Flughafensperrung als außergewöhnlicher Umstand

AG Rüsselsheim: Flughafensperrung als außergewöhnlicher Umstand

Ein Flugreisender klagte gegen eine Fluggesellschaft wegen der 7-stündigen Verspätung seines Fluges nach Hurghada.

Das Amtsgericht Rüsselsheim wies die Klage ab, da sich die Beklagte auf eine Sperrung des Zielflughafens als außergewöhnlichen Umstand berufen konnte.

AG Rüsselsheim 3 C 4758/14 (34) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 17.02.2015
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 17.02.2015, Az: 3 C 4758/14 (34)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1. Urteil vom 17. Februar 2015

Aktenzeichen 3 C 4758/14 (34)

Leitsatz:

2. Die Sperrung des Zielflughafens aufgrund einer Notfallübung stellt einen außergewöhnlichen Umstand dar.

Zusammenfassung:

3. Ein Flugreisender forderte wegen der über 7-stündigen Verspätung seines Fluges von Stuttgart nach Hurghada eine Ausgleichszahlung gemäß der europäischen Fluggastrechteverordnung.

Das Amtsgericht Rüsselsheim wies die Klage ab, denn die beklagte Fluggesellschaft konnte sich auf außergewöhnliche Umstände berufen. Diese bestanden in einer Sperrung des Flughafens aufgrund einer Notfallübung, denn diese war ein von außen kommendes Ereignis, das sich dem Einfluss der Beklagten entzog.

Die Beklagte hatte auch alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, indem sie (erfolglos) bei der Botschaft in Kairo eine Ausnahmegenehmigung  und die Verlegung der Übung beantragt hatte. Eine Subcharteranfrage war insofern hinfällig, als dass die gemietete Maschine ebenfalls nicht hätte landen dürfen.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird auf 400,00 € festgesetzt.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um die Zahlung eines Ausgleichsanspruchs nach der Verordnung (EG) 261/2004 (nachfolgend „VO“ genannt) wegen Flugverspätung.

6. Der Kläger buchte eine Pauschalreise bei einem Reiseveranstalter, in deren Rahmen die Beklagte am 05.05.2014, 12:30 Uhr, eine Flugbeförderung von Stuttgart nach Hurghada erbringen sollte (Flug DE 1216). Nachdem sich der Kläger rechtzeitig am Abflughafen eingefunden hatte, startete der Flug tatsächlich erst mit einer Verspätung von 7 h 25 Minuten und traf am Zielflughafen erst mit einer Verspätung von über 7 h ein. Die Flugentfernung betrug 3197 km.

7. Mit Schreiben vom 28.05.2014 forderte der Kläger die Beklagte durch die Firma f. erfolglos unter Fristsetzung bis zum 11.06.2014 zur Zahlung einer Entschädigung auf. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers forderten die Beklagte mit Schreiben vom 29.07.2014 erfolglos unter Fristsetzung zur Zahlung der Entschädigung auf.

8. Nachdem der Kläger zunächst beantragt hat, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 400,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-​Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 12.06.2014 sowie 83,54 € Verzugsschaden zu zahlen, beantragt er nunmehr nur noch,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 400,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-​Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 12.06.2014 zu zahlen.

9. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10. Die Beklagte ist der Ansicht, der Flug sei aufgrund eines außergewöhnlichen Umstandes verspätet. Sie behauptet, Grund für die Verspätung sei gewesen, dass der Flughafen in Hurghada am 05.05.2014 zwischen 15:00 Uhr und 18:00 Uhr wegen einer Notfallübung gesperrt gewesen sei. Bereits erteilte Landegenehmigungen für diesen Zeitraum seien widerrufen worden. Der Flug sei deshalb für eine Landung um 0:25 Uhr umgeplant worden, was dem Reiseveranstalter auch mitgeteilt worden sei. Es habe keine Möglichkeit zur Umgehung der Flughafensperrung gegeben.

11. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Fu. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

12. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

13. Die zulässige Klage ist unbegründet.

14. Die Klägerseite hat keinen Anspruch auf Leistung von Ausgleichszahlungen wegen einer Flugverspätung/Annullierung gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b), Art. 6 Abs. 1, 5 Abs. 1 c) VO. Nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 (Aktenzeichen C-​402/07 und C-​432/07) sowie des Bundesgerichtshofs vom 18.02.2010 (Aktenzeichen Xa ZR 95/06) sind die Art. 5, 6 und 7 VO dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichzustellen sind, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von 3 h oder mehr erleiden, ihr Ziel also nicht früher als 3 h nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Vorliegend landete der streitgegenständliche Flug unstreitig erst um 00:16 Uhr Ortszeit in Hurghada, d.h. mit einer Verspätung von mehr als 7 Stunden. Dabei kann dahinstehen, ob der streitgegenständliche Flug nicht vielmehr als annulliert zu qualifizieren ist, weil die Beklagte eine Flugplanänderung vornahm und die Abflugzeit des streitgegenständlichen Fluges nach hinten verlegt wurde. Denn jedenfalls hat die Beweisaufnahme ergeben, dass die Passagiere bzw. der Reiseveranstalter nicht sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit informiert wurden, vgl. Art. 5 c) iii) VO. Nach Aussage des Zeugen wurden die Passagiere bzw. die Reiseveranstalter erst ab dem 02.05.2014 von der Flugänderung informiert. Auch nach Art. 5 Abs. 1 VO ergibt sich somit ein Anspruch auf Ausgleichsleistung.

15. Der Ausgleichsanspruch ist jedoch nach Art. 5 Abs. 3 VO ausgeschlossen, da die Verspätung/Annullierung auf außergewöhnliche Umstände im Sinne dieser Vorschrift zurückgeht. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs soll ein Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung des Art. 5 Abs. 3 VO entfallen, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung/Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären; dies ist vorliegend der Fall.

16. Die Sperrung des Flughafens in Hurghada ist ein außergewöhnlicher Umstand. Denn eine solche Flughafensperrung liegt außerhalb der von der Beklagten zu beherrschenden Sphäre. Es ist eine Einwirkung von außen, die nicht in den Verantwortungsbereich der Beklagten fällt.

17. Die für den klägerseits gebuchten Flug vorgesehene Maschine konnte nicht planmäßig abfliegen, da der Flughafen in Hurghada am 05.05.2014 wegen einer Notfallübung in der Zeit von 17:00 Uhr Ortszeit bis 20:00 Uhr Ortszeit geschlossen war.

18. Dies hat die Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen ergeben. Dieser hat ausgesagt, dass am 30.04.2015 ein NOTAM veröffentlicht wurde, worin mitgeteilt wurde, dass der Flughafen Hurghadas am 05.05.2014 in der genannten Zeit wegen einer Notfallübung gesperrt sei. In der Folgezeit seien die Abflug- und Ankunftszeiten der Flüge der Beklagten geändert worden, sodass eine Landung bzw. ein Start in Hurghada außerhalb der genannten Zeiten erfolgen könnte. Weiter hat er ausgesagt, dass der frühestmögliche Zeitpunkt für einen Abflug des streitgegenständlichen Fluges, um nach Wiederöffnung des Flughafens in Hurghada landen zu können, 15:30 Uhr Ortszeit gewesen sei. Auch dann wäre der Flug nicht mit weniger als drei Stunden Verspätung am Ziel angekommen. Die Aussage des glaubwürdigen Zeugen war glaubhaft. Der Zeuge hat sich durch die entsprechenden Unterlagen mit der konkreten Situation vertraut gemacht. Er hat sich kein Wissen angemaßt, dass er nicht haben kann. Bei Fragen, die er nicht beantworten konnte, hat er dies eingeräumt. Seine Aussage war widerspruchsfrei. An der Richtigkeit der Unterlagen in der Datenbank besteht kein Zweifel; zwar hat der Zeuge eingeräumt, dass heutzutage jede Information fälschbar ist, jedoch hat er auch erklärt, dass es sich bei den Daten um offizielle Informationen handelt, die über Standardwege übermittelt werden und dass diese seiner Ansicht nach die Originale sind. Der Zeuge hat außerdem schlüssig bekundet, dass er seine Informationen aus seiner langjährigen Tätigkeit als Verkehrsleiter bei der Beklagten sowie aus Gesprächen mit dem Regionalleiter der Beklagten für Ägypten habe. Der Zeuge konnte die zeitlichen Abläufe nach Veröffentlichung des NOTAM’s am 30.04.2014 konkret wiedergeben. Die Aussage erfolgte auch – wenngleich der Zeuge als Mitarbeiter der Beklagten ersichtlich in deren „Lager“ steht – sachlich und ohne erkennbaren Eifer zur Entlastung der Beklagten, zumal der Zeuge gegenüber der Beklagten nicht weisungsgebunden ist. Dass der Zeuge nicht persönlich in Hurghada anwesend war und sich somit lediglich als Zeuge vom Hörensagen darstellt, steht seiner Eigenschaft als Zeuge und der Verwertung seiner Aussage grundsätzlich nicht entgegen, da im Rahmen des Zeugenbeweises jede Art der Wahrnehmung in Betracht kommt.

