Reisepreisminderung wegen verspäteten Reiseantritt um einen Tag

AG Köln: Reisepreisminderung wegen verspäteten Reiseantritt um einen Tag

Die Kläger hatten für sich und ihre mitreisenden Familien eine Reise bei der Beklagten gebucht. Der Abflug verzögerte sich um einen Tag. Nach Behauptung der Beklagten wurden den Klägern statt einer Ausgleichszahlung Reisegutscheine ausgehändigt. Die Kläger verlangen gerichtlich Reisepreisminderung und Ersatz entgangener Urlaubsfreude.

Das Gericht hat den Klägern insoweit Recht gegeben. Die Gutscheine wären nach Ansicht des Gerichts nicht auf eine Reisepreisminderung und den Ersatzanspruch anzurechnen. Außerdem konnte die Beklagte aber keine unterschriebene Annahmeerklärung vorlegen. Somit war eine Anrechnung grundsätzlich unmöglich. Den Klägern wurden ca. 800 € zugesprochen.

AG Köln 142 C 67/16 (Aktenzeichen)
AG Köln: AG Köln, Urt. vom 27.06.2016
Rechtsweg: AG Köln, Urt. v. 27.06.2016, Az: 142 C 67/16
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Amtsgericht Köln

1. Urteil vom 27. Juni 2016

Aktenzeichen 142 C 67/16

Leitsätze:

2. Ein nach der VO (EG) 261/2004 geleisteter Ausgleich ist nicht anzurechnen auf einen materiellen Ausgleichsanspruch aus dem nationalen Recht.

Der Ausgleich durch Gutschein bedarf zwingend der Unterschrift des Fluggastes.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten für sich und ihre mitreisenden Familien eine Reise mit Flug und Hotelaufenthalt auf Gran Canaria bei der Beklagten gebucht. Der Abflug verzögerte sich um einen Tag. Nach Behauptung der Beklagten wurden den Klägern statt einer Ausgleichszahlung Reisegutscheine ausgehändigt. Die Kläger verlangen gerichtlich Reisepreisminderung und Ersatz entgangener Urlaubsfreude.

Das Gericht hat den Klägern insoweit Recht gegeben. Die Gutscheine wären nach Ansicht des Gerichts nicht auf eine Reisepreisminderung und den Ersatzanspruch anzurechnen. Dies liege daran, dass der Ausgleich nach der VO (EG) 261/2004 immaterielle Schäden ausgleiche, der der Reisepreisminderung hingegen ein materielles Ungleichgewicht im Reisevertrag. Außerdem konnte die Beklagte keine unterschriebene Annahmeerklärung vorlegen. Eine solche wäre aber zwingend möglich, um die Gutscheine als Ausgleich im Sinne der Verordnung zu leisten. Damit wäre selbst bei Anrechenbarkeit dieses Ausgleichs keine Anrechnung möglich. Für die mitreisenden Kinder bestehe der Ausgleichsanspruch in gleiche Höhe wie für die Erwachsenen. Den Klägern wurden ca. 800 € zugesprochen. Die Freistellung von den vorgerichtlichen Anwaltskosten wurde aber nicht gewährt.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1.) 688,34 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.09.2015 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger zu 2.) und 3.) jeweils 68,83 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.09.2015 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreites trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteiles vollstreckbaren Betrages abzuwenden soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteiles jeweils vollstreckbaren Betrages geleistet haben.

Tatbestand

5. Die Kläger nehmen die Beklagte, eine Reiseveranstalterin, auf Reisepreisminderung und Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude in Anspruch.

6. Der Kläger zu 1.) buchte bei der Beklagten für die Kläger zu 2.) und 3.) sowie die weiteren Mitreisenden B.N., E.C. und C.C. eine Reise nach Gran Canaria in das Hotel Club D. / Maspalomas in der Zeit vom 05.07.2015 bis 19.07.2015. Der Gesamtreisepreis belief sich auf 5.817,00 Euro. Gebucht war u.a. ein Hinflug mit der Fluggesellschaft F. am 05.07.2015 um 12:40 Uhr von Düsseldorf nach Gran Canaria. Die Kläger und die Mitreisenden traten die Reise an. Der Hinflug verspätete sich um 24 Stunden. Nach Reiseende machte der Kläger zu 1.) mit anwaltlichem Schreiben Ansprüche bei der Beklagten geltend. Das Schreiben ging der Beklagten am 19.08.2015 zu. Die Mitreisenden B.N., E.C. und C.C. haben ihre Ansprüche gegen die Beklagte an den Kläger zu 1.) abgetreten.

