Verspätung oder Annullierung?

AG Rüsselsheim: Verspätung oder Annullierung?

Im vorliegenden Fall buchte der Kläger bei der Beklagten einen Flug, welcher mehr als 60 Stunden Verspätung hatte. Die Beklagte, als ausführendes Luftfahrtunternehmen begründete diese Verspätung mit einem technischen Defekt. Der Kläger verlangt nun von ihr eine Ausgleichszahlung wegen Flugverspätung bzw. wegen Flugannullierung.

Das Amtsgericht Rüsselsheim hat dem Kläger einen solchen Anspruch zugesprochen, da ein technischer Defekt kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der VO ist und eine Inanspruchnahme der Beklagten somit nicht ausschließt. Des Weiteren ist bei einer Verzögerung von mehr als 48 Stunden von einer Flugannullierung auszugehen.

AG Rüsselsheim 3 C 717/06 (32) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 07.11.2006
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 07.11.2006, Az: 3 C 717/06 (32)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1.Urteil vom 07. November 2006

Aktenzeichen 3 C 717/06 (32)

Leitsatz:

2. Bei einer Verzögerung der Flugbeförderung von mehr als 48 Stunden, handelt es sich nicht um eine Verspätung, sondern um eine Annullierung im Sinne der Fluggastverordnung.

Zusammenfassung:

3. Vorliegend buchte der Kläger bei der Beklagten einen Flug F nach San J, Costa Rica sowie ein Rückflug, wodurch die Parteien einen Luftbeförderungsvertrag schlossen. Dieser Flug hatte eine Verspätung von insgesamt 60 Stunden aufgrund eines technischen Defekts. Der Kläger verlangt nun von der Beklagten eine Ausgleichszahlung wegen Flugannullierung nach der Fluggastverordnung.

Das Amtsgericht Rüsselsheim sprach dem Kläger einen Anspruch auf Ausgleichzahlung nach der Fluggastverordnung zu.  Hier erlitten die Fluggäste einen Zeitverlust von 60 Stunden durch den verspäteten Flug. Jedenfalls nach Ablauf von 48 Stunden ist nicht mehr von einer Verspätung, sondern zwingend von einer Flugannullierung auszugehen.

Mithin begründet der hier vorliegende technische Defekt keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der VO, die das Luftfahrtunternehmen von einer Inanspruchnahme befreien könnten. Dies gilt auch dann, wenn das Luftfahrtunternehmen alle vorgeschriebenen oder sonst bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt gebotenen Wartungsarbeiten frist- und ordnungsgemäß ausgeführt hat.

 

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 600,– Euro nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.07.2006 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu zahlen.

Das Urteil ist für den Kläger vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der zu vollstreckenden Summe abzuwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

5. Der Kläger begehrt eine Ausgleichsleistung wegen Annullierung eines Fluges.

6. Er hat bei der Beklagten einen Flug von F nach San J, Costa Rica sowie ein Rückflug am 25.08.2005 um 19:30 Uhr mit Flug DE 4185 gebucht. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Flug jedoch nicht durchgeführt, sondern erst am 28.08.2005 um 05:30 Uhr unter der Flugnummer DE 4585. Dieser Flug erfolgte mit der gleichen Maschine, wie ursprünglich vorgesehen, wobei 247 von ursprünglich 268 auf die Flugnummer DE 4185 gebuchten Passagieren mit flogen.

7. Mit der am 11.07.2006 zugestellten Klage begehrt der Kläger eine Ausgleichsleistung gemäß der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 in Höhe von 600,– Euro.

8. Der Kläger ist der Ansicht, dass eine Flugannullierung vorliege, die den Ausgleichsanspruch auslöse.

9. Der Kläger beantragt,

wie aus dem Tenor ersichtlich.

10. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11. Sie behauptet, dass ein Triebwerkproblem Grund für die Verzögerung gewesen sei und dass trotz ordnungsgemäßer Wartung der Schaden nicht zu verhindern gewesen und auch eine schnellere Reparatur nicht möglich gewesen sei.

12. Sie ist der Ansicht, dass es sich nicht um eine Annullierung, sondern um eine Verspätung handele und hilfsweise im Falle einer Annullierung eine Entlastung ihrerseits vorliege, da diese auf außerordentlichen Umständen im Sinne des Artikel 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 beruhe.