19. Die Beklagte hat auch alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um die Verspätung zu verhindern. Auch dies hat der Zeuge bestätigt. Die Beklagte hat über die Botschaft in Kairo erfolglos versucht, eine Ausnahmegenehmigung für eine Landung während der Flughafensperrung zu erlangen sowie die Notfallübung verschieben zu lassen. Die Möglichkeit einer Subcharteranfrage bestand von vornherein nicht, da auch andere Flugmaschinen während der Schließung des Flughafens nicht in Hurghada landen konnten.

20. Es kann ferner dahinstehen, ob die Beklagte in ausreichendem Umfang Maßnahmen ergriffen hat, um eine weitere Verspätung nach dem Eintritt des außergewöhnlichen Umstandes zu vermeiden. Das Gericht schließt sich insofern der im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 18.04.2012 geäußerten Rechtsauffassung des Landgerichts Darmstadt (Az. 7 S 247/11) an, nach der ein „Wiederaufleben“ der Haftung nach Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes nicht in Betracht kommt. Nach dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 VO hat die Beklagte die ihr zumutbaren Maßnahmen allein im Hinblick auf die Vermeidung von außergewöhnlichen Umständen, nicht aber im Hinblick auf die Vermeidung einer Annullierung oder großen Verspätung zu ergreifen. Besonders deutlich wird dies in der englischen Fassung der VO, in der sich die zumutbaren Maßnahmen grammatikalisch unmissverständlich nur auf die außergewöhnlichen Umstände beziehen („the cancellation is caused by extraordinary circumstances which could not have been avoided even if all reasonable measures had been taken“). Gegenüber diesem eindeutigen Wortlaut des Verordnungstextes muss die missverständliche Formulierung des – ohnedies grundsätzlich nachrangigen – Erwägungsgrundes 15 a.E. zurückstehen. Bei Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes kann es auf die nach dessen Eintritt getroffenen Maßnahmen des Luftfahrtunternehmens nicht ankommen, da dies anderenfalls zu einer Ungleichbehandlung einer Annullierung, für die allein der Verordnungsgeber. Art. 5 VO ursprünglich vorgesehen hatte, und einer „großen Verspätung“ (von über 3 h) führen würde. Annulliert ein Luftfahrtunternehmen infolge des Vorliegens eines außergewöhnlichen Umstandes einen Flug, so entfällt die Haftung nach Art. 5 Abs. 3 VO. Sieht ein Luftfahrtunternehmen indes – nicht zuletzt auch im Interesse der Fluggäste – von einer Annullierung dieses Fluges ab und verspätet diesen lediglich, so darf es allein deshalb gegenüber einer Annullierung nicht in der Weise schlechter gestellt werden, als das Entfallen der Haftung nach Art. 5 Abs. 3 VO nun davon abhängt, ob das Luftfahrtunternehmen auch nach Vorliegen des außergewöhnlichen Umstandes alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat (so im Ergebnis auch Landgericht Darmstadt, a.a.O.).

21. Eine weitergehende Auslegung des Art. 5 Abs. 3 VO in dem Sinne, dass ein Luftfahrtunternehmen nach dem Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes alle zumutbaren Maßnahmen auch zur Vermeidung einer großen Verspätung zu ergreifen hat, überdehnt den Regelungsgehalt der Vorschrift und den vom Verordnungsgeber ins Auge gefassten Sinn und Zweck der Regelung, die bei Erlass der Verordnung nur für den Fall einer Annullierung gedacht gewesen ist. Eine Benachteiligung der Fluggäste ist auch ohne Sanktionierung einer sich vertiefenden Verspätung durch drohende Ausgleichsleistungen nicht zu besorgen, da das Luftfahrtunternehmen sowohl bereits aus Eigeninteresse als auch im Hinblick auf die zu erbringenden Betreuungsleistungen nach Art. 9 VO gehalten ist, einen verspäteten Flug möglichst zeitnah durchzuführen.

22. Die Nebenforderung teilt das Schicksal der Hauptforderung.

23. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711713 ZPO.

24. Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 ZPO nicht vorliegen.

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