Das zum Flug nicht mehr einsetzbare Flugzeug

AG Frankfurt: Das zum Flug nicht mehr einsetzbare Flugzeug

Ein Flugreisender forderte eine Ausgleichszahlung wegen einer eintägigen Flugverspätung. Die Klage wurde abgewiesen, weil in Form eines Vogelschlagschadens außergewöhnliche Umstände die Ursache waren.

AG Frankfurt 29 C 222/12 (85) (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 20.04.2012
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 20.04.2012, Az: 29 C 222/12 (85)
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Amtsgericht Frankfurt am Main

1. Urteil vom 20. April 2012

Aktenzeichen 29 C 222/12 (85)

Leitsatz:

2. Vogelschlag ist ein außergewöhnlicher Umstand.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger hatte für den 18.01.2010 einen Flug gebucht. Dieser konnte aufgrund eines technischen Effekts am Flugzeug nach einem Vogelschlag erst am Folgetag durchgeführt werden. Der Kläger begehrte eine Ausgleichszahlung sowie die Übernahme von Übernachtungs und Telefonkosten.

Das Amtsgericht Frankfurt wies die Klage ab. Die Haftung der Fluggesellschaft war ausgeschlossen, da es sich bei dem Vogelschlag um einen außergewöhnlichen Umstand handelte, denn er war ein nicht vorhersehbares und nicht beherrschbares Naturereignis.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert wird bis zum 23.03.2012 auf EUR 1.233 und ab 24.03.2012 dem auf EUR 633 festgesetzt.

Tatbestand:

5. Der Kläger begehrt Schadensersatz und Reisepreisminderung nach verspäteter Flugbeförderung nach Vogelschlag.

6. Der Kläger buchte bei der Beklagten einen Flug für den 18.01.2010 von B./G. über Br. nach F. Durch einen Vogelschlag kam es bei der – dem geplanten Abflug unmittelbar vorausgehenden – Landung in B. zu einem technischen Defekt, aufgrund dessen diese Maschine nicht mehr einsetzbar war. Erst am Folgetag stand ein Flugzeug für die gebuchte Flugreise zur Verfügung, so dass es zu einer erheblichen Abflugverspätung kam. Der Kläger wandte sich erstmals mit Schreiben vom 11.10.2011 an die Beklagte (Bl. 9 d. A.) und forderte sie erfolglos zur Zahlung auf.

7. Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe die Verspätung zu vertreten, zumal ein durch Vogelschlag verursachter technischer Defekt an einem Fluggerät nicht unter den Ausschlussgrund der höheren Gewalt des Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 (im Folgenden: FluggastVO) falle und die Beklagte ein Ersatzflugzeug hätte bereithalten müssen.

8. Der Kläger hat mit der Klage zunächst folgende Posten geltend gemacht:

Ausgleichsanspruch Hinflug EUR 600,00
Ausgleichsanspruch Rückflug EUR 600,00
Übernachtungskosten für verspätete Anreise EUR 20,00
Telefonkosten wg. verspäteter Rückreise EUR 12,74
Klageforderung EUR 1.232,74

9. Nachdem er mit Schriftsatz vom 23.03.2012, Eingang bei Gericht am 23.03.2012, die Klage in Höhe von EUR 600 hinsichtlich zunächst geltend gemachter Ansprüche im Hinblick auf den Hinflug nach G. zurückgenommen hat, beantragt der Kläger nunmehr,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 632,74 nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von EUR 97,46 nebst 5% über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

11. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12. Wegen Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2012 und die sonstigen Aktenbestandteile verwiesen.

Entscheidungsgründe:

point17

13. Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

1.

14. Das Amtsgericht Frankfurt ist aufgrund des rügelosen Einlassens der Beklagten gemäß §§ 495 a, 39 ZPO örtlich zuständig.

2.

15. Der Kläger hat die Klage wirksam in Höhe von EUR 600 zurückgenommen, § 269 Abs. 1 ZPO, zumal die Rücknahme vor Beginn der mündlichen Verhandlung am 30.03.2012 mit Schriftsatz vom 23.03.2012, am selben Tag bei Gericht eingegangen, erklärt wurde.