7. Der Kläger zu 1.) ist der Ansicht, dass der Reisepreis wegen des um einen Tag verspäteten Reiseantrittes um 413,00 Euro zu mindern sei. Weiter stehe dem Kläger zu 1.) aus eigenem und abgetretenen Recht der drei Mitreisenden B.N., E.C. und C.C. ein Anspruch auf Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude in Höhe von 275,32 Euro (4 x 68,83 Euro) und den Klägern zu 2.) und 3.) jeweils in Höhe von 68,83 Euro zu.

8. Die Kläger beantragen,

9. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1.) 688,34 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.09.2015 zu zahlen.

10. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zu 2.) und 3.) jeweils 68,83 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.09.2015 zu zahlen.

11. die Beklagte ferner zu verurteilen, den Kläger zu 1.) von Honoraransprüchen seines Prozessbevollmächtigten für die vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 147,56 Euro freizustellen.

12. Die Beklagte beantragt,

13. die Klage abzuweisen.

14. Sie behauptet, dass den Klägern und den Mitreisenden am Flughafen Flugreisegutscheine zu einem Wert von jeweils 400,00 Euro, insgesamt 2.400,00 Euro, ausgehändigt worden seien. Die Gutscheine seien von diesen an Erfüllungs statt angenommen worden. Bei diesen Gutscheinen handele es sich um eine Ausgleichsleistung nach Art. 7 Abs. 3 der EG VO 261/2004 (FluggastVO). Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Kläger sich diese Gutscheine auf ihre reisevertragsrechtlichen Ansprüche gegen die Beklagte anrechnen lassen müssten. Das Fehlen einer schriftlichen Zustimmung bei Aushändigung der Gutscheine sei unschädlich.

15. Es wird weiter auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16. Die Klage ist überwiegend begründet.

I.

17. Dem Kläger zu 1.) steht aus eigenem und abgetretenem Recht der Mitreisenden B.N., E.C. und C.C. zunächst ein Anspruch auf Reisepreisminderung in Höhe von 413,00 Euro gemäss § 651 d Abs. 1 BGB zu.

18. Bei der unstreitig eingetretenen Verspätung um 24 Stunden auf dem Hinflug handelt es sich um einen Reisemangel gemäss § 651 d Abs. 1 BGB, da die Beklagte den Klägern und den Mitreisenden aufgrund der zwischen ihnen und der Beklagten bestehenden Reiseverträge einen vierzehntägigen Aufenthalt auf Gran Canaria schuldete, der um einen Tag verkürzt wurde. Eine Anzeige dieses offenkundigen Mangels bedurfte es nach § 651 d Abs. 2 BGB nicht. Die Minderung beläuft sich auf den auf einen Tag entfallenden Reisepreis; ausgehend von einem Gesamtpreis in Höhe von 5.817,00 Euro und 14 Reisetagen beläuft sich der Tagesgesamtpreis auf 415,50 Euro, so dass der geltend gemachte Betrag in Höhe von 413,00 Euro begründet ist.

19. Dem Kläger zu 1.) steht aus eigenem und abgetretenem Recht der Mitreisenden B.N., E.C. und C.C weiter ein Anspruch auf Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude gemäss § 651 f Abs. 2 BGB in Höhe von jeweils 68,83 Euro insgesamt 275,32 Euro zu.

20. Die Voraussetzungen des Anspruches liegen vor. Die Reise des Klägers zu 1.) und der Mitreisenden war durch den Verlust eines Reisetages erheblich beeinträchtigt. Bei der zur Beantwortung der Frage nach der Erheblichkeit gebotenen Gesamtabwägung zwischen Art und Ausmass des Mangels mit Reisepreis, Reisedauer, Reiseziel und insbesondere Reisezweck ist zunächst festzustellen, dass das Überschreiten einer Minderungsquote von 50 % auf einen Tag bereits ein starkes Indiz für das Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung ist. Die Abwägung kommt zu keinem anderen Ergebnis, da der Kläger zu 1.) und die Mitreisenden statt den 06.07.2015 vor Ort verbringen zu können an diesem Tag anreisen mussten. Letztlich erwies sich auch 05.07.2015 für sie als nutzlos, da sie diesen Tag mit Wartezeiten am Flughafen verbrachten. Auf dieser Grundlage ist auch die geltend gemachte Entschädigung von jeweils 1/6 des auf den von den Klägern mit 413,00 Euro berechneten Tagesgesamtpreis der Höhe nach nicht zu beanstanden.

