Ausgleichsanspruch wegen kurzfristiger Flugannullierung
LG Hannover: Ausgleichsanspruch wegen kurzfristiger Flugannullierung
Eine Reisende machte einen Anspruch auf Entschädigung geltend, da ihr eigentlicher Flug durch einen späteren ersetzt wurde und sie dadurch 2:50 Stunden am Zielflughafen ankam. Sie bekam zunächst Recht, das Urteil wurde jedoch in der Berufung widerrufen.
Ihre Verspätungszeit lag unter 3 Stunden und somit im normalen Rahmen einer Flugzeitabweichung.
LG Hannover | 14 S 53/14 (Aktenzeichen) |
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LG Hannover: | LG Hannover, Urt. vom 09.02.2015 |
Rechtsweg: | LG Hannover, Urt. v. 09.02.2015, Az: 14 S 53/14 |
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Leitsatz:
2. Ein Entschädigungsanspruch im Fall einer Annullierung oder großer Verspätung entsteht nicht, wenn ein Fluggast durch eine anderweitige Beförderung einen Zeitverlust von unter 3 Stunden erleidet.
Zusammenfassung:
3. Die Berufungsklägerin kam aufgrund einer Flugannullierung mit Verlegung auf einen neuen, späteren Flug 2:50 Stunden später als geplant am Zielflughafen an. Die Dauer des Fluges selbst blieb wie geplant bei 1:30 Stunden.
In erster Instanz erhielt sie Recht, da im Wortlaut der VO (EG) Nr. 261/04 nicht eindeutig 3 Stunden als ausschlaggebende Zeitspanne angegeben wurde. Die Fluggesellschaft ging in Berufung und das folgende Urteil fiel zu ihren Gunsten aus.
Als Begründung wurde angegeben, dass aus bisherigen Rechtsprechungen des Europäischen Gerichtshofes eindeutig ersichtlich ist, dass eine Ankunftsverspätung von mindestens 3 Stunden als Voraussetzung gilt.
Tenor:
4. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 13.6.2014 (533 C 1576/14) abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
5. Die Kammer nimmt Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben, weil sich aus dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 c) iii der VO (EG) Nr. 261/04 nicht ergebe, dass die Ankunftsverspätung mindestens 3 Stunden betragen müsse.
6. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Aus der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur VO (EG) Nr. 261/04 ergebe sich – auch für den Fall der Annullierung – als Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch eine Ankunftsverspätung von mindestens 3 Stunden.
7. Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
unter Abänderung des am 13.6.2014 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Hannover mit dem Aktenzeichen 533 C 1576/14 die Klage abzuweisen.
8. Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.
9. Auf die zugelassene und damit zulässige Berufung hin ist das Urteil des Amtsgerichts abzuändern, weil die Klage unbegründet ist.
10. Nach dem Wortlaut des Art. 5 Absatz 1 c) iii der VO (EG) Nr. 261/04 entfällt ein Entschädigungsanspruch im Falle einer Annullierung unter zwei Voraussetzungen, wovon das Amtsgericht im Ansatz zutreffend ausgegangen ist:
11. Die anderweitige Beförderung ermöglicht dem Fluggast, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen. Das ist hier der Fall, weil der Ersatzflug tatsächlich nach dem geplanten Abflug startete.
12. Zusätzlich muss die anderweitige Beförderung
dem Fluggast ermöglichen, sein Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen. Das ist hier bei einer tatsächlichen Ankunft um 11:55 Uhr gegenüber einer geplanten Ankunft um 9:05 Uhr nicht der Fall.
13. Allerdings ist Art. 5 Absatz 1 c) iii der VO (EG) Nr. 261/04 aus Sicht der Kammer einschränkend dahingehend zu verstehen,
dass ein Entschädigungsanspruch auch dann entfällt, wenn der Fluggast insgesamt einen Zeitverlust von weniger als drei Stunden erleidet. Denn das ist der Gesamtzeitverlust, den Art. 5 Absatz 1 c) iii als gerade noch hinnehmbar erachtet, wenn er dem Fluggast zumutet, bis zu einer Stunde vor dem geplanten Abflug abzufliegen und bis zu zwei Stunden nach der geplanten Ankunft anzukommen.
