Vertragsbeziehung zwischen Eisenbahnunternehmen und Reisenden ohne Beförderungsausweis

EuGH: Vertragsbeziehung zwischen Eisenbahnunternehmen und Reisenden ohne Beförderungsausweis

Ein belgischer Bahnreisender wurde verklagt, weil er wiederholt ohne Fahrkarte gefahren war. Der Europäische Gerichtshof entschied, dass die EU-Bahnreiserechteverordnung einem nationalen Gesetz nicht widersprach, das besagte, dass beim Fehlen eines Fahrscheins kein Beförderungsvertrag vorliegt.

EuGH C-261/15 (Aktenzeichen)
EuGH: EuGH, Urt. vom 21.09.2016
Rechtsweg: EuGH, Urt. v. 21.09.2016, Az: C-261/15
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Europäischer Gerichtshof

1. Urteil vom 21. September 2016

Aktenzeichen C-261/15

Zusammenfassung:

3. Ein belgisches Eisenbahnunternehmen verklagte einen Fahrgast, weil dieser wiederholt ohne gültige Fahrkarte gereist war und die erhöhten Beförderungsentgelte und Mahngebühren nicht bezahlt hatte. Vor Gericht behauptete er, die europäische Verordnung über Rechte und Pflichten im Eisenbahnverkehr besage, dass der Beförderungsvertrag zwischen ihm und dem Eisenbahnunternehmen nicht davon geändert werden, dass er keine Fahrkarte vorgezeigt habe.

Das verhandelnde Gericht setzte das Verfahren aus und rief die Europäischen Gerichtshof an, damit dieser das europäische Recht auslege. Es kam auf die Frage an, ob die EU-Eisenbahnverkehrsverordnung dem nationalen Recht entgegensteht, wenn letzteres vorsieht, dass zwischen einem Bahnunternehmen und einem Fahrgast ohne gültigen Fahrschein kein Beförderungsvertrag besteht.

Der Gerichtshof entschied, dass die Verordnung dahin auszulegen war, dass sie dem nationalen Recht nicht entgegenstand, wenn dieses besagte, dass ein Beförderungsvertrag beim Fehlen einer Fahrkarte nicht gegeben ist. Entgegen der Auffassung des Beklagten besagte die EU-Verordnung allein, dass ein vorher geschlossener Beförderungsvertrag nicht verändert werde, wenn der Fahrgast den Fahrschein nicht vorzeigen könne. Daraus ließ sich nicht ableiten, dass ungeachtet des Vorhandenseins eines Fahrscheins ein Vertrag immer vorliege.

Tenor:

4. Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 6 Abs. 2 Satz 2 des Anhangs A des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9. Mai 1980, geändert durch das Protokoll vom 3. Juni 1999 betreffend die Änderung des COTIF, der in Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr wiedergegeben ist, ist dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die vorsehen, dass eine Person, die eine Zugfahrt unternimmt, ohne dafür einen Beförderungsausweis zu besitzen oder innerhalb der von diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Fristen nachträglich zu erwerben, nicht in einer vertraglichen Beziehung zu dem Eisenbahnunternehmen steht.

Gründe:

Urteil:

5. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 2 Satz 2 des Anhangs A zum Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9. Mai 1980, geändert durch das Protokoll vom 3. Juni 1999 betreffend die Änderung des COTIF (im Folgenden: Anhang A), der in Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (ABl. 2007, L 315, S. 14) wiedergegeben ist.

6. Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Nationale Maatschappij der Belgische Spoorwegen NV (Nationale Belgische Eisenbahngesellschaft, im Folgenden: SNCB) und Herrn Gregory Demey wegen pauschalen Schadensersatzes im Anschluss an Straftaten, die Herr Demey durch Zugfahrten ohne Beförderungsausweis oder dessen nachträglichen Erwerb innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen begangen haben soll.

Rechtlicher Rahmen:

7. Unionsrecht

8. Art. 4 („Beförderungsvertrag“) der Verordnung Nr. 1371/2007 bestimmt:

9. „Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels unterliegen der Abschluss und die Ausführung eines Beförderungsvertrags sowie die Bereitstellung von Informationen und Fahrkarten den Bestimmungen in Anhang I Titel II und III.“

10. Anhang I dieser Verordnung („Auszug aus den einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck [CIV]“) besteht aus dem genannten Anhang A. Titel II („Abschluss und Ausführung des Beförderungsvertrages“) des in Anhang I der Verordnung wiedergegebenen Anhangs A umfasst dessen Art. 6 bis 11.

