Umbuchung als Verweigerung der Beförderung
AG Hannover: Umbuchung als Verweigerung der Beförderung
Reisende klagten gegen eine Fluggesellschaft wegen einer Umbuchung, in der sie eine Beförderungsverweigerung sahen.
Das Amtsgericht Hannover setzte das Verfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof die Fragen zur Beantwortung vor, ob eine Umbuchung eine Nichtbeförderung darstellen kann und ob gegen die Fluggesellschaft Ansprüche bestehen, wenn, wie vorliegend, die Umbuchung vom Reiseveranstalter veranlasst wurde.
AG Hannover | 506 C 3316/16 (Aktenzeichen) |
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AG Hannover: | AG Hannover, Urt. vom 26.10.2016 |
Rechtsweg: | AG Hannover, Urt. v. 26.10.2016, Az: 506 C 3316/16 |
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Leitsätze:
2. Dem Europäischen Gerichtshof wird die Frage zur Klärung vorgelegt, ob eine Umbuchung ohne Einwilligung des Fluggastes eine Beförderungsverweigerung darstellt.
Anknüpfend an die Bejahung der ersten Frage schließt sich diejenige an, ob Ersatzansprüche wegen einer Umbuchung gegen die Fluggesellschaft oder gegen den Reiseveranstalter zu richten sind.
Zusammenfassung:
3. Teilnehmer einer Pauschalreise klagten gegen eine Fluggesellschaft, weil sie ohne ihr Einvernehmen auf einen früheren Heimflug umgebucht worden waren. Das Amtsgericht Hannover setzte das Verfahren aus, da das Urteil von der Beantwortung zweier Fragen durch den Europäischen Gerichtshof abhängig war.
Die erste zu klärende Frage bestand darin, ob die unfreiwillige Umbuchung eine Verweigerung der Beförderung des Fluggastes mit dem ursprünglich gebuchten Flug darstellt. Die rechtliche Definition macht ein rechtzeitiges Einfinden des Fluggastes am Flugsteig und anschließende Abweisung durch die Fluggesellschaft zur Bedingung für diesen Tatbestand, jedoch sah das Gericht vorliegend keine Verpflichtung der Kläger, sich einzufinden, da sie auf einen Flug umgebucht worden waren, der am Vortag startete.
Würde die erste Frage bejaht, so bestünde noch die Frage, ob die Fluggesellschaft den Ersatz schulde oder der Reiseveranstalter, der die Umbuchung vorgenommen hat. Einerseits sah das Gericht die Schutzbedürftigkeit des Passagiers, dem oft nicht ersichtlich ist, durch wen Umbuchungen erfolgen, andererseits die begrenzte Einsicht der Fluggesellschaft darein, wer mit oder ohne wessen Einvernehmen Umbuchungen vornimmt. Die Kammer tendierte zur Haftbarkeit der Fluggesellschaft, der jedoch ihrerseits Ausgleichsansprüche gegen Reiseveranstalter eingeräumt werden müssten, die unfreiwillige Umbuchungen veranlassen.
Tenor:
4. Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:
Stellt die Umbuchung auf einen anderen Flug einen von Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 erfassten Sachverhalt dar?
Falls die erste Frage zu bejahen ist:
Ist diese Vorschrift auch auf eine Umbuchung anzuwenden, die nicht durch das Luftfahrtunternehmen, sondern allein durch das Reiseunternehmen veranlasst worden ist?
Gründe:
1.
5. Die Kläger buchten bei dem Reiseveranstalter … eine Pauschalreise. Diese sollte jeweils einen Flug bei der Beklagten am 01.01.2016 von Karlsruhe nach Hurghada und am 08.01.2016 um 15:15 von Hurghada bis 19:10 nach Karlsruhe beinhalten. Den Klägern wurden jeweils für den Flug am 08.01.2016 personalisierte Tickets, die auf die Firma der Beklagten lauteten, ausgestellt.