3.

16. Die Beklagte beruft sich mit Erfolg auf einen Haftungsausschluss im Sinne des Art. 5 Abs. 3 FluggastVO. Der durch Vogelschlag verursachte technische Defekt, der zu der streitgegenständlichen Flugverspätung führte, war ein von der Beklagten nicht zu vermeidender, außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 FluggastVO.

a)

17. Der Verordnungsgeber der FluggastVO hat in den Begründungserwägungen Nr. 14 im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 FluggastVO eine beispielhafte und gerade nicht abschließende Aufzählung der Umstände gewählt, welche für den Flugunternehmer als entlastend und außergewöhnlich angesehen werden können. Das Gericht schließt sich in diesem Zusammenhang nach eigener umfassender rechtlicher Würdigung der zutreffenden Auffassung des Landgerichts Darmstadt (Urt. v. 01.08.2007, Az. 21 S 263/06) an, dass die im Erwägungsgrund 14 zur FluggastVO aufgeführten Beispiele zeigen, dass es sich diesbezüglich grundsätzlich um Einflussfaktoren handelt, deren Entstehung außerhalb des organisatorischen und technischen Verantwortungsbereiches des Flugunternehmers liegt, die also von diesem nicht beeinflusst und demzufolge auch nicht abgewendet werden können und außerhalb der sogenannten Betriebsgefahr des Fluggerätes liegen (vgl. hierzu auch EuGH, Urt. v. 22.12.2008, Az. C – 597/07, LG Hannover, Urt. v. 18.01.2012, Az. 14 S 52/11). Technische Defekte des Fluggerätes, die Flugsicherheitsmängel verursachen, fallen daher nur dann in den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 3 FluggastVO, wenn sie auf derartige äußere Einflüsse zurückzuführen sind, also etwa witterungsbedingte Defekte (z. B. durch Blitzschlag, Hagel u. ähnliches), Defekte durch unautorisierte Eingriffe von betriebsfremden Dritten (z. B. Terroranschläge, durch den Fluggast selbst herbeigeführte Beschädigungen u. ä.) oder sonstige vergleichbare Umstände (z. B. Vogelschlag).

18. Aus Sicht des erkennenden Gerichts fällt das Ereignis eines Vogelschlags und damit einhergehende, denkbare technische Defekte am Fluggerät in den Bereich außerhalb des organisatorischen und technischen Verantwortungsbereichs des Flugunternehmers, und kann von diesem weder beherrscht noch abgewendet werden. Bei Vogelschlag kommt das für den einzelnen Flug unvorhersehbare Ereignis, bei dem sich allein ein im Schadensfall liegender Defekt des Fluggeräts als Ausdruck sekundären betrieblichen Zusammenhangs darstellt, von außen: es handelt sich um die Realisierung einer Gefahr durch ein natürliches, zoologisches Ereignis, dem aus technischer Sicht seitens der Fluglinie nichts entgegenzusetzen ist, und welches als solches vergleichbar mit den im Erwägungsgrund 14 der FluggastVO aufgeführten Wetterphänomenen ist. Insbesondere besteht eine hohe Vergleichbarkeit mit dem Vorkommen von Blitzen, welche ebenso wie Vogelschlag naturgemäß nicht nur sehr selten vorkommen und nicht den Flugbetrieb im Ganzen beeinträchtigen, sondern die ihnen immanente Gefahr gerade nur ein Fluggerät – im engsten Sinne des Wortes – trifft.

