Haftung für Dachlawinen

AG Lemgo: Haftung für Dachlawinen

Der Kläger macht gegen die Beklagte Hauseigentümerin einen Anspruch auf Schadensersatz geltend, wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten. Der Kläger ist Mieter eine Wohnung, wozu ein Einstellplatz für sein Auto gehört. Dieser Platz befindet sich unmittelbar unter dem Dach des Hauses. Als sich vom Dach Schnee- und Eismassen lösten, wurde das Auto des Klägers beschädigt.

Das Amtsgericht Lemgo spricht dem Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 823 I BGB zu, da die Beklagte die Verkehrssicherungspflicht treffe, das Hausdach von Schnee- und Eismassen zu befreien, welche sie nicht eingehalten habe.

AG Lemgo 16 C 12/10 (Aktenzeichen)
AG Lemgo: AG Lemgo, Urt. vom 08.07.2010
Rechtsweg: AG Lemgo, Urt. v. 08.07.2010, Az: 16 C 12/10
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Amtsgericht Lemgo

1.Urteil vom 08. Juli 2010

Aktenzeichen 16 C 12/10

Leitsatz:

2. Als Hauseigentümerin bestehen Verkehrssicherungspflichten, wie das Hausdach des Hauses von Schnee- und Eismassen zu befreien.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger ist Mieter einer im Dachgeschoss gelegenen Wohnung. Hierzu gehört ein Einstellplatz für sein Auto. Als sich vom Dach des Hauses oberhalb des Einstellplatzes Schnee und Eis löste und auf das Auto des Klägers fiel, wurde dieses erheblich beschädigt. Er verlangt nun von der Wohnungseigentümergemeinschaft des Hauses Schadensersatz für die entstanden Kosten, wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.

Das Amtsgericht Lemgo entschied, dass dem Kläger der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gemäß §823 I BGB zustehe. Die Beklagte als Eigentümerin des Hauses treffe gewisse Verkehrssicherungspflichten. Dazu gehöre unteranderem das Hausdach von Schnee-und Eismassen zu befreien damit es nicht auf die umliegende Umgebung fallen kann.

Dies gelte insbesondere, wenn Kraftfahrzeuge auf Einstellplätzen in direkter Nähe seien. Außerdem herrschten zum Zeitpunkt des Vorfalls außergewöhnliche Wetterverhältnisse, die eine besonders hohe Sorgfalt erforderlich machte. In der Folge ist die Klage begründet.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.291,28 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.02.2010 sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 169,99 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

 

Tatbestand:

5. Der Kläger verlangt von der Beklagten Ansprüche aus der streitigen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Die Beklagte ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft für das Haus auf dem Grundstück E T2 in … C. Der Kläger ist Mieter einer im Dachgeschoss dieses Hauses gelegenen Wohnung, die ihm durch den Eigentümer dieser Wohnung, Herrn T, vermietet wird. Mitvermietet ist dem Kläger ein Einstellplatz für ein Kfz unmittelbar vor dem Haus links neben dem Eingangsbereich unterhalb des Traufbereiches des Daches liegend.

6. In der Nacht vom 05. auf den 06.02.2010 löste sich vom Dach des Hauses oberhalb des Einstellplatzes des Klägers eine nicht näher bekannte Menge von Schnee und Eis, die auf die darunter stehenden, geparkten Fahrzeuge, insbesondere auf das klägerische Fahrzeug fiel. Das klägerische Fahrzeug wurde hierdurch beschädigt (vgl. Lichtbildaufnahme auf Seite 4, Schriftsatz des Klägers vom 01.04.2010). Unstreitig ist, dass keinerlei Maßnahmen zur Entfernung der auf dem Dach liegenden Schnee- und Eismengen seitens der Beklagten ergriffen wurden.