6. Am 04.01.2016 teilte der TUI Service Hurghada den Klägern mit, dass aufgrund einer Flugdisposition der Rückflug bereits am 07.01.2016 um 13:25 Uhr nach Salzburg erfolge. Die Kläger wurden auf diesem Flug mit einer anderen Fluggesellschaft befördert. Der Flug der Beklagten am 08.01.2016 fand wie geplant, allerdings ohne die Kläger, statt.
2.
7. Das Gericht geht vorliegend davon aus, dass die Kläger über eine bestätigte Buchung gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. 1 VO (EG) Nr. 261/2004 für den Flug am 08.01.2016 durch die Beklagten erhalten haben. Die Kläger haben über ihr Reisebüro auf die Firma der Beklagten ausgestellte Tickets mit einen IR-Code erhalten, die den Namen der Kläger, die genaue Flugnummer, sowie den jeweils zugewiesenen Sitzplatz auswiesen. Aufgrund dieser konkreten Fluginformationen konnten die Kläger aus den vorgelegten Tickets nur schließen, dass sie bereits fest für den Flug am 08.01.2016 durch die Beklagten eingeplant sind. Anderenfalls würde es keinen Sinn ergeben, dass bereits bestimmte Sitzplätze ausgewiesen sind.
8. Ferner geht das Gericht gemäß dem Urteil des BGH vom 17.03.2015, Az. X ZR 34/14 davon aus, dass die Kläger weder verpflichtet waren, der Umbuchung zu widersprechen noch am 08.01.2016 gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. a) VO (EG) Nr. 261/2004 am Flugsteig zu erscheinen.
3.
9. Die Entscheidung ist vorliegend von der Frage abhängig, ob die Umbuchung eine Nichtbeförderung Art. 4 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 darstellt und ob eine Umbuchung durch den Reiseveranstalter dem ausführenden Luftfahrtunternehmen zuzurechnen ist.
10. Insoweit hat der BGH in seinem Vorlagebeschluss vom 07.10.2008, Az. X ZR 96/06 ausgeführt:
11. „Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 4 Abs. 3 der Verordnung ab. Das Revisionsverfahren ist deshalb auszusetzen, und es ist gemäß Art. 234 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 EG eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu den im Beschlusstenor gestellten Fragen einzuholen.
a)
12. Der von der Klägerin für sich und ihre Angehörigen geltend gemachte schadens- und verschuldensunabhängige, in der Höhe standardisierte Ausgleichsanspruch nach Art. 7 VO setzt nach Art. 4 Abs. 3 VO die Verweigerung der Beförderung gegen den Willen der Fluggäste voraus. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine Verlegung (Umbuchung) der Reisenden auf einen anderen Flug als Verweigerung der Beförderung im Sinn des Art. 4 Abs. 3 VO gewertet werden kann.
13. Die „Nichtbeförderung“ ist in Art. 2 Buchst. j VO als die Weigerung legaldefiniert, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Art. 3 Abs. 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z.B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen. Aus dieser Definition könnte gefolgert werden, dass die Beförderungsverweigerung eine Zurückweisung der Fluggäste am Flugsteig (durch die ausführende Fluggesellschaft) voraussetzt. Der Senat kann jedoch nicht ausschließen, dass damit der Schutzzweck des Art. 4 Abs. 3 VO unvollständig erfasst wäre.
14. Nach Erwägungsgrund 5 VO soll sich, da die Unterscheidung zwischen Linienflugverkehr und Bedarfsflugverkehr an Deutlichkeit verliere, der Schutz der Verordnung nicht auf Fluggäste im Linienflugverkehr beschränken, sondern sich auch auf Fluggäste im Bedarfsflugverkehr, einschließlich Flügen im Rahmen von Pauschalreisen, erstrecken.