11. Art. 6 („Beförderungsvertrag“) des Anhangs A sieht vor:

12. „(1)      Durch den Beförderungsvertrag wird der Beförderer verpflichtet, den Reisenden sowie gegebenenfalls Reisegepäck und Fahrzeuge zum Bestimmungsort zu befördern und das Reisegepäck und die Fahrzeuge am Bestimmungsort auszuliefern.

13. (2)      Der Beförderungsvertrag ist in einem oder mehreren Beförderungsausweisen festzuhalten, die dem Reisenden auszuhändigen sind. Unbeschadet des Artikels 9 berührt jedoch das Fehlen, die Mangelhaftigkeit oder der Verlust des Beförderungsausweises weder den Bestand noch die Gültigkeit des Vertrags, der weiterhin diesen Einheitlichen Rechtsvorschriften unterliegt.

14. (3)      Der Beförderungsausweis dient bis zum Beweis des Gegenteils als Nachweis für den Abschluss und den Inhalt des Beförderungsvertrages.“

15. Art. 7 des Anhangs A betrifft den Beförderungsausweis.

16. Art. 8 („Zahlung und Erstattung des Beförderungspreises“) des Anhangs A sieht in seinem Abs. 1 vor, dass – soweit zwischen dem Reisenden und dem Beförderer nichts anderes vereinbart ist – der Beförderungspreis im Voraus zu zahlen ist.

17. Art. 9 („Berechtigung zur Fahrt. Ausschluss von der Beförderung“) des Anhangs A bestimmt:

18. „(1)      Der Reisende muss vom Beginn der Reise an mit einem gültigen Beförderungsausweis versehen sein und ihn bei der Prüfung der Beförderungsausweise vorzeigen. Die Allgemeinen Beförderungsbedingungen können vorsehen,

a)

19. dass ein Reisender, der keinen gültigen Beförderungsausweis vorzeigt, außer dem Beförderungspreis einen Zuschlag zu zahlen hat;

b)

20. dass ein Reisender, der die sofortige Zahlung des Beförderungspreises oder des Zuschlages verweigert, von der Beförderung ausgeschlossen werden kann;

c)

21. ob und unter welchen Bedingungen ein Zuschlag zu erstatten ist.

22. (2)      Die Allgemeinen Beförderungsbedingungen können vorsehen, dass Reisende, die

a)

23. eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Betriebes oder für die Sicherheit der Mitreisenden darstellen,

b)

24. die Mitreisenden in unzumutbarer Weise belästigen,

25. von der Beförderung ausgeschlossen sind oder unterwegs davon ausgeschlossen werden können, und dass diese Personen keinen Anspruch auf Erstattung des Beförderungspreises und der Gepäckfracht haben.“

26. Die Art. 10 und 11 des Anhangs A betreffen die Erfüllung verwaltungsbehördlicher Vorschriften bzw. den Ausfall und die Verspätung eines Zuges. Titel III des in Anhang I der Verordnung Nr. 1371/2007 wiedergegebenen Anhangs A betrifft die Beförderung von Handgepäck, Tieren, Reisegepäck und Fahrzeugen.

27. Belgisches Recht

28. Art. 15 § 1 Abs. 1 des Koninklijk besluit van 20 december 2007 houdende reglement van de politie op de spoorwegen (Königlicher Erlass vom 20. Dezember 2007 zur Festlegung der Polizeiverordnung über die Eisenbahnen, Belgisch Staatsbladvom 15. Juli 2008, S. 36973) bestimmt:

29. „Die Eisenbahnfahrzeuge und Gleise sind lediglich für die Reisenden zugänglich, die, im Sinne der allgemeinen Beförderungsbedingungen des betreffenden Eisenbahnunternehmens, im Besitz eines gültigen Fahrscheins sind oder den allgemeinen Beförderungsbedingungen nachkommen, indem sie sich einen beschaffen.“

30. Art. 18 § 1 dieses Königlichen Erlasses bestimmt:

31. „Jeder Verstoß gegen die Bestimmungen des vorliegenden Erlasses ist im Sinne von Artikel 3 des Gesetzes vom 12. April 1835 betreffend die zu erhebenden Zölle auf und die Polizeiverordnungen über die Eisenbahnen strafbar, auch wenn dieser aus Unachtsamkeit begangen wird.“

