Verspätung wegen technischen Defekts
AG Rüsselsheim: Verspätung wegen technischen Defekts
Die Klägerin fordert vom beklagten Luftfahrtunternehmen Ausgleichszahlugen gem. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung EG Nr. 261/2004, weil ein Flug den sie bei der Beklagten gebucht hatten kurz vor dem Start annulliert worden war. Grund dafür war ein Defekt an der Maschine, den die Beklagte als außergewöhnlichen Umstand bewertet, der sie gegenüber der Klägerin von ihren Haftungspflichten befreit.
Das Amtsgericht Rüsselsheim hält die Klage für begründet. Die Klägerin und ihr Ehemann haben Anspruch wegen der Annullierung des streitgegenständlichen Fluges. Ein außergewöhnlicher Umstand, der ein ausführendes Luftfahrtunternehmen von Ansprüchen auf Ausgleichszahlungen befreit, liege hier nicht vor.
AG Rüsselsheim | 3 C 387/10 (35) (Aktenzeichen) |
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AG Rüsselsheim: | AG Rüsselsheim, Urt. vom 11.06.2010 |
Rechtsweg: | AG Rüsselsheim, Urt. v. 11.06.2010, Az: 3 C 387/10 (35) |
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Leitsätze:
2. Einem Flugreisenden steht ein Ausgleichsleistunganspruch nach Art. 7 der Fluggastrechteverordnung in Höhe von 600 Euro zu, wenn sich ein die Grenzen der Gemeinschaft überschreitender Flug von mehr als 3.500 km um 21 Stunden verzögert.
Technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeuges auftreten können, begründen für sich gesehen keine außergewöhnlichen Umstände, die das Luftfahrtunternehmen von der Verpflichtung befreien könnten, die Ausgleichszahlung zu leisten.
Zusammenfassung:
3. Die Klägerin und ihr Ehemann hatten bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, einen Flug gebucht. Dieser wurde jedoch vor dem Start annulliert, weil ein Defekt an der Maschine festgestellt wurde. Die Beklagte hatte argumentiert, dass es sich bei diesem Defekt um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung EG Nr. 261/2004 gehandelt habe, sodass die Klägerin und ihr Ehemann keinen Ausgleichsanspruch gegen die Beklagte hätten. Erstinstanzlich ist diese Sichtweise nicht bestätigt worden. Die Klägerin und ihr Ehemann fordern nun in zweiter Instanz die Ausgleichszahlungen aufgrund der Annullierung ihres Fluges.
Das Amtsgericht Baden-Baden hält die Klage für begründet und bestätigt das erstinstanzliche Urteil. Zwar sei ein ausführendes Luftfahrtunternehmen Art 5 Abs. 3 EG Nr. 261/2004 nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 der Verordnung zu leisten, wenn die betreffende Flugverspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
Dies sie hier jedoch nicht der Fall. Ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung eines Flugs führt, könne nicht unter den Begriff der „außergewöhnliche Umstände” gem. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung EG Nr. 261/2004 fallen, weil diese insgesamt als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens zu werten seien.
Tenor:
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 600,00 Euro nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit 05.03.2010 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
5. (entfällt gemäß § 313 a ZPO)
Entscheidungsgründe
6. Die Klage ist überwiegend begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung der Ausgleichspauschale nach Artikel 7 Verordnung (EG) 261/2004 in Höhe von 600 Euro. Es handelt sich vorliegend um einen die Grenzen der Gemeinschaft überschreitenden Flug von mehr als 3500 km. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 19.11.2009 (C-402/07) steht dieser Anspruch dem Fluggast bei einer großen Verspätung zu. Eine Verzögerung in der Größenordnung von 21 Stunden erfüllt diese Voraussetzung.
7. Technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeuges auftreten können, begründen für sich gesehen keine außergewöhnlichen Umstände, die das Luftfahrtunternehmen von der Verpflichtung befreien könnte, die Ausgleichszahlung zu leisten. Dies gilt auch dann, wenn das Luftfahrtunternehmen alle vorgeschriebenen oder sonst bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt gebotenen Wartungsarbeiten frist-und ordnungsgemäß durchgeführt hat. Das Fehlen eines zertifizierten Mechanikers vor Ort rechtfertigt die Anwendung des Erwägungsgrundes 14 der Verordnung nicht.
8. Ein Anspruch auf 30 Euro pauschalierte Nebenkosten aus Anlass der Schadensregulierung ist nicht gegeben. Die Verordnung enthält eine derartige Regelung nicht. Die deutsche Rechtsprechung aus dem Schadenersatzrecht zu Kfz-Unfällen ist auf das Beförderungsrecht nicht übertragbar. Etwaige Kosten für Vordruck oder Porto werden in der Kostenpauschale der Rechtsanwaltsgebühren abgegolten. Die Zinsforderung ist ab Rechtshängigkeit begründet. Im Übrigen war die Klage in den Nebenforderungen abzuweisen.
9. Eine frühere Inverzugsetzung ist nicht erfolgt. Mit der Forderungsanmeldung vom 25.1.2010 ist einzig die Fälligkeit, hingegen kein Verzug begründet worden. Die Fristsetzung in diesem Schreiben ist nicht mit einer Leistungsbestimmung nach dem Kalender gemäß § 286 Abs. 2 Ziffer 1 BGB gleichzusetzen. Die einseitige Bestimmung durch den Gläubiger reicht insoweit nicht aus. Der Anspruch auf Zahlung der vorgerichtlich angefallenen Anwaltskosten ist dementsprechend ebenfalls nicht begründet, da bei Abfassung des Schreibens von 25.1.2010 die Beklagte sich nicht in Verzug befand.
10. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO, diejenigen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11 und 713 ZPO.
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