Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung wegen Annullierung

LG Köln: Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung wegen Annullierung

Ein Luftfahrtunternehmen wurde für Schadensersatz verklagt, nachdem der gebuchte und bestätigte Flug einer Reisenden annulliert und sie mit einem anderen Flug befördert worden war, der das Ziel mit zweistündiger Verspätung erreichte.

Die Berufung der Airline gegen das erstinstanzliche Urteil, Schadensersatz zu leisten, scheiterte vor dem Landgericht Köln. Trotz der vorherigen Ankündigung der Verspätung, sei der Fluggast für die volle Dauer der Verzögerung zu entschädigen.

LG Köln 11 S 440/16 (Aktenzeichen)
LG Köln: LG Köln, Urt. vom 10.10.2017
Rechtsweg: LG Köln, Urt. v. 10.10.2017, Az: 11 S 440/16
AG Köln, Urt. v. 23.11.2016, Az: 114 C 176/16
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Landgericht Köln

1. Urteil vom 10. Oktober 2017

Aktenzeichen 11 S 440/16

Leitsatz:

2. Erreicht ein Fluggast sein Ziel über den Ersatzflug für einen annullierten Flug mit mehr als zwei Stunden Verspätung, ist keine Kompensation der Annullierung im von der Fluggastrechteverordnung vorgesehen Maß gegeben, selbst wenn die geplanten Flugzeiten die Verzögerungshöchstdauer unterschreiten.

Zusammenfassung:

3. Eine Reisende buchte bei einer Airline eine Flugreise aus zwei Teilflügen. Der erste Teilflug wurde von der Airline annulliert und die Passagierin mit einem Alternativflug befördert. Die planmäßige Verzögerung der Ankunft am Endziel betrug 1 Stunde und 45 Minuten, tatsächlich erreichte die Reisende ihr Ziel jedoch erst 2 Stunden und 16 Minuten später als vorgesehen.

Vor dem Amtsgericht Köln hatte die Klage auf Schadensersatz Erfolg, wogegen die Fluggesellschaft in Berufung ging. Sie argumentierte, es bestünden keine Ersatzansprüche, da es bei der Bemessung einer Kompensation auf die geplanten Abflugs- und Ankunftszeiten ankomme. Diese Sicht teilte das Landesgericht Köln nicht und bestätigte das Urteil aus erster Instanz in vollem Umfang mit der Begründung, für den Fluggast sei die tatsächliche Verspätung entscheidend.

Der Reisenden stehen in der Folge Ausgleichszahlungen im Sinne von Art. 5 der Verordnung 261/2004 zu.

Tenor:

4. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 23.11.2016 – 114 C 176/16 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

5. Die Klägerin begehrt von der Beklagten, einem Luftverkehrsunternehmen, die Zahlung einer Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung wegen der Annullierung eines Fluges.

6. Die Klägerin verfügte über eine bestätigte Buchung der von der Beklagten auszuführenden Flüge ###1 am 00.00.00 von Hamburg nach Köln/Bonn um 15:45 Uhr und ###2 am 00.00.00 von Köln/Bonn nach A um 18:40 Uhr mit geplanter Ankunftszeit in A um 19:45 Uhr.

7. Der Flug ###1 wurde von der Beklagten annulliert.

8. Stattdessen wurde die Klägerin mit dem Flug ###3 um 20:38 Uhr von Hamburg unmittelbar nach A ersatzbefördert. Ihr Endziel A erreichte die Klägerin um 22:01 Uhr, mithin zwei Stunden und 16 Minuten später als ursprünglich vorgesehen. Planmäßig hätte der Ersatzflug um 21:30 Uhr landen sollen.

9. Die Entfernung zwischen Hamburg und A beträgt, berechnet nach der Großkreismethode, 756 Kilometer.

10. Nachdem die Klägerin zunächst beantragt hatte, die Beklagte zu verurteilen, an sie 250,00 € nebst außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 70,20 € zu zahlen, hat sie die Klage vor der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten zurückgenommen.

11. Die Klägerin hat letztlich erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 250,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.06.2016 zu zahlen.

12. Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

13. Sie ist der Ansicht gewesen, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert, da ausweislich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der E GmbH eine Abtretung an diese vorliege. Zudem ist die Beklagte der Auffassung gewesen, der Anspruch sei nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) VO EG Nr. 261/2004 (Fluggastrechteverordnung) ausgeschlossen, da die Klägerin ihr Ziel nur zwei Stunden und 16 Minuten verspätet erreichte. Nach Auffassung der Beklagten sei die Vorschrift einschränkend dahin auszulegen, dass es auf einen Gesamtzeitverlust von drei Stunden ankomme.

14. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der E GmbH sei keine Abtretung zu entnehmen und die Klägerin daher aktivlegitimiert. Auch sei der Anspruch nicht nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung ausgeschlossen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lägen nicht vor, da die Klägerin ihr Endziel erst zwei Stunden und 16 Minuten nach der planmäßigen Ankunftszeit erreicht habe. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift, die ausdrücklich den Zeitraum von weniger als zwei Stunden nennt, bestehe kein Spielraum für eine weitergehende Auslegung. Der durch den EuGH unter Bezugnahme auf Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung für Verspätungsfälle entwickelte Grundsatz könne nicht rückwirkend zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs der Norm im Falle der Annullierung führen.

15. Gegen das ihr am 25.11.2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 20.12.2016, an diesem Tag beim Berufungsgericht eingegangen, Berufung eingelegt. Die Berufung hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 25.01.2017, eingegangen beim Berufungsgericht am selben Tag, begründet.

16. Die Beklagte verfolgt ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Sie ist der Auffassung, die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 lit. c iii) Fluggastrechteverordnung lägen nicht vor, da es auf das Angebot und nicht die tatsächliche Durchführung des Ersatzfluges ankomme. Maßgebend sei also die planmäßige und nicht die tatsächliche Ankunftszeit des Ersatzfluges. Das ergebe sich bereits aus der Verwendung des Wortes „ermöglichen“. Dies sei interessengerecht. Zum einen habe das Luftfahrtunternehmen, bei dem der ursprüngliche Flug gebucht wurde, keinen Einfluss auf die Durchführung des Ersatzfluges. Zum anderen sei auch der Fluggast nicht schutzbedürftig, da bei Annahme des Angebots zur anderweitigen Beförderung im Falle einer dann eintretenden weiteren Unregelmäßigkeit auf dem Ersatzflug ein weiteres Haftungsverhältnis entstehe, aus dem das dann ausführende Luftfahrtunternehmen dem Fluggast verpflichtet sei. Überdies könne der Fluggast, dem eine Ersatzbeförderung angeboten wurde, auch von dem Flug nach Art. 8 Abs. 1 lit. a) Fluggastrechteverordnung Abstand nehmen. In diesem Fall sei der Fluggast durch eine Verspätung des angebotenen Ersatzfluges nicht ansatzweise beeinträchtigt, so dass es keinen rechtfertigenden Grund für eine Ausgleichszahlung gibt.

17. Auch hält die Beklagte an der Auffassung fest, dass es auf einen Gesamtzeitverlust von drei Stunden ankomme. Dies sei derjenige, den Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung als gerade noch hinnehmbar erachte. Dies sei eine Folge der Rechtsprechung, die über den Wortlaut der Verordnung hinaus Fluggästen in rechtsanaloger Anwendung der Artikel 5 und 7 Fluggastrechteverordnung auch im Falle einer großen Verspätung einen Anspruch auf Ausgleichszahlung zuerkennt. Sonst würden die von einer bloßen Verspätung betroffenen Fluggäste besser gestellt als die von einer Annullierung betroffenen.

18. Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Köln vom 23.11.2106 – 114 C 176/16 – abzuweisen.

19. Die Klägerin beantrag,

die Berufung zurückzuweisen.

20. Die Klägerin wiederholt und vertieft ihre Ansicht, dass die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestands nicht vorliegen.

21. Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

II.

22. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg, da die angefochtene Entscheidung weder auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) noch die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

23. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht der Klage vollumfänglich stattgegeben. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 250,00 € aus Art. 5 Abs. 1 lit. c), 7 Abs. 1 lit. a) Fluggastrechteverordnung zu.

24. Das Amtsgericht hat mit zutreffender Begründung, auf die vollumfänglich Bezug genommen wird, die Aktivlegitimation der Klägerin bejaht. Hiergegen hat die Beklagte zweitinstanzlich nichts erinnert.

25. Der Anspruch ist auch nicht nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift wird bei Annullierung eines Fluges den betroffenen Fluggästen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 Fluggastrechteverordnung eingeräumt, es sei denn, sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen. Diese Voraussetzungen lagen nicht vor.

26. Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung ist nicht dahingehend auszulegen, dass ein Anspruch auf Leistung einer Ausgleichszahlung auch dann entfällt, wenn der Fluggast bis zur Ankunft einen Gesamtzeitverlust von weniger als drei Stunden erleidet (so auch LG Düsseldorf, Urt. v. 17.02.2017 – 22 S 258/16, n.v., zitiert nach Bl. 126 ff. d.A.; a.A.: LG Hannover, Urt. v. 09.02.2015 – 14 S 53/14, Rn. 12 ff., zitiert nach juris). Einer solchen Auslegung steht der eindeutige Wortlaut der Vorschrift entgegen, der zwischen einer Zeitverschiebung vor der planmäßigen Abflugzeit (eine Stunde) und nach der planmäßigen Ankunftszeit (zwei Stunden) unterscheidet. Auch der EuGH berücksichtigt diese Differenzierung (vgl. EuGH, Urt. v. 23.10.2012 – C-581/10 und C 629/10, Rn. 31, zitiert nach juris) und stellt demnach nicht auf einen Gesamtzeitverlust ab. In Anbetracht dessen ist es verfehlt, unter Rekurs auf die zur großen Verspätung ergangene Rechtsprechung des EuGH die differenzierende Regelung des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung obsolet zu machen.