32. Gemäß Art. 3 der Wet van 12 april 1835 betreffende het tolgeld en de reglementen van de spoorwegpolitie (Gesetz vom 12. April 1835 betreffend die zu erhebenden Zölle auf und die Polizeiverordnungen über die Eisenbahnen, veröffentlicht am 17. April 1835) kann die Regierung im Einklang mit der Wet van 6 maart 1818 betreffende de straffen uit te spreken tegen de overtreders van algemene verordeningen of te stellen bij provinciale of plaatselijke reglementen (Gesetz vom 6. März 1818 in Bezug auf die Strafen, die bei Übertretungen der allgemeinen Maßnahmen in Bezug auf die interne Verwaltung aufzuerlegen sind, und auf die Strafen, die durch Verordnungen der Provinzial- oder Gemeindebehörden festgelegt werden können, veröffentlicht am 6. März 1818) Strafen festlegen.

33. Nach Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 6. März 1818 werden „Verstöße gegen Königliche Erlasse, für die in den Gesetzen keine besonderen Strafen festgelegt wurden oder werden, … mit einer Gefängnisstrafe von acht Tagen bis zu vierzehn Tagen und mit einer Geldbuße von sechsundzwanzig bis zu zweihundert Franken oder mit nur einer dieser Strafen geahndet.“

34. Art. 74 der Wet van 6 april 2010 betreffende marktpraktijken en consumentenbescherming (Gesetz vom 6. April 2010 über die Marktpraktiken und den Verbraucherschutz, Belgisch Staatsbladvom 12. April 2010, S. 20803, im Folgenden: Gesetz über die Marktpraktiken) sieht vor:

35. „In einem zwischen einem Unternehmen und einem Verbraucher abgeschlossenen Vertrag sind in jedem Fall alle Klauseln und Bedingungen beziehungsweise Kombinationen von Klauseln und Bedingungen missbräuchlich, mit denen bezweckt wird:

  1. den Betrag der vom Verbraucher bei Nichterfüllung seiner Verpflichtungen geschuldeten Entschädigung festzusetzen, ohne eine gleichwertige Entschädigung zu Lasten des säumigen Unternehmens vorzusehen,

  1. bei Nichterfüllung oder Verzögerungen bei der Erfüllung der Verpflichtungen des Verbrauchers Schadenersatzbeträge festzulegen, die offensichtlich über den möglicherweise vom Unternehmen erlittenen Schaden hinausgehen,

…“

36. Art. 75 Art. 1 des Gesetzes über die Marktpraktiken sieht vor:

37. „Missbräuchliche Klauseln sind verboten und nichtig.

38. Der Vertrag bleibt für die Parteien bindend, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.

39. Der Verbraucher kann nicht auf die Rechte verzichten, die ihm durch vorliegenden Abschnitt zuerkannt werden.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage:

40. Bei Kontrollen im September und Oktober 2013 wurde viermal festgestellt, dass Herr Demey in Belgien Zugfahrten ohne Beförderungsausweis unternahm. Der Schaffner forderte Herrn Demey auf, innerhalb von 14 Tagen den Fahrpreis von 11,20 Euro zuzüglich 8 Euro, d. h. insgesamt 19,20 Euro pro Fahrt zu zahlen. Herr Demey zahlte weder innerhalb der ihm gesetzten Fristen noch reagierte er auf Mahnschreiben der SNCB.

41. Daraufhin erhob die SNCB gegen Herrn Demey vor dem Vredegerecht te Ieper (Friedensgericht Ypern, Belgien) Klage und verlangte die Zahlung eines zusätzlichen pauschalen Schadensersatzes in Höhe von 800 Euro, d. h. 200 Euro pro Fahrt ohne Beförderungsausweis, und zwar anstelle der ursprünglich von der Verwaltung vorgesehenen Erhöhung um 8 Euro pro Fahrt.

42. Die SNCB macht geltend, dass der pauschale Schadensersatz in Höhe von 200 Euro pro Fahrt durch die von Herrn Demey begangenen Straftaten gerechtfertigt sei. Da Herr Demey eine unerlaubte Handlung begangen habe, als er den Zug absichtlich ohne Beförderungsausweis benutzt habe, fehlt es nach Ansicht der SNCB am notwendigen Einvernehmen über das Vorliegen eines Beförderungsvertrags. Folglich könne Herrn Demey nicht der Rechtsschutz zuteilwerden, der ihm insbesondere durch die Art. 74 und 75 des Gesetzes über die Marktpraktiken als Verbraucher gewährt werde.

