Preisminderung bei Flugverspätung

LG Berlin: Preisminderung bei Flugverspätung

Vorliegend buchte der Kläger bei einer Reiseveranstalterin eine Reise nach Kuba. Der Hin-und Rückflug wurde von dem beklagten Luftfahrtunternehmen durchgeführt. Der Rückflug verspätete sich um mehr als 22 Stunden, sodass die Reiseveranstalterin dem Kläger eine Reisepreisminderung gewährte. Der Kläger verlangt weiterhin von dem beklagten Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastverordnung.

Das Landgericht Berlin entschied, dass der bereits gewährte Minderungsanspruch gemäß §651d BGB, als weitergehender Schadensersatzanspruch auf den Ausgleichsanspruch anzurechnen sei.

LG Berlin 55 S 2/14 (Aktenzeichen)
LG Berlin: LG Berlin, Urt. vom 20.01.2015
Rechtsweg: LG Berlin, Urt. v. 20.01.2015, Az: 55 S 2/14
AG Charlottenburg, Urt. v. 26.11.2013, Az: 229 C 124/13
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Landgericht Berlin

1.Urteil vom 20. Januar 2015

Aktenzeichen 55 S 2/14

Leitsatz:

2. Ein Minderungsanspruch gemäß §651d BGB ist auf den Ausgleichsanspruch gemäß der Fluggastverordnung anzurechnen,da es sich bei einem Minderungsanspruch um einen weitergehenden Schadensersatzanspruch nach Art. 12 Abs. 1 FluggastrechteVO handelt, da dem Reisenden durch die Minderung des Reisepreises ein Ausgleich für die ihm durch die große Verspätung entstandenen Unannehmlichkeiten gewährt wird.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall buchte der Kläger bei einem Reiseveranstalter eine Reise nach Kuba mit Hin-und Rückflug. Die Flüge wurden durch das beklagte Luftfahrtunternehmen durchgeführt. Der Rückflug verspätete sich allerdings um 22 Stunden und 20 Minuten. Der Reiseveranstalter gewährte dem Kläger eine Reisepreisminderung wegen des verspäteten Fluges. Der Kläger verlangt nun von der Beklagten eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastverordnung.

Das Amtsgericht Charlottenburg sprach dem Kläger  keinen Anspruch auf die Restforderung zu, da die bereits gewährte Reisepreisminderung auf den Ausgleichsanspruch anzurechnen sei. Gegen dieses Urteil richtet sich nun die Berufung des Klägers.

Auch das Landgericht Berlin bestätigt die Entscheidung des Amtsgerichts. Der Minderungsanspruch gemäß §651d BGB sei als weitergehender Schadensersatzanspruch auf Ausgleichsansprüche gemäß der Fluggastverordnung anzurechnen, da dem Reisenden durch die Minderung des Reisepreises ein Ausgleich für die ihm durch die große Verspätung entstandenen Unannehmlichkeiten gewährt werde. Die Klage sei folglich unbegründet.

Tenor

4. Die Berufung der Kläger gegen das am 26.11.2013 verkündete Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg – Az. 229 C 124/13 – wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens je zur Hälfte zu tragen.

Das angegriffene und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Hohe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Hohe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

5. Die Kläger buchten bei der TUI Deutschland GmbH eine Reise nach Kuba mit Hin- und Rückflug durch die Beklagte. Der für den 29.1.2010 vorgesehene Rückflug verspätete sich um 22 Stunden und 20 Minuten. Die Entfernung zwischen dem Abflugort Varadero und Berlin betragt 8.287 km.

6. Wegen dieser Verspätung gewährte der vorgenannte Reiseveranstalter den Klägern eine Minderung des Reisepreises in Höhe von insgesamt 243 €. Wegen dieser Zahlung nahm der Reiseveranstalter die Beklagte in Regress, und letztere erstattete diesem am 28.2.2011 die den Klägern gewährte Reisepreisminderung.

7. Die Kläger machten gegenüber der Beklagten sowohl mit Schreiben des beauftragten Inkasso-​Unternehmens EU-​claim vom 3.5.2010 als auch ihrer Prozessbevollmächtigten vom 20.8.2010 eine Ausgleichszahlung in Hohe von je 600 € gem. Art. 7 Abs. 1 S. 1 lit. c) VO (EG) 261/2004 geltend. Da die Aufforderung erfolglos blieb, verfolgten die Kläger ihre Forderung vor dem Amtsgericht Charlottenburg. Die Beklagte erkannte die Forderung in Hohe von je 478,50 € (600 € abzüglich der von der TUI gewährten 121,50 €) an.