21. Der gleiche Anspruch gemäss § 651 f Abs. 2 BGB in Höhe von jeweils 68,83 Euro steht auch den jeweils durch ihre Eltern gesetzlich vertretenen Klägern zu 2.) und 3.) zu.

22. Auch bei Kindern führt der Verlust von Urlaubstagen zu einer Beeinträchtigung des Reisenutzens. Neben dem auch bei Kindern zu beachtenden Erholungszweck hat die Reise vor allem Erlebniswert, insbesondere dann wenn sie innerhalb und mit der Familie durchgeführt wird. Dementsprechend ist auch eine Differenzierung der Höhe nach zwischen Erwachsenen und Kindern nicht gerechtfertigt, da sich die Beeinträchtigung zwar unterschiedlich auswirken mag aber insgesamt gleich gross ist, was bei einer Abstufung der Entschädigung der Höhe nach nicht zum Ausdruck kommt.

23. Entgegen der Ansicht der Beklagten müssen sich die Kläger und die Mitreisenden etwaige von der Fluggesellschaft ausgehändigte Fluggutscheine auf ihre Ansprüche nach den §§ 651 d Abs. 1, 651 f Abs. 2 BGB nicht anrechnen lassen. Dabei kann dahinstehen, ob – was die Kläger bestreiten – allen Fluggästen der Condor und damit auch den Klägern und den Mitreisenden Gutscheine übergeben wurden; denn eine Anrechnung ist weder dem Grunde nach noch im konkreten Fall möglich.

24. Soweit die Beklagte sich zunächst darauf beruft, dass eine Anrechnung nach Art. 12 FluggastVO erfolgen muss, ist diese Vorschrift im Verhältnis zwischen den Parteien de lege lata bereits nicht anwendbar, soweit die Anrechnung auf den Minderungsanspruch gemäss § 651 d Abs. 1 BGB erfolgen soll.

25. Art. 12 Abs. 1 FluggastVO bestimmt, dass die Verordnung unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes gilt und die nach der Verordnung gewährte Ausgleichsleistung auf einen solchen Schadensersatzanspruch angerechnet werden kann. Nach der Rechtsprechung des BGH ist auch ein auf eine Flugverspätung gestützter Minderungsanspruch nach § 651 d Abs. 1 BGB ein weiter gehender Anspruch im Sinne der Verordnung und im Wege der Vorteilsausgleichung anzurechnen (BGH, RRa 2015, 17). Ein Vorteilsausgleich kommt in Betracht, wenn zwischen dem Vorteil und dem anspruchsbegründenden Ereignis ein adäquater Kausalzusammenhang besteht. Der Geschädigte soll nicht besser gestellt werden, als er ohne schädigendes Ereignis stünde, aber ihm sollen auch nur die Vorteile angerechnet werden, deren Anrechnung mit dem Zweck des Ersatzanspruches übereinstimmen. Der BGH begründet die bei der Vorteilsausgleichung vorausgesetzte Übereinstimmung des Zweckes im Falle des Zusammentreffens von Ausgleichsanspruch nach Art. 7 FluggastVO und § 651 d Abs. 1 BGB damit, dass die Minderung einen Ausgleich für durch eine Verspätung entstandene Unannehmlichkeiten darstellt. Diese Annahme trifft nach Auffassung der erkennenden Abteilung des Gerichtes nicht zu. Der EuGH hat nach der von dem BGH in Bezug genommen Entscheidung vom 13.10.2011 (NJW 2011, 3776 – Aurora Rodriguez) in seiner Entscheidung vom 23.10.2012 (RRa 2013, 17-19 – Nelson) als massgebliches Abgrenzungskriterium zu den materiell-rechtlichen Schadenersatzregelungen des Montrealer Übereinkommens ausgeführt, dass die Ausgleichszahlung nach Art. 7 der FluggastVO einen sofortigen standardisierten Ausgleich für durch Zeitverlust entstandene Unannehmlichkeiten darstellen soll. Dieser Ausgleich tritt ergänzend neben das individuelle Schäden regelnde Montrealer Übereinkommen. Damit hat der Ausgleichsanspruch im Wesentlichen immateriellen Charakter, da er Unannehmlichkeiten kompensieren soll. Dann kann der Ausgleichanspruch aber nicht mehr mit dem Minderungsanspruch nach § 651 d Abs. 1 BGB gleichgesetzt werden. Dieser dient dem Ausgleich eines gestörten Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung im Reisevertrag und ist daher materieller Natur. Der Reisende hat eine dem von ihm gezahlten Reisepreis nicht entsprechende Leistung erhalten. Im immateriellen Bereich angesiedelte Unannehmlichkeiten werden von der Minderung gemäss § 651 d Abs. 1 BGB gerade nicht erfasst, sie sind im Reisevertragsrecht entschädigungslos hinzunehmen (Führich, Reiserecht 7. Aufl., § 7 Rn 130 ff.) Immaterielle Beeinträchtigungen werden im Reisevertragsrecht erst im Rahmen der Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude berücksichtigt, wenn die Beeinträchtigung erheblich ist. Eine Überkompensation ist daher nicht zu befürchten (so aber LG Berlin, Urteil vom 20. Januar 2015 – 55 S 2/14 –, zitiert nach juris). Im Gegenteil wird durch die Ausgleichszahlung nach Art. 7 FluggastVO gerade eine Lücke geschlossen, die im Reisevertragsrecht durch die Ausklammerung von immateriellen Ansprüchen bei Beeinträchtigungen („Unannehmlichkeiten“) unterhalb der Erheblichkeitsschwelle in den Flugverspätungsfällen besteht (wie hier: Kulhanek, RRa 2015, Rn 58 ff.) Dass Art. 12 FluggastVO die Anrechenbarkeit von materiell rechtlichen Minderungsansprüche wegen Leistungsstörungen nicht im Blick hatte, zeigt auch Art. 14 Abs. 5 Satz 2 der neuen Pauschalreiserichtlinie (EU Richtlinie 2015/2302). Dort wird die Anrechnungsfähigkeit einer Preisminderung nunmehr ausdrücklich geregelt. Dieser Regelung hätte es nicht bedurft, wenn der Verordnungsgeber die Preisminderung bereits als weitergehenden Schadenersatz nach Art. 12 FluggastVO angesehen hätte. Die entsprechende Übertragung dieser Anrechnungsvorschrift in das nationale Recht steht aber noch aus.