43. Herr Demey trägt vor, dass er den rechtlichen Schutz aus den Art. 74, 17 und 24 dieses Gesetzes genieße, da gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 des in Anhang I der Verordnung Nr. 1371/2007 wiedergegebenen Anhangs A das Fehlen des Beförderungsausweises weder den Bestand noch die Gültigkeit des Vertrags berühre.

44. Das vorlegende Gericht führt aus, dass die von Herrn Demey vorgebrachte Argumentation auf eine zwischen ihm und der SNCB bestehende vertragliche Beziehung gestützt sei. Hingegen laufe das Vorbringen der SNCB darauf hinaus, dass Herr Demey eine Straftat begangen habe. Daher wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob zwischen Herrn Demey und diesem Beförderungsunternehmen gemäß dem genannten Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ein Beförderungsvertrag besteht und ob es folglich die Bestimmungen des Gesetzes über die Marktpraktiken tatsächlich anwenden kann, die das Bestehen eines solchen Vertrags voraussetzen.

45. Das Vredegerecht te Ieper (Friedensgericht Ypern, Belgien) hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

46. Steht Art. 6 Abs. 2 Satz 2 des Anhangs A in Anhang I der Verordnung Nr. 1371/2007 den (in den Rn. 10 bis 13 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen) belgischen nationalen Strafbestimmungen entgegen, wonach ein Eisenbahnfahrgast ohne Beförderungsausweis, der den Fahrpreis auch innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen nicht entrichtet, eine Straftat begeht, die jede vertragliche Beziehung zwischen der Beförderungsgesellschaft und dem Eisenbahnfahrgast ausschließt, so dass dem Eisenbahnfahrgast auch eine Berufung auf die einschlägigen Rechtsschutzvorschriften des europäischen und des belgischen nationalen Rechts versagt wird, die auf die genannte (ausschließliche) vertragliche Beziehung mit diesem Verbraucher abstellen?

Zur Vorlagefrage:

47. Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 2 Satz 2 des Anhangs A, der in Anhang I der Verordnung Nr. 1371/2007 wiedergegeben ist, dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften entgegensteht, die vorsehen, dass eine Person, die eine Zugfahrt unternimmt, ohne dafür einen Beförderungsausweis zu besitzen oder innerhalb der von diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Fristen nachträglich zu erwerben, nicht in einer vertraglichen Beziehung zu dem Eisenbahnunternehmen steht.

48. Die Parteien des Ausgangsverfahrens streiten darüber, ob gemäß dieser Bestimmung, sobald ein Fahrgast mit einem Zug reist, ein Beförderungsvertrag unabhängig davon abgeschlossen wird, ob er im Besitz eines entsprechenden Beförderungsausweises ist oder nicht. Daher ist zu prüfen, ob Art. 6 Abs. 2 des Anhangs A in Anhang I der Verordnung Nr. 1371/2007 die Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Beförderungsvertrags regelt.

49. Es ist festzustellen, dass gemäß Art. 4 („Beförderungsvertrag“) der Verordnung Nr. 1371/2007 der Abschluss eines Beförderungsvertrags den Bestimmungen der Titel II und III des in Anhang I dieser Verordnung wiedergegebenen Anhangs A unterliegt. Diese Bestimmungen regeln jedoch nicht im Einzelnen, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Vertrag zustande kommt.

50. So heißt es in Art. 6 Abs. 2 des Anhangs A in Anhang I der Verordnung Nr. 1371/2007, dass der „Beförderungsvertrag … in einem oder mehreren Beförderungsausweisen festzuhalten [ist], die dem Reisenden auszuhändigen sind. Unbeschadet des Artikels 9 berührt jedoch das Fehlen, die Mangelhaftigkeit oder der Verlust des Beförderungsausweises weder den Bestand noch die Gültigkeit des Vertrags, der weiterhin diesen Einheitlichen Rechtsvorschriften unterliegt.“

51. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht hervor, dass sie die Existenz eines vorher abgeschlossenen Beförderungsvertrags voraussetzt und nur den Nachweis eines solchen Vertrags betrifft, der durch einen oder mehrere Beförderungsausweise festzuhalten ist. Der Satz 2 dieser Bestimmung bezieht sich auf die Fälle, in denen der Fahrgast keinen Beförderungsausweis vorweisen kann oder dieser mangelhaft ist, und sieht für sie vor, dass dadurch weder der Bestand noch die Gültigkeit des Beförderungsvertrags berührt wird, ohne indessen näher zu regeln, wie der Beförderungsvertrag abzuschließen ist.

