Kollision im Kreuzungsbereich zweier Pisten

OLG Stuttgart: Kollision im Kreuzungsbereich zweier Pisten

Der Beklagte kreuzte die Skipiste des Klägers und fuhr ihm über die Skier. Der Kläger kam zu Fall und verletzte sich  schwer. Da beide Skifahrer aufgrund guter Sichtverhältnisse den Unfall hätten vermeiden können, entschied das Gericht, dass der Beklagte 2/3 und der Kläger 1/3 zu verschulden hatte. Der Beklagte musste dem Kläger insgesamt 24.383€ bezahlen.

OLG Stuttgart 3 U 1/13 (Aktenzeichen)
OLG Stuttgart: OLG Stuttgart, Urt. vom 19.06.2013
Rechtsweg: OLG Stuttgart, Urt. v. 19.06.2013, Az: 3 U 1/13
LG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2012, Az: 7 O 199/11
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Oberlandesgericht Stuttgart

1. Urteil vom 19. Juni 2013

Aktenzeichen 3 U 1/13

Leitsatz:

2. FIS(International Ski Federation)-Regeln stellen Gewohnheitsrecht dar.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger fuhr die Piste Nr. 22 mit Skiern Richtung Talstation. Der Beklagte wollte die Piste Nr. 22 von der Seite überqueren. Dabei fuhr der Beklagte dem Kläger hinter der Skibindung über die Skier. Der Kläger kam durch die Berührung zu Fall und verletzte sich schwer. Er klagte auf Schadensersatz.

Ein Gutachter stellte fest, dass beide Skifahrer gute Sicht auf ihrer Abfahrt hatten und bei Sorgfältiger und aufmerksamer Abfahrt den Unfall hätten vermeiden können. Das Gericht sah somit als erwiesen an, dass beide gegen die FIS-Regel Nr. 1: „Jeder Skifahrer muss sich so verhalten, dass er keinen anderen gefährdet oder schädigt“ verstoßen haben. Somit sprach es dem Beklagten 2/3  und dem Kläger 1/3 Schuld an dem Unfall zu. Der Beklagte muss dem Kläger Schmerzensgeld und andere Kosten in Höhe von 24.383€ zahlen.

Tenor:

4. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30.11.2012 wie folgt abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld von 11.500,00 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 29.10.2011 zu bezahlen.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 883,39 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 29.10.2011 zu bezahlen.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.000,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 29.10.2011 aus 4.800,00 EUR sowie ab dem 29.08.2012 aus 5.400,00 EUR zu bezahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger 2/3 des weiteren materiellen Schadens und weiteren immateriellen Schadens im Rahmen einer Haftungsquote von 2/3 zu ersetzen, die aus dem Skiunfall vom 15.02.2011 resultieren, soweit nicht die dem Schaden zugrunde liegenden Ansprüche aufgrund gesetzlicher Vorschrift auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in I. Instanz trägt der Kläger 37% und der Beklagte 63%.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger 82% und der Beklagte 18%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Jede Partei kann die Vollstreckung des Gegners durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

5. Der Kläger begehrt von dem Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Skiunfalls.

6. Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

7. Das Landgericht hat dem Kläger ein weiteres Schmerzensgeld i. H. v. 8.500,00 EUR, 883,39 EUR an materiellem Schaden, einen Haushaltsführungsschaden in Höhe von 10.200,00 EUR zugesprochen und festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger weitere materielle und immaterielle Schäden in Höhe einer Quote von 2/3 zu ersetzen hat. Es hat dem Grunde nach eine Haftung des Beklagten für die Schäden des Klägers i. H. v. 2/3 als begründet erachtet. Dem Kläger hat es ein Mitverschulden i. H. v. 1/3 angelastet.

8. Nach den Ausführungen des eingesetzten Sachverständigen Prof. Dr. M… sei davon auszugehen, dass der Beklagte in die Piste Nr. 22 eingefahren sei, um zur Talstation der Z…- oder P…-Bahn zu gelangen. Dabei habe er den von rechts kommenden Kläger übersehen und sei über dessen Skier im hinteren Bereich hinter den Skistiefeln gefahren. Deshalb sei der Kläger zu Fall gekommen.

