Verspäteter Abflug nach Mallorca wegen Busfahrerstreiks

AG Schöneberg: Verspäteter Abflug nach Mallorca wegen Busfahrerstreiks

Die Kläger hatten bei der Beklagten eine Flugreise gebucht. Wegen eines Streiks verzögerte sich der Hinflug erheblich. Dafür verlangen die Kläger Minderung des Reisepreises. Die Beklagte ist der Absicht, wegen höherer Gewalt keinen Ansprüchen ausgesetzt zu sein.

Das Gericht gab der Klage vollumfänglich statt. Durch die Verzögerung des Abflugs sei es zu einer erheblichen Verkürzung der Reise gekommen, was einen minderungsbegründenden Mangel darstelle. Auch stehe den Klägern ein Anspruch auf Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit zu.

AG Schöneberg 11 C 581/01 (Aktenzeichen)
AG Schöneberg: AG Schöneberg, Urt. vom 04.06.2002
Rechtsweg: AG Schöneberg, Urt. v. 04.06.2002, Az: 11 C 581/01
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Amtsgericht Schöneberg

1. Urteil vom 04. Juni 2002

Aktenzeichen 11 C 581/01

Leitsatz:

2. Bei einem Streik kann sich ein Reiseveranstalter nicht auf höhere Gewalt berufen, wenn er nicht zumutbare Maßnahmen ergriffen hat, um die negativen Auswirkungen des Streits abzumildern.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei der Beklagten eine Flugreise nach Mallorca gebucht. Wegen eines Streiks verzögerte sich der Hinflug erheblich, nämlich um 15 Stunden. Dafür verlangen die Kläger Minderung des Reisepreises und Ersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit. Die Beklagte ist der Absicht, wegen höherer Gewalt keinen Ansprüchen ausgesetzt zu sein.

Das Gericht gab der Klage vollumfänglich statt. Durch die Verzögerung des Abflugs sei es zu einer erheblichen Verkürzung der Reise gekommen, was einen minderungsbegründenden Mangel darstelle. Dies habe die Beklagte auch zu vertreten, da sie nicht nachweisen konnte, ab Kenntnisnahme vom Streik zumutbare Maßnahmen zum Schutz der Reisenden vor Beeinträchtigungen unternommen zu haben. Dies habe ihr aber im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht oblegen. Auch stehe den Klägern ein Anspruch auf Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit zu.

Tenor

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) 124,02 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 27. Juli 2001 und an die Klägerin zu 2) weitere 124,02 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 27.07.2001 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

5. Von der Abfassung des Tatbestandes wird gemäß §§ 313 a Abs. 1 Satz 1, 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

6. Der Klage musste in vollem Umfang stattgegeben werden.

7. Den Klägern steht der geltend gemachte Anspruch auf Minderung des Reisepreises und Erstattung in Höhe von 242,57 DM pro Person zu. Denn die von den Klägern bei der Beklagten gebuchte Reise war gemäß §§ 651 b Abs. 1, 651 c Abs. 1 BGB mangelhaft, da sie durch den erst um 22.30 Uhr am 01.07.2001 stattgefundenen Abflug mit einem Fehler behaftet war, der den Wert und die Tauglichkeit zu dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen der siebentägigen Reise minderte.

8. Die Kläger flogen erst 15 Stunden später ab Tegel in Richtung Mallorca als im Reisevertrag vereinbart war, so dass die Verspätung des Abfluges die bloße Unannehmlichkeitsgrenze des Massentourismus überschreitet. Denn Flugverspätungen von mehr als vier Stunden sind als Reisemangel anerkannt (Tonner, Der Reisevertrag, § 651 Rn. 7; Schmidt-Leffers NJW 1998, 1911 ff.).

9. Die von den Klägern beanspruchte Höhe der Minderung ist nicht überhöht. Eine Minderung nur in Bezug auf die Flugleistung braucht nicht vorgenommen zu werden. Die Minderung ist, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln und Tabellenwerte – insbesondere Werte nach der „Frankfurter Tabelle“ – sind nicht schematisch ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu gebrauchen (Tonner, a. a. O., § 651 c Rn. 7).

