Vorlage an den EuGH wegen Beschädigung eines Flugzeugs durch Vogelschlag

AG Frankfurt: Vorlage an den EuGH wegen Beschädigung eines Flugzeugs durch Vogelschlag

Ein Flugreisender forderte eine Ausgleichszahlung wegen der Annullierung seines Fluges, doch die Fluggesellschaft berief sich auf  einen Vogelschlag, den sie als außergewöhnlichen Umstand klassifizierte.

Das Amtsgericht Frankfurt setzte die Verhandlung aus und legte dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Beantwortung vor, ob der Vogelschlag einen außergewöhnlichen Umstand darstelle.

AG Frankfurt 29 C 1224/13 (21) (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 12.08.2015
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 12.08.2015, Az: 29 C 1224/13 (21)
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Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 12. August 2015

Aktenzeichen 29 C 1224/13 (21)

Leitsatz:

2. Dem Europäischen Gerichtshof wird die Frage zur Beantwortung vorgelegt, ob Vogelschlag einen außergewöhnlichen Umstand begründet.

Zusammenfassung:

3. Einem Flugreisenden wurde am Flughafen zunächst die Verspätung und dann die Annullierung seines Fluges auf die Malediven mitgeteilt, woraufhin er von der Fluggesellschaft auf einen anderen Flug umgebucht wurde. Für die Annullierung und zusätzliche Verpflegungskosten verlangte er Schadensersatz. Die Fluggesellschaft berief sich zu ihrer Verteidigung auf außergewöhnliche Umstände in Form von Vogelschlag auf dem Vorflug, der einen technischen Defekt an der Maschine verursacht hatte.

Das Amtsgericht Frankfurt wägte ab, ob Vogelschlag einen außergewöhnlichen Umstand begründen könne. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes treffe dies auf all jene Naturereignisse zu, die unbeherrschbar und unvorhersehbar auftreten. Dem entgegen stehe jedoch die Auslegung des Europäischen Gerichtshofes, nach welcher das Ereignis nicht Teil des regulären Flugbetriebes sein darf, was vorliegend jedoch der Fall war, da sich Flugzeuge und Vögel den Luftraum teilen. Die Kammer entschied, die Verhandlung auszusetzen und die Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Beantwortung vorzulegen.

Tenor:

4. Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 vom 11. Februar 2004 (ABl. EG L 46 vom 17. Februar 2004 S. 1 ff.) folgende Fragen vorgelegt:

Ist die Beschädigung eines Fluggerätes durch einen Vogelschlag als außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 zu bewerten?

Gründe:

5. Die Kläger buchten bei einem Reisveranstalter eine Reise auf die Malediven. Der Flug sollte am 23.04.2012 um 22:00 Uhr von Frankfurt über Muscat nach Male von dem beklagten Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden.

6. Beim Einchecken am Flughafen wurde den Klägern zunächst mitgeteilt, dass sich der Abflug des vorgesehen Fluges wegen eines technischen Defekts verspäten würde. Der Flug wurde dann annulliert und die Kläger auf einen anderen Flug umgebucht.

7. Die Kläger begehren nun Ausgleichsleistungen nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) i. V. m. Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 […] (im Folgenden: EGV 261/2004) wegen Annullierung des Fluges sowie eine Verpflegungs- und Kostenpauschale.

8. Die Beweisaufnahme hat die Behauptung der Beklagten bestätigt, dass es beim Landeanflug der für den streitgegenständlichen Flug vorgesehen Maschine zu einem sogenannten Vogelschlag gekommen war, weshalb die Maschine nach der Landung bei einer Inspektion um 20:30 Uhr einen Defekt („dent“) an der Nietreihe der rechten Tragfläche aufwies und daher nicht planmäßig weiterfliegen konnte. Die Beweisaufnahme hat auch bestätigt, dass die aufgrund des Vogelschlags erforderliche Reparatur der Maschine bis zum 25.04.2012 dauerte.

9. Die Entscheidung des Rechtstreites hängt davon ab, ob sich das Luftfahrtunternehmen aufgrund des Vogelschlages nach Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 entlasten kann.

10. Zwar hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 24. September 2013 (X ZR 160/12 -, juris) entschieden, dass ein durch Vogelschlag verursachter Turbinenschaden, der den Abbruch eines Starts erzwingt oder den erneuten Einsatz eines beim Landeanflug beschädigten Flugzeugs hindert, außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 begründet. Vogelschlag sei hiernach ein Ereignis, das von außen auf den Flugverkehr einwirkt und dessen Ablauf beeinflusse. Er trete wie ein Naturereignis beliebig auf, wie z.B. die in Erwägungsgrund 14 der EGV 261/2004 angeführten, mit der Durchführung des betreffenden Flugs nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, und sei von dem Luftfahrtunternehmen nicht vorhersehbar und innerhalb der betrieblichen Sphäre des Unternehmens von diesem auch nicht beherrschbar, weil das Luftfahrtunternehmen weder den Vogelflug beeinflussen noch verhindern könne, dass beim Start oder Landeanflug in die Nähe des Flugzeugs geratende Vögel durch den Turbinensog angesaugt werden und Schäden an der Turbine verursachen können (Rz. 13). Eine Vorlage des BGH an den EuGH nach Art. 267 AEUV ist nicht erfolgt.