9. Der Kläger habe aus seiner Sicht den von links kommenden Beklagten erkennen können. Bei gehöriger Aufmerksamkeit durch eine rechtzeitige und geeignete Korrektur seiner Fahrweise hätte der Kläger den Unfall vermeiden können.

10. Deutsches Haftungsrecht sei anwendbar. Es gelten die Verhaltensvorschriften nach den sog. FIS-Regeln. Diese Regeln stellten geltendes Gewohnheitsrecht dar. Die Verantwortlichkeit der Parteien sei an diesen Regeln zu messen.

11. Der Beklagte habe jedenfalls gegen die FIS-Regel Nr. 1 verstoßen, wonach jeder Skifahrer und Snowboarder sich so verhalten müsse, dass er keine anderen gefährde oder schädige. Der Beklagte habe den von rechts kommenden Kläger übersehen. Dies hätte bei gehöriger Sorgfalt nicht geschehen dürfen. Die Sichtverhältnisse seien hervorragend gewesen. Verstöße des Beklagten gegen die FIS-Regeln Nr. 3 und 5 seien nicht erkennbar.

12. Dem Kläger sei ein Mitverschulden anzulasten. Die Sichtbedingungen am Unfalltag seien für den Kläger genauso gut wie für den Beklagten gewesen. Der Kläger habe den Beklagten bei diesen Bedingungen ohne weiteres erkennen können, wenn er nach links auf die Fahrweise des Beklagten geschaut hätte. Bei rechtzeitiger Beobachtung der kreuzenden Skipiste und der damit verbundenen möglichen Wahrnehmung des Beklagten sei der Unfall auch für den Kläger vermeidbar gewesen.

13. Ein Mitverschulden könne allerdings nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger aufgrund der bestehenden rheumatischen Erkrankung (Morbus Bechterew) nicht Ski fahren durfte. Eine zum Schaden neigende Konstitution, die auf ein Schadensereignis und die Haftung des Schädigers ohne Einfluss geblieben sei, könne ein Mitverschulden nicht begründen. Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge sei von 2/3 Verschulden des Beklagten und 1/3 des Klägers auszugehen.

14. Ein Schmerzensgeld i. H. v. insgesamt 10.000,00 EUR sei angemessen. Hiervon seien 1.500,00 EUR bereits bezahlt.

15. Der materielle Schaden betrage 1.325,08 EUR, wovon 2/3 (883,39 EUR) zu ersetzen seien.

16. Dem Kläger stehe ein Haushaltsführungsschaden i. H. v. 10.200,00 EUR vom 16.02.2011 bis 17.10.2012 zu. Der gesamte Haushaltsführungsschaden errechne sich aus 3 x 7 x 4,3 (90 Std. x 10,00 EUR pro Monat). Für die streitige Zeit von 17 Monaten ergebe sich ein Haushaltsführungsschaden i. H. v. 15.300,00 EUR, von denen der Beklagte 2/3, 10.200,00 EUR zu ersetzen habe.

17. Der Feststellungsantrag sei in Höhe der festgestellten Quote begründet.

18. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

19. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers.

20. Die Unfallschilderung des Klägers sei die alleinige nachgewiesene Version. Der Beklagte sei mit zu hoher Geschwindigkeit über den unteren Auslaufbereich der Piste Nr. 32 in die Piste Nr. 22 eingefahren. Der Beklagte habe mit mindestens 30 km/h in einem Winkel von 90° zur Abfahrtsrichtung der dort abfahrenden Skifahrer die Piste zu durchkreuzen versucht und sei auf den Kläger aufgeprallt.

21. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei ein Verstoß gegen die FIS-Regeln Nr. 2, 3 und 5 durch den Beklagten als nachgewiesen anzusehen. Damit habe nur der Beklagte die alleinige und ausschließliche Verantwortung für den Unfall. Da die zurückgelegten Anfahrtswege der Unfallbeteiligten bis zur Kollisionsstelle bekannt seien, sei es möglich, anhand einer Wege-Zeit-Berechnung nachzuvollziehen, an welchen Positionen die Beteiligten sich während eines gewissen Zeitraums bis zur Kollision befunden hätten. Auch die Sehbereiche der Unfallbeteiligten seien nachzuvollziehen. Ein Weg-Zeit-Diagramm zeige deutlich auf, ob sich die Unfallbeteiligten während der Annäherung zum Kollisionszeitpunkt ständig, nur phasenweise oder gar nie im scharfen Sehbereich des Unfallgegners befunden hätten. Ein Mitverschulden des Klägers liege nicht vor.