Diesen Zeitverlust hat die Klägerin jedoch nicht erlitten. Ihre Flugdauer hat – unverändert – 1 1/2 Stunden betragen, der Flug hat sich lediglich um zwei Stunden und 50 Minuten nach hinten „verschoben“.
14. So hat der EuGH in seinem Urteil vom 19.11.2009 (C 402/07, C 432/07) unter Absatz 52 seiner Erwägungsgründe gerade betont, dass die Maßnahmen aus der Verordnung u. a. den Schaden ausgleichen sollen, der in einem Zeitverlust der betroffenen Fluggäste besteht und der angesichts seines irreversiblen Charakters nur mit einer Ausgleichszahlung ersetzt werden könne. Als Maßstab für die entsprechende Zubilligung eines Ausgleichsanspruchs in Verspätungsfällen hat er gerade Art. 5 Absatz 1 c) iii herangezogen und daraus die Voraussetzung eines Zeitverlusts von drei Stunden oder mehr hergeleitet. Auch in seinem Urteil vom 23.11.2012 (C-581/10, C- 629/10) hat der EuGH den Ausgleichsanspruch für Fluggäste verspäteter Flüge bei einem Zeitverlust von drei Stunden oder mehr bejaht. In Absatz 31 seiner Erwägungsgründe stellt er klar, dass, selbst wenn das Luftfahrtunternehmen die Möglichkeiten der Abflugvorverlegung und der Ankunftsverschiebung voll nutze, die Gesamtdauer der angebotenen anderweitigen Beförderung die planmäßige Dauer des annullierten Fluges jedenfalls nicht um drei Stunden oder mehr übersteigen dürfe. Bei Überschreitung dieser Grenze seien dem Fluggast zwingend Ausgleichszahlungen zu leisten.
15. Der Situation bei einer Verspätung, die auch erst während des Fluges eintreten kann, Rechnung tragend hat er dies nur für verspätete Flüge dahingehend konkretisiert,
dass eine solche Situation vorliegt, wenn die Fluggäste ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen, woraus für diese Fälle das Kriterium der Ankunftsverspätung abgeleitet worden ist.
So heißt es in Absatz 54 der Erwägungsgründe, dass die durch die Verordnung Nr. 261/2004 begründete besondere Ausgleichspflicht sich nämlich nicht aus jeder tatsächlichen Verspätung, sondern nur aus einer Verspätung, die zu einem Zeitverlust von drei Stunden oder mehr gegenüber der ursprünglich geplanten Ankunftszeit führe, ergebe.
16. In die von der Kammer vertretene Richtung weist auch Art. 7 Absatz 2 a), der vorsieht, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen ohne Rücksicht auf eine frühere oder spätere als die geplante Abflugzeit die Ausgleichszahlung um 50 % kürzen darf, wenn es dem Fluggast (gemäß Artikel 8) eine anderweitige Beförderung angeboten hat, deren Ankunftszeit nicht später als zwei Stunden als die planmäßige Ankunftszeit des ursprünglich gebuchten Fluges liegt. Demnach ist aus Sicht des Verordnungsgebers bei einer Annullierung der Gesamtzeitverlust maßgeblich, wenn auch mit besonderem Augenmerk für die Ankunftsverspätung.
17. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO in Verbindung mit § 26 Ziffer 8 EGZPO.
18. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil im Falle von Unklarheiten bei der Auslegung der Verordnung nicht der Bundesgerichtshof zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung berufen wäre, sondern die Sache dem EuGH vorzulegen wäre. Indessen hat die Kammer die Auslegung der Verordnung im vorliegenden Fall in Umsetzung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH vorgenommen, und ihr sind keine dieser Auslegung entgegenstehenden Entscheidungen des EuGH bekannt sind, welche eine Vorlage an den EuGH angezeigt erscheinen ließen.
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