8. Mit Schlussurteil vom 26.11.2013 hat das Amtsgericht Charlottenburg die noch streitige Restforderung nebst Zinsen abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung führt das Amtsgericht aus, dass die gewährte Reisepreisminderung auf den Ausgleichsanspruch anzurechnen sei. Wegen der Entscheidungsgründe im Einzelnen wird auf das angegriffene Urteil Bezug genommen.

9. Hiergegen richtet sich die rechtzeitige Berufung der Kläger, mit der sie ihr Zahlungsbegehren weiter verfolgen. Zur Begründung führen sie an, die Anrechnung eines aufgrund einer Reisepreisminderung wegen Flugverspätung gezahlten Betrages auf die Ausgleichsleistung widerspreche in zweifacher Hinsicht dem Wortlaut von Art. 12 VO (EG) 261/2004. So stelle eine Minderung bereits keinen Schadensersatzanspruch dar. Auch könne nach dem Wortlaut der vorgenannten Vorschrift ein Ausgleichsanspruch nur auf einen Schadensersatzanspruch angerechnet werden, nicht aber umgekehrt. Die von dem Amtsgericht hingegen zur Begründung seiner Entscheidung vorgenommene doppelte Analogie sei weder zulässig noch geboten. So könne allein der Verweis auf nur eine andere Sprachfassung der VO, nämlich die englische, nicht geeignet sein, auf den generellen Willen des Verordnungsgebers zu schließen. Ein Anspruch des Reisenden nach § 651 d BGB sei nicht etwas, was der Veranstalter gewährt, sondern es handele sich um eine kraft Gesetzes eingetretene Reisepreisminderung, die dem Reisenden einen vertraglichen Anspruch auf Rückerstattung des zuviel bezahlten Reisepreises einräume. Bei der Ausgleichszahlung handele es sich um einen pauschalierten Anspruch wegen der durch die Flugverspätung erlittenen Unannehmlichkeiten und damit etwas ganz anderes, so dass es auch nicht zu einer Überkompensation kommen könne. Die Ansicht des Amtsgerichts führe zu dem widersinnigen Ergebnis, dass sich der Fluggast einer besonders teuren Reise besonders viel auf die Ausgleichsleistung des Luftfahrtunternehmens anrechnen lassen müsse und damit die Unannehmlichkeit einer verlängerten Reisezeit geringer kompensiert werde als bei einer günstigeren Reise. Dies stelle eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar. Auch sei nicht erkennbar, warum es unbillig sei, das Luftfahrtunternehmen für beide von ihm kausal verursachten Folgen der Verspätung haften zu lassen.

10. die Kläger beantragen,

11. unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Charlottenburg die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils einen weiteren Betrag von 121,50 € nebst anteiliger Zinsen in Hohe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Mai 2012 zu zahlen.

12. Die Beklagte beantragt,

13. die Berufung zurückzuweisen.

14. Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung. So sei das Amtsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass auch eine Minderung von Art. 12 EG-​VO umfasst sei und nicht nur eine Schadensersatzleistung. Um das Ziel, eine Überkompensation zu vermeiden, zu erreichen, könne es keine Rolle spielen, in welcher zeitlichen Reihenfolge Minderung und Ausgleichszahlung geleistet worden sind. Sowohl bei einem teureren als auch bei einem billigeren Reisepreis sei die Höhe der Ausgleichszahlung immer dieselbe, unabhängig davon, welche Minderung dem Reisenden gezahlt worden sei. Eine Ungleichbehandlung liege damit nicht vor. Die Ausgleichszahlung sei eine Pauschalabgeltung für jegliche Unannehmlichkeit infolge der Flugverspätung.

15. Die Berufung war zurückzuweisen, da sie unbegründet ist. Rechtsfehlerfrei ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass den Klägern kein weiterer Zahlungsanspruch gegen die Beklagte nach Art. 7 Abs. 1 S. 1, Lit. C) VO (EG) Nr. 261/2004 zusteht.

16. Das amtsgerichtliche Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.

17. In Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 30. September 2014 – X ZR 126/13 = WM 2014, 2384) hat das Amtsgericht die grundsätzliche Anrechnungsmöglichkeit einer Minderung nach Art. 12 VO (EG) Nr. 261/2004 bejaht. Denn jedenfalls bei einer Minderung des Reisepreises, die – wie hier – allein auf eine große Verspätung des Rückfluges nach § 651 d BGB zurückzuführen ist, handelt es sich um einen weitergehenden Schadensersatzanspruch nach Art. 12 Abs. 1 FluggastrechteVO, da dem Reisenden durch die Minderung des Reisepreises ein Ausgleich für die ihm durch die große Verspätung entstandenen Unannehmlichkeiten gewährt wird (BGH Urteil vom 30. September 2014 – X ZR 126/13aaO.).