22. Beim Schmerzensgeld habe das Landgericht die Verletzungen in korrekter Weise dargestellt. Es habe allerdings 1/3 abgezogen. Hiermit sei der Kläger nicht einverstanden.

23. Die Berechnung des Haushaltsführungsschadens mit nur 900,00 EUR im Monat sei nicht korrekt. Der Haushaltsführungsschaden betrage 1.200,00 EUR monatlich.

24. Der Kläger habe Anspruch auf Schadensersatz wegen des Verdienstentgangs seiner Ehefrau i. H. v. 488,40 EUR und Genussentgang für 2 Urlaubstage i. H. v. 200,00 EUR.

25. Hilfsweise sei eine Erhöhung des Schmerzensgelds i. H. v. 200,00 EUR in Betracht zu ziehen, wenn dieser Genussentgang nicht als materieller Schaden anerkannt werde.

26. Der Sachschaden sei mit 2.013,48 EUR anzunehmen. Der Beklagte sei in dieser Höhe zusätzlich zu verurteilen.

27. Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30.11.2012 – 7 O 199/11 – abzuändern und

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens 13.500,00 EUR zzgl. 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (28.10.2011) zu bezahlen,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger einen Haushaltsführungsschaden i. H. v. 27.600,00 EUR zu bezahlen,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger weiteren Sachschaden i. H. v. 2.013,48 EUR zu bezahlen,

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger weitere materielle und immaterielle Schäden zu ersetzen, die aus dem Unfall vom 15.02.2011 resultieren und nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

28. Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

29. Der Beklagte trägt vor,

zu Recht habe das Landgericht ein Mitverschulden i. H. v. 1/3 angenommen und den Verdienstausfall der Ehefrau des Klägers und den Hotelaufwand vom 15. – 16.02.2011 nicht zugesprochen. Der Sachverständige M… habe in zutreffender Weise festgestellt, dass der Kläger rechtwinklig in den Kreuzungsbereich und somit in die Fahrspur des Beklagten hineingefahren sei und den herannahenden Beklagten hätte sehen können/müssen. Somit liege auf Seiten des Klägers ein Verstoß gegen die FIS-Regel Nr. 1 und ein Verstoß gegen die FIS-Regel Nr. 2 S. 1 vor 32

30. Bestritten bleibe, dass die vom Kläger behauptete verbliebene Schmerzsymptomatik fortbestehe.

31. Beim Schmerzensgeld lasse der Kläger seine Vorschädigung außer Betracht.

32. Beim Haushaltsführungsschaden habe das Landgericht überzeugend festgestellt, dass ein Schaden i. H. v. 900,00 EUR monatlich auftrete.

33. Die vom Beklagten bestrittene Genussentbehrung stelle keinen nach § 823 Abs. 1 BGB ersatzfähigen Schaden dar.

34. Dies gelte auch für die Hotelkosten.

35. Wegen der Einzelheiten wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.05.2013 (Bl. 288 d. A.) verwiesen.

36. Im Rahmen der Berufung hat der Kläger den bezifferten Antrag auf Geltendmachung eines Haushaltsführungsschadens über den 17.10.2012 hinaus bis zum 15.01.2013 (Bl. 250 d. A.) ausgedehnt und hiermit für den bezifferten Antrag die Klage in der Berufungsinstanz erweitert.

37. Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 04.06.2013 hat der Kläger nach der mündlichen Verhandlung vom 22.05. 2013 vorgetragen, mit dem Sachverständigen Prof. Dr. R… M… Kontakt aufgenommen zu haben und eine Erklärung des Sachverständigen vorgelegt, dass sich dieser Sachverständige im Nachhinein nicht mehr kompetent dafür fühlt, die energieäquivalente Geschwindigkeit einzugrenzen, die erforderlich gewesen sei, um die Verletzung nach Ort, Art und Schwere zu erzeugen, die er nach den Krankenunterlagen als gegeben angesehen habe. Er habe in seiner Vernehmung lediglich davon gesprochen, dass es sich dabei nur um die Rekonstruktion der Geschwindigkeit der Unfallbeteiligten in den letzten 10 Millisekunden handele.

