Geschäftsgebühr bei Rechtsanwälten

BGH: Geschäftsgebühr bei Rechtsanwälten

Der Kläger forderte Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls sowie die Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten. Nachdem ihm der Schadensersatzanspruch, nicht jedoch die Erstattung der Anwaltskosten zugesprochen wurden, verfolgt er sein Ziel in den folgenden Instanzen weiter. Für die Erstattung der Anwaltskosten, hatte er eine 1,5-Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG berechnet. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte in zweiter Instanz dargelegt, dass es lediglich eine 1,3-Gebühr nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG für begründet hält.

Der Bundesgerichtshof entscheidet nun, dass eine Berechnung der Anwaltskosten mit einer 1,5-Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG in diesem Fall gerechtfertigt sei. Zwar dürften Rechtanwälte nur in Fällen in denen sie mit überdurchschnittlichen Kosten konfrontiert würden auch höhere Kosten veranschlagen. Dies sei hier aufgrund der Komplexität des Falles jedoch berechtigt gewesen. Eine höhere Vergütung nach Nr. 2300 VV RVG sei in diesem Fall also nicht zu beanstanden und der Kläger erhält folglich Anspruch auf die Erstattungen der außergerichtlichen Anwaltskosten in geforderter Höhe.

BGH VI ZR 273/13 (Aktenzeichen)
BGH: BGH, Urt. vom 08.05.2012
Rechtsweg: BGH, Urt. v. 08.05.2012, Az: VI ZR 273/13
OLG Frankfurt, Urt. v. 30.04.2013, Az: 14 U 66/12
LG Kassel, Urt. v. 29.02.2012, Az: 2 O 1387/09
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BGH-Gerichtsurteile

Bundesgerichtshof

1. Urteil vom 08.05.2012

Aktenzeichen: VI ZR 273/11

Leitsätze:

2. Rechtsanwälte dürfen nur bei überdurchschnittlicher Tätigkeit in Bezug auf den konkreten Fall eine Gebühr berechnen, die die regelhafte 1,3-fache Geschäftsgebühr übersteigt.

Höhere Gebühren dürfen

Zusammenfassung:

3. Wird bei Rechtstreitigkeiten ein Rechtsanwalt zur eigenen Rechtsverteidigung hinzugezogen, so arbeitet dieser Rechtsanwalt selbstverständlich nur gegen Vergütung. Seine Vergütung berechnet der Rechtsanwalt gemäß dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Im Regelfall Berechnet der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit eine 1,3 Geschäftsgebühr. Viele Anwälte haben in ihren Kostennoten jedoch teilweise höhere Gebühren berechnet.

Im vorliegenden Fall forderte der Kläger in erster Instanz Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls sowie die Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten. Nachdem ihm der Schadensersatzanspruch, nicht jedoch die Erstattung der Anwaltskosten zugesprochen wurden, verfolgt er sein Ziel hier in der dritten Instanz. Er fordert die Erstattung der Anwaltskosten, wobei er bei diesen eine 1,5-Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG berechnet hat. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte in zweiter Instanz dargelegt, dass es lediglich eine 1,3-Gebühr nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG für begründet hält.

Der Bundesgerichtshof entscheidet, dass eine Berechnung der Anwaltskosten mit einer 1,5-Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG in diesem Fall gerechtfertigt sei. Zwar dürften Rechtanwälte nur in Fällen in denen sie mit überdurchschnittlichen Kosten konfrontiert würden auch höhere Kosten veranschlagen.

Es gebe hier jedoch zu wenig Anlass daran zu zweifeln, dass es sich für die Anwälte um eine solche überdurchschnittliche Aufgabe gehandelt habe, weil der Schaden des Unfalls überdurchschnittlich hoch war und zudem Sachverständigengutachten eingeholt werden mussten. Eine höhere Vergütung nach Nr. 2300 VV RVG sei in diesem Fall also nicht zu beanstanden. Der Kläger erhält folglich Anspruch auf die geforderten Erstattungen der außergerichtlichen Anwaltskosten.