7. Der Kläger ließ den Schaden durch einen Sachverständigen, den Sachverständigen T3, am 10.03.2010 begutachten. Herr T3 bezifferte den Schaden für Reparaturkosten in Höhe von 2.097,55 € netto. Das klägerische Fahrzeug wurde durch den Schnee und durch das Eis im vorderen Bereich in Höhe der Motorhaube und der Kotflügel beschädigt. Der Sachverständige rechnete gegenüber dem Kläger für seine Tätigkeit 485,00 € brutto ab. Der Kläger ist nicht vorsteuerabzugsberechtigt.

8. Die Gebäudehaftpflichtversicherung der Beklagten lehnte auf eine Zahlungsinanspruchnahme seitens des Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Einstandspflicht ab.

9. Der Kläger beantragt,

die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger 2.582,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.02.2010 sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 169,99 € zu zahlen.

10. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11. Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe ihre Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt. An dem fraglichen Tage habe sich nur wenig Schnee auf dem Dach des fraglichen Hauses, allenfalls in Höhe von wenigen Zentimetern befunden. Selbst wenn die Schneedecke anscheinend angetaut und dann wieder gefroren sei und sich hierdurch einige Schnee- und Eisplatten gebildet hätten, so sei diese Gefahrenquelle für die Beklagten nicht zu erkennen gewesen. Deshalb habe auch keine Verpflichtung bestanden, insbesondere Schneefanggitter zu installieren.

12. Auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen, insbesondere auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.07.2010 wird Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

13. Der klägerischen Partei steht der titulierte Zahlungsanspruch in Höhe von 1.291,28 € sowie die titulierten Zinsen als auch angefallene Rechtsanwaltskosten in Höhe der geltend gemachten Summe zu. Im Übrigen war die Klage als unbegründet abzuweisen.

14. Der klägerische Anspruch auf Zahlung von 1.291,28 € ergibt sich aus § 823 BGB. Der Beklagten ist vorzuhalten, dass sie eine Verkehrssicherungspflicht, die sie zu wahren hatte, pflichtwidrig verletzt hat.

15. Als Hauseigentümerin besteht für die Beklagte hier die Verkehrssicherungspflicht, dass von dem Hausdach des Hauses keine Schnee- oder Eismassen auf unter dem Haus stehende Fahrzeuge herunterfallen, insbesondere wenn für diese Kraftfahrzeuge ein entsprechender Einstellplatz vorgesehen ist.

16. Selbst wenn hier ein Schneefanggitter für das Dach des Hauses baupolizeilich nicht vorgeschrieben sein sollte und im Hinblick auf eine etwaige Schneearmut in der Region auch nicht ortsüblich sein könnte (vgl. hierzu z. B. OLG Zweibrücken, Urteil vom 09.07.1999, Aktenzeichen 1 U 181/98), so eröffnete die hiesige Wettersituation in dem fraglichen Zeitraum jedoch eine Verkehrssicherungspflicht zu Lasten der Beklagten. Denn es ist gerichtsbekannt, dass zum damaligen Zeitpunkt derartige Schneeverhältnisse geherrscht haben, die – einhergehend mit einem Wetterwechsel – zur Folge hatten, dass die Hauseigentümer auf eine Befreiung der Hausdächer von Schnee- und Eismassen zur Vermeidung von abtaubedingten Abstürzen auf den etwaigen Gehweg oder – wie hier auf Parkplätze – derselbigen zu achten hatten. Die durchaus außergewöhnliche Wettersituation zum Jahreswechsel bzw. bis in das Frühjahr 2010 hinein hat es hier erforderlich gemacht, eine erhöhte Sorgfalt walten zu lassen, um das Herabstürzen von abtauenden Eismassen zu verhindern. Angesichts des zwischenzeitlich eingetretenen Tauwetters musste der Hauseigentümer hier angesichts der Änderung der Witterungslage Anhaltspunkte für eine Eröffnung einer Gefahrenlage gehabt haben (vgl. hierzu OLG Zweibrücken, Urteil vom 09.07.1999, Aktenzeichen 1 U 181/98).

