Schadenersatzanspruch bei 6-stündiger Flugverspätung

AG Frankfurt: Schadenersatzanspruch bei 6-stündiger Flugverspätung

Flugreisende forderten eine Ausgleichszahlung für eine 16-stündige Flugverspätung von Madrid nach Lima. Die Fluggesellschaft berief sich auf einen Blitzeinschlag auf dem Vorflug als außergewöhnlichen Umstand, was das Gericht aber nicht anerkannte.

AG Frankfurt 32 C 1652/14 (84) (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 07.08.2014
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 07.08.2014, Az: 32 C 1652/14 (84)
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Amtsgericht Frankfurt am Main

1. Urteil vom 7. August 2014

Aktenzeichen 32 C 1652/14 (84)

Leitsatz:

2. Ein Blitzanschlag auf dem Vorflug, der eine Überprüfung der Maschine nach der Landung notwendig macht, ist kein außergewöhnlicher Umstand.

Zusammenfassung:

3. Flugreisende mussten bei ihrem Flug von Madrid nach Lima in Peru am 19. Oktober 2013 eine 16-stündige Verspätung hinnehmen. Hierfür forderten sie eine Ausgleichszahlung nach der europäischen Fluggastrechteverordnung. Die beklagte Fluggesellschaft berief sich auf einen Blitzeinschlag in die Maschine auf dem Vorflug als außergewöhnlichen Umstand.

Das Amtsgericht Frankfurt gab der Klage statt. Der Vortrag der Beklagten genügte nicht, um außergewöhnliche Umstände zu begründen. Der Blitzeinschlag hatte sich zudem auf dem Vorflug ereignet. Das Risiko einer Störung hat die Fluggesellschaft selbst zu tragen, wenn sie eine Maschine für aufeinanderfolgende Flüge verwendet. Der Rechtsauslegung des Europäischen Gerichtshofes nach standen den Klägern gemessen an der Flugdistanz 600,- € zu.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils einen Betrag in Höhe von 600,00 EUR, jeweils zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.11.2013 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, die Kläger von der Forderung der Kanzlei … für die vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG, der Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG, sowie der Umsatzsteuer nach Nr. 7008 RVG von insgesamt 201,70 EUR freizustellen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand:

5. Die Kläger begehren Ausgleichsleistungen im Zusammenhang mit einem von der Beklagten durchzuführenden Flug.

6. Streitgegenständlich ist der Flug … von Madrid nach Lima/Peru. Insgesamt hatten die Kläger bei der Beklagten die Beförderung von Frankfurt über Madrid nach Lima am 19.10.2013 gebucht. Der Flug … erreichte sein Ziel in Lima mit einer Ankunftsverspätung von über 16 Stunden.

7. Die Beklagte führt Flüge zwischen Lima und Madrid aus, wobei in Madrid keine Luftfahrtgeräte der Beklagten stationiert sind.

8. Die Kläger forderten die Beklagte mit Schreiben vom 09.11.2013 zur Zahlung der Ausgleichsleistung binnen 14 Tagen nach Erhalt erfolglos auf. Die Beklagte lehnte auf das am 10.11.2013 zugegangene Schreiben die Zahlung am 12.11.2013 ab. Auch auf anwaltliches Schreiben vom 18.12.2014 zahlte die Beklagte nicht.

9. Die Kläger beantragen,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an sie jeweils einen Betrag in Höhe von 600,00 EUR, jeweils zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.11.2013 zu zahlen;
  2. die Beklagte zu verurteilen, sie von der Forderung der Kanzlei … für die vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG, der Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG, sowie der Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG von insgesamt 201,70 EUR freizustellen.

10. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11. Die Beklagte behauptet,

Ursache der Verspätung seien ein oder mehrere Blitzschläge auf dem Vorumlauf der für den streitgegenständlichen Flug vorgesehenen Maschine von Lima nach Madrid gewesen. Hierdurch seien weitere technische Untersuchungen erforderlich geworden.

12. Sie ist der Ansicht, es handele sich hierbei um einen außergewöhnlichen Umstand.

13. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 07.08.2014 Schriftsatznachlass auf den Schriftsatz der Klägerseite vom 09.07.2014 beantragt.

Entscheidungsgründe:

I.

14. Die Klage ist entscheidungsreif.

15. Insbesondere war ein Schriftsatznachlass nicht zu gewähren, da die Voraussetzungen nach § 283 S. 1 ZPO nicht erfüllt sind. Der Schriftsatz der Klägerseite wurde am 15.07.2014 an den Beklagtenvertreter versendet. Auch bei Versendung nach Madrid kann von einem Zugang rechtzeitig vor dem Termin ausgegangen werden. Darauf kommt es aber letztlich nicht an, da der Schriftsatz der Klägerseite vom 09.07.2014 kein entscheidungserhebliches Vorbringen enthält.

II.

16. Die zulässige Klage ist begründet.

17. Insbesondere ist das angerufene Gericht auch international zuständig. Die Zuständigkeit bestimmt sich nach Art. 4 Abs. 1 der EuGVVO nach autonom nationalem Recht mit der Folge, dass vorliegend die Zuständigkeit wegen des Erfüllungsortes, § 29 ZPO, begründet ist. Der von den Klägern geltend gemachte Ausgleichsanspruch ist aus einem Vertragsverhältnis in diesem Sinne entstanden. Das Gericht folgt insoweit der Entscheidung des BGH vom 18.1.2011, Az. X ZR 71/10, mit der klargestellt wurde, dass in den Fällen, in denen der Abflug gerade von Drittlandsfluglinien von einem deutschen Flughafen stattfinden soll, auch die deutschen Gerichte für Ansprüche auf Ausgleichszahlungen zuständig sind. Dies ergibt sich aus dem „besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes“ nach § 29 ZPO.