Tenor:

4. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 5. September 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers entschieden worden ist.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 14. Mai 2010 dahingehend abgeändert, dass die Beklagten verurteilt werden, an den Kläger weitere 212,52 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Mai 2008 zu zahlen.

Die Beklagten tragen die Kosten der Rechtsmittel.

Tatbestand:

5. Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls. Er hat mit seiner Klage ursprünglich einen Unfallschaden in Höhe von 7.141,60 € sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 759,22 € geltend gemacht, wobei er bei den Anwaltskosten eine 1,5-Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG berechnet hat. Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 5.330,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. März 2008 zu zahlen. Die weitergehende, insbesondere auf Erstattung der außergerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Klage hat es abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers, mit der er sich ausschließlich gegen die Abweisung seiner Klage auf Erstattung der außergerichtlichen Anwaltskosten gewandt hat, hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 546,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Mai 2008 zu zahlen. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge aus der Berufungsinstanz weiter, soweit das Berufungsgericht zu seinem Nachteil erkannt hat.

Entscheidungsgründe:

I.

6. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Kläger könne für die Tätigkeit seiner Prozessbevollmächtigten lediglich eine 1,3-Gebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG in Ansatz bringen, die aus einem Gegenstandswert von 5.330,54 €, dem vom Landgericht zuerkannten Betrag, zu berechnen sei. Die 1,3-Gebühr könne der Rechtsanwalt bei durchschnittlichen Verkehrsunfallsachen regelmäßig ohne nähere Darlegungen verlangen. Anhaltspunkte dafür, dass es sich im vorliegenden Fall um eine unterdurchschnittlich schwierige Angelegenheit handele, lägen nicht vor. Eine höhere Gebühr als 1,3 könne der Kläger jedoch nicht erstattet verlangen. Bei der Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG handele es sich um eine Rahmengebühr im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG. Sei die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, sei die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig sei. Die von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers berechnete Gebühr von 1,5 sei unbillig. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimme der Rechtsanwalt die Gebühr unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen. Es sei dabei allerdings anerkannt, dass dem Rechtsanwalt bei dieser Ermessensausübung ein Toleranzspielraum von jedenfalls 20 % einzuräumen sei. Der Bundesgerichtshof habe in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass im Hinblick auf den genannten Toleranzspielraum eine Erhöhung bei durchschnittlichen Rechtssachen auf eine 1,5 Gebühr einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen sei. Dieser Auffassung sei jedoch nicht zu folgen. Vielmehr lasse die Anmerkung Nr. 2300 VV RVG bei durchschnittlichen Sachen eine höhere Gebühr als 1,3 nicht zu. Nach dieser Anmerkung könne eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig sei. Diese Regelung begrenze deshalb den in § 14 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 RVG dem Rechtsanwalt eingeräumten Ermessensspielraum dahingehend, dass die 1,3-Gebühr nicht überschritten werden dürfe, wenn die Tätigkeit nicht umfangreich oder schwierig sei.

II.

7. Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

8. 1. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt bei Rahmengebühren, zu denen die Geschäftsgebühr im Sinne der Nr. 2300 VV RVG zählt, der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, „nach billigem Ermessen“. Ist die Gebühr – wie hier – von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG (nur dann) nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Dabei steht dem Rechtsanwalt nach überwiegender Meinung auch im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 % zu (vgl. Senatsurteil vom 31. Oktober 2006 – VI ZR 261/05, VersR 2007, 265 Rn. 5; BGH, Urteil vom 13. Januar 2011 – IX ZR 110/10, NJW 2011, 1603 Rn. 18; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., § 14 Rn. 12; AnwK-RVG/Onderka, 5. Aufl., § 14 Rn. 80 ff. mwN; Winkler in Mayer/Kroiß, RVG, 5. Aufl., § 14 Rn. 54 mwN; Römermann in Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., § 14 Rn. 89 f.). Hält sich der Anwalt innerhalb dieser Grenze und ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tätigkeit unterdurchschnittlich war, ist die von ihm festgelegte Gebühr jedenfalls nicht im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG unbillig und daher von dem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen (BGH, Urteil vom 13. Januar 2011 – IX ZR 110/10, aaO Rn. 16, 18; Senatsurteil vom 31. Oktober 2006 – VI ZR 261/05, aaO Rn. 9). Da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts Anhaltspunkte dafür, dass es sich vorliegend um eine unterdurchschnittlich schwierige Angelegenheit handelt, nicht vorliegen, hält sich die Erhöhung der Regelgebühr um 0,2 innerhalb der Toleranzgrenze und ist deshalb rechtlich nicht zu beanstanden.