19. Die klägerseits vertretene und vermeintlich vom Kammergericht Berlin geteilte Auffassung, das Ereignis eines Vogelschlags falle nicht unter den Begriff der höheren Gewalt im Sinne des Art. 5 Abs. 3 FluggastVO (vgl. Beschluss v. 30.04.2009, Az. 8 U 15/09), teilt das erkennende Gericht – wie oben dargelegt – nicht. In diesem Zusammenhang sei klarstellend erwähnt, dass die Entscheidung des KG Berlin die streitgegenständliche Frage offen lässt (vgl. Ziffer 2.e des Beschlusses), da der Begriff der höheren Gewalt dort nur im Hinblick auf die Regelung des § 651 j BGB und gerade nicht bezüglich der hier einschlägigen FluggastVO zu bewerten war.

b)

20. Das Ereignis war auch nicht durch den Einsatz etwaiger zumutbarer Maßnahmen durch die Beklagte vermeidbar im Sinne des Art. 5 Abs. 3 FluggastVO. Weder die Existenz von Vögeln in der unmittelbaren Nähe des Fluggeräts noch durch Zusammenstoß verursachte Schäden können von Flugunternehmen vermieden werden. So gibt es bislang keine Vorrichtungen an Flugzeugen selbst, die Vögel vergrämen noch Schäden durch Vogelschlag verhindern könnten. Zwar kann im Einzelfall ein Vogelschlag durch Maßnahmen am Boden verhindert werden, doch kann dies gerade nicht das durchführende Flugunternehmen, sondern vielmehr nur der jeweilige Betreiber des Flughafens. Die entsprechend vom Vogelschlag beeinträchtigte Luftfahrtlinie ist insoweit auch nicht für vermeintlich unterlassene oder nicht ausreichend effektive Verhaltensweisen von Flughafenbetreibern verantwortlich zu machen. Diese sind weder Vertreter oder Verrichtungsgehilfen von Fluglinien noch haben Flugunternehmen landläufig Einfluss auf deren Handeln, zumal wenn es sich bei den entsprechenden Flughäfen- wie hier – nicht um ein sogenanntes Hub der Airline bzw. um eine wirtschaftlich wie politisch völlig losgelöste juristische Person handelt. Auch ist es den Fluglinien nicht zumutbar an jedem Zielort, wie hier B., eine Ersatzmaschine für einen etwaigen Schaden am Fluggerät vorzuhalten. Dies wäre neben der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit auch faktisch für die Flugunternehmer unmöglich. Es ist gerichtsbekannt, § 291 ZPO, dass aufgrund der hohen Betriebskosten (Kaufpreis bzw. Leasingrate, Wartungen, Personalkosten für Cockpit- und Kabinencrew etc.) sämtliche Fluggeräte der Luftfahrtunternehmen maximal ausgelastet sind, so dass ein so umfassendes Reserveprogramm für technische Defekte mangels vorhandenem Fluggerät nicht durchführbar ist.

21. Abschließend weist das Gericht in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Zweck der FluggastVO zwar grundsätzlich die Verbesserung des Schutzes der Fluggastrechte ist, sie jedoch bereits nach ihrem Wortlaut nur Mindestrechte gewährleistet, Art. 1 Abs. 1 FluggastVO (vgl. auch EuGH, Urt. v. 13.10.2011, Az. C-83/10).

4.

22. Einem etwaigen Anspruch auf Minderung oder Schadensersatz gemäß §§ 651 d, 651 f Abs. 1, 2 BGB steht die klägerseits nicht eingehaltene und von Amts wegen zu beachtende Ausschlussfrist des § 651 g Abs. 1 BGB von einem Monat entgegen. Der Kläger hat seine Ansprüche gegenüber der Beklagten erstmals mit Schreiben vom 11.10.2011, mithin über neun Monate nach Beendigung der Reise, und nicht innerhalb der Monatsfrist geltend gemacht.

5.

23. Ein Anspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 249 BGB besteht nicht, da der Beklagten keine schuldhafte Pflichtverletzung in Zusammenhang mit dem durch Vogelschlag verursachten technischen Defekt am Flugzeug vorzuwerfen ist, s. o. Ziffer 3.

6.

24. Da dem Kläger kein Anspruch bzgl. der eingeklagten Hauptforderungen zusteht, kann er auch keine entsprechenden Kosten für die vorgerichtliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts oder Zinsen von der Beklagten verlangen.

II.

25. Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.

26. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

27. Die Streitwertfestsetzung folgt unter Beachtung der Klageanträge aus § 48 GKG i. V. m. §§ 2, 3 ZPO.

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