13. Zur Ergänzung des Sach- und Streitgegenstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

14. Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht gem. Artikel 5 Abs. 1 c) in Verbindung mit Artikel 7 Abs. 1 c) ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 600,– Euro gegen die Beklagte zu.

15. Im vorliegenden Fall liegt eine Annullierung im Sinne der EU-​Verordnung vor, nämlich die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den mindestens ein Platz reserviert war. Die Beförderung des Klägers durch die Beklagte erfolgte 60 Stunden später als vereinbart, was aufgrund der gravierenden Verzögerung zu einer Annullierung führt und nicht etwa lediglich eine Verspätung darstellt.

16. Zwar hat das Landgericht Darmstadt in dem Urteil 21 S 43/06 vom 12.07.2006 eine Verzögerung des Starts um 23 Stunden, jedenfalls noch nicht begrifflich als eine Verspätung ausschließend bewertet und unter Bezug auf das Vorwort der Verordnung (15) sich auf eine mögliche Verspätung jedenfalls bis zum nächsten Tag berufen.

17. Das erkennende Gericht bezieht sich ebenfalls auf die zitierte Stelle des Vorwortes der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 und schließt daraus, dass jedenfalls nach Ablauf von 48 Stunden nicht mehr von einer Verspätung, sondern zwingend von einer Annullierung auszugehen ist. Dies ergibt sich daraus, dass bei einem geplanten Abflug um 0.01 Uhr eine Verspätung bis zum Ablauf des nächsten Tages (0:00 Uhr) den Vorstellungen des Verordnungsgebers noch entspricht, mit Ablauf von 48 Stunden aber der Begriff der Verspätung nicht mehr angebracht erscheint. Denn der Begriff der Verspätung muss sich auch an der Zumutbarkeit für die Passagiere orientieren, eine Verspätung hinzunehmen. Schließlich ist es erforderlich, einen Zeitpunkt zu benennen, in dem eine Verspätung in eine Nichtbeförderung umschlägt, da ansonsten selbst nach Wochen oder Monaten oder sogar Jahren begrifflich im allgemeinen Sprachgebrauch eine Verspätung vorliegen könnte. Dies ist jedoch nicht im Sinne des Verordnungsgebers, der die Verordnung zum Schutz des Verbrauchers erlassen hat.

18. Die Beklagte ist auch nicht gem. Artikel 5 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 261/2004 entlastet, da die vorliegende Annullierung nicht auf außergewöhnlichen Umständen beruhte und sich im Übrigen auch hätte vermeiden lassen.

19. Unabhängig von der Frage, ob tatsächlich ein Triebwerksschaden Ursache für den späteren Abflug gewesen ist oder nicht, stellt ein solcher keine außergewöhnlichen Umstände dar.

20. Denn entsprechend Nr. (14) der Erwägungen des Verordnungsgebers sollen solche Umstände nur dann gegeben sein, wenn politische Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwartete Flugsicherheitsmängel oder ein den Betrieb des ausführenden Luftunternehmens beeinträchtigende Streiks Ursache für die Flugannullierung sind. Ein doch gelegentlich vorkommender technischer Defekt mag zwar ungewöhnlich, nicht aber außergewöhnlich im Sinne der EU-​Verordnung sein und ist auf jeden Fall in der Sphäre des Luftfahrtunternehmens angesiedelt und daher nicht unbeeinflussbar auf höhere Gewalt bzw. Einwirkung durch Dritte.

21. Abgesehen davon wäre im vorliegenden Fall der Beklagten auch zumutbar gewesen bei drohender Verspätung von 60 Stunden eine Ersatzmaschine anzufordern oder die Passagiere auf andere Fluglinien umzubuchen. Wenn die Beklagte insoweit die damit verbundenen Kosten scheut, kann sie sich eben nicht von der vom Verordnungsgeber festgeschriebenen Pflicht zur Ausgleichszahlung befreien.

22. Der Zinsanspruch ist gemäß den §§ 288 Abs. 1, 291 BGB begründet.

23. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

24. Die Berufung war gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 und 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung und auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung erforderlich ist.

25. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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