38. Es bedürfe bei der Kollisionsanalyse einer technisch-physikalischen Rekonstruktion der Einlauf- und Auslaufdynamik der Beteiligten.

39. Es sei notwendig, mit der Rekonstruktion von Unfällen die interdisziplinäre Kooperation herauszuarbeiten, um Missverständnisse zwischen den Disziplinen zu erkennen und Fehlschlüsse zu verhindern.

40. Weiterhin hat der Kläger ein Privatgutachten des Sachverständigen für alpinen Skilauf und Snowboarden M… F… vorgelegt, welcher darlegt, dass der Kläger plötzlich und völlig unerwartet von hinten niedergestoßen worden sei und sich dabei schwere Verletzungen zugezogen habe. Er hat als Grundlage die zahlreich beigestellten und qualitativ guten Fotos sowie die Informationen, die in zwei längeren Telefonaten übermittelt worden seien, verwertet.

II.

41. Die zulässige Berufung des Klägers ist zum Teil begründet. Dem Kläger steht nach den §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 1, 254 Abs. 1 BGB ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,00 EUR und ein weiterer Haushaltsführungsschaden in Höhe von 1.800,00 EUR zu. Der Beklagte haftet dem Grunde nach mit einer Quote von 2/3 für den materiellen und immateriellen Schaden des Klägers.

42. Zu Recht hat das Landgericht deutsches Haftungsrecht angewandt. Auf die Begründung des Landgerichts S. 11 des Urteils wird Bezug genommen.

43. Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist der Senat grundsätzlich an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidenden Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Ob die Anforderungen der Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Urteil den gesetzlich vorgeschriebenen Anforderungen genügt hat und nunmehr der Sachverständige Prof. Dr. M… seine in I. Instanz geäußerte Fachkunde zum Unfallhergang in Frage gestellt hat, kann offen bleiben.

44. Konkrete Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts bestehen nicht.

45. Auch bei Unterstellung der Ausführungen des Privatsachverständigen F… steht fest, dass der Beklagte die Piste Nr. 32 befuhr und in den Kreuzungsbereich der Pisten Nr. 22/23 eingefahren ist. Seine Absicht war, an die Talstation der Z…- oder P…bahn zu gelangen und von dort einen der Lifte als Aufstiegshilfe zu benutzen. Er übersah dabei den von rechts kommenden Kläger. Er fuhr dem Kläger im hinteren Bereich hinter den Stiefeln über dessen Skier. Dies schließt der Senat aus den Angaben des Klägers in erster Instanz. Der Beklagte kollidierte ungefähr im rechten Winkel im Bereich des Oberkörpers mit dem Kläger. Der Kläger stürzte aufgrund des Körperkontakts mit dem Beklagten.

46. Der Beklagte hat die Entscheidung des Landgerichts, dass er einen Verstoß gegen die FIS-Regel Nr. 1 begangen hat, akzeptiert. Die FIS – Regeln gelten im Rahmen gewohnheitsrechtlicher Rechtsausübung.

47. In korrekter Weise hat das Landgericht festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger in einem Kreuzungsbereich der Pisten Nr. 32 und Nr. 22/23 hinter seinen Skischuhen über die Skier gefahren ist. Insoweit ist die Schlussfolgerung, dass dem Beklagten ein Vorwurf gegen die FIS-Regeln Nr. 3 und 5 nicht gemacht werden kann, zutreffend. Die FIS-Regel Nr. 3 ist nicht anwendbar, weil sie fordert, dass ein von hinten kommender Skifahrer seine Fahrspur so wählen muss, dass er den vor ihm fahrenden Skifahrer nicht gefährdet. Bis zu dem nicht nachgelassenen Schriftsatz durch den Klägervertreter nach der mündlichen Verhandlung des Senats hat der Kläger niemals eine Variante des Unfalls vorgetragen, dass der Beklagte dieselbe Piste befahren hat, die der Kläger benutzt hat. Hieraus folgt, dass der Beklagte – wenn auch unachtsam – in den Kreuzungsbereich der Pisten eingefahren ist. Dies ergibt sich auch ohne weiteres aus den Fotos von der Unfallstelle. Es handelte sich für beide Skifahrer um einen gut einsehbaren Bereich, dessen Gefahrenpotential gerade wegen des Kreuzungsbereichs zweier Pisten besondere Aufmerksamkeit erfordert. Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass beide Parteien vor der Kollision in den Kreuzungsbereich der Pisten Nr. 22/23 und Nr. 32 eingefahren waren.