9. 2. Die vom Berufungsgericht und anderen Oberlandesgerichten (vgl. OLG Jena, OLGR 2006, 81, 82 und OLG Celle, ZfS 2012, 105, 106) hiergegen geäußerten Bedenken geben zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass. Nach der gesetzlichen Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG steht dem Rechtsanwalt bei der Bestimmung der Gebühr ein Ermessensspielraum zu. Dieser wird nicht – wie das Berufungsgericht meint – dadurch nach oben begrenzt, dass die Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG bei nicht umfangreichen oder schwierigen Sachen eine Regelgebühr von 1,3 vorsieht. Der Ermessensspielraum betrifft nämlich auch die unter Umständen schwierige Beurteilung der Frage, was im Einzelfall „durchschnittlich“ ist. Sind Anhaltspunkte für einen Ermessensfehlgebrauch nicht gegeben, ist die Bestimmung hinzunehmen. Müsste der Rechtsanwalt nach der Auffassung des Berufungsgerichts stets bei jeder geringfügigen Überschreitung der Regelgebühr Umstände darlegen, welche zwingend die Annahme einer überdurchschnittlichen Tätigkeit rechtfertigen, käme ein Ermessensspielraum nach oben bei durchschnittlichen Tätigkeiten von vornherein nicht in Betracht.

10. 3. Zudem macht die Revision mit Recht geltend, dass der Kläger im Berufungsverfahren vorgetragen hat, warum sein Rechtsanwalt im vorliegenden Fall seinen Ermessensspielraum bei der Bestimmung einer Gebühr von 1,5 ausgenutzt hat. Er hat den Ansatz der 1,5-Gebühr damit begründet, die Schadenshöhe habe mit 7.000 € über dem Durchschnitt gelegen, die Sach- und Rechtslage sei schwierig gewesen, der Ablauf des Unfalls habe erst nach Einholung von Sachverständigengutachten und Nachtragsgutachten erörtert werden können, die Verursachungsbeiträge der Beteiligten einschließlich der Berücksichtigung der Betriebsgefahr hätten gegeneinander abgewogen werden müssen. Auch wenn diese Umstände – wie das Berufungsgericht angenommen hat – nicht ausreichen sollten, um eine überdurchschnittliche Tätigkeit anzunehmen, ist es deshalb noch nicht gerechtfertigt, die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG als unbillig und damit für die Beklagten als unverbindlich zu qualifizieren. Der einem Rechtsanwalt im Rahmen der Rahmengebühr zugebilligte Ermessensspielraum soll gerade verhindern, dass die Gerichte im Einzelfall bei relativ geringfügigen Überschreitungen der Regelgebühr ihr Ermessen an die Stelle des Ermessens des Rechtsanwalts setzen und dabei – oftmals aufwändige – Überprüfungen vornehmen, ob die Tätigkeit vielleicht doch leicht überdurchschnittlich war.

11. 4. Nach alledem war der Klage hinsichtlich der außergerichtlichen Anwaltskosten in vollem Umfang stattzugeben. Da keine weiteren Feststellungen mehr erforderlich sind, kann der erkennende Senat selbst entscheiden.

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