27. Eine extensive Auslegung des Ausnahmetatbestandes des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii Fluggastrechteverordnung lässt sich auch nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz begründen. Entgegen der Ansicht der Berufung ist auch ein Fluggast, dessen Flug annulliert wird, nicht besser gestellt als ein Fluggast, dessen Flug verspätet abfliegt. Ein Fluggast, dem bis zu sieben Tage vor dem geplanten Abflug ein Alternativflug angeboten wird, muss auch eine Abflugzeit akzeptieren, die bis zu einer Stunde früher als die ursprünglich geplante ist, und angesichts dieser Zeitverschiebung gegebenenfalls auch seinen Tagesablauf vor dem Flugbeginn neu disponieren, während dies einem Fluggast im Falle einer bloßen Verspätung nicht zugemutet wird. Im Falle einer Flugannullierung steht der Fluggast einzelfallabhängig auch insoweit schlechter, als er nicht lediglich auf dem ursprünglichen Ausgangsflughafen (oder im Flugzeug) länger warten, sondern sich mitunter auch die Rahmenbedingungen des Ersatzfluges (z.B. der Ausgangsflughafen) von dem annullierten Flug unterscheiden (LG Düsseldorf, Urt. v. 17.02.2017 – 22 S 258/16, n.v., zitiert nach Bl. 126 ff. d.A).

28. Mit der Auslegung der Kammer steht überdies im Einklang, dass Vorschriften der Fluggastrechteverordnung, die den Fluggästen Ansprüche einräumen, weit auszulegen sind (EuGH, Urt. v. 19.11.2009 – C 402/07 und C 432/07, Rn. 45, zitiert nach juris). Anerkannt ist ferner, dass Ausnahmen von Rechten der Fluggäste in Art. 5 Fluggastrechteverordnung angesichts des Ziels der Fluggastrechteverordnung, die Rechte von Fluggästen zu stärken, als Ausnahmevorschrift eng auszulegen sind (EuGH, Urt. v. 22.12.2008 – C-549/07, Rn. 17 m.w.N., zitiert nach juris).

29. Das streitgegenständliche Angebot der Beklagten zur Ersatzbeförderung erfüllte nicht die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung. Maßgebend hierfür ist entgegen der Ansicht der Berufung nicht, ob die planmäßige Ankunftszeit der Ersatzbeförderung die in der Norm genannten Zeiten einhält, sondern ob der Fluggast tatsächlich innerhalb dieser Zeiten befördert wurde. Dies war vorliegend nicht der Fall.

30. Soweit die Beklagte für ihre Auffassung den Wortlaut der Vorschrift und insbesondere die darin verwendete Zeitform anführt, vermag dies nicht zu überzeugen. Aus der Verwendung des Wortes „ermöglichen“ lässt sich semantisch nicht folgern, dass es nicht darauf ankomme, ob der angebotene Ersatzflug tatsächlich auch innerhalb von zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit lande. Vielmehr ist die Verwendung des Wortes „ermöglichen“ sprachlich schon vor dem Hintergrund nachvollziehbar, als ein Luftfahrtunternehmen einen Fluggast nicht zur Wahrnehmung des angebotenen Ersatzfluges zwingen kann (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 16.06.2016 – 2-24 S 208/15, Rn. 28, zitiert nach juris). Das Wort „ermöglichen“ hat auch für sich genommen keine eindeutige dahingehende Bedeutung, dass aus ihm nicht hergeleitet werden könne, ob das ermöglichte Ereignis tatsächlich eingetreten ist. Im Gegenteil wird das Wort regelmäßig auch in dem Sinne verwendet, dass jemand die Voraussetzungen für ein dann tatsächlich eingetretenes Ereignis geschaffen hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Verwendung des Präsens im Verordnungstext. Der Ansicht der Beklagten, dass ein Bezug des Wortes „ermöglichen“ auf eine tatsächlich innerhalb des genannten Zeitraums erfolgte Landung zwingend die Verwendung des Futur I („ermöglichen wird“) erfordert hätte, kann die Kammer nicht folgen. Zum einen verkennt die Beklagte dabei, dass das Präsens nicht nur benutzt wird, um eine Zeit auszudrücken, sondern es auch dem Ausdruck einer allgemeinen Gültigkeit dienen kann (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 8. Aufl., 2015, S. 36). Es ist also geradezu das klassische Tempus für gesetzliche Regelungen. Zum anderen kann aber das Präsens tatsächlich auch zum Ausdruck zukünftiger Ereignisse verwendet werden (Duden, a.a.O., sog. futurisches Präsens). Der hier entscheidende Satz des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung kann also sprachlich ohne Weiteres im dem Sinne ausgelegt werden, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen dem Fluggast ein Angebot zur anderweitigen Beförderung übermitteln muss, das es ihm dann ermöglicht, sein Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen. Die grammatikalische Konstruktion des Satzes steht dem entgegen der Ansicht der Berufung nicht entgegen. Hierzu musste die Kammer auch nicht, wie von der Berufung beantragt, ein sprachwissenschaftliches Gutachten einholen. Bei der Auslegung von Gesetzestexten handelt es sich um eine originäre richterliche Aufgabe. Über die notwendigen sprachwissenschaftlichen Kenntnisse verfügt die Kammer.