11. In Anbetracht dessen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH (Beschluss vom 14. November 2014 – C-​394/14 -, juris) die Umstände im Zusammenhang mit einem technischen Problem jedoch nur dann als „außergewöhnlich“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der EGV 261/2004 qualifiziert werden können, wenn sie ein Vorkommnis betreffen, das – wie die im 14. Erwägungsgrund dieser Verordnung aufgezählten – nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist (EuGH, Beschluss vom 14. November 2014 – C-​394/14 -, juris), hat das erkennende Gericht Zweifel an der Entscheidung des Bundesgerichtshofes. Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 14. November 2014 gerade auf die Regelmäßigkeit der Konfrontation des Luftfahrtunternehmens mit entsprechenden Situationen abgestellt.

12. Und auch der Bundesgerichtshof hat noch in seiner Entscheidung vom 21. August 2012 (X ZR 138/11 – juris) ausgeführt, dass es die gegebenenfalls zu einem Wegfall der Ausgleichsverpflichtung führenden Umstände kennzeichnet, dass sie außergewöhnlich (englisch „extraordinary“, französisch „extraordinaires“) sind, d.h. nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen, sondern außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann (Rz. 10) und dass für die Qualifikation der Umstände als außergewöhnlich weder ihre – möglicherweise vielfältigen – Ursachen noch ihre Herkunft aus dem Verantwortungsbereich des Luftverkehrsunternehmens oder eines Dritten oder ihre generelle Unbeeinflussbarkeit entscheidend sind, sondern vielmehr der Umstand, dass sie sich von denjenigen Ereignissen unterscheiden, mit denen typischerweise bei der Durchführung eines einzelnen Fluges gerechnet werden muss (Rz. 14).

13. Eine Beschädigung durch einen Vogelschlag ist ein beim Betrieb eines Flugzeugs nun aber ein durchaus vorkommender, geradezu typischer Umstand, denn Vögel nutzen den Luftraum naturgemäß ebenso wie Flugzeuge (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 30.04.2009, 8 U 15/09 – juris). Es handelt sich gar um ein derart typisches Problem des Luftverkehrs bei der Durchführung von Flügen, dass diesem durch Maßnahmen wie Vergrämen von Vögeln im Bereich von Flughäfen begegnet wird (vgl. KG Berlin, a.a.O.).

14. Auch führt der Vergleich eines Vogelschlages mit widrigen Wetterbedingen unter Verweis auf Erwägungsgrund 14 der EGV 261/2004 für sich genommen nicht ohne weiteres zu dem Schluss, ein Vogelschlag sei grundsätzlich als außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 zu bewerten. Bislang ist zumindest in Teilen der (europäischen) Rechtsprechung zutreffend anerkannt, dass nicht jegliche Wetterbedingungen zu einer Entlastung nach Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 führen (vgl. AG Hannover, Urteil vom 06. Dezember 2012 – 522 C 7701/12 -, juris; BG Schwechat, Urteil vom 12.09.2011 – 1 C 326/12; Urteil vom 12.10.2012 – 4 C 580/11v-​10; auch AG Frankfurt, Urteil vom 15.05.2013, 29 C 1954/11 (21)). Welche zusätzlichen qualifizierenden Merkmale der Vogelschlag aufweisen müsste (z. B. Betroffenheit von mehreren Fluggeräten durch ungewöhnlich starkes Vogelaufkommen) um zu einer Entlastung zu führen, ist auch unklar.

15. Da damit schon die erste der beiden kumulativen Voraussetzungen für die Annahme eines außergewöhnlichen Umstands im Sinne des Art 5 Abs. 3 EGV 261/2004 fehlen würde, käme es nicht mehr auf die zweite Voraussetzung an, namentlich die Frage, ob ein Defekt aufgrund eines Vogelschlags vom Luftfahrtunternehmen zu beherrschen ist oder nicht (ebenso AG Hamburg, Urteil vom 27.01.2012, 24a C 65/11 – juris), wobei auch dies nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint, weil ein Zusammenstoß mit Vögeln im Einzelfall vermeidbar und deshalb auch von der Fluggesellschaft zu vertreten sein kann, etwa im Fall des Zusammenstoßes mit einem großen Vogelschwarm trotz möglichen Ausweichmanövers (vgl. KG Berlin, a.a.O.).

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