Starker Gegenwind als außergewöhnlicher Umstand

AG Hannover: Starker Gegenwind als außergewöhnlicher Umstand

Flugreisende klagten gegen die ausführende Airline wegen der Verspätung ihres Fluges von Fuerteventura nach Frankfurt.

Die Beklagte berief sich ohne Erfolg auf außergewöhnliche Umstände und wurde zur Leistung einer Ausgleichszahlung verurteilt.

AG Hannover 522 C 7701/12 (Aktenzeichen)
AG Hannover: AG Hannover, Urt. vom 06.12.2012
Rechtsweg: AG Hannover, Urt. v. 06.12.2012, Az: 522 C 7701/12
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Amtsgericht Hannover
1. Urteil vom 6. Dezember 2012,
Aktenzeichen 522 C 7701/12

Leitsätze:
2. Verspätet sich ein Flug um mindestens 3 Stunden am Ankunftsort, so hat der Reisende Anspruch auf eine Ausgleichszahlung, deren Höhe sich nach der Flugdistanz bemisst.

Außergewöhnliche Umstände können nur geltend gemacht werden, wenn ein unvorhersehbares, von außen kommendes Ereignis vorliegt und alle zumutbaren Gegenmaßnahmen ergriffen worden sind.

Zusammenfassung:
3. Vorliegend klagten Flugreisende gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen, weil sich ihr Flug von Fuerteventura nach Frankfurt um 4,5 Stunden verspätete. Die Beklagte berief sich auf außergewöhnliche Umstände, welche einerseits in der verspäteten Abfertigung durch das Bodenpersonal und andererseits ungewöhnlich starkem Gegenwind auf dem Vorflug der Maschine bestanden hätten.

Das Amtsgericht Hannover entschied, das keine außergewöhnlichen Umstände vorlagen, da einerseits Verzögerungen in der Abfertigung im betriebsinternen Risikobereich des Luftfrachtführers liegen und andererseits die Stärke oder Ungewöhnlichkeit des Gegenwindes unzureichend vorgetragen wurde und nicht belegt werden konnte. Daher wurde die Beklagte zur Zahlung einer Ausgleichsleistung an die Kläger verurteilt.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger zu 1. und 2. jeweils 400,-​- € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.4.2012 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung seitens der Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand:

5. Die Kläger machen Ansprüche auf Ausgleichszahlung nach Artikel 7 Abs. 1 der VO (EG Nr. 261/2004) geltend.

6. Die Kläger buchten bei der Beklagten einen Flug mit der Nr. … von Fuerteventura nach Frankfurt am Main. Geplante Abflugszeit war am 13.1.2011 um 19.20 Uhr, geplante Ankunftszeit am 14.1.2011 um 0.45 Uhr, tatsächlich sind die Kläger erst am 14.1.2011 um 5.10 Uhr in Frankfurt angekommen.

7. Die Kläger verlangen im Hinblick auf die Entfernung von mehr als 1.500 Kilometer einen Ausgleichsanspruch nach Artikel 7 Abs. 1 B in Höhe von jeweils 400,-​- € pro Person.

8. Sie sind der Ansicht, die Ausgleichsansprüche bestünden auch dann, wenn der Flug nicht annulliert wird, sondern verspätet durchgeführt. Außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 5 Abs. 3 der Verordnung lägen nicht vor, so dass sich die Beklagte nicht entlasten könne.

9. Die Kläger beantragen,

10. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zu 1. und 2. jeweils 400,-​- € nebst 5 % Punkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 30.4.2012 zu zahlen.

11. Die Beklagte beantragt,

12. die Klage abzuweisen.

13. Ansprüche bestünden nicht, weil die Flugverspätung auf außergewöhnliche und für die Beklagte auch unter Anwendung aller zumutbaren Maßnahmen nicht vermeidbaren Umständen beruhe. Der streitgegenständliche Flug sei Teil des Flugumlaufs Dubai – Frankfurt – Fuerteventura – Dubai gewesen. In Dubai habe das Flugzeug mit einer Verspätung von 39 Minuten starten können, weil das Bodenpersonal den Flug mit einer Verspätung von 39 Minuten abgefertigt habe.

