Erkrankter Pilot

AG Frankfurt: Erkrankter Pilot

Ein Fluggast verlangt von einem Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung, weil sein Flug erhebliche Verspätung hatte.

Das AG Frankfurt hat dem Kläger die Ausgleichszahlung nicht zugesprochen und entschieden, dass eine Flugverspätung aufgrund der Erkrankung des Piloten keinen außergewöhnlichen Umstand darstellt.

AG Frankfurt 31 C 245/11 (16) (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 20.05.2011
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 20.05.2011, Az: 31 C 245/11 (16)
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Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 20.05.2011

Aktenzeichen: 31 C 245/11 (16)


Leitsatz:

2. Verspätete sich der Flug aufgrund der Erkrankung des für den Flug verantwortlichen Piloten, so liegt kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vor, da dies zum Unternehmensrisiko gehört.


Zusammenfassung:

3. Der Kläger buchte bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen, für sich und seine Frau, eien Flug von Las Vegas nach Frankfurt am Main. Statt – wie vereinbart – am 13.06.2010 um 14.25 Uhr flog das Flugzeug der Beklagten erst am Folgetag, am 14.06.2010, um 10.00 Uhr ab. Aus diesem Grund forderte der Kläger das Luftfahrtunternehmen zu einer Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auf. Das beklagte Luftfahrtunternehmen verweigerte die Zahlung mit der Begründung, dass ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vorgelegen habe, da der da der für den Flug verantwortliche Pilot erkrankte.

Das Amtsgericht Frankfurt hat im Sinne des Klägers entschieden und ihm die Zahlung zugesprochen. Die Erkrankung des für den Flug verantwortlichen Piloten stellt keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 dar.  Zwar ist es dem Luftfahrtunternehmen unzumutbar einen Einfluss auf solche Ereignisse zu haben, jedoch gehört das Erkranken vom Personal zu den üblichen Risiken die im Betrieb eines Luftfahrtunternehmens auftreten können.


Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.200,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.12.2010 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert wird auf 1.200,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

5. Der Kläger macht gegen das beklagte Luftfahrtunternehmen mit Sitz in Deutschland Ausgleichsansprüche aus der Fluggastrechteverordnung (EGV 261/2004) wegen erheblicher Flugverspätung aus eigenem und aus von seiner Ehefrau abgetretenem Recht geltend.

6. Der Kläger und seine Ehefrau buchten bei der Beklagten einen Flug mit der Beklagten für den 13.06.2010 von Las Vegas nach Frankfurt am Main. Statt – wie vereinbart – am 13.06.2010 um 14.25 Uhr flog das Flugzeug der Beklagten erst am Folgetag, am 14.06.2010, um 10.00 Uhr ab. Grund für die Verspätung war die „unvorhergesehene Erkrankung des Piloten …, die vermutlich auf die Zusichnahme eines verdorbenen Shrimps-Cocktails zurückzuführen war“ (Bl. 21 d.A.).

7. Vorgerichtlich forderten der Kläger und seine Ehefrau die Beklagte unter Fristsetzung bis 21.12.2010 erfolglos zur Zahlung auf. Die Ehefrau des Klägers trat diesem alle ihre Rechte gegen die Beklagte aus der Fluggastrechteverordnung (EGV 261/2004) ab, der Kläger nahm die Abtretung an.

8. Der Kläger beantragt,

9. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.200,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.12.2010 zu zahlen.

10. Die Beklagte beantragt,

11. die Klage abzuweisen.

12. Die Beklagte ist der Ansicht, aus der unerwarteten Erkrankung des verantwortlichen Piloten folge ein „außergewöhnlicher Umstand“ der Flugverspätung, der zur Leistungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 EGV 261/20004 führe.

13. Wegen Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2011 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

14. Die Klage ist zulässig, insbesondere das Amtsgericht Frankfurt am Main als Gericht des Abflugortes international und örtlich zuständig, § 29 ZPO. Soll ein Ausgleichsanspruch nach EGV 261/2004 gegen das Luftverkehrsunternehmen geltend gemacht werden, mit dem der Fluggast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, ist unabhängig vom Vertragsstatus Erfüllungsort im Sinne des § 29 ZPO sowohl der Ort des vertragsgemäßen Abflugs als auch der Ort der vertragsgemäßen Ankunft des Flugzeugs (vgl. BGH, Urt. v. 18.01.2011 – X ZR 71/10 -, juris, Abs.-Nr. 35).

15. Die Klage ist auch in vollem Umfang begründet.

16. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 600,00 EUR aus eigenem und in gleicher Höhe aus abgetretenem Recht nach Art. 7 EGV 261/2004. Nach der Rechtsprechung des EuGH haben auch Fluggäste verspäteter Flüge einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 EGV 261/2004, wenn sie – wie hier – wegen der Verspätung einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden (EuGH, Urt. v. 19.11.2009 – Rs. C-402/07 -, Tenor Ziffer 2).

17. Die Beklagte ist von ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Ausgleichsleistungen auch nicht nach Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 freigeworden. Die Verspätung ging hier nicht auf „außergewöhnliche Umstände“ zurück. Dies wäre nur der Fall, wenn sie auf Vorkommnisse zurückging, die aufgrund der Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind (EuGH, Urt. v. 22.12.2008 – Rs. C-549/07 -, juris, Abs.-Nr. 26). Ziel des strengen Art. 5 EGV 261/2004 ist, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen Rechnung zu tragen, da die Annullierung – und entsprechend die gravierende Verspätung – von Flügen für die Fluggäste ein Ärgernis ist und ihnen große Unannehmlichkeiten verursacht (EuGH, Urt. v. 22.12.2008 – Rs. C-549/07 -, juris, Abs.-Nr. 18 ff ). Gemessen an diesen strengen Anforderungen liegt bei der (unerwarteten) Erkrankung von Flugpersonal kein Fall vor, den die Verordnung überhaupt mit der Beschreibung eines „außergewöhnlichen“ Umstands erfassen wollte; im Ausfall von Personal – auch und namentlich durch Krankheit – verwirklicht sich ein typisches und gewöhnliches Unternehmerrisiko. Anhaltspunkte dafür, dass die Verordnung dieses gewöhnliche und typische Unternehmerrisiko auf die Fluggäste verlagern wollte – mit der Folge der Leistungsfreiheit des Luftfahrtunternehmens – sind nicht ersichtlich und ergeben sich weder aus Wortlaut, noch aus Zielrichtung oder Entstehungsgeschichte der Verordnung (ebenso: AG Rüsselsheim, Urt. v. 25.08.2010 – 3 C 109/10 -, juris, Abs.-Nr. 20 ff.; AG Rüsselsheim, Urt. v. 17.09.2010 – 3 C 598/10 -, juris, Abs.-Nr. 15; in diese Richtung wohl auch, letztlich aber offen lassend: BGH, Urt. v. 18.03.2010 – Xa ZR 95/06 -, juris, Abs -Nr. 16).

18. Der Anspruch auf Zinsen beruht auf Verzug, nachdem die der Beklagten vorgerichtlich gesetzte Zahlungsfrist am 22.12.2010 abgelaufen ist.

19. Die Entscheidung zu den Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.

20. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus den §§ 48 I 1 GKG, 3 ZPO.

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