31. Im Ergebnis sprechen Sinn und Zweck der Regelung und der Fluggastrechteverordnung maßgeblich dafür, dass es für die Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung auf den tatsächlichen Ankunftszeitpunkt ankommt. Für eine Privilegierung des Luftverkehrsunternehmens durch die Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung in Fällen, in denen lediglich die theoretische Möglichkeit bestanden hätte, nicht mehr als zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel anzukommen, besteht nach dem Verordnungszweck kein Grund (LG Frankfurt, Urt. v. 16.06.2016 – 2-24 S 208/15, Rn. 29, zitiert nach juris). Wenn sich die Annullierung tatsächlich dergestalt auswirkt, dass der Fluggast über zwei Stunden später am Endziel ankommt, kompensiert der Ersatzflug die Annullierung nicht im von Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung vorgesehenen Maße. Für den Fluggast ist nicht die geplante Ankunft des angebotenen Ersatzflugs am Endziel entscheidend, sondern die tatsächliche Ankunft am Endziel. Dies berücksichtigt die Fluggastrechteverordnung, indem u.a. der Schaden ausgeglichen werden soll, der in einem Zeitverlust der betroffenen Fluggäste besteht und der angesichts seines irreversiblen Charakters nur mit einer Ausgleichszahlung ersetzt werden kann. Dieser Schaden entsteht sowohl den Fluggästen annullierter Flüge, wenn diese vor dem Erreichen ihres Zielorts eine längere Beförderungszeit als die ursprünglich von dem Luftfahrtunternehmen angesetzte hinnehmen müssen (zum Vorstehenden EuGH, Urt. v. 19.11.2009 – C 402/07 und C 432/07, Rn. 49 ff. m.w.N., zitiert nach juris). Dieser zu kompensierende Zeitverlust bliebe außer Betracht, wenn im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung nicht auf die tatsächliche Ankunft am Endziel, sondern auf die hypothetisch mögliche Ankunft am Endziel nach dem Flugplan abgestellt würde.

32. Soweit die Beklagte demgegenüber der Ansicht ist, für eine enge Auslegung des Art. 5 Abs. 1 lit c) iii) Fluggastrechteverordnung bestehe kein sachlicher Grund, weil bei einer Verspätung über den Flugplan des Ersatzfluges hinaus ein „neues Haftungsverhältnis“ zu dem den Ersatzflug ausführenden Luftfahrtunternehmen entstehe und der Fluggast insoweit „geschützt“ sei, verkennt sie, dass eine „anderweitige Beförderung“ kein „Flug“ im Sinne der Fluggastrechteverordnung ist. Es liegt jedenfalls keine bestätigte Buchung vor, die Voraussetzung eines Anspruchs ist (vgl. LG Frankfurt. Urt. v. 16.06.2016 – 2-24 S 208/15, Rn. 30, zitiert nach juris).

33. Soweit die Berufung ferner einwendet, ein Fluggast könne nach Art. 8 Abs. 1 lit. a) Fluggastrechteverordnung von dem Flug Abstand nehmen und sein Beförderungsentgelt erstattet verlangen, mag es sein, dass ein solcher Fluggast durch eine Verspätung des angebotenen Ersatzfluges nicht beeinträchtigt ist und daher auch keine Ausgleichszahlung zu erhalten hat. So liegt der hier zu entscheidende Fall aber nicht. Die Klägerin hat die Ersatzbeförderung tatsächlich in Anspruch genommen.

34. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 709 ZPO.

35. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen. Die Zulassung der Revision ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu den hier entscheidungserheblichen Auslegungsfragen des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung ist bislang, soweit ersichtlich, nicht ergangen und das Urteil des Landgerichts Hannover vom 09.02.2015 (14 S 53/14) weicht im Hinblick auf die Begründung und das Ergebnis vom Urteil der Kammer ab.

36. Berufungsstreitwert: 250,00 €

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