10. Es ist unstreitig, dass die Kläger einen Reisetag durch die Verspätung des Abfluges verloren haben, da sie in der Nacht erschöpft an ihrem Hotel auf Mallorca ankamen und ihren eigentlichen Urlaub erst am nächsten Tag, dem 02.07.2001 ab 14.00 Uhr beginnen konnten, so dass sie den einen Reisetag vom Gesamtwert der Reise in Abzug bringen konnten. Die Berechnung der Minderung muss sich im vorliegenden Fall am Gesamtwert der Reise orientieren, wenn der Reisemangel auf das Gesamtbild der Reise ausstrahlt und damit Nutzen und Tauglichkeit der Gesamtreise beeinträchtigt werden (LG Hannover, NJW RR 1999, 1004). Dies ist bei einer siebentägigen Flugreise der Fall, wenn ein Reisetag verloren geht.

11. Des weiteren steht den Klägern der Anspruch auf Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit gemäß § 651 f Abs. 2 BGB in Höhe von 100,00 DM pro Person zu. Denn die von ihnen gebuchte Reise wurde von dem genannten Mangel erheblich beeinträchtigt. Die Beklagte konnte sich insoweit nicht entlasten, so dass der Reisemangel auf einem Umstand beruhte, den sie zu vertreten hatte.

12. Es kann dahin gestellt bleiben, ob dieser Reisemangel auf höherer Gewalt beruhte und ob mindestens bei einem Erfüllungsgehilfen der Leistungsträger der Beklagten gestreikt wurde oder um das Verhalten der Flughafenleitung als zurechenbares Verhalten eines Erfüllungsgehilfen zu bewerten wäre (OLG Düsseldorf, NJW RR 1992, 1330 f.). Denn die Beklagte hat eine eigene vertraglich geschuldete Fürsorgepflicht verletzt, weil nach dem unstreitigen Sachverhalt der Streik bereits am 25.06. für den 29.06., 30.06. und 01.07.2000 angekündigt war und die Beklagte gleichwohl keine Maßnahmen ergriffen hatte, um Beeinträchtigungen der Reise zu verhindern bzw. gering zu halten. Die Beklagte war jedoch gehalten, im Rahmen der ihr obliegenden Fürsorgepflicht notwendige und ihr mögliche Maßnahmen zu treffen, um die Beeinträchtigungen der Kläger möglichst gering zu halten (LG Hannover, NJW RR 1989, 820 f).

13. Die Beklagte hätte sich beispielsweise erkundigen können, wie der angekündigte Streik ablaufen soll und wie die Flughafenleitung reagieren will. Als Reiseveranstalter ist die Beklagte nämlich verpflichtet, sich über die Gegebenheiten am Reiseort grundsätzlich zu erkundigen (Führich, Reiserecht, Rn. 442).

14. Die Beeinträchtigung der Reise der Kläger ist auch gemäß § 651 f Abs. 2 BGB erheblich gewesen, denn die Kläger haben einen ganzen Urlaubstag ihrer nur siebentägigen Reise verloren. Auch dieser eine verlorene Urlaubstag muss bei einer Gesamtdauer der gebuchten Reise von 7 Tage berücksichtigt werden, da für die Erheblichkeit der Beeinträchtigung alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind (BGH NJW 1983, 35 f; Führich, a. a. O., Rn. 143). So können mangelhafte Reiseteile nicht pauschal durch mangelfreie Reiseteile kompensiert werden, da der betroffenen Reisende die Auswirkungen des Mangels nicht erst im Rückblick nach Beendigung der Reise durch das Ziehen einer Gesamtbilanz erlebt, sondern jeweils zeitgleich mit dem Auftreten des Mangels (Tempel, NJW 1999, 2012 f.). Daraus folgt, dass dem Reisenden bei einer siebentägigen Reise der Verlust von 1 ½ Tagen auch dann erheblich erscheint, wenn die restlichen fünf Tage der Reise mangelfrei waren.

15. Für die Kläger war es nun die erste Reise nach Mallorca, von der sie auch jeden Tag „nutzen“ wollten, da die Reise ohnehin nur sieben Urlaubstage vorsah. Damit erscheint der durch den verspäteten Abflug verlorene Reisetag als nutzlos aufgewendete Urlaubszeit und den Klägern steht der Anspruch auf 100,00 DM pro Person als angemessene Entschädigung gegen die Beklagte zu. Denn der durchschnittliche Preis der Pauschalreise betrug 142,57 DM pro Tag, so dass die Entschädigung von 100,00 DM pro Tag jedenfalls nicht überhöht ist, § 287 ZPO.

16. Die Zinsen sind als Verzugszinsen begründet.

17. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung wegen der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11 ZPO.

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