien war gemäß § 543 ZPO von Amts wegen die Revision zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Erkrankung eines Crew-Mitgliedes die Fluggesellschaft bei Flugausfällen und/oder -verspätungen nach Art. 5 Abs. 3 der EU-VO entlasten kann, ist soweit ersichtlich noch nicht höchstrichterlich entschieden. Nachdem sich einige bei der Kammer anhängige ähnliche Verfahren in der Vergangenheit durch Prozeßvergleich erledigt haben, ist dies auch für das erkennende Berufungsgericht der erste insoweit streitig entschiedene Fall. Wegen des sich aus dem vorliegenden Verfahren und den divergierenden AGlichen Entscheidungen in den Parallelsachen ergebenden unterschiedlichen Meinungsstandes bedarf die Frage einer Klärung durch den BGH. Es ist auch zu erwarten, daß diese Frage künftig in einer Vielzahl von Fällen zur Entscheidung anstehen wird, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt eine Klärung erforderlich ist.

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