48. Entgegen der Meinung des Klägers liegt ein Verstoß des Beklagten gegen die FIS-Regel Nr. 5 nicht vor. Nach dieser Regel hat jeder Skifahrer, der in eine Abfahrt einfährt und nach einem Halt wieder anfahren will, sich nach oben und unten zu versichern, dass er ohne Gefahr und andere zu gefährden, seine Absicht verwirklichen kann. Die FIS-Regel Nr. 5 gilt nicht für den Querenden (Dambeck, Die neuen FIS-Regeln, DAR 1993, 135).

49. Der Kläger hat den Unfall mitverschuldet.

50. Auch er hat gegen die Vorschrift FIS-Regel Nr. 1 verstoßen. Die FIS-Regel Nr. 1 lautet:

51. „Jeder Skifahrer muss sich so verhalten, dass er keinen anderen gefährdet oder schädigt“.

52. Der Kläger hätte den aus seiner Sicht von links kommenden Beklagten im Rahmen seiner Verpflichtung nach FIS – Regel Nr. 1, der im Skisport notwendigen Rücksichtnahme auf andere Pistenbenutzer, erkennen können und müssen. Bei notwendiger Aufmerksamkeit hätte der Kläger durch Einstellung seiner Fahrweise auf den herannahenden Beklagten den Unfall vermeiden können.

53. Die FIS-Regel Nr. 1 gibt dem Skifahrer keine konkrete Verhaltensweise an, wie das in den übrigen Regeln geschieht. Kollidiert jedoch ein Skifahrer mit einem anderen aus Gründen, die in den übrigen Verhaltensregeln nicht erfasst sind, so entfällt dadurch noch nicht seine straf- und zivilrechtliche Verantwortlichkeit für den Unfall. Die Verantwortlichkeit wird unter Berücksichtigung der für den Skisport geltenden FIS-Regel Nr. 1, sodann nach den allgemeinen Haftungsbestimmungen beurteilt (BGH NJW-RR 1996, 732; OLG Koblenz MDR 2011, 539).

54. Ein Mitverschulden des Klägers liegt demnach vor. Auch der Kläger hat gegen die FIS-Regeln Abs. 1 verstoßen. Selbst das von ihm vorgelegte Privatgutachten hat unabhängig von den vom Senat im Urteil nicht verwerteten Äußerungen des Sachverständigen M… ausgeführt, bei notwendiger Aufmerksamkeit hätte der Kläger den im Sichtbereich fahrenden Beklagten erkennen können und müssen, und zwar dies / auf eine Entfernung von 111 m. Innerhalb des sich aus der Sichtweite bis zur Kollision ergebenden Zeitraums ist es nach Auffassung des Senats für einen – wie der Kläger zuletzt vorgetragen hat – gut geübten, sicheren und erfahrenen Skifahrer möglich, eine drohende gefährliche Situation zu erkennen und sich hierauf einzustellen.

55. Die Ausführungen des Privatsachverständigen F… – zugunsten des Klägers unterstellt – legen zur Überzeugung des Senats dar (S. 14 seines nach der mündlichen Verhandlung des Senats eingereichten Schriftsatzes), dass zunächst der Beklagte in einer Entfernung von 125 – 111 m einen Skifahrer auf der Piste nicht als einen potentiellen Unfallgegner einzuschätzen hatte. Allerdings verringert dies nicht die Verpflichtung, die Pistensituation und die Verhaltensweise der Pistenbenutzer im Auge zu behalten und die eigene Fahrweise daraufhin auszurichten. Im Kreuzungsbereich zweier Pisten gebietet es die FIS-Regel Nr. 1, aufmerksam zu beobachten, ob von rechts oder links sich Skifahrer nähern, mit denen es zu einer Kollision kommen könnte. Für diese Beobachtung ist auch notwendig, den Kopf nach links und rechts zu drehen, um das Gesichtsfeld zu erweitern. Auf die Sichtfelder bei geradeaus gerichteter Kopfhaltung, welche vom Kläger unter Berufung auf den Sachverständigen F… vorgetragen werden, kommt es daher nicht an.