18. Hier war Abflugort der einheitlichen Beförderung von Frankfurt über Madrid nach Lima Frankfurt am Main.

III.

19. Die Klage ist auch begründet.

1.

20. Den Klägern steht jeweils ein Anspruch auf Ausgleichszahlung für den Flug von Madrid Frankfurt nach Lima in Höhe von 600,00 EUR aus Art. 5, 6 und 7 der EG VO 261/2004 zu.

21. Die Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch nach Art. 6 i. V. m. 7 Abs. 1 lit. c) EG VO 261/2004 sind erfüllt.

22. Unstreitig haben die Kläger ihr Ziel mit Verspätung von mehr als 3 Stunden erreicht.

23. Ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 19.11.2009, Az.: C-402/07 und C-432/07 und des BGH, Urteil vom 18.02.2010, Az: Xa ZR 95/06, alle zit. nach juris, und nunmehr auch EuGH vom 23.10.2012, C-581/10 und C-629/10 ist auch eine verspätete Ankunft am Endziel von mehr als drei Stunden wie eine Annullierung zu behandeln, mit der Folge, dass die Fluggesellschaft nach Art. 5, 6 und 7 der EG VO 261/2004 zur Zahlung von Ausgleichszahlungen verpflichtet ist.

2.

24. Die Beklagte ist von ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Ausgleichsleistungen auch nicht nach Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 freigeworden. Der Ausnahmetatbestand greift nicht. Die Beklagte hat nicht dargetan, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Nichtbeförderung geht nicht auf außergewöhnliche Umstände im Sinne dieser Vorschrift zurück.

25. Die Beklagte hat etwaige Entlastungsgründe im Sinne von Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 bereits nicht hinreichend dargelegt. Denn bei Wahrunterstellung des Vortrages der Beklagten hat mindestens ein Blitzschlag auf dem Vorumlauf der Maschine mit den sich daraus ergebenden technischen Untersuchungen zu einer Verzögerung geführt. Dies als wahr unterstellt, stellt der Blitzschlag auf dem Vorumlauf aber keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne dieser Vorschrift dar. Zwar kann ein Blitzschlag grundsätzlich einen außergewöhnlichen Umstand darstellen. Vorliegend ist dies jedoch aufgrund der Gesamtumstände anders zu beurteilen. Die Beklagte hat vorgetragen, dass die Maschine anschließend in Madrid aufgrund des Blitzschlages habe technisch überprüft werden müssen. Das Gericht hält diese Ausführung der Beklagten hier für nicht geeignet um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 zu begründen. Selbst wenn der Vortrag der Beklagten zutreffe, hat der Blitzschlag nicht in den streitgegenständlichen Flug sondern einen Flug im Vorumlauf der Maschine betroffen. Das Risiko, welches die Fluggesellschaft durch den Einsatz eines Fluggerätes auf mehreren Flugstrecken hintereinander in einem engen Zeitplan eingeht, der nicht auf eine Flugstrecke sich verzögert, die nicht die Flugroute des gebuchten Passagiers betrifft, kann nicht ohne weiteres zulasten der späteren Passagiere abgewälzt werden.

26. Überdies fehlt es an einem substantiierten Vortrag der Beklagten, dass diese alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Verspätung zu vermeiden. Dem Luftfahrtunternehmen obliegt es nämlich darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass es ihm auch unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel offensichtlich nicht möglich gewesen wäre, die außergewöhnlichen Umstände zu vermeiden, mit denen es konfrontiert war und welche zur Annullierung/Verspätung des Fluges geführt haben (EuGH, Urteil vom 22.12.2008, NJW 2009, 347). Die Beklagte hat vorgetragen, dass sie in Madrid keine Ersatzmaschinen vorhalte, dies, obwohl sie nach eigenem Vortrag stets Hin- und Rückflüge zwischen Lima und Madrid durchführt. Es ist der Beklagten, die diese Strecke regelmäßig unterhält, auch zuzumuten, in Madrid eine oder mehrere Ersatzmaschinen vorzuhalten, um solchen Ereignissen, die dem Flugbetrieb jedenfalls immanent sind, vorzubeugen. Weiterhin hat die Beklagte nicht dargetan, welche anderen personellen, materiellen und finanziellen Mittel ihr zur Verfügung standen, um den Flug zum geplanten Zeitpunkt durchzuführen aus welchen Gründen ihr gegebenenfalls dies nicht zumutbar war auf diese Ressourcen zurückzugreifen (Vergleiche BGH, Urteil vom 14.10.2010, Xa ZR 15/10). Beispielsweise hat die Beklagte keine Ausführungen zu Charter- oder Subchartermaschinen gemacht.

3.

27. Die Kläger haben auch einen Anspruch auf Erstattung der auf die Hauptforderung geltend gemachten Zinsen, §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB.

28. Denn durch das ablehnende Schreiben vom 12.11.2013 geriet die Beklagte hinsichtlich der sofort fälligen Ausgleichsleistungen in Verzug.

4.

29. Den Klägern steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Freistellung von den Kosten außergerichtlicher Rechtsverfolgung aus §§ 280, 286 BGB zu.

IV.

30. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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