15. Dies könnte lediglich bedeuten, dass Fluggäste im Pauschalreiseverkehr wie Fluggäste im Linienverkehr gegen Verspätungen, Annullierungen von Flügen und Beförderungsverweigerungen durch die Fluggesellschaft geschützt werden sollen. Hierfür könnte auch sprechen, dass Normadressat des Art. 4 Abs. 1 VO die ausführende Fluggesellschaft ist, die, wenn für sie nach vernünftigem Ermessen absehbar ist, dass Fluggästen die Beförderung zu verweigern ist, zunächst zu versuchen hat, Fluggäste gegen eine entsprechende Gegenleistung unter Bedingungen, die zwischen dem betreffenden Fluggast und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen zu vereinbaren sind, zum freiwilligen Verzicht auf ihre Buchungen zu bewegen. Ebenso ist in Art. 4 Abs. 2 VO dem ausführenden Luftfahrtunternehmen das Recht gegeben, Fluggästen – dann, aber auch erst dann – gegen ihren Willen die Beförderung zu verweigern, falls sich nicht genügend Freiwillige finden, um die Beförderung der verbleibenden Fluggäste mit Buchungen mit dem betreffenden Flug zu ermöglichen. Hieran könnte die in Art. 4 Abs. 3 VO angesprochene Beförderungsverweigerung anknüpfen, zumal in der aktivisch formulierten französischen und der spanischen Sprachfassung die Fluggesellschaft ausdrücklich als diejenige genannt ist, die sich weigert, Fluggäste an Bord zu nehmen und diesen deshalb unverzüglich die Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7 und die Unterstützungsleistungen gemäß den Art. 8 und 9 zu erbringen hat („S’il refuse des passagers à l’embarquement contre leur volonté, le transporteur aérien effectif indemnise immédiatement ces derniers conformément à l’article 7, et leur offre une assistance conformément aux articles 8 et 9. – En caso de que deniegue el embarque a los pasajeros contra la voluntad de éstos, el transportista aéreo encargado de efectuar el vuelo deberá compensarles inmediatamente de conformidad con el artículo 7 y prestarles asistencia de conformidad con los artículos 8 y 9.“), während zahlreiche andere Sprachfassungen (etwa die englische, die schwedische, die niederländische, die dänische, die italienische und die portugiesische Fassung) wie die deutsche Art. 4 Abs. 3 im Passiv formulieren und damit nach ihrem Wortlaut offenlassen, durch wen die Verweigerung erfolgt.
16. Die Absicht des Verordnungsgebers, den Schutz der Verordnung auf Flüge im Rahmen von Pauschalreisen zu erstrecken, könnte jedoch auch dafür sprechen, in der Umbuchung des Pauschalreisenden eine Weigerung zu sehen, diesen mit dem (ursprünglich) gebuchten Flug zu befördern.
17. Aus der Sicht des Fluggasts, der der Umbuchung nicht zugestimmt hat, kommt die Umbuchung einer Weigerung gleich, ihn mit dem vorgesehenen Flug zu befördern. Die Umbuchung lässt sich demgemäß gedanklich in eine Verweigerung der vorgesehenen Beförderung und die Buchung auf einen neuen Flug zerlegen. Die Einbeziehung der Umbuchung in den Tatbestand der Beförderungsverweigerung könnte deshalb erforderlich sein, um den Pauschalfluggast davor zu schützen, dass ihm der Schutz der Verordnung dadurch entzogen wird, dass er – anders als ein Linienfluggast – nicht erst am Flugsteig zurückgewiesen wird, sondern bereits zuvor auf einen anderen Flug gebucht wird, weil bei Pauschalflügen häufiger als bei Linienflügen bereits im Voraus absehbar sein wird, ob genügend Plätze für alle am Flugsteig zu erwartenden Fluggäste vorhanden sein werden oder nicht.
18. Der Klärung der Frage, wie die Verordnung insoweit auszulegen ist, dient die erste Vorlagefrage.
b)
19. Sollte die Umbuchung grundsätzlich als Beförderungsverweigerung in Betracht kommen, stellt sich die weitere Frage, ob auch eine Umbuchung, die durch den Reiseveranstalter erfolgt, bei dem der Fluggast die Pauschalreise gebucht hat, eine solche Beförderungsverweigerung darstellt.