56. Der Kläger hat in seiner Berufungsbegründung den vom Landgericht festgestellten Sachverhalt uneingeschränkt akzeptiert und sich zum Unfallhergang auf die Ausführungen des Prof. Dr. M… gestützt. Nunmehr will er die Feststellungen des Landgericht mit einer anderen Darstellung des Sachverhalts in Frage stellen. Der hierzu nicht nachgelassene Schriftsatz veranlasst den Senat nicht, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen (vgl. Ziff. 10). Im Übrigen ist dieser neue Sachvortrag nach § 530 ZPO verspätet.

57. Zu Recht führt das Landgericht im Rahmen der Abwägung der Verursachungsbeiträge der Parteien aus, dass darauf abzustellen ist, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

58. Die Abwägung, dass der Beklagte mit wesentlich höherer Geschwindigkeit unterwegs gewesen ist und sich auf die Kollision mit dem Kläger auch eine wesentlich höhere vom Beklagten ausgehende Gefahr ausgewirkt hat, ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hätte, um den Beklagten rechtzeitig zu erkennen, durch eine Kopfdrehung und entsprechende Reaktion gerade wegen seiner relativ niedrigen Geschwindigkeit den Unfall vermeiden können. Die Tatsache, dass der Kläger mit einer höheren Geschwindigkeit unterwegs gewesen ist, führt bei diesem zu der Verpflichtung eine höhere Aufmerksamkeit an den Tag zu legen. Die Verteilung der Haftungsquoten des Landgerichts, dem Beklagten 2/3 und dem 1/3 zuzuordnen, ist korrekt.

59. Die Grundlagen für die Gewährung eines Schmerzensgelds nach § 253 Abs. 2 BGB hat das Landgericht auf S. 16 des landgerichtlichen Urteils ausführlich dargestellt. Der Senat verweist auf diese Ausführungen.

60. Der Kläger hat durch den Unfall folgende Verletzungen erlitten:

– eine Milzruptur,

– eine Rippenserienfraktur der Rippe VI bis IX,

– ein Hämatothorax links,

– eine Lungenkontusion links,

– eine Verletzung des rechten Daumens.

61. In Folge der Rippenfrakturen litt der Kläger 10 Wochen lang an Beschwerden. Der Kläger wurde mindestens 1 Monat lang stationär behandelt. Er musste einige Tage auf der Intensivstation – bis 21.02.2011 – behandelt werden. Wegen der Daumenverletzung war eine Operation nötig. Solche Verletzungen führen nach den Angaben des Sachverständigen dazu, dass Funktionsbeeinträchtigungen im Rahmen der Kraft oder Beweglichkeit auftreten können.

62. Die Einschätzung des Landgerichts nach § 287 Abs. 1 ZPO, dass der Kläger unfallbedingt Bewegungseinschränkungen und damit verbundene Muskelatrophie und deshalb Krämpfe in der Nacht, die bis heute anhalten, hinnehmen muss, ist korrekt. Auch die vom Kläger geäußerten Schmerz- und Krampfsymptomatik hat das Landgericht zu Recht auf den Unfall zurückgeführt.

63. Diese Einschätzungen sind im Rahmen der vom Landgericht erhobenen Beweise durch das Attest des Dr. N… vom 20.09.2012 (Bl. 172 ff.) belegt. Weiterhin ist es nach Einschätzung des Sachverständigen unfallbedingt zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers aufgrund erneuter Schmerzsymptomatik eingetreten. Ebenso musste eine schmerzhaft bedingte reaktive Depression behandelt werden.