17. Auch wenn nicht verkannt werden darf, dass einen Hauseigentümer grundsätzlich nicht die Pflicht trifft, Dritte vor Dachlawinen zu schützen (OLG Hamm, Urteil vom 23.07.2003, Aktenzeiche 13 U 49/03, zu finden unter www.juris.de ); so darf dies dennoch – auch unter Berücksichtigung der vorstehenden Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm – nicht uneingeschränkt gelten. Denn besondere Umstände können zur Bejahung von Verkehrssicherungspflichten führen, insbesondere können die allgemeinen Schneeverhältnisse eine solche Verkehrssicherungspflicht begründen. Selbst wenn Hauseigentümer grundsätzlich nicht die Pflicht trifft, Dritte durch spezielle Maßnahmen vor Dachlawinen zu schützen, wenn diese – wie wohl hier – nicht vorgeschrieben sind (vgl. OLG Hamm, a. a. O. unter Hinweis auf OLG Celle VersR 82, 979), so ist hier dennoch eine – von der Beklagten pflichtwidrig verletzte Verkehrssicherungspflicht eröffnet. Auch wenn es zunächst Aufgabe eines jeden selbst ist, sich vor solchen Gefahren zu schützen, so bestand nach Auffassung des Gerichts hier eine Rechtspflicht seitens der Beklagten dahingehend, Sicherungsmaßnahmen zum Schutze Dritter zu treffen. Die Beklagte hätte angesichts der bekannten Wetter- insbesondere der bekannten Eis- und Schneelage des Ortes, der Beschaffenheit und Lage des Gebäudes, Maßnahmen treffen müssen, die einen derartigen Schadenseintritt hätten vermeiden können. Diese Maßnahmen hätten z. B. in der Warnung von den Nutzern der Parkplätze münden können. Der Beklagten war es ohne weiteres zuzumuten, die Nutzer des Hauses, z. B. durch das Aufstellen eines Warnschildes, darauf hinzuweisen, dass Eis- und Schneemassen vom Dach herunterstürzen können.

18. Indem das Auto durch herabstürzende Eis- und Schneemassen beschädigt wurde, steht für das Gericht im Wege des Beweises des ersten Anscheins fest, dass hier die Beklagte diese bestehende Verkehrssicherungspflicht verletzt hat.

19. Dem jeweiligen Schaden, der hier klägerseits geltend gemacht wird, ist die beklagte Partei nicht weiter entgegengetreten. Der entsprechende Anspruch ist demnach der Höhe nach an sich auch entstanden.

20. Allerdings ist der geltend gemachte Schadensersatzanspruch hier durch ein greifbar bestehendes Mitverschulden seitens des Klägers nach § 254 BGB soweit zu kürzen, als dass hier der Zahlungsanspruch tituliert wurde. Der Kläger hätte ohne weiteres erkennen können, dass hier Schnee- und Eismassen auf sein Auto hätten herabfallen können. Auch ihm wird es nicht verschlossen geblieben sein, dass die bestehende Wetterlage, insbesondere die wechselnde Tausituation, als auch einhergehend mit Frost und zwischenzeitlichem Schneefall, die Gefahr des Herabstürzens von Schnee- und Eismassen vom Dach des Hauses hervorgerufen hat. Das Gericht sieht hier einen Mitverschuldensanteil seitens des Klägers in Höhe von 50 % als angemessen an.

21. Der Verzinsungsanspruch ergibt sich hier aus §§ 286, 288 BGB.

22. Soweit vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend gemacht werden, ist auch ein solcher Anspruch der Höhe nach hier begründet. Mehrkosten durch die ursprünglich höher angesetzte Klagesumme sind für das Gericht nicht geltend gemacht.

23. Die Kostenentscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in § 92 ZPO.

24. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 ZPO.

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