20. Der Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 VO lässt insoweit, wie bereits ausgeführt, jedenfalls in den im Passiv formulierten Sprachfassungen keine eindeutige Beurteilung zu.
21. Gegen die Einbeziehung derartiger Umbuchungen könnte sprechen, dass die Verordnung – jedenfalls in erster Linie – die Verpflichtungen regelt, die das ausführende Luftfahrtunternehmen treffen, wenn sich ein Flug verspätet oder wenn er annulliert wird oder wenn Fluggäste am Flugsteig zurückgewiesen werden. Es ist demgemäß auch das ausführende Luftfahrtunternehmen, das die Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7 und die Unterstützungsleistungen gemäß den Art. 8 und 9 zu erbringen hat, und nicht der Reiseveranstalter. Da das ausführende Luftfahrtunternehmen gegebenenfalls gar keinen Einfluss auf eine Umbuchung durch den Reiseveranstalter haben kann (etwa wenn dieser umbucht, weil er eine größere Anzahl Pauschalreisender zu befördern hat, als er Plätze bei dem Unternehmen gebucht hat), könnte dies dagegen sprechen, das Luftfahrtunternehmen für ein Verhalten des seiner Weisung nicht unterworfenen Reiseveranstalters haften zu lassen.
22. Andererseits wird der Pauschalfluggast bei einer Verlegung (Umbuchung) vielfach nicht überprüfen können, wer die Änderung tatsächlich veranlasst hat, zumal wenn ihm dies nicht offengelegt wird, sondern er nur die Mitteilung erhält, dass eine Verlegung stattfinden soll. Dies könnte dafür sprechen, Verlegungen durch Dritte wie das Reiseunternehmen nicht anders zu behandeln als Verlegungen durch das Luftfahrtunternehmen. Zudem könnte die Beschränkung der Haftung auf Handlungen des Luftfahrtunternehmens dazu führen, dass die Verantwortung gegenüber dem Fluggast dem nicht haftenden Partner zugeschoben wird. Es erscheint daher denkbar, dass die Verordnung den Reisenden vor solchen Unsicherheiten bewahren und auch für diese Fälle einen einfachen Zugriff auf das Lufttransportunternehmen ermöglichen soll, mit dem der Reisende anlässlich seiner Beförderung ohnehin Kontakt aufnehmen muss. Ein solches Ergebnis entspräche auch einer in der deutschen reiserechtlichen Literatur vertretenen Meinung, nach der es Sinn und Zweck der Verordnung gebieten, die Verlegung (Umbuchung) als Nichtbeförderung anzusehen, da sonst das Luftfahrtunternehmen oder der Reiseveranstalter die Rechtsfolgen der Verordnung durch Verlegung auf spätere oder fremde Flugkapazitäten umgehen könnte (Führich, Reiserecht, 5. Aufl. 2005 Rdn. 1019; Lienhard in Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht – GPR – 2004, 258, 261 f.).
23. Der bei einer Haftung des Luftverkehrsunternehmens im Außenverhältnis zum Reisenden unrichtigen Verteilung im Innenverhältnis von Luftverkehrsunternehmen und Reiseveranstalter könnte dadurch Rechnung getragen sein, dass dem Luftverkehrsunternehmen für den Fall des Fehlens eigener Veranlassung Ausgleichsansprüche gegen den Reiseveranstalter zustehen. Solche Ansprüche regelt die Verordnung unmittelbar allerdings nicht; sie lässt aber nach ihrem Artikel 13 anderweitig begründete Ausgleichsansprüche unberührt und erwähnt in diesem Zusammenhang ausdrücklich Erstattungsansprüche gegenüber einem Reiseunternehmen.“
4.
24. Das vorlegende Gericht macht sich die Ausführungen des BGH zu eigen, da diese auch für den vorliegenden Fall zutreffend sind.
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