64. Die erlittenen Verletzungen, die Dauer des Krankenhausaufenthalts und die entgangene Urlaubsfreude sind im Rahmen der Festlegung der Höhe des Schmerzensgeldes von Bedeutung.

65. Unter Abwägung der genannten Gründe sowie des Mitverschuldens des Klägers hält der Senat für die unfallabhängig heranzuziehenden Beeinträchtigungen des Klägers ein Schmerzensgeld i. H. v. insgesamt 13.000,00 EUR für angemessen (vgl. hierzu Hacks/Wäldner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge, 31. Aufl. 2013, Nr. 1417, 682, 1381, 1160).

66. Außergerichtlich hat der Beklagte 1.500,00 EUR bezahlt, so dass ein Restbetrag von 11.500,00 EUR noch zuzusprechen ist.

67. Ein über den vom Landgericht höherer materieller Schaden steht dem Kläger nicht zu. Er hat aber Anspruch auf den im Wege der Klageerweiterung zusätzlich geltend gemachten Haushaltsführungsschaden für den Zeitraum vom 18.10.2012 bis 15.01.2013.

68. Einen Anspruch wegen Genussentgangs für zwei Urlaubstage hat der Kläger nicht. eine Einbuße an Freizeit ist praktisch mit jedem Schadensfall verbunden und stellt keinen Vermögensschaden dar. Das gilt auch für die Zeit, die der Geschädigte zur Abwicklung eines Schadensfalles aufwendet. Für entgangenen Genussentgang hat der Kläger nicht dargelegt, in wie weit ihm verletzungsbedingt irgendwelche Kosten für den Entgang von Genussmöglichkeiten eingetreten sind (BGH NJW 1983, 1107, Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl. 2013 § 249 Rn. 68, 69).

69. Der geltend gemachte Verdienstausfall der Ehefrau des Klägers ist nicht zu ersetzen.

70. Das Landgericht führt zutreffend aus, dass nach der Rechtsprechung des BGH über die reinen Fahrtkosten hinaus unter besonderen Umständen auch der Verdienstausfall naher Angehöriger als eigener Schaden des Verletzten ersatzfähig ist, wenn diese Nachteile mit dem erforderlichen Heilungsaufwand für den Verletzten derart in einem inneren Zusammenhang stehen, dass sie als eigentliche Besuchskosten zu qualifizieren sind. Dazu gehören u. U. auch Arbeitsstunden, für die eine Freistellung nur durch unbezahlten Urlaub möglich ist und die auch nicht nachgeholt werden können. Vorliegend hat die Ehefrau nach der Verletzung des Klägers bezahlten Urlaub genommen, so dass kein Verdienstausfall eingetreten ist (BGH NJW 1991, 2340 ff.).

71. Unter Beachtung des vom Landgericht zugesprochenen materiellen Schadensersatz in Höhe von 2/3 hat der Kläger keinen weiteren Anspruch.

72. Der Kläger hat Anspruch auf Ausgleich seines Haushaltsführungsschadens für weitere 3 Monate (18.10.2012 bis 15.01.2013).

73. Grundsätzlich ist anerkannt, dass einem Verletzten, soweit er in Folge der Verletzungen an der Ausübung der sonst von ihm erbrachten Haushaltstätigkeiten gehindert ist, ein Anspruch auf Ersatz eines Haushaltsführungsschadens zusteht. Dieser kann auch fiktiv abgerechnet werden. Die Höhe des Anspruchs orientiert sich bei fiktiver Berechnung an den Kosten einer geeigneten Ersatzkraft, wobei auf den Nettolohn abzustellen ist (BGH NJW-RR 1992, 972; Palandt/Sprau, BGB, 72. Aufl. 2013, § 843 Rn. 8).

74. Der Beklagte hat die Feststellungen des Landgerichts nicht angegriffen.

75. Das Landgericht hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung nach § 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach seiner freien Überzeugung sachgerecht entschieden. Die Berechnung des Landgerichts 3 x 7 x 4,3 = 90 Stunden x 10,00 EUR/Stunde = 900,00 EUR pro Monat ergibt für den Zeitraum Oktober 2012 bis 15. Januar 2013 einen Haushaltsführungsschaden in Höhe von 2.700,00 EUR. Da der Beklagte zu 2/3 haftet, sind ihm weitere 1.800,00 EUR zuzusprechen.