26. Aber selbst wenn eine Anrechnung möglich wäre, kann sie vorliegend nicht erfolgen, da die Fluggutscheine keine anrechnungsfähige Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 3 FluggastVO darstellen, da nicht dargetan ist, dass die Kläger und die Mitreisenden dieser Art des Ausgleiches schriftlich zustimmten.

27. Gemäss Art. 7 Abs. 3 FluggastVO erfolgen die Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung, durch Scheck oder, mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts, in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen. Der Umstand, dass das schriftliche Einverständnis nur im Zusammenhang mit Gutscheinen und anderen Dienstleistungen gefordert wird zeigt bereits, dass es sich hierbei nicht um eine blosse Formalie handelt sondern dass das schriftliche Einverständnis Wirksamkeitsvoraussetzung ist. Die Verordnung sieht das Zurverfügungstellen von Barmitteln zur freien Verwendung des Fluggastes als vorrangig an, wenn das Luftfahrtunternehmen ausgleichspflichtig ist. Der Reisende soll nicht in seiner Entscheidungsfreiheit beschränkt werden, es sei denn er stimmt dem freiwillig ausdrücklich zu. Einen Reisegutschein, der ihn an das Luftfahrtunternehmen bindet, muss der Fluggast nicht akzeptieren. Eine auf bestimmte Verwendungen beschränkte Kompensation ist daher die Ausnahme nach Art. 7 FluggastVO und deswegen einwilligungspflichtig. Damit sich der Fluggast bewusst wird, dass er den Gutschein als Ausgleich nach Art. 7 FluggastVO erhält und sein Anspruch nunmehr auf die von dem Luftfahrtunternehmen in dem Gutschein versprochenen Leistungen beschränkt wird, bedarf es zu seiner Warnung der Schriftlichkeit. Ihm soll vor Augen geführt werden, dass er damit den Gutschein an Erfüllungs statt zur Befriedigung seines Ausgleichsanspruches entgegengenommen hat. Die Notwendigkeit das Einverständnis mit dem Gutschein zu dokumentieren, dient weiter der Beweissicherung. Gerade wenn man eine Anrechnung nach Art. 12 FluggastVO für möglich erachtet, ist die Dokumentation als Ausgleichszahlung wichtig; denn nur dann ist sichergestellt, dass die Leistung nicht als blosse Kulanzleistung des Leistungsträgers anzusehen ist, die ohne Auswirkung auf die vertraglichen Ansprüche gegen den Reiseveranstalter bleibt. Es ist daher gerade Sache des ausgleichspflichtigen Luftfahrtunternehmens im eigenen Interesse zur Vermeidung des Anscheines einer Kulanz auf eine schriftliche Erklärung des Reisenden hinzuwirken, dies gerade auch im Verhältnis zum Reiseveranstalter im Hinblick auf einen möglichen Regress. Soweit es faktisch zu einer Überkompensation des Fluggastes/Reisenden kommt, ist dies auf das Versäumnis des Luftfahrtunternehmens zurückzuführen und kann nicht zu Lasten des nicht gewarnten gutgläubigen Fluggastes/Reisenden gehen.

28. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Kläger nach § 242 BGB liegt nicht vor. Es kann insbesondere nicht darin gesehen werden, dass sie ggfs. Gutscheine der Condor entgegengenommen haben und diese einlösen, sich der Beklagten gegenüber aber zur Vermeidung der Anrechnung auf die fehlende Schriftlichkeit bei Entgegennahme berufen.

29. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in Gestalt des unredlichen Ausnutzens einer Rechtsstellung nach § 242 BGB setzt voraus, dass der Berechtigte seine Rechtsstellung in treuwidriger Weise erworben hat. Dies setzt aber voraus, dass der Berechtigte in Kenntnis der Umstände handelte, aus denen sich der Vorwurf der Unredlichkeit ableitet. Bei der Entgegennahme von Gutscheine durch das Luftfahrtunternehmen in Verspätungsfällen setzt dies aber voraus, dass den Fluggästen bewusst war, dass es sich um die Ausgleichszahlung handeln sollte und diese ihnen nunmehr als Reisende im Verhältnis zum Reiseveranstalter angerechnet werden kann. Eine solche Kenntnis von Art. 7, 12 FluggastVO und die Wechselwirkung zu den §§ 651 c ff BGB kann nicht als bekannt vorausgesetzt werden. Insbesondere genügt zur Annahme einer solchen vertieften Kenntnis des Verhältnisses von Ausgleichsansprüchen nach der FluggastVO und dem Reisevertragsrecht nicht die nach Art. 14 der FluggastVO vorzunehmende Belehrung über die Fluggastrechte. Die Kenntnis der Zusammenhänge ist daher von dem Reiseveranstalter im konkreten Fall darzulegen und zu beweisen. Der Reisende ist folglich– soweit er die Kenntnis nicht besitzt oder sie ihm nicht nachgewiesen wird – berechtigt, die Rüge der fehlenden Schriftlichkeit dann zu erheben, wenn der Reiseveranstalter sich auf die Anrechnung nach Art. 12 FluggastVO beruft.

30. Da eine konkrete Kenntnis der Kläger bei der behaupteten Übergabe der Reisegutscheine nicht erkennbar und auch Tatsachen, aus denen diese sich ergeben soll, nicht vorgetragen sind, sind die Kläger nicht gehindert sich in Ansehung der Anrechnung auf die fehlende Schriftlichkeit nach Art. 7 Abs. 3 FluggastVO zu berufen.

II.

31. Der Zinsanspruch beruht auf § 286 BGB, allerdings ist Verzug erst mit der Zurückweisung der Ansprüche zum 14.09.2015 eingetreten.

32. Ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtliche Anwaltskosten besteht nicht. Ein Anspruch aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäss § 286 BGB scheitert daran, dass die Beauftragung der Anwälte vor Verzugseintritt erfolgte und nicht seine Folge ist. Ein Anspruch aus dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes gemäss § 651 f Abs. 1 BGB scheitert daran, dass es in reisevertragsrechtlichen Angelegenheiten vor Verzugseintritt weder notwendig noch zweckentsprechend ist, einen Anwalt zu beauftragen. In diesem frühen Stadium einer reiserechtlichen Auseinandersetzung kann der Reisende seine Ansprüche noch unschwer selbst geltend machen. Dies auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Reisende auf die Geltendmachung von Ansprüchen innerhalb der Monatsfrist nach § 651 g BGB nebst Adressat der Geltendmachung von dem Reiseveranstalter nach § 6 BGB Info VO hingewiesen wird (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 2016 – X ZR 35/15 –, zitiert nach juris für fehlende Erstattungsfähigkeit von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bei der Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen nach der FluggastVO wenn die Hinweise nach Art. 14 FluggastVO erteilt wurden).

III.

33. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr.11, 711 ZPO.

34. Streitwert: 826,00 Euro

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