52. Insbesondere kann das in diesem Satz 2 genannte Fehlen des Beförderungsausweises nur dahin ausgelegt werden, dass vorher ein Beförderungsvertrag abgeschlossen wurde und der Fahrgast keinen Nachweis dafür vorlegen kann, dass er einen Beförderungsausweis erworben hat, weil sonst Satz 1 jede praktische Wirksamkeit genommen würde.

53. Gemäß Art. 6 Abs. 1 des Anhangs A in Anhang I der Verordnung Nr. 1371/2007 wird der Beförderer durch den Beförderungsvertrag verpflichtet, den Reisenden sowie gegebenenfalls Reisegepäck und Fahrzeuge zum Bestimmungsort zu befördern. Diese Bestimmung beruht ebenfalls auf der Prämisse, dass vorher ein Beförderungsvertrag abgeschlossen wurde, regelt aber nicht im Einzelnen, wie dieser zustande kommt.

54. Im gleichen Sinne wird in Art. 6 Abs. 3 des Anhangs A nur die Regelung getroffen, dass der Beförderungsausweis bis zum Beweis des Gegenteils als Nachweis für den Abschluss und den Inhalt des Beförderungsvertrags dient.

55. Art. 6 Abs. 2 des Anhangs A kann demnach nicht dahin ausgelegt werden, dass darin die Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Beförderungsvertrags geregelt würden.

56. Eine Betrachtung des Zusammenhangs, in den sich diese Bestimmung einfügt, bestätigt diese Feststellung.

57. So muss gemäß Art. 9 des in Anhang I der Verordnung Nr. 1371/2007 wiedergegebenen Anhangs A, auf den Art. 6 Abs. 2 des Anhangs A verweist, der Reisende vom Beginn der Reise an mit einem gültigen Beförderungsausweis versehen sein und ihn bei der Prüfung der Beförderungsausweise vorzeigen. Art. 9 bestimmt ferner, dass die allgemeinen Beförderungsbedingungen vorsehen können, dass ein Reisender, der keinen gültigen Beförderungsausweis vorzeigt, außer dem Beförderungspreis einen Zuschlag zu zahlen hat oder ein Reisender, der die sofortige Zahlung des Beförderungspreises oder des Zuschlages verweigert, von der Beförderung ausgeschlossen werden kann. Die Bestimmung regelt also nur die möglichen Sanktionen gegen einen Reisenden, der nicht über einen Beförderungsausweis verfügt und auch im Nachhinein nicht bezahlt hat, aber sagt nichts darüber, unter welchen Voraussetzungen ein Beförderungsvertrag zustande kommt.

58. Das Gleiche gilt für die übrigen Bestimmungen des Titels II des in Anhang I der Verordnung Nr. 1371/2007 wiedergegebenen Anhangs A. So sieht Art. 8 des Anhangs A in seinem Abs. 1 vor, dass – soweit zwischen dem Reisenden und dem Beförderer nichts anderes vereinbart ist – der Beförderungspreis im Voraus zu zahlen ist. Art. 7 des Anhangs A betrifft den Beförderungsausweis, während die Art. 10 und 11 des Anhangs A die Erfüllung verwaltungsbehördlicher Vorschriften sowie den Ausfall und die Verspätung eines Zuges zum Gegenstand haben.

59. Somit ist festzustellen, dass Art. 6 Abs. 2 des Anhangs A in Anhang I der Verordnung Nr. 1371/2007 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass darin die Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Beförderungsvertrags festgelegt würden. Vielmehr werden diese durch die einschlägigen einzelstaatlichen Vorschriften geregelt.

60. Nach alledem ist auf die Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, dass Art. 6 Abs. 2 Satz 2 des Anhangs A, der in Anhang I der Verordnung Nr. 1371/2007 wiedergegeben ist, dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die vorsehen, dass eine Person, die eine Zugfahrt unternimmt, ohne dafür einen Beförderungsausweis zu besitzen oder innerhalb der von diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Fristen nachträglich zu erwerben, nicht in einer vertraglichen Beziehung zu dem Eisenbahnunternehmen steht.

Kosten:

61. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

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