76. Der Senat hält die Klageerweiterung des Klägers in der II. Instanz nach § 533 Nr. 1 ZPO für sachdienlich. Wie ausgeführt, hat der Beklagte die Zahlungsverpflichtung für einen Haushaltsführungsschaden nicht angegriffen. Der weiter geltend gemachte Anspruch für den Zeitraum bis Mitte Januar 2013 betrifft das zu bewertende Grundgeschehen. Eine erneute Beweiserhebung ist nicht notwendig.

77. Der Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für zukünftige materielle und immaterielle Schäden ist im Rahmen der vom Landgericht festgesetzten Haftungsquote zulässig und begründet. Zum Grund der Haftung ist bereits oben ausgeführt.

78. Zu Recht führt das Landgericht aus, dass nach der Rechtsprechung des BGH es bei der Verletzung eines absoluten Rechtsguts ausreicht, wenn zukünftige Schadensfolgen möglich erscheinen, aber Art und Umfang noch ungewiss sind (BGH MDR 2007, 792). Hiergegen hat sich der Beklagte nicht gewandt, so dass es auch in diesem Bereich wegen der Mithaftung des Klägers bei dem landgerichtlichen Urteil verbleibt.

79. Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 291, 288 BGB.

80. Für den über das landgerichtliche Urteil hinaus zugesprochenen Haushaltsführungsschaden hat der Kläger weitere Zinsen nicht beantragt (§ 308 Abs. 1 ZPO).

81. Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Klägers vom 04.06.2013 gibt keine Veranlassung, die Verhandlung wiederzueröffnen (§ 156 ZPO). Insbesondere besteht kein Grund für die Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens. Das Gutachten des Sachverständigen M… ist nur insoweit entscheidungserheblich, als durch die Feststellungen zu den Verletzungen die Unfalldarstellung des Klägers, dass der Beklagte ihm hinter der Bindung quer über die Skier gefahren ist, belegt und die Darstellung des Beklagten, er sei vor der Bindung des Klägers über dessen Skier gefahren, widerlegt ist. Für die Einholung eines Gutachtens zu den vor der Kollision gefahrenen Geschwindigkeiten, einer Rekonstruktion des Unfalls im Übrigen, fehlen die Anknüpfungspunkte. Es liegt weder die genaue Kollisionsstelle noch die Entfernung dieses Punktes zur Endlage des Klägers fest, ebenso ist der Anhalteweg des Beklagten unklar. Unklar sind des Weiteren die genauen Anfahrtswege sowie die genauen Schneeverhältnisse. Das Gleiche gilt für die Fahrweise beider Fahrer (Abfahrtspunkt, Schwingen oder Schussfahrt bzw. Kombination daraus). Auf die Sichtfelder bei gerader Kopfhaltung kommt es nicht an, da es sich um eine Rechtsfrage handelt, ob der Kopf im Kreuzungsbereich zur besseren Sicht und Vermeidung von Zusammenstößen auch nach links und rechts gedreht werden muss.

82. Dass sich der Beklagte vor dem Unfall im Sehbereich des Klägers befand, vermag der Senat anhand der vorgelegten Fotos selbst zu beurteilen. Eines Sachverständigengutachtens bedarf es hierzu nicht.

83. Die Frage, ob ein Verstoß gegen die FIS-Regeln Nr. 3 und Nr. 5 vorliegt, ist eine Rechts-, keine Sachverständigenfrage.

III.

84. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1 i. V. m. 97 Abs. 1 ZPO.

85. Bei der Kostenquotelung in der I. Instanz ist die in der Berufung vorgenommene Klageerweiterung nicht zu beachten.

IV.

86. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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AG Köln, Urt. v. 19.07.05, Az: 135 C 175/04

Berichte und Besprechungen

Forum Fluggastrechte: Skiunfall auf Pistenkreuzung
Passagierrechte.org: Haftung bei einem vermeidbaren Skiunfall

Rechtsanwälte für Reiserecht

Hilfe bei rechtlichen Fragen: Rechtsanwälte für Reiserecht oder Rechtsanwälte für Fluggastrechte