14. Eine weitere Verspätung von 33 Minuten sei darauf zurückzuführen, dass auf der Flugstrecke Dubai – Frankfurt extremer Gegenwind, zu dem es auf dieser Strecke normalerweise nicht komme, geherrscht habe, weshalb sich die Flugzeit verlängert habe. Das Flugzeug habe den Frankfurter Flughafen deshalb erst um 13.47 Uhr UTC erreicht, statt wie geplant um 12.35 Uhr UTC. Um 15.42 Uhr UTC sei der Abflug von Frankfurt erfolgt und die Ankunft auf Fuerteventura habe um 20.10 Uhr UTC gelegen. Auf Grund der späten Ankunftszeit auf Fuerteventura habe der Weiterflug erst um 22.51 Uhr UTC vorgenommen werden können, weil in Frankfurt von 0.00 Uhr UTC bis 3.00 Uhr UTC ein Nachtflugverbot herrsche und die Beklagte keine Ausnahmegenehmigung erhalten habe vor 3.00 Uhr zu landen.

15. Die Beklagte habe auch keine Möglichkeit gehabt, ein anderes Flugzeug zu chartern.

16. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

17. Die Klage ist begründet.

18. Den Klägern steht ein Ausgleichsanspruch gem. Artikel 7 Abs. 1 B der VO (EG Nr. 261/2004) in Höhe von jeweils 400,-​- € zu.

19. Nach dem Urteil des EUGH (Große Kammer) vom 23.10.2012 steht nunmehr fest, dass Artikel 5 bis 7 der Verordnung EG Nr. 261/2004 auch anzuwenden ist, wenn die Fluggäste das Endziel später als 3 Stunden nach der vom Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Die Verordnung Nr. 261/2004 soll die Erhöhung des Schutzes aller Fluggäste bezwecken. Die Fluggäste von Flügen mit einer Verspätung von 3 Stunden oder mehr sollen deshalb nicht anders behandelt werden als die Fluggäste, denen eine Ausgleichsleistung nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe C Ziff. III dieser Verordnung zu Gute kommt, weil eine Ungleichbehandlung dieser beiden Gruppen der mit der Verordnung verfolgten Ziele nicht hinreichend gerechtfertigt ist.

20. Ausgeschlossen ist der Anspruch nur dann, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind (Artikel 5 Abs. 3 VO EG Nr. 261/2004). Ergänzend hat der BGH in der Entscheidung vom 21.8.2012 (X ZR 138/11) ausgeführt, dass ein Umstand dann außergewöhnlich ist, wenn er nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entspricht, sondern außerhalb dessen liegt, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Damit werden auch die unvermeidbaren Hindernisse für die planmäßige Durchführung eines Fluges der Risikosphäre des Luftverkehrsunternehmens zugewiesen, die nicht als außergewöhnlich aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen. Beispielhaft wird als außergewöhnlicher Umstand politische Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken oder unerwartete Flugsicherheitsmängel genannt. Ein technischer Defekt dagegen, der trotz Einhaltung der Wartungsintervalle durch das Luftverkehrsunternehmen aufgetreten ist, begründet daher im Regelfall keinen außergewöhnlichen Umstand. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Auslegung hat die Beklagte keine außergewöhnlichen Umstände vorgetragen.

21. Nach dem Vortrag der Beklagten ist die Verspätung darauf zurückzuführen, dass starke Windverhältnisse vorhanden gewesen wären, mit denen üblicherweise nicht zu rechnen sei. Hierbei handelt es sich um einen pauschalen und nicht ausreichend nachprüfbaren Vortrag. Ohne Kenntnis der üblichen Wetterbedingungen und der an dem Flugtag herrschenden Wetterverhältnisse lässt sich nicht überprüfen, ob es sich um derart ungewöhnliche Windverhältnisse gehandelt hat, mit denen die Beklagte nicht rechnen konnte und deshalb in die Flugplanberechnung nicht eingerechnet werden konnte.

22. Gleiches gilt auch für den Vortrag, das Bodenpersonal habe den Flug in Dubai mit 39 Minuten Verspätung abgefertigt. Verspätungen bei der Abfertigung durch das Bodenpersonal fallen in den Risikobereich des Luftfahrtunternehmens, wenn nicht Umstände vorgetragen werden, die außerhalb des üblichen Rahmens liegen. Insoweit liegt trotz Bestreitens der Gegenseite kein detaillierter Vortrag, auf welche Gründe die Verspätung beruht. Ohne eine nachvollziehbare Darlegung durch die Beklagte verbleibt es bei der Regelung, dass Verspätungen in den Risikobereich des Luftfahrtunternehmens fallen. Den Klägern steht deshalb ein Anspruch auf Zahlung von 400,-​- € pro Person zu.

23. Die Entscheidung über die Zinsen in gesetzlicher Höhe rechtfertigt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges.

24. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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