18. Ohne Rechtsfehler hat das Amtsgericht die Möglichkeit bejaht, dass die Beklagte auf die von ihr zu leistende Ausgleichszahlung eine bereits zuvor vom Reiseveranstalter gewährte Minderung anrechnet.

19. Zwar geht ein Teil der Rechtsprechung davon aus, dass der Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 FluggastrechteVO keiner Auslegung zugänglich sei und nur die Anrechnung der Ausgleichsleistung auf weiter gehenden Schadenersatz erlaube, nicht aber die Anrechnung von weiter gehendem Schadenersatz auf die Ausgleichsleistung. Eine anders lautende Auslegung sei nicht möglich, weil der Wortlaut der Vorschrift klar und daher eine Auslegungsmöglichkeit gar nicht gegeben sei (vgl. AG Frankfurt, Urteil vom 17. Januar 2014 – 30 C 2462/13 (68) = RRa 2014, 254; AG Frankfurt, Urteil vom 04. Dezember 2013 – 31 C 2243/13 (17)= RRa 2014, 183; LG Darmstadt, Urteil vom 6. April 2011 – 7 S 122/10 = RRa 2011, 290; LG Darmstadt, Urteil vom 1.12.2010 – 7 S 66/10 = RRa 2011, 89; AG Rüsselsheim, Urteil vom 24. Februar 2011 – 3 C 734/10 (32) = RRa 2011, 94).

20. Doch widerspricht dieses Ergebnis dem Sinn und Zweck von Art. 12 Abs. 1 FluggastrechteVO. Dieser liegt gerade darin, die kumulative Geltendmachung von Ansprüchen, die auf einer Verzögerung der Beförderung beruhen, auszuschließen (vgl. insoweit auch BGH Urteil vom 30. September 2014 – X ZR 126/13, aaO.). Ließe man in Fällen wie den vorliegenden keine Anrechnungsmöglichkeit zu, würden die Kläger eine Doppelentschädigung erhalten, ohne dass es hierfür einen Grund gibt. Das Amtsgericht weist hierbei zutreffend darauf hin, dass bei der von den Klägern zugrunde gelegten Rechtsansicht lediglich der Zufall darüber entscheidet, ob eine Anrechnung vorzunehmen ist oder nicht, weil in Fällen wie dem vorliegenden eine Anrechnungsmöglichkeit ausschiede, jedoch bei einer zeitlich zuerst vorgenommenen Ausgleichszahlung diese gleichwohl erfolgen könne (vgl. insoweit Staudinger, BGB, Neub. 2011, § 651f Rn. 8; Leffers RRa 2008, 258).

21. Dies ist umso widersinniger, als der Grund der Ansprüche auf dem gleichen Sachverhalt beruht und die Zielrichtung des jeweiligen Anspruches – Minderung einerseits, Ausgleichsanspruch andererseits – der gleiche ist. Die von den Klägern vertretene Rechtsansicht würde einen gerechten Interessenausgleich gerade nicht herbeiführen und ist auch unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes nicht nachvollziehbar. Denn in dem einen wie dem anderen Fall der Anrechnung erhält der Fluggast in jedem Fall die ihm zustehende Ausgleichszahlung der Höhe nach. Dies gilt auch beim Vergleich zwischen Reisenden, die eine teure bzw. eine günstigere Reise gebucht haben; diese erhalten für eine Verspätung desselben Fluges wirtschaftlich gesehen eine der Höhe nach gleiche Ausgleichszahlung.

22. Soweit in der mündlichen Verhandlung eingewendet wurde, die Kläger hätten nach der Entscheidung des Amtsgerichts vorliegend die ihnen zustehende Ausgleichszahlung nicht aufgrund Art. 7 der Fluggastrechte VO erhalten, sondern eben nur zum Teil, stellt dies die angegriffene Entscheidung gleichfalls nicht in Frage, denn die Beklagte hat dem Reiseveranstalter den infolge der Flugverspätung geleistet Minderung ersetzt und steht damit nicht besser, als wenn sie den Klägern direkt je 600 € gezahlt hätte.

23. Angesichts des Umstandes, dass die Zahlungen der Beklagten und des Reiseveranstalters allein wegen der Flugverspätung erfolgten, bestehen aus Sicht der Kammer an der Angemessenheit einer Anrechnung keine Zweifel.

24. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

25. Die Revision war gem. § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Frage der Anrechnungsmöglichkeit einer bereits gewährten Minderung auf eine nach Art. 7 VO (EG) 261/2004 von grundsätzlicher Bedeutung ist und auch von Landgerichten unterschiedlich beantwortet wird.

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